Leitsatz (amtlich)
1. Hat das Berufungsgericht die Zulässigkeit des Sozialrechtsweges unter Klageabweisung rechtsirrtümlich verneint, so kann das Revisionsgericht die Revision auch dann als unbegründet zurückweisen, wenn der Klageanspruch nach der festgestellten Sachlage materiell-rechtlich eindeutig nicht gerechtfertigt ist.
2. Zur Frage der Inanspruchnahme eines Rentenversicherungsträgers für Aufgaben der Steuerverwaltung ("Lohnsteuereinzug an der Quelle").
3. Die Heranziehung von Rentenbezügen zur Einkommen- (bzw Lohn-) und Kirchensteuer wird jedenfalls dadurch, daß Rentenansprüche grundsätzlich nicht übertragbar sind (RVO § 119; RKG § 92), nicht gehindert.
Leitsatz (redaktionell)
Der Versicherungsträger kann auf Grund eines Haftungsbescheides des Finanzamtes das Knappschaftsruhegeld um einen Lohnsteuerbetrag kürzen; Zulässigkeit des Sozialrechtsweges.
Orientierungssatz
Ob ein Träger der gesetzlichen Rentenversicherung trotz des Grundsatzes der Unübertragbarkeit und Unpfändbarkeit von Renten (RVO § 119; RKG §§ 90, 92) befugt ist, dem Gesuchen der Finanzbehörde um Steuerabzug nachzukommen, ist keine Angelegenheit des Steuerrechts, sondern des Sozialversicherungsrechts (SGG § 51 Abs 1) und infolgedessen von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zu entscheiden.
Normenkette
RVO § 116 Fassung: 1924-12-15, § 119 Fassung: 1955-08-17; RKG § 90 Fassung: 1957-05-21, § 92 Fassung: 1957-05-21; SGG § 51 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 123 Fassung: 1953-09-03, § 170 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. März 1962 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Beklagte hatte dem während des Rechtsstreits verstorbenen Ehemann der Klägerin das Knappschaftsruhegeld gewährt. Veranlaßt durch einen Haftungsbescheid des zuständigen Finanzamts behielt die Beklagte von dieser Rente Lohn- und Kirchensteuern ein. Hiergegen richtet sich die Klage.
Die Finanzbehörde begründet ihren Standpunkt damit, daß das Ruhegeld, welches der Ehemann der Klägerin bezog, nicht eigentlich in vollem Ausmaß als eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern zum Teil als Arbeitslohn aus einem früheren Dienstverhältnis zu qualifizieren sei. Der Ehemann der Klägerin war ursprünglich Angestellter der Beklagten und bei dieser pflichtversichert gewesen. Nach seiner Übernahme in ein Dienstordnungsverhältnis und nach der Gewährleistung einer Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen entrichtete er zunächst freiwillig Beiträge zur Aufrechterhaltung der Anwartschaft. Seit dem Jahre 1927 wurde die Mitgliedschaft in der knappschaftlichen Rentenversicherung sogar ohne eine Beitragsleistung als fortbestehend erachtet. Die bei der Beklagten und später auch bei der Arbeitsgemeinschaft der Knappschaften der Bundesrepublik Deutschland verbrachte Dienstzeit wurde - unabhängig von Versicherungspflicht und Beitragsentrichtung - als "Versicherungszeit" angerechnet. Auf diese zusätzliche, mit Beiträgen nicht belegte Zeit, die als Berechnungsfaktor in die Rente eingegangen ist, stützt die Finanzbehörde ihr Vorgehen. Sie meint, die Rente nehme insoweit nicht an dem sonst für Bezüge aus der gesetzlichen Rentenversicherung vorgesehenen Steuerprivileg teil.
Vom Standpunkt der Finanzverwaltung aus sieht die Sache steuerrechtlich und in Zahlen ausgedrückt wie folgt aus: Wenn das in Betracht kommende Knappschaftsruhegeld steuerrechtlich als Leibrente zu gelten hätte, wären die Bezüge nicht in voller Höhe zu versteuern, sondern nur insoweit zur Einkommensteuer heranzuziehen, als in den einzelnen Bezügen Einkünfte aus Erträgen des Renten- (Stamm-) Rechts enthalten sind (§ 22 Ziffer 1 Buchstabe a des Einkommensteuergesetzes - EStG -). Lohnsteuer wäre nicht einzubehalten. - Als Ertrag des Rentenrechts hätte für die gesamte Dauer des Rentenbezugs der Unterschied zwischen dem Jahresbetrag der Rente und demjenigen Betrag zu gelten, der sich bei gleichmäßiger Verteilung des Kapitalwertes der Rente auf ihre voraussichtliche Laufzeit ergäbe. Der Kapitalwert wäre nach dieser Laufzeit zu berechnen. Der Ertragsanteil richtete sich nach dem bei Beginn der Rentenzahlung vollendeten Lebensalter des Rentenberechtigten. Der der Steuer unterliegende Ertragsanteil betrüge hier 20 v. H. der Bezüge, weil der Rentenberechtigte bei Beginn der Laufzeit das 65. Lebensjahr vollendet hatte. - Eine andere steuerliche Beurteilung der Einkünfte ergäbe sich hingegen, wenn der nicht auf Beiträgen fußende Anteil der Bezüge nicht als Rente, sondern als nachträgliche Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit anzusehen wäre. Dieser Anteil wäre gemäß § 19 Ziffer 2 EStG (§ 2 Abs. 2 Ziffer 2 EStG) im lohnsteuerlichen Abzugsverfahren voll zu versteuern. In der vorliegenden Sache käme man je nach den verschiedenen Ausgangspunkten zu folgenden Ergebnissen:
a) Unterstellt, die von der Ruhrknappschaft bezogenen Einkünfte stellen in voller Höhe eine Sozialversicherungsrente dar:
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Höhe der Bezüge |
DM 775,60 mtl. |
x 12 Monate |
= DM 9.307,20 jährl. |
davon zu versteuernder Ertragsanteil, 20 % |
= DM 1.861,44 |
Dieser Betrag würde der Einkommensteuer unterliegen. |
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b) Rentenanteil aus DM 775,60 |
= DM 362,94 mtl. |
x 12 Monate |
= DM 4.355,28 jährl. |
davon zu versteuernder Ertragsanteil, 20 % |
= DM 871,- |
zuzüglich Einkünfte aus nichtselbst. Arbeit: 12 x DM 412,66 |
= DM 4.951,92 |
Es wären insgesamt zu versteuern: |
DM 5.822,92 |
Die Beklagte steht mit der Klägerin auf dem entgegengesetzten Standpunkt. Ihres Erachtens waren die Rentenbezüge Früchte eines einheitlichen Stammrechts; sie stellten nicht mehr einen unmittelbaren Teil des Arbeitsentgelts dar, sondern waren losgelöst von den sonstigen Beziehungen des Versicherten zum früheren Dienstherrn, verselbständigt in einem besonderen Rechtsverhältnis, nämlich in der Mitgliedschaft bei der Beklagten begründet (vgl. RFH in StBl 1944 S. 651). Die Beklagte hat die verlangte Lohnsteuer nicht abgeführt, aber einbehalten und auf ein Sonderkonto verbucht; sie sieht sich, wie sie in einem hierüber dem Ehemann der Klägerin erteilten Bescheid und Widerspruchsbescheid verlautbart hat, außerstande, die Rente in voller Höhe an die Klägerin auszuzahlen.
Gerade dies ist indessen das Begehren, das die Klägerin mit der vorliegenden Klage durchzusetzen wünscht. Die Klägerin wirft der Beklagten vor, sie verstoße gegen ein Schutzprinzip der gesetzlichen Rentenversicherung, wonach Renten - abgesehen von den in den §§ 90, 92 des Reichsknappschaftsgesetzes - RKG - (§§ 1299, 119 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) normierten und erschöpfend aufgezählten Sonderfällen - ungekürzt zu gewähren seien. Die Bezeichnung einer "Arbeitgeberin", die nach der Auffassung der Finanzverwaltung der Beklagten beizulegen wäre, passe schon deshalb nicht auf die Beklagte, weil der Verstorbene zuletzt nicht in deren Diensten gestanden habe, sondern als Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der Knappschaften von einer selbständigen, mit der Beklagten nicht zu identifizierenden Körperschaft des öffentlichen Rechts beschäftigt worden sei. Nur dieser gegenüber habe der Verstorbene Ruhegehaltsansprüche gehabt. Die Beklagte stehe ihm lediglich als Versicherungsträger gegenüber. Als solcher habe sie ihm einen Rentenfeststellungsbescheid erteilt, an den sie gebunden sei. Diese Bindungswirkung werde von der Beklagten mit dem Lohnsteuerabzug mißachtet.
Die Vorinstanzen haben die Klage angebrachtermaßen abgewiesen. Der Sozialrechtsweg sei nicht gegeben, weil der vorliegende Streit nicht eine Angelegenheit der Sozialversicherung im Sinne des § 51 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) betreffe.
Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin, die das durch den Tod ihres Ehemanns unterbrochene Verfahren als dessen Rechtsnachfolgerin aufgenommen hat (§ 68 SGG, § 239 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung, § 88 Abs. 2 RKG), weiter ihren Klageantrag. Sie hat erklärt, daß sie eine Rechtswegverweisung gemäß § 52 Abs. 3 SGG nicht, auch nicht hilfsweise, beantrage.
Sie beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. März 1962 aufzuheben und die Revisionsbeklagte zu verurteilen, der Klägerin das ungekürzte Knappschaftsruhegeld für dessen Laufzeit auszuzahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist zulässig, in der Sache selbst hat sie aber keinen Erfolg.
Das angefochtene Urteil hat zu Unrecht angenommen, daß der Klage die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges (§ 51 Abs. 1 SGG) entgegenstehe. Das Berufungsgericht hat gemeint, Streitgegner der Klägerin sei, "materiell gesehen", nicht die Beklagte, sondern die Finanzbehörde. Diese und nicht die Beklagte nehme Teile der Rentenbezüge aus steuerrechtlichen Gründen in Anspruch. Die Beklagte leiste hingegen die von ihr geschuldete Rente in vollem Umfange, obgleich sie von den Rentenzahlbeträgen Lohnsteuer einbehalte und an das Finanzamt abführe (§§ 41 Abs. 1, 38 Abs. 3 EStG). Ob es aber richtig sei, daß die Rentenbezüge als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§§ 2 Abs. 3 Nr. 4, 8, 19, 24 EStG, 2 der Lohnsteuerdurchführungsverordnung - LStDV -) und sonach die Beklagte als Arbeitgeberin behandelt worden seien, sei in dem durch die Reichsabgabenordnung (RAO) geordneten Rechtsmittelverfahren (§§ 228 ff RAO) zu untersuchen.
Diese Ansicht vom Gegenstand des gegenwärtigen Rechtsstreits trifft nicht das von der Klägerin Gemeinte und Gewellte.
Nach dem Klagantrag soll die Beklagte veranlaßt werden, sich ungeachtet des Umstandes, daß sie für die Lohnsteuerforderung haftbar gemacht worden ist, die monatlichen Rentengefälle in voller Höhe an die Klägerin auszuzahlen. Der Streit geht nicht darüber, ob die Inanspruchnahme der Rente durch das Finanzamt zu Recht erfolgt ist - das wäre freilich ein dem Sozialrechtsweg verschlossener Tatbestand -, sondern unabhängig davon ist es der Klägerin um die gerichtliche Prüfung der Frage zu tun, ob die Beklagte ihre Pflicht als Träger der sozialen Rentenversicherung genügend beobachtet hat, als sie die Rentenzahlbeträge für Steuerzwecke kürzte. Die Klägerin geht von einem Widerstreit aus zwischen den Folgen des Steuerrechts und dem Schutz, den das Sozialversicherungsrecht gewährt; sie meint, im Falle einer derartigen - von ihr unterstellten - Kollision habe die Beklagte den durch das Sozialversicherungsrecht geschützten Interessen den Vorzug zu geben.
In der Tat soll durch die Vorschriften der §§ 90, 92 RKG in Verbindung mit § 119 RVO Vorsorge dafür getroffen werden, daß die Leistungen der (knappschaftlichen) Rentenversicherung unter allen Umständen ihrer Bestimmung dienen. Dem Erwerber soll der Unterhalt, der an die Stelle der durch eigene Arbeitskraft erworbenen wirtschaftlichen Mittel getreten ist, ungeschmälert erhalten bleiben. Die den §§ 90 und 92 RKG zuwiderlaufenden Handlungen verstoßen gegen ein gesetzliches Verbot. Der Versicherungsträger, der dennoch an einen Dritten zahlen würde, wäre von seiner Verpflichtung, an den Versicherten zu leisten, nicht frei. - Würdigt man das Klagebegehren unter diesem, durch den Sachvortrag der Klägerin hervorgekehrten Gesichtspunkt, so wird man den gegenwärtigen Streit als eine Angelegenheit der Sozialversicherung anzusehen haben (§ 51 Abs. 1 SGG). Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist mithin eröffnet und die Prozeßabweisung durch das Berufungsgericht nicht gutzuheißen.
Gleichwohl erübrigt sich wegen dieses Rechtsverstoßes eine Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückweisung der Sache in die Vorinstanz. Bei der gegebenen, völlig zu übersehenden und festgestellten Sachlage erweist sich die Klage - wie noch darzulegen ist - materiell-rechtlich ohne weiteres als unbegründet. Eine Zurückverweisung wäre überflüssig.
An einer Sachabweisung ist das Revisionsgericht nicht etwa deshalb gehindert, weil die Klägerin hierdurch schlechter als vorher gestellt würde (§ 123 SGG). Die von ihr angefochtene Prozeßabweisung hatte zwar eine andere, weniger durchgreifende Wirkung als die gegenwärtige Sachentscheidung. Richtig ist auch, daß die Klägerin sich vorderhand bloß gegen das die Klage aus prozessualen Gründen abweisende Urteil gewandt hat. Damit sind jedoch nicht schon ein für allemal die Grenzen bestimmt, innerhalb derer der Rechtsstreit bei dem Revisionsgericht angefallen ist. Die Klägerin erstrebt nicht nur die Aufhebung des angefochtenen Prozeßurteils (so allerdings: Baur in Juristenzeitung 1954 S. 327), sondern sie begehrt mehr: ihr geht es um eine stattgebende Entscheidung in der Sache selbst. Bei diesem weiter gesteckten Rahmen ihres Klage- und auch Rechtsmittelbegehrens muß sie aber damit rechnen, daß die gerichtliche Prüfung im einen oder anderen Sinne ausfällt, also auch eine ihr ungünstige Sachentscheidung ergehen kann (vgl. BSG 8, 228, 232; Jesch, Die öffentliche Verwaltung 1955 S. 395 mit Nachweisen).
Sachlich-rechtlich kann die Klage nicht durchdringen.
An der Handlungsweise der Beklagten ist nichts auszusetzen; sie ist der Klägerin gegenüber berechtigt sowie im Verhältnis zur Finanzverwaltung verpflichtet, die Lohnsteuerbeträge von den monatlichen Rentenleistungen abzuziehen. Dagegen bietet das den §§ 90, 92 RKG, § 119 RVO logisch vorausgehende Verbot der Unübertragbarkeit und Unpfändbarkeit von Rentenansprüchen und der nur ausnahmsweise durchbrochene Ausschluß der Aufrechnung keinen Schutz. Die genannten Vorschriften ergreifen schon ihrem Wortlaut nach den vorliegenden Sachverhalt nicht. Steuerabzug und Übertragung oder Pfändung einer Rentenforderung sind rechtlich verschiedene Dinge. Die Einkommensteuerpflicht macht vor den Bezügen aus der gesetzlichen Rentenversicherung keinen Halt; sie erstreckt sich auf "sämtliche Einkünfte" und damit auch auf solche aus wiederkehrenden Bezügen (§ 1 Abs. 1 EStG). Das steht außer Zweifel. Meinungsverschiedenheit besteht nur darüber, ob das Ruhegeld hinsichtlich des streitigen Teils zu den in § 2 Abs. 3 Ziffer 4 EStG bezeichneten Einkunftsarten gehört und damit dem Lohnsteuerabzug unterliegt (§§ 19, 38 Abs. 1 EStG) oder ob in den einzelnen Rentenzahlungen die Erträge aus einem einheitlichen Stammrecht zu erblicken sind (§ 22 Ziffer 1 Buchst. a, § 2 Abs. 3 Ziffer 7 EStG). Von keinem der beiden möglichen Standpunkte aus kann es aber für schlechterdings unstatthaft erachtet werden, daß das Knappschaftsruhegeld zur Einkommensteuer herangezogen wird.
Normen des Sozialversicherungsrechts stehen sonach dem Zugriff der Steuerverwaltung auf die Rentenbezüge nicht entgegen. - Ob der Beklagten in ihrer Eigenschaft als sozialem Versicherungsträger darüber hinaus Einwendungen gegen die Richtigkeit der geltend gemachten Steuerforderung gestattet wären, erscheint ungewiß. Ist es doch die Pflicht der Beklagten, wie jedes Versicherungsträgers, die Rechtsakte anderer Verwaltungsbehörden, selbst wenn diese sich irren sollten, zu respektieren (Jellinek, Verwaltungsrecht 1948 S. 17; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 7. Aufl. S. 92). Hinzu kommt die Pflicht zur Rechtshilfe, welche die Organe der Versicherungsträger anderen Behörden zu leisten haben (Art. 35 des Grundgesetzes, § 116 RVO. § 55 LStDV dürfte hingegen wohl seinem Wortlaut, nicht jedoch seinem wahren Inhalt nach tatbestandlich hier anzuführen sein). Keineswegs konnte die Beklagte die Aufforderung des Finanzamts, von den Rentenbezügen die Steuern abzuziehen, unbeachtet lassen.
Etwas anderes hätte nur zu gelten, wenn die Erklärung der Finanzbehörde über die Haftung der Beklagten für die Lohnsteuerschuld der Klägerin nach den im Verwaltungsrecht über den fehlerhaften Verwaltungsakt entwickelten Grundsätzen als nichtig zu betrachten wäre. Dafür fehlt jedoch jeder Anhalt. Einer der allgemein anerkannten Nichtigkeitsgründe, wie sachliche Unzuständigkeit, schwerer Verstoß gegen Verfahrensnormen oder zwingende Formvorschriften (vgl. § 211 RAO, § 46 Abs. 3 LStDV), Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot, tatsächliche Unmöglichkeit, liegen nicht vor. Wendet man die Lehre von der Nichtigkeit absolut gesetzloser Verwaltungsakte an, so ergibt sich nichts anderes. Es mag unterstellt werden, daß die Finanzbehörde das Gesetz falsch anwendet und deshalb die Lohnsteuerpflicht irrigerweise bejaht. Der Haftungsbescheid wäre dann gesetzwidrig, aber nicht gesetzlos; denn er wäre jedenfalls auf gültige Verfahrensnormen zu beziehen (vgl. Wolff MDR 1951 S. 523; Forsthoff aaO 8. Auflage 1961 S. 225). Daß Ruhegelder "und andere Bezüge und Vorteile aus früheren Dienstverhältnissen" zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zählen können, und zwar im Gegensatz zu "Bezügen, die ganz oder teilweise auf früheren Beitragsleistungen des Bezugsberechtigten ... beruhen", läßt sich aus dem Gesetz herleiten (§ 19 Ziffer 2 EStG; §§ 1 Abs. 2, 2 Abs. 2 Ziffer 2 LStDV). Die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer durch einen (früheren) Arbeitgeber beruht auf den §§ 38, 41 EStG und § 46 LStDV. Ungewöhnlich, wenn auch rechtlich nicht undenkbar ist ferner, daß nicht der letzte Dienstherr selbst, sondern die beklagte Ruhrknappschaft statt seiner mit den steuerrechtlichen Pflichten eines Arbeitgebers belastet wird (vgl. § 49 Abs. 1 LStDV). Freilich kann gerade in dem Umstand, daß der beklagte Versicherungsträger Schuldner der gesamten Ruhegeldverpflichtung - einschließlich des durch Beiträge nicht unterlegten Teils - ist, ein aufschlußreicher Fingerzeig für die Beurteilung der Einkunftsart liegen. Die rechtliche Würdigung durch die Finanzbehörde erweist sich mithin nicht ohne weiteres - für jedermann erkennbar - als fehlerhaft. Deshalb hat die Beklagte dem ergangenen Steuerverwaltungsakt Folge zu leisten.
In dieser Beziehung beruft sich die Beklagte der Klägerin gegenüber zutreffend darauf, daß ihr - mit der zunächst vorläufigen Stellung einer Arbeitgeberin - von Gesetzes wegen gewisse Steuerverwaltungsdienste überantwortet worden sind. Ihre Befugnisse kommen denen eines Steuererhebers gleich (vgl. BFH 5.7.1963, NJW 1963 S. 2191; Ipsen, Gesetzliche Indienstnahme Privater für Verwaltungsaufgaben, in Festgabe für Erich Kaufmann, "Um Recht und Gerechtigkeit", 1950 S. 141, 145; Felix in: Arbeitsrechtliche Praxis BGB § 670 Nr. 7 Anmerkung Bl. 374; ähnlich auch die Fälle der §§ 393, 394, 1396, 1397 RVO).
Die Beklagte hat ihre dem Ehemann der Klägerin gegenüber abgegebene Erklärung in die Form des mit Rechtsmittelbelehrung versehenen Verwaltungsakts gekleidet. An dieser Art der Stellungnahme braucht man keinen Anstoß zu nehmen. Ob die Beklagte derart handeln mußte, ist gleichgültig. Jedenfalls durfte sie sich dieses hoheitlichen Mittels bedienen. Es lag ihr verständlicherweise daran, die Doppeldeutigkeit ihrer Lage, in der sie sich einerseits als Träger der gesetzlichen Rentenversicherung und andererseits als Arbeitgeberin im Sinne des Lohnsteuerrechts befindet, verbindlich klarzustellen. Freilich ging von dem Ausspruch der Beklagten keine rechtliche Wirkung aus, die über das hinausging, was bereits durch den Haftungsbescheid der Finanzbehörde festgelegt und ausgelöst worden war. Im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Steuerobliegenheiten hat die Beklagte auch gar nicht in eigenverantwortlicher Zuständigkeit zu handeln oder gar verbindliche Entscheidungen zu treffen (Ipsen aaO S. 159 f). Indessen ist die obrigkeitlich gestaltete Erklärung der Beklagten nicht infolge ihrer Unselbständigkeit und wegen ihres Mangels an Eigensubstanz rechtswidrig. Es besteht kein Grund, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid der Beklagten aufzuheben.
Weil der Ausspruch der Beklagten keine selbständige Bedeutung hat, die Beklagte sich vielmehr im Rahmen des ihr allein durch das Steuerrecht übertragenen Pflichtenkreises verhalten hat, geriet sie nicht in Widerspruch zur Rentenbewilligung. Der das Knappschaftsruhegeld feststellende Bescheid blieb in seiner Regelung unangetastet. Die Vorschriften der §§ 1286, 1744 RVO, 77 SGG über die Bindungswirkung eines solchen Rentenfeststellungsbescheides sind nicht verletzt.
Zusammenfassend ergibt sich hiernach: Das angefochtene Prozeßurteil war nicht zu halten. Statt der an sich gebotenen Aufhebung konnte jedoch in der Sache selbst erkannt werden, und zwar dahin, daß die Klage aus materiell-rechtlichen Gründen abgewiesen wird.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 4 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2324259 |
MDR 1964, 1038 |