Entscheidungsstichwort (Thema)
Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. richterliche Vorbereitungs- und Bedenkzeit. Zwölfmonatsregel. Abweichung bei gerichtlicher Feststellung außergewöhnlicher Umstände. unangemessene Verfahrensdauer in der ersten Instanz. jahrelange Untätigkeit. deutliche Verkürzung der Frist in der Berufungsinstanz. Bedeutung des Ausgangsverfahrens bei Erfolglosigkeit der Klage. Zeitraum der Überlänge. Monat der Ladung zum Termin. keine Wiedergutmachung auf andere Weise bei struktureller Überlastung der Justiz. sozialgerichtliches Verfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Prüfung des Anspruchs auf gerichtlichen Rechtsschutz in angemessener Zeit kann es eine rund dreijährige gerichtliche Untätigkeit in der ersten Instanz des Ausgangsverfahrens rechtfertigen, die dem Berufungsgericht normalerweise zuzubilligende zwölfmonatige Vorbereitungs- und Überlegungsfrist auf ein Viertel zu kürzen.
2. Eine geringe Bedeutung des Ausgangsverfahrens und des Rechts auf dessen zügige Erledigung lässt sich nicht allein damit rechtfertigen, dass sich der Anspruch des Klägers nach gerichtlichen Ermittlungen nicht beweisen lässt.
Orientierungssatz
1. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob die Bedeutung des Ausgangsverfahren anders zu beurteilen wäre, wenn die Klage schon nach dem eigenen Tatsachenvorbringen des Klägers von Anfang an erkennbar unschlüssig gewesen wäre (vgl BFH vom 17.4.2013 - X K 3/12 = BFHE 240, 516 = BStBl II 2013, 547) oder eine sonst offensichtlich aussichtslose, etwa querulatorisch geprägte Klage vorgelegen hätte.
2. Die vom Senat aus der Struktur und Gestaltung sozialgerichtlicher Verfahren abgeleitete Regel, der zufolge vorbehaltlich besonderer Umstände je Instanz eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 12 Monaten noch hinzunehmen ist (vgl BSG vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R = SozR 4-1720 § 198 Nr 3), ist für das erstinstanzliche Ausgangsverfahren anzuwenden, wenn das LSG keine außergewöhnlichen Umstände festgestellt hat, die es gebieten würden, von dieser Regel abzuweichen.
3. Der Monat, in dem die Ladung zum Termin erfolgt, ist nicht zum Zeitraum der entschädigungspflichtigen Überlänge zu zählen.
4. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise als eine Entschädigungszahlung (§ 198 Abs 2 S 2 iVm Abs 4 GVG) kommt insbesondere dann nicht in Betracht, wenn die Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Rechtsschutz in angemessener Zeit auf einer strukturellen Überlastung der Justiz des beklagten Landes beruht und sich darin eine generelle Vernachlässigung des Anspruchs aus Art 6 MRK und Art 19 Abs 4 GG ausdrückt.
Normenkette
GVG § 198 Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 2 Sätze 2-3, Abs. 4 S. 1, Abs. 6 Nr. 1, § 200; ÜberlVfRSchG Art. 23 Sätze 2-3; GG Art. 19 Abs. 4; EMRK Art. 6
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 22. Juli 2014 geändert. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3400 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 13. Januar 2012 wegen unangemessener Dauer des Klageverfahrens S 4 U 83/04 bei dem SG Neubrandenburg sowie 3300 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 3. Dezember 2013 wegen unangemessener Dauer des Berufungsverfahrens L 5 U 50/09 bei dem LSG Mecklenburg-Vorpommern zu zahlen.
Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen der Beklagte 9/10 und der Kläger 1/10.
Der Streitwert des Revisionsverfahrens wird auf 7500 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist die Entschädigung von Nachteilen durch die überlange Dauer eines rund neunjährigen Gerichtsverfahrens bei dem SG Neubrandenburg (S 4 U 83/04) und dem LSG Mecklenburg-Vorpommern (L 5 U 50/09) über Ansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Im Januar 2003 beantragte der Kläger die Anerkennung einer Berufskrankheit "Lärmschwerhörigkeit" (BK Nr. 2301) wegen seiner letzten Tätigkeit als Produktionsleiter in einem Betonfertigteilwerk von 1995 bis 2002. Nach Ermittlungen lehnte die Beklagte des Ausgangsverfahrens die Anerkennung der geltend gemachten Berufskrankheit ab, weil die Lärmexposition des Klägers in seiner letzten Tätigkeit den relevanten Grenzwert nicht erreicht habe (Bescheid vom 1.4.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.8.2004).
Am 15.9.2004 erhob der Kläger Klage auf Feststellung der Berufskrankheit Lärmschwerhörigkeit und Zahlung einer Verletztenrente. Er zog ua die Ermittlungen zur Lärmbelastung in Zweifel und forderte die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Daraufhin stellte der zuständige technische Aufsichtsdienst weitere Ermittlungen an. Die Beteiligten wechselten eine Reihe von Schriftsätzen zu den näheren Umständen der Lärmexposition des Klägers. Am 2.11.2005 verfügte das SG das Verfahren in das sogenannte Sitzungsfach, nachdem es erfolglos eine Klagerücknahme angeregt hatte. Rund vier Jahre später, am 15.10.2009, wies das SG nach mündlicher Verhandlung die Klage mit Urteil als unbegründet ab, weil eine hinreichende Lärmbelastung des Klägers nicht bewiesen sei. Zur Begründung bezog es sich weitgehend auf die Gründe des angefochtenen Bescheids. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 29.10.2009 zugestellt.
Am 27.11.2009 erhob der Kläger Berufung, die er bereits mit der Berufungsschrift begründete. Nach mehrfachem Schriftwechsel zwischen den Beteiligten verfügte der Berichterstatter das Verfahren am 5.7.2010 ebenfalls in das sogenannte Sitzungsfach. Am 30.12.2011 erhob der Prozessbevollmächtigte des Klägers Verzögerungsrüge. Im rund drei Jahre nach der Verfügung ins Sitzungsfach abgehaltenen Termin zur mündlichen Verhandlung am 20.8.2013 befragte das LSG den zuständigen Mitarbeiter des technischen Aufsichtsdienstes und den Kläger nochmals zu dessen Lärmbelastung ab 1995 und wies die Berufung mit Urteil vom selben Tag als unbegründet zurück.
Der Kläger hat am 13.1.2012 Entschädigungsklage wegen der Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens erhoben. Das LSG hat dieses Verfahren bis zum Abschluss des in diesem Zeitpunkt noch anhängigen Ausgangsrechtsstreits nach § 201 Abs 3 GVG ausgesetzt. Unter dem 27.11.2013 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Fortsetzung des Verfahrens beantragt und die Entschädigungsforderung um 2400 Euro wegen der Dauer des Berufungsverfahrens erhöht.
Mit dem mit der Revision angegriffenen Urteil vom 22.7.2014 hat das LSG für das Klageverfahren eine unangemessene Dauer von 41 Monaten und für das nachfolgende Berufungsverfahren von 34 Monaten festgestellt. Es hat das beklagte Land deshalb zur Zahlung von 4100 Euro für die Verzögerungen beim SG bzw 3400 Euro für diejenigen beim LSG verurteilt und dem Kläger darüber hinaus Prozesszinsen jeweils ab Klageerhebung zugesprochen. Der unbestimmte Rechtsbegriff der überlangen Verfahrensdauer sei im Sinne einer mathematischen Formel auszufüllen. Die Gesamtdauer des Verfahrens in der jeweiligen Instanz abzüglich der Zeiten aktiver Verfahrensförderung und solcher Zeiten der Inaktivität, die nicht dem Gericht zuzurechnen seien, ergebe die zu vermeidende Verfahrensdauer. Dabei sei nur eine Dauer von einem Jahr für Hauptsachen pro Instanz unbedenklich und biete keinen Anlass, die Gründe für die Dauer des Verfahrens konkret zu überprüfen. Das Klageverfahren habe demnach um 41 Monate Liegezeit zu lang gedauert. Bis zur Verfügung in das Sitzungsfach seien Zeiten längerer Inaktivität des Gerichts nicht festzustellen gewesen. Für Ladung, Terminierung und Entscheidung des Rechtsstreits sei noch ein weiteres halbes Jahr zu veranschlagen. Bei angemessener Dauer habe das Verfahren daher im April 2006 und nicht erst im Oktober 2009 erledigt werden können und müssen. Das anschließende Berufungsverfahren sei bereits vor Ablauf von einem Jahr nach Berufungseinlegung für entscheidungsreif erachtet worden. Es habe deshalb bei angemessener Dauer bis Ende September 2010 erledigt werden können und müssen anstatt im August 2013. Aus Billigkeitsgründen von einer Entschädigung abzusehen sei nicht veranlasst, weil der Fall für den Kläger weder von ganz untergeordneter Bedeutung gewesen sei, noch er durch sein Verhalten zur Verfahrensdauer maßgeblich beigetragen habe. Wegen der durchschnittlichen Bedeutung des Falles habe es andererseits beim Regelsatz der Entschädigung zu verbleiben.
Mit seiner Revision macht der Beklagte geltend, bei der Bewertung des Verfahrens sei nicht berücksichtigt worden, dass Klage und Berufung erkennbar unbegründet gewesen seien. Bei objektiver Betrachtung habe das Verfahren deshalb für den Kläger keine besondere Bedeutung gehabt (Hinweis auf BFH Urteil vom 17.4.2013 - X K 3/12 - BFHE 240, 516). Ein über die Verzögerung hinausgehender immaterieller Schaden des Klägers sei nicht erkennbar, weshalb eine Entschädigung in Geld unverhältnismäßig sei. Die Feststellung der überlangen Verfahrensdauer reiche zur Wiedergutmachung aus. Schließlich entspreche die Berechnung des Zeitraums der überlangen Verfahrensdauer nicht den jüngst vom BSG entwickelten Maßstäben. Unter Berücksichtigung einer Vorbereitungs- und Überlegungszeit von 12 Monaten sei daher von einer überlangen Verfahrensdauer von 39 Monaten beim SG sowie von 29 Monaten beim LSG auszugehen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 22. Juli 2014 aufzuheben, soweit der Beklagte zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von insgesamt 7500 Euro verurteilt worden ist.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat einer Auskunft des Beklagten zur allgemeinen Entwicklung der Eingangszahlen und des Personalbestands bei den SGen des Landes Mecklenburg-Vorpommern in den Jahren 2005 bis 2013 eingeholt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Beklagten ist bis auf einen geringfügigen Teil unbegründet, weil die Entschädigungsklage des Klägers mit ihrem zuletzt zur Entscheidung gestellten Inhalt zulässig und weitgehend begründet ist.
1. Die geänderte Entschädigungsklage des Klägers wegen überlanger Dauer der Gerichtsverfahren S 4 U 83/04 beim SG Neubrandenburg und L 5 U 50/09 beim LSG Mecklenburg-Vorpommern ist ebenso zulässig (dazu b bis d) wie die zugrunde liegende Klageänderung (a).
a) Mit seiner ursprünglichen Klage zum LSG als Entschädigungsgericht hat der Kläger nur Entschädigung wegen der Dauer des erstinstanzlichen Ausgangsverfahrens S 4 U 83/04 beim SG Neubrandenburg geltend gemacht und damit nur eine Teilklage über den Entschädigungsanspruch erhoben (vgl Bub, DRiZ 2014, 94, 97). Mit Schriftsatz vom 3.12.2013 hat er diese Klage um die Forderung nach Entschädigung wegen der Dauer des Ausgangsverfahrens L 5 U 50/09 beim LSG Mecklenburg-Vorpommern erweitert. Diese geänderte Klage ist ebenso wie die Klageänderung zulässig. Die Erweiterung von Klageanspruch hinsichtlich der Entschädigungshöhe und Klagegrund um die tatsächlichen Geschehnisse des Ausgangsverfahrens in der Berufungsinstanz hat den Streitgegenstand geändert und damit eine Klageänderung iS von § 99 SGG bewirkt (vgl BVerwG Buchholz 300 § 198 GVG Nr 3; Bayerisches LSG Urteil vom 20.6.2013 - L 8 SF 134/12 EK - Juris für die nachträgliche Einbeziehung des Klageverfahrens in die Entschädigungsklage; vgl allg BSG Urteil vom 31.7.2002 - B 4 RA 113/00 R - Juris). Die Zulässigkeit der Klageänderung ergibt sich wegen der Änderung des Klagegrunds zwar nicht schon aus § 99 Abs 3 SGG. Diese folgt indes aus § 99 Abs 1 und Abs 4 SGG, und das LSG von der Zulässigkeit der Klageerhebung ausgegangen ist (siehe Urteilsumdruck S 7) und das Rechtsmittelgericht hieran gebunden ist.
Infolge der demzufolge zulässigen Klageänderung hat der Senat nur noch über die geänderte, nunmehr beide Instanzen des Ausgangsverfahrens umfassende Entschädigungsklage zu entscheiden (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 11. Aufl 2014, § 99 RdNr 14).
b) Das LSG war für die Entscheidung über die geänderte Klage funktional und örtlich zuständig. In den der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesenen Angelegenheiten (vgl § 51 SGG) ist gemäß § 201 Abs 1 S 1 GVG iVm § 202 S 2 SGG für Klagen auf Entschädigung nach § 198 GVG gegen ein Land das für dieses Land örtlich zuständige LSG zuständig.
c) Der Kläger hat die geänderte Entschädigungsklage am 3.12.2013 und damit, wie von § 198 Abs 5 S 1 GVG verlangt, nicht vor dem Ablauf von sechs Monaten nach Erhebung der Verzögerungsrüge am 30.12.2011 erhoben. Die Klageerhebung erfolgte auch gemäß § 198 Abs 5 S 2 GVG innerhalb von sechs Monaten nach Rechtskraft der verfahrensbeendenden Entscheidung des LSG, die am 9.10.2013 eingetreten war.
d) Die Entschädigungsklage ist als allgemeine Leistungsklage statthaft (§ 54 Abs 5 SGG; hierzu BSG Urteile vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 5 RdNr 17 und - B 10 ÜG 12/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 4 RdNr 20 mwN), ohne dass es zuvor einer außergerichtlichen Geltendmachung des Zahlungsanspruchs bedurft hätte.
e) Das beklagte Land ist im Verfahren wirksam durch die Präsidentin des LSG Mecklenburg-Vorpommern vertreten worden. Die fortbestehenden Bedenken des Senats gegen die zugrunde liegende Vertretungsregelung (vgl dazu Senat Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 5 RdNr 18) ändern daran nichts.
2. Die zulässige geänderte Entschädigungsklage ist ganz überwiegend begründet.
a) Das beklagte Land Mecklenburg-Vorpommern ist für die Entschädigungsklage nach § 200 S 1 GVG passiv legitimiert, weil es danach für Nachteile haftet, die aufgrund von Verzögerungen bei seinen Gerichten entstehen; solche Nachteile macht der Kläger aufgrund seines bei dem SG Neubrandenburg und beim LSG über zwei Instanzen geführten Ausgangsverfahrens geltend.
b) Das LSG hat dem Grunde nach vollständig und der Höhe nach überwiegend zu Recht eine unangemessene Dauer des Ausgangsverfahrens bejaht. Es hat dem Kläger für den dadurch erlittenen Nachteil zu Recht eine Entschädigung in Geld zugesprochen (dazu unter c).
Nach § 198 Abs 1 S 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Die Ausführungen des LSG zum zentralen Merkmal des von der Vorschrift geregelten Entschädigungsanspruchs, der unangemessenen Dauer des vom Kläger geführten Ausgangsverfahrens, halten revisionsrichterlicher Überprüfung mit geringfügigen Abstrichen stand.
Das LSG hat den Gesamtzeitraum des Verfahrens zutreffend ermittelt und die für eine Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer bedeutsamen Gesichtspunkte beachtet (dazu allgemein aa); es hat zu Recht die Bedeutung (bb) und die Schwierigkeit (cc) des Verfahrens, das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und vor allem die Prozessleitung des Ausgangsgerichts in seine Bewertung der Angemessenheit der Verfahrensdauer einbezogen (dd). Das LSG ist zudem, soweit es um die Würdigung dieser Prozessleitung geht, im Grundsatz von einem zutreffenden richterlichen Überprüfungsmaßstab des Entschädigungsgerichts sowie dem Erfordernis einer Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände ausgegangen. Es hat dabei den Ausgangsgerichten im Ergebnis zu Recht eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit zugestanden. Lediglich bei der Anwendung dieser Maßstäbe im Einzelnen weicht das LSG hinsichtlich der Dauer der festzustellenden Überlänge geringfügig von der Rechtsansicht des Senats ab (ee).
aa) Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich gemäß § 198 Abs 1 S 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (dazu unter bb bis ee). Der unbestimmte Rechtsbegriff "unangemessene Dauer eines Gerichtsverfahrens" ist insbesondere unter Rückgriff auf diejenigen Grundsätze auszulegen, die der EGMR zu Art 6 Abs 1 S 1 EMRK und das BVerfG zum Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art 19 Abs 4 GG) sowie zum Justizgewährleistungsanspruch (Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG) entwickelt haben (Senatsurteil vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1, RdNr 25).
Ausgangspunkt und erster Schritt der Angemessenheitsprüfung bildet die Feststellung der in § 198 Abs 6 Nr 1 GVG definierten Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss. Kleinste im Geltungsbereich des ÜGG relevante Zeiteinheit ist hierbei der Monat. Das Ausgangsverfahren hatte seit Klageerhebung im September 2004 die erhebliche Gesamtdauer von 9 Jahren - rund fünf Jahre vor dem SG und anschließend etwa vier Jahre vor dem LSG - erreicht, bis es im September 2013 durch Übersendung einer Ausfertigung des abschließenden Urteils durch das LSG endete.
In einem zweiten Schritt ist der Ablauf des Verfahrens an den von § 198 Abs 1 S 2 GVG genannten Kriterien zu messen, die im Lichte der Rechtsprechung des EGMR und des BVerfG auszulegen und zu vervollständigen sind.
Bei der Feststellung der Tatsachen, die zur Ausfüllung der von § 198 Abs 1 S 2 GVG genannten unbestimmten Rechtsbegriffe erforderlich sind, kommt dem Entschädigungsgericht ein erheblicher tatrichterlicher Beurteilungsspielraum zu (vgl im Einzelnen Senat Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 3 RdNr 26 ff).
Auf dieser Grundlage ergibt erst die wertende Gesamtbetrachtung und Abwägung aller Einzelfallumstände in einem dritten Schritt, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt hat. Dabei geht der Senat davon aus, dass vorbehaltlich besonderer Gesichtspunkte des Einzelfalls die Verfahrensdauer jeweils insgesamt noch als angemessen anzusehen ist, wenn eine Gesamtverfahrensdauer, die 12 Monate je Instanz übersteigt, auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des Gerichts beruht (Senat, aaO, RdNr 26, 38 ff).
bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das LSG zunächst die Bedeutung der Ausgangsverfahren rechtsfehlerfrei in seine Bewertung der Angemessenheit eingestellt. Wie der Senat ebenfalls bereits entschieden hat, folgt die von § 198 GVG genannte Bedeutung eines Verfahrens zum einen aus der allgemeinen Tragweite der Entscheidung für die materiellen und ideellen Interessen der Beteiligten. Zur Bedeutung der Sache iS von § 198 Abs 1 S 2 GVG trägt dabei im Kontext des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz maßgeblich das Interesse des Betroffenen gerade an einer raschen Entscheidung bei. Entscheidend ist deshalb, ob und wie sich der Zeitablauf nachteilig auf die Verfahrensposition des Klägers und das geltend gemachte materielle Recht sowie möglicherweise auf seine weiteren geschützten Interessen auswirkt (Senat Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - aaO, RdNr 29 mwN).
Insofern hat das LSG ohne Rechtsfehler das Interesse des Klägers am Ausgang des Verfahrens als durchschnittlich eingestuft, da dieser die dauerhafte Anerkennung einer Berufskrankheit und eine zumindest kleine Teilverletztenrente angestrebt habe. Soweit der Beklagte demgegenüber die Ansicht vertreten lässt, das Verfahren sei für den Kläger nicht von besonderer Bedeutung gewesen, weil die Klage erkennbar unbegründet gewesen sei, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Es ist gerade Ziel des gerichtlichen Verfahrens, unter rechtlich ausgeformter Mitwirkung der Beteiligten in geordneter und transparenter Weise zu überprüfen, ob ein streitiger Anspruch besteht. Die befriedende Wirkung der Entscheidung für die Beteiligten und ihre Überzeugungskraft ergibt sich wesentlich aus einem der Prozessordnung gehorchenden und daher insbesondere auch angemessen zügigen Verfahrensablauf. Der von den Gerichten bei ihrer Verfahrensgestaltung zu beachtende Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit soll ua eine lange Unsicherheit des Entschädigungsklägers über seine Ansprüche und die damit verbundenen nachteiligen, ua auch seelischen Folgen (vgl Gesetzentwurf BT-Drucks 17/3802 S 19) vermeiden. Dies verbietet es, im Nachhinein das Ergebnis des Verfahrens so zu behandeln, als hätte es von Anfang an festgestanden, und gestützt auf diese ex-post-Betrachtung seine Bedeutung für den Kläger von vornherein als gering anzusehen. Dies muss zumindest dann gelten, wenn das Ergebnis des Rechtsstreits von tatsächlichen Grundlagen abhängt, die nicht schon zu Beginn des Verfahrens objektiv völlig außer Zweifel standen.
So lag es hier. Der Kläger hat die Feststellungen des technischen Arbeitsdienstes zum Umfang der Lärmexposition an seinem Arbeitsplatz, die nach seiner Ansicht seine Hörschädigung verursacht hat, substantiiert infrage gestellt und ua mehrfache Nachermittlungen der zuständigen Berufsgenossenschaft erwirkt. Das LSG hat sich deshalb im Ausgangsverfahren noch in der von ihm durchgeführten mündlichen Verhandlung gehalten gesehen, erneut den mit den Ermittlungen betrauten Bediensteten des technischen Aufsichtsdienstes sowie den Kläger zu den genauen Umständen von Inhalt und Lärmbelastung seiner Arbeit zu befragen. Schon dieser tatsächliche Ermittlungsbedarf schließt es aus, die Klage als von vornherein offensichtlich unbegründet und aus diesem Grund als von geringer Bedeutung einzustufen. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob - wie in dem vom Beklagten angeführten Urteil des BFH - anders zu entscheiden wäre, wenn die Klage schon nach dem eigenen Tatsachenvorbringen des Klägers von Anfang an erkennbar unschlüssig gewesen wäre (vgl BFH Urteil vom 17.4.2013 - X K 3/12 - BFHE 240, 516) oder eine sonst offensichtlich aussichtslose, etwa querulatorisch geprägte Klage vorgelegen hätte (vgl Roller, DRiZ 2012, Beilage zum Heft 6, 1, 11).
cc) Ebenso wenig sind Rechtsfehler zu erkennen, soweit das LSG der Sache nach einen zumindest durchschnittlichen rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeitsgrad des Ausgangsverfahrens angenommen hat, weil die Feststellung einer lärmbedingten Berufskrankheit und eine Verletztenrente im Streit standen. Eine dem Kläger zurechenbare Verlängerung des Ausgangsverfahrens hat das LSG nicht festgestellt.
dd) Das Entschädigungsgericht (LSG) hat schließlich im Ausgangspunkt zutreffend die Prozessleitung des Ausgangsgerichts in seine Erwägungen einbezogen.
§ 198 Abs 1 S 2 GVG nennt als Kriterien zur Bestimmung der Angemessenheit mit Blick auf die Prozessakteure das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter nur beispielhaft. Darüber hinaus hängt eine Verletzung von Art 6 EMRK durch den Staat wesentlich davon ab, ob dem Staat zurechenbare Verhaltensweisen des Gerichts zur Überlänge des Verfahrens geführt haben. Maßgeblich sind Verzögerungen, vgl § 200 GVG, also sachlich nicht gerechtfertigte Zeiten des Verfahrens (vgl Bub, DRiZ 2014, 94), insbesondere aufgrund von Untätigkeit des Gerichts (vgl BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 13.8.2012 - 1 BvR 1098/11 - Juris). Keinen sachlichen Grund stellt von vornherein eine unzureichende sachliche oder personelle Ausstattung der Justiz generell oder speziell des Ausgangsgerichts dar. Beruht die Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Zeit auf einer strukturellen Überlastung der Justiz und drückt sich darin eine generelle Vernachlässigung des Anspruchs aus Art 6 EMRK, Art 19 Abs 4 GG aus, wiegt der resultierende Grundrechtsverstoß vielmehr besonders schwer (vgl BVerfG Stattgebender Kammerbeschluss vom 5.8.2013 - 1 BvR 2965/10 - Juris).
ee) Bei seiner Beurteilung der Prozessleitung des Ausgangsgerichts ist das Entschädigungsgericht (LSG) im Grundsatz von einem zutreffenden Überprüfungsmaßstab ausgegangen und hat dem Ausgangsgericht ein weites Ermessen bei der Gestaltung und Leitung des Verfahrens eingeräumt (vgl zu diesem Maßstab im einzelnen Senat Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 3 RdNr 36). Dabei hat es den Ausgangsgerichten auch im Ergebnis zu Recht eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit zugestanden, die sich nach der Rechtsprechung des Senats auf bis zu ein Jahr je Instanz belaufen kann (vgl Senat, aaO, RdNr 43 mwN).
Allerdings führt die Anwendung dieser zutreffenden Maßstäbe auf das Ausgangsverfahren vor dem SG zu einem geringfügig - um sieben Monate - abweichenden Ergebnis von 34 anstatt 41 Monaten entschädigungspflichtiger Untätigkeit des Ausgangsgerichts in der ersten Instanz. Nach den Feststellungen des LSG sind von der Verfügung der Sache in das sogenannte Sitzungsfach durch das SG im November 2005 bis zur Entscheidung des Rechtsstreits im Oktober 2009 volle 46 Monate ohne verfahrensfördernde gerichtliche Aktivitäten verstrichen. Nicht zu dieser Zeitspanne gerichtlicher Inaktivität rechnet der Senat allerdings entgegen der Ansicht des LSG den Monat August 2009, in dem das LSG den Termin anberaumt und die Sache geladen hat und damit das Verfahren substantiell gefördert hat. Das LSG hat von der demnach anzusetzenden Zeitspanne gerichtlicher Inaktivität von 46 Monaten bei seiner Bestimmung der entschädigungspflichtigen Überlänge lediglich sechs Monate abgezogen. Nach Ansicht des Senats sind jedoch weitere sechs Monate in Abzug zu bringen, was zu einer Überlänge von 34 Monaten führt. Dieser Abzug weiterer sechs Monate ergibt sich aus der vom Senat aus der Struktur und Gestaltung sozialgerichtlicher Verfahren abgeleiteten Regel, der zufolge vorbehaltlich besonderer Umstände je Instanz eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 12 Monaten noch hinzunehmen ist (vgl Senat Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 3 RdNr 45 ff). Das LSG hat keine außergewöhnlichen Umstände festgestellt, die es für das Ausgangsverfahren vor dem SG gebieten würden, von dieser Regel abzuweichen.
Für das Ausgangsverfahren in der Berufungsinstanz hat das LSG die zu entschädigende Überlänge lediglich um einen Monat zu hoch auf 34 anstatt zutreffend 33 Monate festgesetzt. Wie das LSG festgestellt hat, hat das Berufungsgericht das Ausgangsverfahren von der Entscheidungsreife der Sache im Juli 2010 bis zur tatsächlichen Entscheidung im August 2013 - wiederum abgesehen von der Ladung im Juli 2013 - für drei Jahre überhaupt nicht betrieben. Von den deshalb anzusetzenden 36 Monaten fehlender gerichtlicher Aktivität hat das Entschädigungsgericht im Ergebnis in nicht zu beanstandender Weise nur noch 3 Monate Vorbereitungs- und Überlegungsfrist abgezogen (in seiner Rechnung von Juli bis September 2010). Eine Vorbereitungs- und Überlegungsfrist von vollen 12 Monaten je Instanz hat der Senat lediglich für den Regelfall sozialgerichtlicher Verfahren angenommen, wenn nicht besondere Umstände des Einzelfalls, vor allem mit Blick auf die Kriterien des § 198 Abs 1 S 2 GVG, für eine kürzere Frist sprechen (vgl Senat Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 3 RdNr 45 ff). Aufgrund solcher von ihm festgestellten besonderen Einzelfallumstände hat das LSG die Zwölfmonatsfrist daher im Ergebnis zu Recht nur zu einem Viertel ausgeschöpft. Das ergibt sich aus Folgendem: Zu Beginn der Berufungsinstanz des Ausgangsverfahrens hatte das SG zur Entscheidung einer rechtlich und tatsächlich nur durchschnittlich schwierigen, für den Kläger nicht unbedeutenden Sache bereits rund fünf Jahre gebraucht und das Verfahren dabei nahezu drei Jahre überhaupt nicht betrieben. Daraus resultierte für das LSG eine gesteigerte Pflicht, das Ausgangsverfahren nunmehr nachdrücklich und beschleunigt zu fördern, um die bereits eingetretene Verletzung des Gebots, Rechtsschutz in angemessener Zeit zu gewähren, nicht noch zu vertiefen (vgl BVerfG Stattgebender Kammerbeschluss vom 8.10.2014 - 1 BvR 2186/14 - Juris zu 30-monatiger Liegezeit; vgl BVerfGK 20, 33 bis 37 und BVerfG SozR 4-1100 Art 19 Nr 10). Denn Gerichte müssen bei ihrer Verfahrensführung stets auch die Gesamtdauer des Verfahrens berücksichtigen. Je länger das Verfahren insgesamt dauert, umso mehr verdichtet sich ihre aus dem Justizgewährleistungsanspruch resultierende Pflicht, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens und dessen Beendigung zu bemühen (zu dieser Prozessförderungspflicht wegen vorangegangener sachgrundloser Verzögerung vgl Stattgebende Kammerbeschlüsse des BVerfG vom 20.7.2000 - 1 BvR 352/00 - NJW 2001, 214 = Juris RdNr 11 und vom 22.8.2013 - 1 BvR 1067/12 - NJW 2013, 3630 = Juris RdNr 32 sowie EGMR Rechtssache Bock gegen Deutschland, RdNr 46; Storck gegen Deutschland, RdNr 44). Im Verfahren des Klägers galt dies umso mehr, als streitentscheidend tatsächliche Umstände an seinem Arbeitsplatz in der Zeit zwischen 1995 und 2002 waren, wie etwa die räumliche Anordnung besonders lauter Maschinen zu seinem Büro, die Auslastung der Produktion sowie konkrete Arbeitsabläufe. Solche Details noch genau und zuverlässig festzustellen, drohte durch fortschreitenden Zeitablauf immer schwieriger zu werden, zum Nachteil des objektiv beweisbelasteten Klägers.
Insgesamt erachtet der Senat selbst die dem Ausgangsgericht vom Entschädigungsgericht eingeräumte, sehr knappe Vorbereitungs- und Entscheidungsfrist von nur noch drei Monaten - auch angesichts des weiten, revisionsrechtlich nur eingeschränkt zu überprüfenden tatrichterlichen Beurteilungsspielraums - im vom LSG entschiedenen Einzelfall noch als vertretbar. Lediglich indem das LSG auch den Monat der Terminsladung im Juli 2013 als inaktive Zeit gewertet hat, hat es die Zeit der entschädigungspflichtigen Überlänge um einen Monat zu lang auf 34 Monate bemessen. Dies hatte der Senat auf 33 Monate zu korrigieren.
c) Das LSG hat dem Kläger für den von ihm erlittenen Nachteil durch insgesamt 67 Monate gerichtlicher Inaktivität in beiden Instanzen des Ausgangsverfahrens auch nach § 198 Abs 2 S 3 GVG zu Recht eine Entschädigung in Geld von 100 Euro monatlich zugesprochen.
aa) Der Kläger hat für das bei Inkrafttreten des ÜGG noch in der Berufungsinstanz anhängige Ausgangsverfahren, wie von Art 23 S 2 ÜGG iVm § 198 Abs 3 S 1 GVG für eine Entschädigungszahlung vorausgesetzt, unverzüglich eine Verzögerungsrüge angebracht. Denn für die unverzügliche Erhebung der Verzögerungsrüge in Verfahren, die bei Inkrafttreten des ÜGG bereits anhängig waren, reicht es aus, wenn die Rüge spätestens drei Monate nach Inkrafttreten des ÜGG am 3.12.2011 erfolgt (Senat Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 5 RdNr 26 mwN). Die vom Kläger am 30.12.2011 erhobene Rüge war daher rechtzeitig. Gemäß Art 23 S 3 ÜGG hat diese Verzögerungsrüge den Anspruch des Klägers nach § 198 GVG auch für den vorausgehenden Zeitraum gewahrt.
bb) Das LSG hat zu Recht einen entschädigungsfähigen Nachteil des Klägers iS von § 198 Abs 1 S 1 GVG bejaht. Nachteil iS des Abs 1 sind ua sämtliche immateriellen Folgen eines überlangen Verfahrens; dazu gehört nach den Vorstellungen des Gesetzgebers insbesondere die seelische Unbill durch die lange Verfahrensdauer (Gesetzentwurf BT-Drucks 17/3802 S 19). Ein solcher Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird nach § 198 Abs 2 S 1 GVG vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Den Feststellungen des LSG lassen sich keine speziellen Umstände entnehmen, die geeignet erscheinen, die gesetzliche Vermutung des § 198 Abs 2 S 1 GVG (vgl Senatsurteil vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1, SozR 4-1500 § 202 Nr 1) zu widerlegen.
cc) Ebenso zutreffend hat das LSG eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs 2 S 2 iVm Abs 4 GVG nicht ausreichen lassen, insbesondere nicht gemäß § 198 Abs 4 S 1 GVG durch Feststellung einer unangemessen langen Verfahrensdauer durch das Entschädigungsgericht. Wie der Senat bereits entschieden hat (vgl Senatsurteil vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1, SozR 4-1500 § 202 Nr 1 mwN), kommt bei festgestellter Überlänge eines Gerichtsverfahrens eine derartige Kompensation eines Nichtvermögensschadens allenfalls ausnahmsweise in Betracht, wenn das Verfahren beispielsweise für den Entschädigungskläger aus der Sicht eines verständigen Dritten in der Lage des Klägers keine besondere Bedeutung hatte oder dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verlängerung des Verfahrens beigetragen hat. Beides ist hier nicht der Fall. Vielmehr musste der Kläger ohne sein Verschulden viele Jahre auf eine endgültige Entscheidung über die Frage warten, ob seine Hörschädigung, die in zeitlichem Zusammenhang mit seiner jahrelangen Arbeit in leitender Stellung eines lärmintensiven Produktionsbetriebs zutage getreten war, eine Berufskrankheit darstellte und ihm dafür eine Verletztenrente zustand. Wie viele engagiert geführte Rechtsstreitigkeiten bei den SGen zeigen, verstehen Versicherte eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung regelmäßig nicht nur als materielle Entschädigung, sondern ebenso als Genugtuung und Anerkennung für ihren Einsatz im Arbeitsleben, den sie aus ihrer Sicht mit ihrer Gesundheit bezahlt haben.
Zudem soll § 198 GVG auch mögliche nachteilige Entwicklungen der Prozesssituation aufgrund der Verzögerung, wie sie auch im Fall des Klägers im Raum standen, pauschaliert als immateriellen Schaden ausgleichen (vgl Magnus, ZZP 2012, 75, 76, 86).
Nicht zuletzt hat der Senat Anlass zur Annahme, dass die Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Rechtsschutz in angemessener Zeit auf einer strukturellen Überlastung der Justiz des beklagten Landes beruhte und sich darin eine generelle Vernachlässigung des Anspruchs aus Art 6 EMRK, Art 19 Abs 4 GG ausdrückt. Dafür sprechen vor allem das vom LSG zitierte Schreiben des Präsidenten des LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 10.6.2008 an den Kläger. Darin räumte dieser zwar eine bereits sehr lange Verfahrensdauer des Gerichts ohne weitere Aktivitäten ein, sah aber wegen Überlastung der Sozialgerichtsbarkeit Dienstaufsichtsmaßnahmen gegen den zuständigen Kammervorsitzenden des SG nicht als geboten an. Dieses Schreiben erlaubt damit ebenso den Schluss auf eine erhebliche und dauernde Überlastung des SG im Zeitraum des Ausgangsverfahrens, wie die ergänzend vom Senat eingeholte und in der mündlichen Revisionsverhandlung mit den Beteiligten erörterte Auskunft über die Entwicklung der Belastungs- und Personalsituation in der Sozialgerichtsbarkeit des Landes Mecklenburg-Vorpommern im Zeitraum des Ausgangsverfahrens. Der aus einer solchen strukturellen und deshalb generellen Vernachlässigung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Zeit resultierende individuelle Grundrechtsverstoß wiegt besonders schwer (vgl Senat Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 3 RdNr 34 mwN). Alle diese Gründe sprechen maßgeblich dagegen, eine bloße Feststellung der Überlänge ausreichen zu lassen, um das jahrelange Warten des Klägers auf eine endgültige Entscheidung über seine unfallversicherungsrechtlichen Ansprüche und die damit verbundenen Enttäuschungen wenigstens teilweise wieder gutzumachen.
dd) Auch die Entscheidung des Entschädigungsgerichts, von dem in § 198 Abs 2 S 3 GVG vorgesehenen Regelbetrag von 1200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung eines Verfahrens nicht nach oben oder nach unten abzuweichen, begegnet vor diesem Hintergrund keinen revisionsrechtlichen Bedenken.
ee) Auf dieser Grundlage war daher insgesamt die Höhe der dem Kläger zustehenden Entschädigung nur geringfügig, um 700 Euro für die erste und 100 Euro für die zweite Instanz des Ausgangsverfahrens, mithin insgesamt um 800 Euro, abzusenken. Nicht mehr zu entscheiden hatte der Senat über die Rechtmäßigkeit der gesonderten monatsgenauen Feststellung der unangemessenen Dauer der Ausgangsverfahren im Tenor des angefochtenen Urteils, nachdem der Kläger insoweit auf seine Rechte aus dem angefochtenen Urteil verzichtet, der Beklagte diesen Verzicht angenommen und seinen Revisionsantrag entsprechend beschränkt hat (zur Unzulässigkeit einer solchen Tenorierung vgl Senat Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 3 RdNr 56 ff).
d) Den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Prozesszinsen jeweils ab Rechtshängigkeit (Klageerhebung § 94 SGG) hat das LSG zutreffend in entsprechender Anwendung des § 288 Abs 1, § 291 S 1 BGB bejaht (ausführlich dazu Senat Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 5 RdNr 54). Der unterschiedliche Beginn des Zinslaufs ergibt sich, weil die ursprüngliche, auf die erste Instanz des Ausgangsverfahrens beschränkte Entschädigungsklage bereits am 13.1.2012, die Klageerweiterung um die Berufungsinstanz des Ausgangsverfahrens dagegen erst am 3.12.2013 rechtshängig geworden sind.
3. a) Die Kostenentscheidung überwiegend zu Lasten des Beklagten folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Alt 2 SGG iVm § 154 Abs 1 VwGO. Die Kostenteilung entspricht dem Maß des Unterliegens und Obsiegens der Beteiligten.
b) Der Streitwert für das Revisionsverfahren war nach § 52 Abs 3 S 1 GKG auf 7500 Euro festzusetzen, weil der Beklagte die Entschädigungsforderung des Klägers in dieser Höhe zur Überprüfung des Revisionsgerichts gestellt hat.
Fundstellen
NJW 2015, 10 |
WzS 2015, 187 |
SGb 2015, 213 |
Breith. 2015, 1095 |