Entscheidungsstichwort (Thema)
Religionsgesellschaften. Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen. Erhöhungsbetrag zur Waisenrente
Orientierungssatz
1. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern ist eine der in § 7 Abs 1 AVG (= § 1230 Abs 1 RVO) genannten Stellen; die von ihr gezahlten Waisengelder sind Waisengelder zumindest nach beamtenrechtlichen Grundsätzen. Der Erhöhungsbetrag zur Waisenrente ist nach § 46 S 3 AVG (= § 1269 S 3 RVO) nur zur Hälfte zu gewähren (Festhaltung an BSG 17.3.1983 11 RA 76/82 = BSGE 55, 19) und vom 28.8.1984 11 RA 74/83 = SozR 2200 § 1260c Nr 15).
2. Es bleibt den Religionsgesellschaften unbenommen, im Rahmen der Ordnung ihrer Angelegenheiten innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes (Art 137 Abs 3 WRV) ihre Versorgungsregelungen so auszugestalten, daß ihnen Belastungen, die sie nicht tragen wollen, erspart bleiben. Wohlerworbene Rechte der Religionsgesellschaften (Art 138 Abs 1 S 1 WRV) werden nicht berührt; ein allgemeiner Anspruch der Religionsgesellschaften, bei Anwendung der Vorschriften der Sozialversicherungsgesetze günstiger behandelt zu werden als andere in sonst gleicher Lage, besteht nicht.
Normenkette
AVG § 46 S 3 Fassung: 1977-06-27; RVO § 1269 S 3 Fassung: 1977-06-27; GG Art 140 Fassung: 1949-05-23; WRV Art 137 Abs 3; WRV Art 138 Abs 1 S 1; AVG § 7 Abs 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1230 Abs 1 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
SG München (Entscheidung vom 16.03.1984; Aktenzeichen S 12 An 128/82) |
Tatbestand
Streitig ist die Höhe von Halbwaisenrenten aus der Versicherung eines im Oktober 1978 verstorbenen Geistlichen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.
Bei der Berechnung der Waisenrenten für die Kläger gewährte die Beklagte die in § 46 Satz 3 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) genannten Erhöhungsbeträge nur zur Hälfte. Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage wies das Sozialgericht (SG) ab. Zur Begründung führte es aus, die Kläger erhielten von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, die eine der in § 7 Abs 1 AVG genannten Stellen sei, Waisengeld nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen. Nach § 21 des Pfarrerbesoldungsgesetzes der Landeskirche finde auf die Versorgung der Pfarrer und ihrer Hinterbliebenen das Beamtenversorgungsgesetz sinngemäß Anwendung. Daran ändere auch das kirchliche Versorgungsneuregelungsgesetz vom 15. November 1972, nach dem die Pfarrer in der Rentenversicherung der Angestellten pflichtversichert und die Renten auf die Versorgung anzurechnen seien, nichts, da beim Ausfall der Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung der Dienstherr zur Erfüllung des Versorgungsanspruchs verpflichtet bleibe.
Mit der vom SG zugelassenen und von den Klägern mit Zustimmung der Beklagten eingelegten Revision wird eine Verletzung der §§ 6, 46 AVG gerügt; das SG sei von einer unrichtigen Auffassung des Begriffs der beamtenrechtlichen Versorgung ausgegangen.
Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung der vollen Kinderzuschüsse zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt, die Revisionen zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die zulässigen Sprungrevisionen sind nicht begründet.
Nach § 46 Satz 3 AVG erhöht sich die Waisenrente einer Halbwaise um den Kinderzuschuß; erhält die Waise jedoch ua von einer der in § 7 Abs 1 AVG genannten Stellen nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen Waisengeld, so wird nach Satz 4 aaO der genannte Erhöhungsbetrag nur zur Hälfte gewährt. Die Voraussetzungen der letztgenannten Vorschrift sind, wie das SG richtig erkannt hat, erfüllt.
Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern ist eine der in § 7 Abs 1 AVG genannten Stellen; die von ihr den Klägern gezahlten Waisengelder sind Waisengelder zumindest nach beamtenrechtlichen Grundsätzen. An dieser in seinem Urteil vom 17. März 1983 (BSGE 55, 19 ff) näher begründeten und in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 28. August 1984 - 11 RA 74/83 - aufrechterhaltenen Auffassung hält der Senat auch nach erneuter Prüfung fest. Ob das Pfarrerdienstverhältnis noch als öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis aufgefaßt werden kann, ist im hier gegebenen Zusammenhang schon deswegen ohne Bedeutung, weil § 46 AVG im Gegensatz zu § 37c AVG auf ein solches Dienstverhältnis nicht abhebt, sondern nur auf § 7 Abs 1 AVG. Der in § 46 AVG verwandte Begriff der Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen umfaßt auch Bezüge, die im bürgerlichen Recht wurzeln, sofern sie nur nach Voraussetzungen, Art und Umfang ungeachtet gewisser Abweichungen dem Beamtenrecht entsprechen (SozR 5866 § 12 Nr 5; BSGE 55, 19 f). Die damit geforderte Übereinstimmung ist hier durch die durch das Pfarrerbesoldungsgesetz angeordnete sinngemäße Anwendung des Beamtenversorgungsgesetzes verwirklicht. Daran hat sich auch durch das kirchliche Versorgungsneuregelungsgesetz schon deswegen nichts geändert, weil die Kirche nach wie vor für die volle Erfüllung ihrer Versorgungszusagen einsteht und nur ihrerseits insoweit entlastet wird, als der Rentenversicherungsträger Leistungen gewährt. Daß der Gesetzgeber mit § 46 Satz 4 AVG eine weitergehende Entlastung der Kirchen auf Kosten der Rentenversicherung gewollt haben könnte, ist weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck der Vorschrift zu entnehmen. Eine Verpflichtung des staatlichen Gesetzgebers zu einer solchen Entlastung läßt sich auch nicht aus Art 137 Abs 3, 138 Abs 1 Satz 1, Abs 2 Weimarer Reichsverfassung (WRV) iVm Art 140 Grundgesetz herleiten. Es bleibt den Religionsgesellschaften unbenommen, im Rahmen der Ordnung ihrer Angelegenheiten innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes (Art 137 Abs 3 WRV) ihre Versorgungsregelungen so auszugestalten, daß ihnen Belastungen, die sie nicht tragen wollen, erspart bleiben. Wohlerworbene Rechte der Religionsgesellschaften (Art 138 Abs 1 Satz 1 WRV) werden nicht berührt; ein allgemeiner Anspruch der Religionsgesellschaften, bei Anwendung der Vorschriften der Sozialversicherungsgesetze günstiger behandelt zu werden als andere in sonst gleicher Lage, besteht nicht. Daß das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus seine der Landeskirche erteilten Gewährleistungsbescheide aufgehoben hat (vgl BSGE 54, 248 f), ist hier schon deswegen ohne Belang, weil § 46 Satz 4 AVG auf das Vorliegen eines Gewährleistungsbescheides oder auch nur auf tatsächlich gegebene Versorgungsanwartschaften nicht abhebt (vgl Urteil vom 28. August 1984 - 11 RA 74/83 -).
Nach alledem waren die Revisionen mit der sich aus § 193 Sozialgerichtsgesetz ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.
Fundstellen