Leitsatz (amtlich)
1. Zur zeitlichen Geltung der SVA 11 Nr 26 (Vergleiche BSG 1958-02-12 11/9 RV 948/55 = SozR Nr 2 zu SVA 11 Allg / BSG 1956-09-04 10 RV 70/54 = BSGE 3, 251).
2. Zur Auslegung des SGG § 77 (Vergleiche BSG 1958-02-12 11/9 RV 948/55 BSGE 7, 8).
Normenkette
SGG § 77 Fassung: 1953-09-03; SVAnO 11 Nr. 26
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. Oktober 1955 wird aufgehoben, die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Die Kläger erhielten seit 1. September 1948 Elternrente nach der Sozialversicherungsdirektive Nr. 27; sie hatten stets angegeben, sie hätten außer einer Invalidenrente des Klägers M... L... kein weiteres Einkommen. In dem Bescheid vom 29. August 1952 - Umanerkennungsbescheid - gewährte das Versorgungsamt (VersorgA.) Dortmund vom 1. Oktober 1950 an die Elternrente auch nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG), es berücksichtigte bei der Berechnung der Rente nur die Invalidenrente des M... L.... Bei einer Einkommensprüfung im September 1953 stellte sich heraus, daß M... L... schon seit etwa 1937 eine freiwillige, laufende Zuwendung von seinem früheren Arbeitgeber, der R... AG. in H..., erhielt; die Zuwendung betrug zunächst 15,-- Mark monatlich, vom 1. Dezember 1952 an wurde sie auf monatlich 25,50 DM erhöht. Durch Bescheid vom 21. Dezember 1953 nahm der Beklagte eine "Neufeststellung" vor und rechnete rückwirkend vom 1. Oktober 1950 an auch diese Zuwendung auf die Elternrente der Kläger an. In diesem Bescheid stellte er die Bezüge, die auf Grund des Bescheides vom 29. August 1952 gezahlt wurden, und die Bezüge, die sich bei Berücksichtigung der Werkszuwendung ergaben, gegenüber, errechnete so für die Zeit vom 1. Oktober 1950 bis zum 31. Januar 1954 eine Überzahlung von insgesamt 646,-- DM und erklärte, er werde diesen Betrag in monatlichen Raten von 15,-- DM von der laufenden Rente einbehalten. Den Widerspruch der Kläger wies das Landesversorgungsamt Westfalen durch Bescheid vom 26. Februar 1954 zurück. Das Sozialgericht (SG.) Dortmund wies die Klage durch Urteil vom 8. Juli 1955 ab. Die Berufung wies das Landessozialgericht (LSG.) Nordrhein-Westfalen durch Urteil vom 27. Oktober 1955 zurück: Auch freiwillige Werkszuwendungen seien als sonstiges Einkommen im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz 1 BVG a.F. auf die Rente anzurechnen; die Kläger hätten die Überzahlung auch verschuldet, sie hätten verschwiegen, daß M... L... von seinem früheren Arbeitgeber eine Werkszuwendung erhielte, die Rückforderung sei deshalb berechtigt. Das LSG. ließ die Revision zu. Das Urteil wurde den Klägern am 9. Dezember 1955 zugestellt. Am 19. Dezember 1955 legten sie Revision ein und beantragten,
das Urteil des LSG. und die diesem zugrunde liegenden Vorentscheidungen aufzuheften ,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen.
Am 12. Januar 1956 begründeten sie die Revision: Das LSG. habe die Vorschrift des § 33 Abs. 2 BVG nicht richtig angewandt; freiwillige Werkszuwendungen seien nicht als Einkommen im Sinne dieser Vorschrift anzusehen und deshalb nicht auf die Elternrente anzurechnen, wenn sie lediglich wegen Bedürftigkeit gewährt würden; dabei komme es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber die Bedürftigkeit im Einzelfall vorher prüfe; das LSG. habe aber auch gar nicht festgestellt, ob der Arbeitgeber die Werkszuwendung von der Bedürftigkeit abhängig mache; insoweit habe es seiner Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts nicht genügt und damit gegen § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verstoßen; jedenfalls könne aber der streitige Betrag nicht zurückgefordert werden, die Kläger hätten den Bezug der Werkszuwendung nicht arglistig verschwiegen; für den angefochtenen Bescheid vom 21. Dezember 1953, mit dem der Beklagte den Bescheid vom 29. August 1952 habe "berichtigen" wollen, fehle es auch an einer Rechtsgrundlage, auf eine Änderung der Verhältnisse könne er nicht gestützt werden, sie hätten sich nicht geändert, weil M... L... die Zuwendung schon seit 1937 erhalten habe.
II.
Die Revision ist zulässig, sie ist auch begründet.
1.) Die Kläger haben die Aufhebung des Bescheids vom 21. Dezember 1953 und des Widerspruchsbescheids vom 26. Februar 1954 beantragt; durch diese Bescheide ist auf die Elternrente der Kläger vom 1. Oktober 1950 an die Werkszuwendung der Firma R... AG. angerechnet und eine Überzahlung von 646,-- DM für die Zeit vom 1. Oktober 1950 bis zum 31. Januar 1954 festgestellt worden; der Beklagte hat verfügt, dieser Betrag sei von den laufenden Rentenbezügen der Kläger einzubehalten. Die Kläger haben sich in der Klage, in der Berufung und in der Revision sowohl gegen die Anrechnung der Werkszuwendung auf ihre bisherigen und laufenden Bezüge als auch gegen die Rückforderung des Betrages von 646,-- DM gewandt. Sie haben die ungekürzte Elternrente vom 1. Oktober 1950 an auf Grund des Bescheides vom 29. August 1952 erhalten; eine teilweise Rückforderung der nach diesem Bescheid gewährten Leistungen ist nur möglich, wenn der Bescheid teilweise rechtswidrig gewesen ist und wenn ihn der Beklagte deshalb auch rechtswirksam teilweise zurückgenommen hat (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 12.2.1958 - 11/9 RV 948/55 - ). Das LSG. hat deshalb zunächst prüfen müssen, ob der Beklagte mit Recht angenommen hat, bei der Werkszuwendung handele es sich um Einkommen, das als "sonstiges Einkommen" nach § 51 Abs. 2 BVG bei der Berechnung der Elternrente zu berücksichtigen ist. Wegen des Begriffs des sonstigen Einkommens verweist § 51 BVG auf § 33 Abs. 2 BVG. Nach § 33 Abs. 2 BVG gelten als sonstiges Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert ohne Rücksicht auf ihre Quelle. Wie das Bundessozialgericht (BSG.) bereits mehrfach entschieden hat, sind nach der - hier maßgebenden - Fassung des § 33 BVG vor dem 1. Januar 1955 (Inkrafttreten des 3. Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des BVG) freiwillig und widerruflich gezahlte betriebliche Zuwendungen eines früheren Arbeitgebers an einen Rentenberechtigten als sonstiges Einkommen bei der Rentenfeststellung zu berücksichtigen, sofern sie ohne Prüfung der Bedürftigkeit gewährt werden (BSG. 2 S. 10; 3 S. 246; ferner Urteil vom 6.12.1956 - 8 RV 359/55 - ). An dieser Rechtsprechung wird festgehalten. Im vorliegenden Falle hat das LSG. keine Erhebungen darüber angestellt, ob die R... AG. die Werkszuwendung nur nach einer Bedürftigkeitsprüfung gewährt. Hiergegen spricht zwar die Tatsache, daß M... L... diese Zuwendung nach seinen Angaben seit etwa 1937 trotz gleichzeitigen Bezugs einer Invalidenrente erhält. Dies allein reicht aber nicht aus, um die Entscheidung des LSG. zu stützen. Das LSG. hätte ermitteln müssen, nach welchen Grundsätzen die Firma die Werkszuwendung gewährt, es hätte die bei der Firma vorhandenen Unterlagen anfordern und würdigen müssen; ohne diese Erhebungen ist eine Entscheidung nicht möglich gewesen. Das LSG. hat hiernach § 33 Abs. 2 BVG unrichtig angewandt, sein Urteil ist deshalb aufzuheben; da der Sachverhalt nicht genügend geklärt ist, kann das BSG. nicht selbst entscheiden; die Sache ist vielmehr zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 SGG).
2.) Das LSG. wird, sofern es auf Grund seiner Ermittlungen zu dem Ergebnis kommt, daß die Werkszuwendung nicht von der Bedürftigkeit abhängig ist, daß sie also vom 1. Oktober 1930 an auf die Elternrente hat angerechnet werden müssen, weiter zu prüfen haben, welche rechtlichen Grundlagen den Beklagten im Dezember 1953 in der britischen Zone zur Rücknahme des Bescheids vom 29. August 1952 und zur Rückforderung des Betrages von 646,-- DM berechtigt haben; ob etwa ein solcher Bescheid, soweit es sich um die Rücknahme handelt, auch zwischen dem 1. Januar 1953 und dem 1. April 1955 (dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des VwVG) auf Grund von § 84 Abs. 3 BVG nach der Sozialversicherungsanordnung (SVA) Nr. 11 (Ziff. 26) zu beurteilen ist, oder ob hierfür, weil die Ziff. 26 der SVA 11 bis 31. Dezember 1952 befristet ist und § 84 Abs. 3 BVG diese Frist jedenfalls ausdrücklich nicht verlängert (so Urteil des LSG. Hamburg vom 15.9.1954, Breith. 1955 S. 87), nur der Grundsatz des allgemeinen Verwaltungsrechts in Betracht kommt, daß begünstigende Verwaltungsakte mit Dauerwirkung, die rechtswidrig - aber nicht nichtig - geworden sind, zurückgenommen werden können, sofern die Rechtswidrigkeit durch Umstände verursacht ist, die in den "Verantwortungsbereich" der Kläger fallen; § 77 SGG 1. Halbsatz (vgl. auch dazu das Urteil vom 12.2.1958, 11/9 RV 948/55) steht der Anwendung dieses Grundsatzes nicht entgegen; diese Vorschrift gilt nach § 77 SGG 2. Halbsatz nur insoweit, als "durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist"; "Gesetz" ist, wie schon Art. 2 EGBGB sagt, jede Rechtsnorm; "Rechtsnormen" in diesem Sinne sind ebenso wie "Normen" des Gewohnheitsrechts auch "anerkannte Rechtsgrundsätze" des allgemeinen Verwaltungsrechts. Sofern die Rücknahme des Bescheides berechtigt ist, wird auch die Rechtsgrundlage für die Rückforderung (§ 47 VwVG) zu prüfen sein; das LSG. wird dabei die Erwägungen, die dem Urteil vom 12. Februar 1958 und dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Juni 1957 (DÖV 1957 S. 911 = NJW 1958 S. 154 = DVBl. 1958 S. 56) zugrunde liegen, für die Urteilsfindung heranziehen müssen.
Fundstellen