Entscheidungsstichwort (Thema)
Altershilfe für Landwirte. Pflichtversicherung. Befreiung. Landwirtsehegatte. Gesetzeslücke. Übergangsregelung. Stichtagsregelung. Gleichbehandlungsgebot
Leitsatz (amtlich)
Es liegt weder eine von der Rechtsprechung zu schließende planwidrige Gesetzeslücke noch ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vor, wenn die einmalige Befreiungsmöglichkeit von der Pflichtversicherung in der landwirtschaftlichen Alterskasse nach § 85 Abs 3a S 1 ALG ua allein auf das im Jahre 1994 erzielte Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen des Ehegatten abstellt, ohne zu berücksichtigen, daß dieses zB durch Wehrdienst oder andere nicht zu vertretende Umstände atypisch gemindert war.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
ALG § 1 Abs. 3, § 3 Abs. 1, 4, § 85 Abs. 3a S. 1 Nr. 3; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. April 1997 und des Sozialgerichts Münster vom 7. November 1996 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streit besteht, ob die im Jahre 1970 geborene Klägerin als Ehefrau eines sogenannten Nebenerwerbslandwirts gemäß § 85 Abs 3a des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) auf Antrag von der Versicherungspflicht zu befreien ist. Ihr Ehemann war als landwirtschaftlicher Unternehmer Mitglied der Landwirtschaftlichen Alterskasse, wurde jedoch von der Beklagten mit Bescheid vom 16. Februar 1996 mit Wirkung ab 1. Juli 1994 von der Versicherungspflicht befreit.
Die Beklagte hatte mit Bescheid vom 29. Dezember 1994 mit Wirkung ab 1. Januar 1995 die Versicherungs- und Beitragspflicht der Klägerin in der Alterssicherung der Landwirte festgestellt. Hiervon wurde sie im Hinblick auf eine abgeschlossene Lebensversicherung (vgl § 85 Abs 3 Nr 3 ALG) rückwirkend ab 1. Januar 1995 befreit (Bescheid vom 19. März 1996).
Ihren Antrag vom Januar 1996 auf endgültige Befreiung von der Versicherungspflicht gemäß § 85 Abs 3a ALG lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 26. Februar 1996 idF des Widerspruchsbescheides vom 23. April 1996 mit der Begründung ab, ihr Ehemann habe im Jahre 1994 ohne Berücksichtigung des Arbeitseinkommens aus Land- und Forstwirtschaft kein Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen von mehr als DM 40.000 erzielt. Auch wenn er im Jahre 1994 Wehrdienst geleistet und in den Jahren 1993 und 1995 mehr als DM 40.000 brutto verdient habe, komme es nach dem Gesetzeswortlaut allein auf das Einkommen des Jahres 1994 an.
Das Sozialgericht Münster (SG) hat mit Urteil vom 7. November 1996 die Beklagte verurteilt, die Klägerin ab 1. Januar 1995 gemäß § 85 Abs 3a ALG von der Versicherungspflicht zu befreien; das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 16. April 1997 zurückgewiesen: Mit § 85 Abs 3a ALG habe der Gesetzgeber zusätzliche Befreiungsrechte von der Versicherungspflicht eingeräumt, in der Annahme, ein Bedürfnis zur eigenständigen Sicherung der Ehefrauen von Nebenerwerbslandwirten bestehe dann nicht, wenn der Nebenerwerbslandwirt außerlandwirtschaftliches Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen von mehr als DM 40.000 erziele. Abzustellen sei dabei auf typische Einkommensverhältnisse. Bei atypischen Einkommensverhältnissen wegen des Wehrdienstes im Jahre 1994 könne entgegen dem Gesetzeswortlaut nicht allein auf das Jahr 1994 abgestellt werden. Es liege eine planwidrige Gesetzeslücke vor, die verfassungskonform dahingehend zu schließen sei, daß dem Befreiungstatbestand der Verdienst des Jahres 1993 zugrunde zu legen sei. Es bestehe der Grundsatz, daß dem Wehrdienstleistenden durch die Ableistung des Wehrdienstes kein Nachteil entstehen dürfe (zB der Kündigungsschutz nach dem Arbeitsplatzschutzgesetz ≪ArbPlSchG≫; Verlängerung der Bezugsdauer einer Waisenrente nach dem Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch –). Weil während des Wehrdienstes nach § 1 Abs 1 ArbPlSchG das Arbeitsverhältnis ruhe, sei es mit dem gesetzgeberischen Anliegen unvereinbar, hinsichtlich des für den Befreiungstatbestand maßgeblichen Einkommens auf die Zeit des Wehrdienstes abzustellen.
Mit der Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 85 Abs 3a ALG: Die Entscheidung des LSG widerspreche Wortlaut, Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Norm.
Die Beklagte beantragt,
die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Ergänzend zu den Urteilen der Vorinstanzen weist sie darauf hin, daß die (abgeleitete) Alterssicherung der Bäuerinnen durch eine außerlandwirtschaftliche Erwerbstätigkeit des Ehegatten (mit Erwerbseinkünften über DM 40.000 jährlich) auch dann sichergestellt sei, wenn dieser Wehrdienst leiste. Denn dessen Rentenanwartschaft sei durch den Wehrdienst wegen der für diese Zeit entrichteten Pflichtbeiträge nicht geschmälert. Der rentenunschädliche Wegfall von Erwerbseinkünften infolge des Wehrdienstes sei vom Gesetzgeber bei der Schaffung der Befreiungsregelung übersehen worden. Bei gleicher sozialer Absicherung gebe es keinen sachlichen Grund, die Ehefrau des Wehrpflichtigen gegenüber der Ehefrau eines nicht Wehrpflichtigen hinsichtlich der vom Gesetzgeber eingeräumten Befreiungsmöglichkeit von der Pflichtversicherung nach dem ALG ungleich zu behandeln.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Ein Rechtsschutzbedürfnis für die Klage besteht ungeachtet der Tatsache, daß im Hinblick auf die abgeschlossene Privatversicherung die Klägerin rückwirkend ab 1. Januar 1995 auf Dauer mit Bescheid vom 16. Februar 1996 von der Versicherungspflicht in der Alterssicherung der Landwirte befreit wurde und damit (auf anderem Wege) das Klageziel bereits erreicht ist. Die Klägerin bleibt durch die angefochtenen Bescheide trotzdem belastet. Denn diese Befreiungsmöglichkeit hat sie nur hilfsweise für den Fall in Anspruch genommen, daß sie mit ihrem Klagebegehren nicht durchdringt. Beide Befreiungsmöglichkeiten können auch parallel verfolgt werden, da diejenige nach § 85 Abs 3a ALG mit keinen weiteren Verpflichtungen verbunden ist, wogegen die Befreiung nach § 85 Abs 3 Nr 3 ALG voraussetzt, daß ein Versicherungsvertrag abgeschlossen wird, der erst mit der Zahlung des ersten Beitrags volle Wirksamkeit erlangen kann (§ 38 Versicherungsvertragsgesetz). Zudem hält die Beklagte nach der Auflage im Befreiungsbescheid vom 19. Januar 1996 auch den Fortbestand des Versicherungsvertrags für erforderlich.
Die Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid zu Recht festgestellt, daß die Klägerin nicht auf Dauer für die Zeit ab 1. Januar 1995 nach § 85 Abs 3a ALG vom 29. Juli 1994 (verkündet als Art 1 des Agrarsozialreformgesetzes ≪ASRG≫, BGBl I 1890) idF durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Reform der agrarsozialen Sicherung vom 15. Dezember 1995 (≪ASRG-ÄndG≫ BGBl I 1814, ber BGBl I 1996, 683) von der ab 1. Januar 1995 bestehenden Versicherungspflicht als Ehegattin eines Landwirts (vgl § 1 Abs 2 iVm § 1 Abs 3 Satz 1 ALG) in der Alterssicherung der Landwirte befreit ist.
Nach § 85 Abs 3a Satz 1 ALG sind Versicherte nach § 1 Abs 3 ALG, die die Voraussetzungen nach § 85 Abs 3 Satz 2 Nr 1 erfüllen (dh am 31. Dezember 1994 nicht beitragspflichtig waren),” ab 1. Januar 1995 von der Versicherungspflicht befreit, wenn
- sie am 31. Dezember 1994 mit einem zu diesem Zeitpunkt von der Beitragspflicht in der Altershilfe für Landwirte befreiten Landwirt verheiratet sind und
- der Wirtschaftswert des Unternehmens der Landwirtschaft nach den betrieblichen Verhältnissen am 1. Januar 1995 20.000 Deutsche Mark nicht überschritten hat,
- der befreite Unternehmer im Jahre 1994 Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen ohne Berücksichtigung des Arbeitseinkommens aus Land- und Forstwirtschaft von mehr als 40.000 Deutsche Mark erzielt hat und
- die Befreiung bis zum 30. Juni 1996 bei der Landwirtschaftlichen Alterskasse beantragt wird.”
Nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG, die für den Senat bindend sind, erfüllt die Klägerin zwar – bis auf die Nr 3 – sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen der Befreiungsregelung.
Ihr Ehemann hatte jedoch im Jahre 1994 – abgesehen vom Wehrsold (§ 1 Abs 1 und § 2 Wehrsoldgesetz), der aber im Gegensatz zum Anspruch auf Besoldung eines Berufssoldaten oder Soldaten auf Zeit (§ 1 Abs 1 Nr 3 Bundesbesoldungsgesetz) kein Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen ist – keinerlei Einkünfte. Daran scheitert die Befreiungsmöglichkeit der Klägerin nach § 85 Abs 3a Satz 1 ALG, da sämtliche Voraussetzungen der Nrn 1 – 4 kumulativ erfüllt sein müssen.
Falls die Klägerin Leistungen nach dem Unterhaltssicherungsgesetz (≪USG≫ idF der Bekanntmachung vom 14. Dezember 1987 ≪BGBl I 2614≫, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 21. Dezember 1992 ≪BGBl I 2144≫) bezogen hat, sind diese kein Erwerbsersatzeinkommen des Ehemannes der Klägerin gewesen. Sie werden nicht aufgrund oder in entsprechender Anwendung öffentlich-rechtlicher Vorschriften an den Wehrpflichtigen erbracht, um dessen Erwerbseinkommen zu ersetzen (vgl die Legaldefinition des Begriffs „Erwerbsersatzeinkommen” in § 3 Abs 4 Satz 1 ALG mit den Beispielen in den folgenden Sätzen 2 und 3). Vielmehr handelt es sich bei den allgemeinen Leistungen nach dem USG um die Ablösung bestehender Unterhaltsansprüche der Familienangehörigen gegen den Wehrpflichtigen durch den Staat für die Dauer des Wehrdienstes. Die Familienangehörigen sind deshalb allein anspruchs-, antrags- und empfangsberechtigt (§ 4 Abs 1, § 8 Abs 2 Nr 1, § 9 USG). Unterhaltszahlungen dieser Art wären also Einkünfte der Ehefrau und kein Erwerbsersatzeinkommen ihres Ehemannes. Nur eigene Einkünfte des befreiten Unternehmers sind aber nach § 85 Abs 3a Satz 1 Nr 3 ALG zu berücksichtigen.
Entgegen der Meinung des LSG ist es nicht zulässig, durch Rechtsfortbildung § 85 Abs 3a Satz 1 Nr 3 ALG abweichend vom Wortlaut dahingehend zu ergänzen, daß bei Wehrdienstleistenden fiktiv das Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen zugrunde gelegt wird, das im Jahr 1994 ohne den Wehrdienst erzielt worden wäre. Eine Regelungslücke, die von der Rechtsprechung in diesem Sinne zu schließen wäre, liegt nicht vor.
Eine Gesetzeslücke ist eine „planwidrige Unvollständigkeit” des Gesetzes (vgl Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl 1991 S 370 ff), die immer nur innerhalb des Regelungszusammenhangs des Gesetzes und ausgehend von der Regelungsabsicht des Gesetzgebers (seines „Plans”) festgestellt und geschlossen werden kann. Das BSG hat bereits entschieden, daß Gerichte zur Ausfüllung von Regelungslücken bei drei Konstellationen berufen sind:
a) Das Gesetz schweigt, weil es der Gesetzgeber der Rechtsprechung überlassen wollte, das Recht in Detailfragen zu finden. b) Das Schweigen des Gesetzes beruht auf einem Versehen oder dem Übersehen eines Tatbestandes. c) Es ergeben sich nach Erlaß des Gesetzes Veränderungen der Lebensverhältnisse, die der Gesetzgeber noch nicht berücksichtigen konnte (vgl mwN BSGE 78, 149, 151; zum hier nicht einschlägigen Buchst c: BVerfGE 34, 269, 288 f). Im übrigen sind durch Art 20 Abs 2 und 3 Grundgesetz (GG) der richterlichen Auslegungsbefugnis Grenzen gesetzt. Die Auslegung darf nicht dazu führen, daß das Gericht die Rolle des Gesetzgebers übernimmt, denn so würde es sich seiner Bindung an Recht und Gesetz entziehen (vgl zB mwN BVerfGE 4, 219, 234; 87, 273, 280).
Es kann nicht angenommen werden, daß es der Gesetzgeber der Rechtsprechung überlassen wollte, den Einkommensgrenzwert des § 85 Abs 3a Satz 1 Nr 3 ALG zu unterschreiten oder fiktiv festzulegen, wenn der befreite Unternehmer aus Umständen, die er nicht zu vertreten hatte, Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkünfte unter DM 40.000 erzielt hat.
Dies geht bereits für die Tatbestände, aufgrund derer Erwerbsersatzeinkommen gezahlt werden, aus der Gleichstellung von Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen aus dem Gesetzeswortlaut hervor. Die in § 3 Abs 4 Satz 2 ALG beispielhaft „insbesondere”) aufgeführten Erwerbsersatzeinkommen sind typischerweise gegenüber den bisherigen Bruttoeinkünften aus Erwerbstätigkeit erheblich abgesenkt. Das gilt für das in der Regel gesetzlich festgelegte Niveau der Renten- und Versorgungsbezüge ebenso wie für das des Kranken-, Versorgungskranken- und Verletztengeldes und das des Arbeitslosengeldes. Alle Tatbestände für den Bezug niedrigerer Erwerbsersatzeinkommen sind in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht zu vertreten oder schicksalhaft. Vorwiegend handelt es sich auch um vorübergehende Einkommenseinbußen, wie sie typischerweise während des Bezugs einer Rente auf Zeit, von Übergangsgeld, Krankengeld, Verletztengeld und Arbeitslosengeld hingenommen werden müssen, so daß sie sich gerade im maßgeblichen Jahr 1994 einkommensmindernd ausgewirkt haben können. Auch die Rentenanwartschaften bleiben bei den Lohnersatzleistungen zum Großteil ungeschmälert, so daß entgegen der Meinung der Revision die entsprechende Regelung während des Wehrdienstes keine Besonderheit darstellt. Diese Zusammenhänge sind allgemeinkundig. Bereits deshalb ist die Annahme nicht gerechtfertigt, der Gesetzgeber habe es der Rechtsprechung überlassen wollen, im Jahre 1994 erzielte Erwerbsersatzeinkommen auf die zugrunde liegenden Bruttoeinkünfte im Einzelfall „hochzurechnen” oder weiteres Einkommen zu fingieren. Damit stimmt überein, daß das Gesetz mit der Formulierung des Befreiungstatbestandes des § 85 Abs 3a Satz 1 Nr 3 ALG an die allgemeinen Regelungen zur Befreiung von der Versicherungspflicht anknüpft. § 3 Abs 1 Satz 1 Nr 1 ALG unterscheidet ebenfalls nicht danach, ob der Einkommensgrenzwert von einem Siebtel der Bezugsgröße für die Befreiung von der Versicherungspflicht durch Erwerbseinkommen oder (ein in der Regel niedrigeres) Erwerbsersatzeinkommen erreicht wird. Auch im Rahmen der Anwendung dieser Vorschrift kann sich der pflichtversicherte Landwirt nicht darauf berufen, er hätte ohne die abgesenkten Lohnersatzleistungen den Grenzwert überschritten.
Abweichend vom Wortlaut der Vorschrift kann aber auch nicht angenommen werden, daß wenigstens hinsichtlich der sozial erwünschten und hoch angesehenen Zeiten ohne Erwerbseinkommen im Jahre 1994, die teils wegen einer sittlich-moralischen Pflicht (Kindererziehung, Pflege eines Pflegebedürftigen) teils unter strafbewehrtem öffentlich-rechtlichen Zwang (Wehrdienst, Zivildienst), teils vorwiegend im öffentlichen Interesse (soziales/ökologisches Jahr, Entwicklungshilfe, ehrenamtliche Tätigkeit) zurückgelegt wurden, eine „planwidrige Gesetzeslücke” vorliegt. Der Gesetzgeber hat die Interessen der nach dem ALG versicherungspflichtigen Ehegatten dieses Personenkreises nicht „übersehen”. Dies ergibt sich aus dem Regelungszusammenhang, den Gesetzgebungsmaterialien sowie dem Sinn und Zweck einer einmalig und befristet eingeräumten Möglichkeit der Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 85 Abs 3a ALG. Die Regelung ist zu sehen vor dem Hintergrund der nach dem Gesetz ohnehin bestehenden Hürden für den Eintritt der Versicherungspflicht (§ 1 Abs 3 ALG), der verschiedenen regulären Befreiungsmöglichkeiten (§ 3 Abs 1, § 85 Abs 3, 3a und 3b ALG) sowie der massiven aus Bundesmitteln erfolgenden Subvention der Beiträge der Pflichtmitglieder in der Alterssicherung der Landwirte, die bedürftig sind (§ 32 Abs 1 und 2, § 33 Abs 1 ALG).
Angesichts dieses Bündels von vorübergehenden und dauernden Befreiungsmöglichkeiten sowie der massiven Beitragssubvention, die erst bei einem relativ hohen Gesamteinkommen der Eheleute endet, besteht bei objektiver Betrachtung kein Grund, die Ehefrauen von Wehrdienstleistenden (und auch des weiteren oben angesprochenen Personenkreises) in Erweiterung der bestehenden Übergangsregelung mit dem ASRG-ÄndG – nunmehr auf Dauer – von der Versicherungspflicht zu befreien. Eine Doppelbelastung wird vermieden, denn der Ehemann ist von der Versicherungspflicht nach dem ALG befreit oder kann sich befreien lassen. Das gesunkene Familieneinkommen während des Wehrdienstes (bzw der oben angeführten Zeiten) führt zwangsläufig zu einer Erhöhung des Beitragszuschusses bzw zu dessen erstmaliger Gewährung an die versicherte Ehefrau. Ihre soziale Schutzbedürftigkeit ist um so größer, je weniger der durch die Ableistung des Wehrdienstes usw zeitlich in Anspruch genommene Ehemann in der Landwirtschaft mitarbeiten kann. Der Gesetzgeber hat mit § 85 Abs 3a ALG die Befreiungsmöglichkeit innerhalb einer bereits bestehenden Übergangsregelung erweitert. Da sich im Rahmen dieser Regelung kein triftiger Grund zeigt, der den Gesetzgeber dazu hätte drängen können, eine weitere Ausnahmeregelung zu schaffen, fehlt es von vornherein an einer Regelungslücke. Vielmehr entspricht die klare Grenzziehung der Absicht des Gesetzgebers.
Bereits mit dem ASRG 1995 setzte sich der Gesetzgeber einerseits die Verbesserung der sozialen Sicherung der Bäuerin und andererseits eine gerechtere Ausgestaltung und finanzielle Stabilisierung des agrarsozialen Sicherungssystems zum Ziel (Entwurf eines ASRG 1995, BT-Drucks 12/5700 S I). Letzterem diente die Erhöhung der Zahl der Beitragszahler durch Einbeziehung neuer Personenkreise – der Bäuerinnen – und die Umgestaltung der Beitragszuschußregelung (Entwurf eines ASRG 1995, aaO S 66 zu 3.). Um Härten, die sich aus dem ASRG 1995 ergeben hatten, abzuhelfen, erließ der Gesetzgeber das ASRG-ÄndG: „Im Zuge der Umsetzung der eigenen Versicherungs- und Beitragspflicht der Bäuerin hat sich herausgestellt, daß der besonderen Situation insbesondere der Ehefrauen von Nebenerwerbslandwirten in einigen Fällen nicht in ausreichendem Maße Rechnung getragen wurde. Mit den vorgesehenen Änderungen soll die Akzeptanz der Reform insbesondere bei diesem Personenkreis unter Aufrechterhaltung der Grundsätze der eigenständigen Sicherung der Bäuerin erhöht werden” (BT-Drucks 13/2747 zu A, S 1). Mittel zu diesem Zweck waren die begrenzten Befreiungsmöglichkeiten des § 85 Abs 3a und 3b ALG sowie die Anrechnung der in der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegten Pflichtversicherungszeiten auf die Wartezeiten in der Alterssicherung der Landwirte (§ 17 Abs 1 ALG). Begrenzt sollten die Befreiungsmöglichkeiten alternativ in zweierlei Hinsicht sein. Unter den Voraussetzungen des § 85 Abs 3a ALG sollten die Ehefrauen von Nebenerwerbslandwirten mit Wirkung vom 1. Januar 1995 auf Dauer von der Versicherungspflicht befreit sein und unter den Voraussetzungen des § 85 Abs 3b ALG sollten sie bis zum 31. Dezember 1999 für einen begrenzten Zeitraum ein Befreiungsrecht haben. Das ASRG-ÄndG zeigt dadurch den Charakter eines Korrekturgesetzes, das durch einmalige oder zeitlich begrenzte Befreiungen von der Versicherungspflicht nur bestimmte, umschriebene Härten mildern und dadurch die allgemeine Akzeptanz der neuen Versicherung erhöhen soll, ohne die allgemeinen Grundsätze der eigenständigen Sicherung der Bäuerin aufzugeben. Dabei erhellen die Gesetzesmaterialien, daß insbesondere die Höhe der Wirtschaftsdaten, die hinsichtlich des außerlandwirtschaftlichen Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommens einerseits und des Wirtschaftswerts des landwirtschaftlichen Unternehmens andererseits das Befreiungsrecht begründen, keine allgemeine Gültigkeit haben, sondern Ergebnis eines politischen Kompromisses sind (Bericht des BT-Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zum ASRG-ÄndG-Entwurf BT-Drucks 13/3057 S 25/26). Angesichts dieser durch das ASRG-ÄndG verfolgten besonderen Ziele und der dazu gefundenen Einzelregelungen verbietet es sich, entgegen der Meinung von SG und LSG die konkreten Tatbestandsvoraussetzungen für das einmalige Befreiungsrecht des § 85 Abs 3a ALG durch „verfassungskonforme” Auslegung zu ergänzen. Denn die Gerichte dürfen den normativen Gehalt eines Gesetzes nicht selbst grundlegend neu bestimmen (BVerfGE 8, 71, 78 f) oder gar ins Gegenteil verkehren (BVerfGE 8, 28, 34).
Der Senat ist nicht davon überzeugt, daß die in § 85 Abs 3a Satz 1 Nr 3 ALG gewählten Abgrenzungskriterien für den einmaligen Befreiungstatbestand verfassungswidrig sind. Es besteht zwar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen iS des Art 3 Abs 1 GG insoweit, als es eine Gruppe gibt, welche die Einkommensvoraussetzungen der Nr 3 im Jahre 1994 erfüllt und eine andere, die sie – auch aus nicht zu vertretenden, ja achtbaren Gründen – nicht erfüllt. Diese Ungleichbehandlung hat aber sachliche Gründe. Einmalige Befreiungsmöglichkeiten in Erweiterung bereits bestehender gesetzesimmanenter Befreiungsmöglichkeiten und Härteausgleiche müssen notwendigerweise mit Stichtagen und Ausschlußfristen eingegrenzt werden. Die hier mit dem „Stichjahr” 1994 im Einzelfall verbundenen Härten sind hinzunehmen, ja sie sind geradezu kennzeichnend für eine Übergangsregelung (BVerfGE 29, 245, 258). Der Gesetzgeber hat bei Übergangsregelungen im Rahmen einer Reform, und hier speziell bei der Nachbesserung der Übergangsregelung der Reform, einen weiten Gestaltungsspielraum. Dies gilt jedenfalls dann, wenn – wie hier – der grundsätzliche Interessenausgleich bereits nach den „Dauerregelungen” des Gesetzes erfolgt ist. In solchen Fällen würde „das Verfassungsgericht die Grenzen seiner Prüfungsbefugnis überschreiten, wenn es die vom Gesetzgeber gewählte Übergangsregelung durch eine bessere ersetzte” (BVerfGE 44, 1, 20 f). Zum Anliegen der Klägerin ist festzustellen, daß der Gesetzgeber den ihm zukommenden weiten Gestaltungsspielraum in sachgerechter Weise genutzt und die in Betracht kommenden Anknüpfungspunkte für die einmalige Befreiungsmöglichkeit hinreichend und nachvollziehbar gewürdigt hat (Abwägung der Ziele Finanzierbarkeit, Systemerhalt, Verwaltungspraktikabilität, individuelle Belastung und Härte). Die gefundene Kompromißlösung erfaßt den Großteil der politisch drängenden „Härtefälle”, und die Abgrenzungskriterien lassen sich mit sachlichen Gründen rechtfertigen, ohne willkürlich zu erscheinen. Nur wenn dies nicht beachtet worden wäre, läge ein Verfassungsverstoß der Übergangsregelung vor (BVerfGE 44, 1, 21 f).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
Haufe-Index 1175180 |
SozR 3-5868 § 85, Nr.2 |
SozSi 1998, 320 |
SozSi 1999, 39 |