Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 21. Juni 1995 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der Kläger erlitt im Dezember 1991 einen Herzinfarkt, den der Beklagte im März 1992 als Behinderung mit einem Grad (GdB) von 50 feststellte (Bescheid vom 26. März 1992). Ein Jahr später bezeichnete der Beklagte nach Anhörung des Klägers die Behinderung als „Herzleistungsminderung nach Herzinfarkt” und setzte den GdB wegen abgelaufener Heilungsbewährung auf 20 herab (Bescheid vom 25. Mai 1993). Vom Kläger daraufhin zusätzlich geltend gemachte Gesundheitsstörungen berücksichtigte der Beklagte als „chronische Wirbelsäulenbeschwerden, Bewegungsstörung der Hüftgelenke” und mit einem Gesamt-GdB von nunmehr 30 (Teilabhilfebescheid vom 20. September 1993). Der weitergehende Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid vom 8. November 1993).
Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten verurteilt, den GdB mit 40 festzustellen (Urteil vom 20. Juni 1994), das Landessozialgericht (LSG) hat dieses Urteil und die angegriffenen Bescheide insoweit geändert, als der GdB auf unter 50 herabgesetzt worden ist. Der Beklagte habe im März 1992 zu Unrecht eine noch abzuwartende Heilungsbewährung als GdB erhöhend berücksichtigt. Der GdB habe damals ebenso wie bei Erlaß des Widerspruchsbescheides im November 1993 nicht 50, sondern allein nach der individuellen Leistungseinbuße des Klägers nur 30 betragen. Eine Herabsetzung des rechtswidrig zu hoch eingeschätzten GdB sei ausgeschlossen, weil die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse sich nicht geändert hätten.
Mit der dagegen eingelegten Revision macht der Beklagte geltend, das LSG habe § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) verletzt. Zu Recht sei eine Heilungsbewährung abgewartet und der GdB nach Ablauf dieser Zeit wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse herabgesetzt worden.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 21. Juni 1995 aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Es sei weiterhin von einem GdB von 50 auszugehen, weil bisher nur funktionelle, nicht aber psychische Folgen des Herzinfarkts berücksichtigt worden seien.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG.
Anders als vom LSG angenommen, haben sich die tatsächlichen Verhältnisse in der Zeit zwischen dem Erlaß des Ursprungsbescheides vom März 1992 und der letzten Entscheidung im Verwaltungsverfahren wegen Herabsetzung des GdB (Widerspruchsbescheid vom 8. November 1993) geändert. Mögliche spätere Änderungen hat das LSG allerdings zu Recht nicht berücksichtigt. Denn wenn ein Herabsetzungsbescheid – wie hier – mit der isolierten Anfechtungsklage angefochten wird, ist die Sach- und Rechtslage zur Zeit der letzten Verwaltungsentscheidung maßgebend (BSGE 15, 127, 131 = SozR Nr 9 zu § 1248 RVO; Urteil des Senats vom 15. August 1996 – 9 RVs 10/94 – zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; Kummer, Das sozialgerichtliche Verfahren, 1996, RdNr 83 mwN). Bis zum 8. November 1993 waren Änderungen in zweifacher Hinsicht eingetreten: Zu Ungunsten des Klägers war die einjährige Heilungsbewährung nach Herzinfarkt abgelaufen und zu seinen Gunsten waren bei der Korrektur des GdB zusätzliche Behinderungen zu berücksichtigen. Ob der Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden den GdB nach der Bilanz dieser gegenläufigen Änderungen (vgl dazu Bundessozialgericht ≪BSG≫ SozR 3100 § 62 Nr 21) herabsetzen durfte und ggf um welchen Grad, läßt sich nicht abschließend entscheiden, weil das Berufungsurteil dazu keine ausreichenden Feststellungen enthält.
Das LSG vermißt eine wesentliche, dh rechtserhebliche (BSGE 59, 111, 112 = SozR 1300 § 48 Nr 19) Änderung der tatsächlichen Verhältnisse zu Lasten des Klägers, weil der GdB nach einem Herzinfarkt allein von der verbliebenen Leistungsbeeinträchtigung abhänge und diese von März 1992 bis November 1993 gleichgeblieben sei und von Anfang an nur zu einem GdB von 30 geführt habe. Die in Nr 26.9, S 67 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (AHP 1983) – noch – vorgeschriebene Höherbewertung des GdB mit mindestens 50 für die Zeit einer einjährigen Heilungsbewährung im Anschluß an den Herzinfarkt sei nach dem bereits im Jahre 1992 erreichten Stand der medizinischen Wissenschaft zu Unrecht erfolgt. Der Ablauf einer zu Unrecht GdB erhöhend berücksichtigten Heilungsbewährung ändere die tatsächlichen Verhältnisse nicht und könne deshalb auch nicht zur Herabsetzung des rechtswidrig zu hoch festgesetzten GdB führen.
Diese Auffassung des LSG wäre nur richtig, wenn § 48 Abs 1 SGB X die Änderung solcher Tatsachen voraussetzte, auf die der begünstigende Bescheid zu Recht gestützt worden ist. Das ist aber nicht der Fall. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, daß § 48 Abs 1 SGB X auch dann anzuwenden ist, wenn sich nachträglich Tatsachen ändern, auf die der Bewilligungsbescheid zu Unrecht gestützt worden ist, die also die Behörde zu Unrecht für maßgebend gehalten hat. Liegt ein solcher Fall vor und beruht die Entscheidung auf – veröffentlichten – Maßstäben, die für das einheitliche Verwaltungshandeln herangezogen werden, ist auch eine solche Tatsache für die Bewilligung der Dauerleistung oder für eine Statusfeststellung im Rechtssinn wesentlich; denn auch der fehlerhafte Maßstab steuert iS der Gleichbehandlung die Verwaltungspraxis. Der Wegfall von Tatsachen, die nach dem fehlerhaften Maßstab wesentlich sind und deren Bedeutung für die Entscheidung in einem objektiven Sinn „erkennbar” ist, bewirkt eine wesentliche Änderung iS von § 48 Abs 1 SGB X (BSGE 67, 204, 210 f = SozR 3-3870 § 4 Nr 1 und – zuletzt – Urteil vom 12. November 1996 – 9 RVs 18/94 –, unveröffentlicht). Zu diesem Ergebnis kommt auch die Literatur (Gagel, SGb 1990, 252, 253; Steinwedel in KassKomm, Stand 1995, § 48 SGB X Rz 31; Schneider-Danwitz in GesamtKomm, Stand 1996, § 48 SGB X Anm 41b, bb; Schroeder-Printzen/Wiesner, SGB X, 3. Aufl 1996, § 48 Rz 6).
Zu den erkennbar objektiv bedeutsamen Tatsachen gehört im vorliegenden Fall als Grundlage der Feststellung des GdB auch dessen Höherbewertung wegen der abzuwartenden Heilungsbewährung. Nach Nr 26.9, S 67 AHP 1983 ist neben der nach dem Herzinfarkt verbliebenen Leistungsbeeinträchtigung für ein Jahr nach diesem Ereignis eine Heilungsbewährung abzuwarten; während dieser Zeit ist auch bei relativ geringer Leistungsbeeinträchtigung ein GdB von mindestens 50 anzunehmen. Ohne Belang ist in diesem Zusammenhang, ob die AHP 1983 bei Erstfeststellung des GdB im März 1992 insoweit noch dem Stand der medizinischen Wissenschaft entsprochen haben. Auch wenn das nach den Feststellungen des LSG nicht mehr der Fall war (vgl dazu den Wegfall der Heilungsbewährung nach Herzinfarkt in den AHP 1996 und Rösner, MedSach 1996, 173, 176 f und VersorgVerw 1997, 4, 6), so führt das doch lediglich zur Unverbindlichkeit der AHP in diesem Punkt (vgl BSGE 75, 176, 178 = SozR 3-3870 § 3 Nr 5 und BVerfG SozR 3-3870 § 3 Nr 6), ändert aber nichts daran, daß eine bevorstehende Heilungsbewährung von dem Beklagten seiner Entscheidung – fehlerhaft – zugrunde gelegt worden ist.
Der Senat weicht damit nicht von der Rechtsprechung des 8. Senats des BSG ab (Urteil vom 14. Februar 1973 – 8/7 RU 74/70 – BG 1973, 449) und gibt die Rechtsprechung des früher ebenfalls für das Versorgungsrecht zuständigen 10. Senats (Urteil vom 23. Mai 1969 – 10 RV 273/66 – KOV 1970, 9) nicht auf. Nach dieser Rechtsprechung liegt im reinen Zeitablauf zwar keine wesentliche Änderung der Verhältnisse. Das gilt aber nicht, wenn die Verwaltung in veröffentlichten Maßstäben – wie den AHP – eine zeitlich begrenzte Höherbewertung des GdB vorschreibt und dadurch ihrer Entscheidung objektiv erkennbar den Zeitablauf als tatsächlichen Umstand zugrunde legt.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen