Leitsatz (amtlich)
1. Im sozialgerichtlichen Verfahren ist ein Teilurteil zulässig.
2. Durch Teilurteil kann auch im sozialgerichtlichen Verfahren nur über einen von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen oder über einen Teil eines Anspruchs, nicht aber über einzelne Anspruchsvoraussetzungen entschieden werden.
3. Die Frage, ob der Kläger militärähnlichen Dienst geleistet hat, betrifft eine tatsächliche Voraussetzung des Versorgungsanspruchs, nicht aber ein Rechtsverhältnis im Sinne des SGG § 55; sie kann daher nicht Gegenstand einer Feststellungsklage sein.
4. Ist durch das Urteil im ersten Rechtszuge nur eine Anspruchsvoraussetzung "festgestellt" und hat das Berufungsgericht die Berufung gegen dieses Feststellungsurteil durch Teilurteil zurückgewiesen, sich aber auf die Anschlußberufung des Klägers die Entscheidung über sein auf Leistung oder Verpflichtung gerichtetes Klagebegehren vorbehalten, so hat es damit gegen allgemeine verfahrensrechtliche Grundsätze verstoßen; der Verstoß ist so schwerwiegend, daß er bei einer zugelassenen Revision von Amts wegen zu berücksichtigen ist und zur Aufhebung des Teilurteils führen muß (Vergleiche BSG 1956-03-13 2 RU 179/55 BSGE 2, 245).
Normenkette
SGG § 55 Fassung: 1953-09-03, § 123 Fassung: 1953-09-03, § 202 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 301
Tenor
Das Teilurteil des Landessozialgerichts Berlin vom 28. Juli 1955 und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. September 1954 werden aufgehoben.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil des Landessozialgerichts vorbehalten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Der Kläger beantragte im Juni 1951, ihm wegen eines Augen- und Ohrenleidens Versorgung zu gewähren; diese Gesundheitsstörungen seien auf einen Unfall zurückzuführen, den er als Werkmeister bei der Wehrmacht im Sommer 1943 bei der Erprobung von V 2 - Geschossen in Peenemünde erlitten habe. Die Versorgungsverwaltung lehnte den Antrag durch Bescheid vom 12. Dezember 1952 ab: Der Kläger habe keinen militärähnlichen Dienst geleistet, er sei auf Grund eines zivilrechtlichen Arbeitsvertrages bei der Wehrmacht beschäftigt gewesen, sein Einsatz sei nicht mit besonderen kriegseigentümlichen Gefahren für seine Gesundheit verbunden gewesen (§§ 1, 3 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes - BVG -). Der Einspruch des Klägers wurde mit Bescheid vom 2. Juni 1953 zurückgewiesen. Die Klage enthielt keinen bestimmten Klagantrag; nach der Niederschrift über die Sitzung des Sozialgerichts (SG.) Berlin vom 15. September 1954 beantragte der Kläger "unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide festzustellen, daß er zur Zeit der Explosion im Sommer 1943 beim Heereswaffenamt in Peenemünde einen militärähnlichen Dienst ausgeübt hat bzw. daß sein Einsatz mit besonderen kriegseigentümlichen Gefahren für die Gesundheit verbunden war". Das SG. Berlin entschied durch Urteil vom 15. September 1954: "Es wird festgestellt, daß sich der Kläger, als er im Sommer 1943 beim Heereswaffenamt Peenemünde bei einer Explosion der V 2 - Waffe zu Boden geschleudert wurde, in einem militärähnlichen Dienst befand." Dagegen legte der Beklagte Berufung ein; in den mündlichen Verhandlungen vor dem Landessozialgericht (LSG.) am 28. Juli 1954 und 10. März 1955 beantragte der Beklagte, das Urteil des SG. aufzuheben und die Klage abzuweisen; der Kläger beantragte, "1. die Berufung zurückzuweisen, 2. im Wege der Anschlußberufung den Beklagten zu verurteilen, Versorgung für die Erblindung des rechten Auges und für die Ohrenschädigung - erlitten im Militärdienst als Wehrmachtsbeamter - zu gewähren"; der Beklagte stellte darauf noch den Antrag, die Anschlußberufung zurückzuweisen. Am 28. Juli 1955 erkannte das LSG. durch "Teilurteil" für Recht: "Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. September 1954 wird zurückgewiesen. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten. Die Revision wird zugelassen." Zur Begründung führte es aus, das SG. habe zutreffend angenommen, daß der Kläger eine Tätigkeit ausgeübt habe, die als militärähnlicher Dienst im Sinne des § 3 Abs. 2 BVG anzusehen sei; die Berufung sei daher unbegründet; insoweit könne nach § 301 der Zivilprozeßordnung (ZPO) in Verbindung mit § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Teilurteil entschieden werden; dagegen sei der Rechtsstreit zur Entscheidung über die Anschlußberufung noch nicht reif; insoweit bedürfe es noch der weiteren Aufklärung.
Der Beklagte legte gegen dieses ihm am 3. September 1955 zugestellte Urteil am 1. Oktober 1955 Revision ein und beantragte, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen; im gleichen Schriftsatz begründete er die Revision: Das LSG habe durch unrichtige Anwendung der §§ 1 und 3 BVG das Gesetz verletzt; die Tätigkeit des Klägers sei Zivildienst gewesen, sie sei nicht mit besonderen kriegseigentümlichen Gefahren für die Gesundheit verbunden gewesen.
Der Kläger beantragte, die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist zulässig, sie ist auch begründet.
Bei einer zulässigen Revision ist vor der sachlich-rechtlichen Würdigung des Streits zunächst von Amts wegen zu prüfen, ob die allgemeinen Prozeßvoraussetzungen, soweit sie unverzichtbar sind, die besonderen Prozeßvoraussetzungen des Klage- und des Berufungsverfahrens und die Voraussetzungen für eine entscheidende Tätigkeit des Revisionsgerichts in der Sache selbst erfüllt sind (vgl. BSG. 2 S. 225 ff. [226, 227]; S. 245 ff. [253, 254]; 5 S. 121 [122]; BSG. Urteil vom 17.7.1957 - 1 RA 141/56; Haueisen, NJW. 1956 S. 1089 ff. unter I 3). Im vorliegenden Fall ist zu untersuchen, ob überhaupt, wie das SG. und das LSG. angenommen haben, eine zulässige Feststellungsklage vorliegt und ob hier ein Teilurteil ergehen kann.
1.) Nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG kann mit der Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden. Zwar setzt die Feststellungsklage nicht voraus, daß ein Rechtsverhältnis im ganzen festgestellt werden soll; es können auch einzelne Beziehungen oder Berechtigungen aus diesem Verhältnis gerichtlich festgestellt werden (vgl. BSG. 4 S. 184 [185] mit weiteren Hinweisen), nicht aber einzelne Rechtsfragen oder Tatsachen, auch wenn sie als Voraussetzung eines Rechtsverhältnisses rechtserheblich sind. Die Frage, ob sich der Kläger zur Zeit seines Unfalls in Ausübung militärähnlichen Dienstes befunden hat, betrifft lediglich eine der tatsächlichen Voraussetzungen des Versorgungsanspruchs. Wenn sie bejaht oder verneint wird, werden damit nicht irgendwelche Rechtsbeziehungen zwischen dem Kläger und dem Beklagten oder anderen Personen festgestellt. Eine selbständige Feststellung einer einzelnen rechtserheblichen Tatsache ist verfahrensrechtlich unzulässig (Urteil des BSG. vom 13.11.1956, SozR. Nr. 5 zu § 55 SGG). Entgegen der Annahme des SG. und des LSG. kann auch der Antrag des Klägers in dessen richtig verstandenem Interesse nicht als Feststellungsbegehren aufgefaßt werden. Der Klagantrag läßt, selbst in der Formulierung, in der er in der Sitzungsniederschrift aufgenommen worden ist, deutlich erkennen, daß der Kläger mehr und anderes begehrt als eine bloße Feststellung. Beantragt ist auch die Aufhebung der Bescheide, durch die das Versorgungsbegehren, d.h. die Gewährung der Beschädigtenrente abgelehnt worden ist. Das Klagebegehren ist ersichtlich gar nicht auf Feststellung einer rechtserheblichen Tatsache als Voraussetzung des Versorgungsanspruchs gerichtet, sondern auf Zuerkennung dieses Anspruchs selbst; der Kläger will nach seinen Anträgen kein Urteil darüber, ob er zu einer bestimmten Zeit militärähnlichen Dienst geleistet hat oder nicht; er begehrt vielmehr eine Verurteilung des Beklagten zu einer Leistung aus dem Versorgungsverhältnis, nämlich zur Gewährung einer Beschädigtenrente oder zur Verpflichtung, ihn entsprechend zu bescheiden. Ob im vorliegenden Falle eine Aufhebungs- und Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 4 SGG oder eine Aufhebungs- und Verpflichtungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 SGG die richtige Klageart ist (vgl. BSG. 5, 60 [63 - 65]; Haueisen, NJW. 1957 S. 1657 ff., Buchwitz in "Arbeit, Beruf und Arbeitslosenhilfe" 1957 S. 286 unter II) kann in diesem Zusammenhang unerörtert bleiben. Jedenfalls kommt hier nur eine dieser Klagearten in Betracht und nicht eine Feststellungsklage. Für diese fehlt es im übrigen auch an dem besonderen Rechtsschutzbedürfnis, dem berechtigten Interesse an der baldigen Feststellung; es ist nicht ersichtlich, welche rechtlich beachtlichen Gründe der Durchführung der anderen Klagearten entgegengestanden haben. Wenn im sozialgerichtlichen Verfahren das Klagebegehren ersichtlich auf Aufhebung eines Verwaltungsakts und Verurteilung zur Leistung oder Verpflichtung zur Bescheiderteilung gerichtet ist, so darf nicht auf Feststellung erkannt werden (BSG. 5, 121 [123]).
2.) In beiden Rechtszügen ist bisher nicht über den streitigen Versorgungsanspruch entschieden worden; es ist vielmehr nur festgestellt worden, daß eine Voraussetzung des Versorgungsanspruchs gegeben ist. Das LSG. hat seine Entscheidung ausdrücklich als "Teilurteil" bezeichnet und ausgeführt, die Zulässigkeit eines solchen Urteils ergebe sich aus § 202 SGG in Verbindung mit § 301 ZPO. Eine Entscheidung über eine von mehreren Voraussetzungen des Versorgungsanspruchs kann aber nicht Gegenstand eines Teilurteils sein.
Zwar ist der Erlaß eines Teilurteils auch im sozialgerichtlichen Verfahren zulässig, obgleich dies im SGG nicht ausdrücklich ausgesprochen ist (Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Vorbem. vor den §§ 123 ff. Nr. 2 c; Hastler, SGG zu § 123 Anm. 2 I; Miesbach-Ankenbrank, SGG zu § 125 Anm. 3; Bayer. LSG., Breith. 1955 S. 840; LSG. Baden-Württemberg, Breith. 1957 S. 374; LSG. Schleswig, Breith. 1956 S. 113). Die Unterschiede des Zivilprozesses und des Verfahrens in der Sozialgerichtsbarkeit schließen die entsprechende Anwendung der Vorschriften der Zivilprozeßordnung über den Erlaß eines Teilurteils nicht aus. Dem Teilurteil liegt der Gedanke zugrunde, daß es aus Gründen der Prozeßökonomie zweckmäßig und geboten sein kann, den Teil eines Streits, den das Gericht als entscheidungsreif ansieht, durch ein für den weiteren Gang des Verfahrens selbständiges, daher auch selbständig anfechtbares Urteil zu erledigen; diese Erwägung hat auch im sozialgerichtlichen Verfahren Bedeutung. Durch ein Teilurteil kann aber auch hier nur über einen von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen oder über einen Teil eines Anspruchs entschieden werden, nicht aber über eine von mehreren Anspruchsvoraussetzungen, z.B. über die Fragen des militärischen Dienstes, des schädigenden Vorgangs, der besonderen kriegseigentümlichen Gefahren, aus denen sich in ihrer Gesamtheit der Anspruch ergibt; auch hier sind wie im Zivilprozeß und in der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit regelmäßig Ansprüche, nicht einzelne Rechtsfragen oder Tatsachen, mögen sie auch für einen Anspruch oder ein Rechtsverhältnis rechtserheblich sein, Gegenstand der Rechtsfindung (§ 123 SGG, vgl. hierzu auch BSG. 3 S. 135 [139]). Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben über einen konkreten Streit, d.h. über das Bestehen eines bestimmten Anspruchs, möglicherweise über das Bestehen oder Nichtbestehen eines bestimmten Rechtsverhältnisses im Sinne des § 55 SGG zu entscheiden; sie haben grundsätzlich den Sachverhalt bis zur Entscheidungsreife des streitigen Klageanspruchs zu ermitteln und sachlich zu bewerten.
3.) Die Mängel, an denen hiernach das Verfahren des LSG. leidet, muß das Revisionsgericht von Amts wegen beachten.
Die Aufsplitterung des sozialgerichtlichen Verfahrens in getrennte Abschnitte und in selbständig anfechtbare Entscheidungen, in denen einzelne Anspruchsvoraussetzungen oder Tatbestandsmerkmale festgestellt werden, widerspricht allgemeinen prozeßrechtlichen Grundsätzen. Es handelt sich hier um schwerwiegende Verstöße gegen Grundsätze, die im öffentlichen Interesse zu beachten sind und deren Befolgung dem Belieben der Parteien entzogen ist; die Mängel des Verfahrens, die dadurch entstehen, wirken auch in der Revisionsinstanz fort; als Verstöße gegen die Grundlagen des Verfahrens sind sie in jeder Lage des Rechtsstreits - bei einer zugelassenen Revision auch im Revisionsverfahren - von Amts wegen zu beachten (BSG. 2 S. 245 [253, 254] mit weiteren Hinweisen); sie nehmen dem Berufungsurteil die Fähigkeit, Grundlage eines Revisionsverfahrens und insbesondere eines auf die Sache selbst eingehenden Revisionsurteils zu sein.
Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben. Der Senat kann auch auf die Berufung des Beklagten das unzulässige Feststellungsurteil des SG. aufheben. Dagegen kann er über die Klage nicht entscheiden; insoweit liegen, da vom Kläger - wie dargelegt - gar keine Feststellungsklage erhoben ist, weder tatsächliche Feststellungen zu dem Klagebegehren (§ 163 SGG) noch eine Entscheidung über das Klagebegehren (§ 123 SGG) vor. Die Sache braucht aber nicht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückverwiesen zu werden; sie ist, nachdem das LSG. nur ein Teilurteil erlassen hat, und dieses Teilurteil hat aufgehoben werden müssen, noch und wieder beim LSG. anhängig.
Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung ist zu beachten, daß der Kläger nicht Anschlußberufung einlegen muß, wenn er seinen Klageantrag nunmehr näher präzisiert; die Anschließung in der Form der bloßen Erklärung in der mündlichen Verhandlung begegnet ohnehin rechtlichen Bedenken (vgl. BSG. 2, 229 [234], BSG 5 S. 121 [122, 123]). Sofern das LSG. selbst entscheidet und den Beklagten zu einer Leistung oder zur Erteilung des Bescheids verurteilt, verstößt es auch nicht gegen das Verbot der Schlechterstellung des Rechtsmittelklägers (reformatio in peius); danach ist es zwar dem Rechtsmittelgericht untersagt, dem Rechtsmittelkläger etwas abzusprechen, was ihm durch das angefochtene Urteil zugesprochen ist oder ihm etwas aufzuerlegen, wovon er in dem angefochtenen Urteil freigestellt ist; im vorliegenden Fall handelt es sich weder um das eine noch um das andere, da auch das Urteil des SG., das der Beklagte im Wege der Berufung angefochten hat, aufgehoben worden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 2000626 |
BSGE, 3 |