Leitsatz (amtlich)
1. Unter der bisher verrichteten knappschaftlichen Tätigkeit im Sinne des RKG § 35 ist nur die von dem Versicherten tatsächlich verrichtete Tätigkeit zu verstehen.
2. BPolV Dortmund vom 1935-05-01 § 308 Abs 3 in der Fassung vom 1953-07-01 hält sich im Rahmen der den Oberbergämtern durch ABg PR vom 1865-06-24 § 197 in Verbindung mit § 196 gegebenen Ermächtigung.
3. Ein Versicherter, der nach der genannten Bergpolizeiverordnung § 308 Abs 3 nicht unter Tage beschäftigt werden darf, ist - innerhalb des Geltungsbereichs dieser Bergpolizeiverordnung - im Sinne des RKG § 35 nicht mehr zur Verrichtung von Arbeiten unter Tage imstande.
4. Für die Frage, ob die von einem Versicherten bisher verrichtete Tätigkeit und eine ihm gesundheitlich noch zumutbare Tätigkeit im wesentlichen gleichartig sind, kommt es entscheidend auf die Artverwandtschaft dieser Tätigkeiten an.
Der Tätigkeit eines Gedingehauers im Ruhrkohlenbergbau ist über Tage die Tätigkeit als 1. Anschläger, nicht jedoch die als 1. Maschinist oder Lokomotivführer im wesentlichen gleichartig.
5. Bei dem für die Beurteilung der Gleichwertigkeit zugrundezulegenden Lohn ist bei dem Gedingehauer von dem tariflichen Normalgedingelohn auszugehen.
6. Der Verdienst eines 1. Anschlägers über Tage ist - unter Zugrundelegung der von 1951 bis 1955 im Ruhrkohlenbergbau geltenden Tariflöhne - dem Verdienst eines Gedingehauers noch im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig.
Normenkette
RKG § 35 Fassung: 1942-10-04; BergPolO § 308 Abs. 3 Fassung: 1953-07-01; ABG PR §§ 197, 196
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen vom 12. Mai 1955 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Gebühr für die Berufstätigkeit des Rechtsanwalts M. wird auf 160,- DM festgesetzt.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
I. Der im Jahre 1901 geborene Kläger war von 1917 bis 1948 in Schlesien im Bergbau tätig, und zwar seit 1920 als Lehrhauer, seit 1923 als Hauer; er war in dieser Zeit - bis zum Zusammenbruch 1945 bei der Niederschlesischen Knappschaft - knappschaftlich versichert.
Nach seinem Zuzug in die Bundesrepublik arbeitete er in verschiedenen nicht bergbaulichen Betrieben.
Sein 1951 unternommener Versuch, wieder Arbeit im Bergbau zu erhalten, scheiterte daran, daß er auf Grund der nach § 308 Abs. 3 der Bergpolizeiverordnung für die Steinkohlenbergwerke im Verwaltungsbezirk des Oberbergamts (OBA.) Dortmund vom 1. Mai 1939/1. September 1950 (BPVO) am 15. März 1951 durch Dr. B von der Knappschaftsuntersuchungsstelle in Essen durchgeführten Tauglichkeitsuntersuchung für untauglich erklärt wurde, und zwar wegen Überschreitung der Altersgrenze, diffuser Bronchitis und geringer Staubveränderungen 0 bis 1. Grades.
Der vom Kläger daraufhin am 8. Oktober 1951 gestellte Antrag auf Gewährung der Knappschaftsrente wurde von der Beklagten durch Bescheid vom 6. Mai 1953 abgelehnt, weil Berufsunfähigkeit noch nicht vorliege. Die Beklagte stützte sich für diese Auffassung auf ein Gutachten des Kreisarztes des Stadtkreises Düsseldorf, Med. Direktor Dr. B vom 18. Dezember 1951, der - nach Beiziehung eines röntgenologischen Lungenbefundes des Facharztes Dr. H keinen krankhaften Befund ernsthafter Art hatte feststellen können, und auf die Stellungnahme ihres Vertrauensarztes Dr. B vom 17. Januar 1952, nach der der Kläger im Sinne des § 308 Abs. 3 BPVO zwar untauglich zur Verrichtung von Gedinge arbeiten sei, jedoch die gleichwertigen bergmännischen Arbeiten unter Tage an staubarmen Betriebspunkten noch verrichten könne.
Weder mit seinem Einspruch an den Geschäftsausschuß noch mit seiner gegen dessen ablehnenden Bescheid beim Knappschaftsoberversicherungsamt (KOVA.) Dortmund eingelegten Berufung hatte der Kläger Erfolg.
Die von dem Kläger gegen das Urteil des KOVA. bei dem Landesverwaltungsgericht in Düsseldorf erhobene Klage ging nach Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf das Landessozialgericht (LSG.) Nordrhein-Westfalen in Essen über.
II. Das LSG. wies die Berufung des Klägers durch Urteil vom 12. Mai 1955 zurück.
Es stützte sich dabei auf ein von ihm eingeholtes Gutachten der Ärzte der H. in Essen vom 22. November 1954, nach dem bei dem Kläger ein leichtes Lungenemphysem, Silikose 0 bis 1. Grades und eine Hypertonie vorliegen, die den Kläger jedoch nicht daran hindern, an staubarmen Betriebspunkten unter Tage als Zimmerhauer, Reparaturhauer, erster Maschinist und anderes mehr, und über Tage als erster und zweiter Anschläger, erster Maschinist und Lokomotivführer zu arbeiten.
Unter Berufung auf die vom früheren Reichsversicherungsamt (RVA.) in seinen Grundsätzlichen Entscheidungen Nr. 5415 und 5421 aufgestellten Grundsätze, die das LSG. gegenüber der nach 1945 in der britischen Zone wieder zugrunde gelegten früheren Rechtsprechung des RVA. auch jetzt noch für zutreffend ansah, legte es als die vom Kläger bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit nicht den gesamten Kreis der artverwandten, sondern nur seine individuelle Tätigkeit als Hauer zugrunde und lehnte aus dieser Einstellung eine Verweisung auf irgendwelche übertägigen Arbeiten als nicht mehr im wesentlichen gleichartig ab.
Dagegen hielt es den Kläger entsprechend dem eingeholten Gutachten noch für fähig, an staubarmen Betriebspunkten unter Tage die als im wesentlichen gleichartig und wirtschaftlich gleichwertig angesehenen Tätigkeiten eines Reparatur- oder Zimmerhauers zu verrichten und verneinte deshalb die Berufsunfähigkeit. § 308 Abs. 3 BPVO verbiete zwar eine Anlegung des Klägers unter Tage; diese Bestimmung sei aber nicht rechtlich verbindlich, da sie die Grenzen der dem OBA. zum Erlaß von bergpolizeilichen Verordnungen erteilten Ermächtigung nach §§ 197 i. Verb. mit 196 Abs. 1 und 2 des Allgemeinen Berggesetzes für die Preußischen Staaten (ABG) vom 24.6.1865 (Preuß. GSamml . S. 705) überschritten habe.
III. Gegen dieses am 6. Juni 1955 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22. Juni 1955 unter Stellung eines Antrags die - vom LSG. zugelassene - Revision eingelegt und diese am 20. Juli 1955 begründet.
Der Kläger rügt einmal eine Verletzung des § 35 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG). Das LSG. habe zu Unrecht die Tätigkeit eines Reparatur- oder Zimmerhauers der eines Gedingehauers als gleichwertig angesehen.
Zum anderen rügt der Kläger, daß das LSG. die Vorschrift des § 308 Abs. 3 BPVO für rechtlich unwirksam halte. Das in dieser Bestimmung ausgesprochene Verbot sei gültig und hindere daher jede Tätigkeit des Klägers unter Tage, auf die er mithin nicht verwiesen werden könne.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, ihm die Knappschaftsrente vom 1. November 1951 an zu gewähren und der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Die Beklagte beantragt demgegenüber,
die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, daß der Kläger nicht berufsunfähig sei, er könne auch auf Arbeiten über Tage verwiesen werden, da diese, entgegen der Auffassung des angefochtenen Urteils, als gleichartig anzusprechen seien.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision ist vom LSG. zugelassen und damit statthaft; sie ist frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden.
II. Die Erfüllung der Wartezeit und die Erhaltung der Anwartschaft sind nicht streitig und nicht zweifelhaft. Die Entscheidung hängt daher einzig von der Frage ab, ob das angefochtene Urteil im Ergebnis zu Recht den Kläger nicht für berufsunfähig im Sinne des § 35 RKG angesehen hat.
Nach dieser Bestimmung gilt der Kläger als berufsunfähig, wenn er "infolge Krankheit oder anderer Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte weder imstande ist, die von ihm bisher verrichtete knappschaftliche Tätigkeit, noch andere im wesentlichen gleichartige und wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeiten von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in knappschaftlich versicherten Betrieben auszuüben."
Mit dem LSG. muß angenommen werden, daß als "bisher verrichtete knappschaftliche Tätigkeit", von der bei der Betrachtung auszugehen ist, jeweils die tatsächlich von dem Versicherten im Einzelfall verrichtete Tätigkeit zugrunde zu legen ist. Das RVA. hat zwar längere Zeit hindurch in ständig gewordener Rechtsprechung (vgl. insbesondere die Grundsätzliche Entscheidung Nr. 5274 vom 4.11.1938 - AN. 39 S. 130) die Auffassung vertreten, daß bei der "Beurteilung der Berufsunfähigkeit nicht allein von der bisher tatsächlich verrichteten Einzeltätigkeit auszugehen ..., sondern ... der ganze Kreis der dieser Tätigkeit ihrer Art nach nahe verwandten, knappschaftlich versicherten Arbeiten zugrunde zu legen" sei. Diese Ansicht, die sog. "Kreistheorie", die es in seinen allerdings zum Teil mit den besonderen Erfordernissen der Kriegszeit begründeten Grundsätzlichen Entscheidungen Nr. 5415 vom 18.12.1940 (AN. 41 S. 121) und Nr. 5421 vom 20.2.1941 (AN. 41 S. 153) später fallen gelassen hat, wurde nach dem zweiten Weltkrieg, ursprünglich auf Veranlassung der Besatzungsmacht, wieder weitgehend zugrunde gelegt (vgl. Sudhaus, Komm. zum KnVAG - B 2 S. 26 und in Soz. Vers. 51 S. 227, Schein in SGb. 54 S. 137 u. a.). Sie kann jedoch nicht als zutreffend angesehen werden. Das RVA. hat bei jener grundsätzlichen Entscheidung vielmehr die frühere Rechtslage und die darauf beruhenden Entscheidungen, mit denen es sich in Übereinstimmung zu befinden glaubte, unzutreffend beurteilt. Es trifft zwar zu, daß nach der früheren ständigen Rechtsprechung - wie sie zur Frage der Unfähigkeit zur Berufsarbeit bereits unter der Geltung des § 172 a Abs. 1 Nr. 1 ABG i. d. Fassung vom 19.6.1906 vom Preußischen Oberschiedsgericht in Knappschaftsangelegenheiten (vgl. Urteil vom 26.11.1908 Zeitschrift für Bergrecht (ZfB.) 50 S. 116), später zur Frage der Berufsunfähigkeit im Sinne der §§ 4 und 30 des Preußischen Knappschaftsgesetzes vom 17.6.1912 ( GSamml . S. 137) und schließlich des § 25 (später 35) RKG vom RVA. (Urteil vom 1.10.1925 (ZfB. 67 S. 262), Grundsätzliche Entscheidung Nr. 3049 vom 24.2.1927 (AN. 27 S. 306)) entwickelt worden war - als maßgebliche Tätigkeit nicht allein die von dem Versicherten tatsächlich verrichtete Tätigkeit, sondern die Berufsgruppe, d. h. der ganze Kreis der verwandten Tätigkeiten zugrunde zu legen war. Diese Auffassung kann für die damalige Rechtslage auch heute noch durchaus gebilligt werden. Im Gegensatz zu der erst durch die Verordnung vom 17.5.1934 (RGBl. I S. 419) eingeführten, in § 35 RKG festgelegten Legaldefinition des Begriffs "Berufsunfähigkeit" begnügten sich die früheren gesetzlichen Fassungen damit, als Voraussetzung für die Leistungsgewährung die Berufsunfähigkeit bzw. Unfähigkeit zur Berufsarbeit des Versicherten zu fordern, während die Auslegung dieses Begriffs der Rechtsprechung überlassen blieb. Hierbei gingen die angeführten Entscheidungen durchaus zutreffend davon aus, daß nicht bereits - wozu eine rein wörtliche Auslegung hätte führen können - die Unfähigkeit zu der bisher verrichteten Arbeit, sondern erst die Unfähigkeit zu einer ganzen Gruppe mit jener verwandter Arbeiten im Sinne einer wohlverstandenen Berufsunfähigkeitsversicherung" den Versicherungsfall zu begründen vermöge. Ihren Abschluß fand diese Entwicklung in der Darstellung des Begriffs der Berufsunfähigkeit in der Grundsätzlichen Entscheidung Nr. 3049. Der hier vom RVA. geschaffene Begriff wurde sodann fast wörtlich vom Gesetzgeber der neuen Fassung des § 35 RKG zugrunde gelegt (vgl. hierzu auch das Urteil des erkennenden Senats vom 24.5.1956 - 5 RKn 20/55 -). Hieraus ergibt sich, daß die von der Rechtsprechung stets abgelehnte Beschränkung des Begriffs der Berufsunfähigkeit auf die vom Versicherten selbst ausgeübte Tätigkeit nunmehr zu einer selbständigen gesetzlich normierten Voraussetzung der Berufsunfähigkeit geworden war.
Wenn das RVA. es damals trotz dieser veränderten rechtlichen Verhältnisse weiterhin, und zwar einzig unter Berufung auf die bisherige Begründung, ablehnte, als die bisher verrichtete knappschaftliche Tätigkeit allein die tatsächlich vom Versicherten verrichtete zugrunde zu legen, sondern wenn es auch dann noch einen ganzen Kreis verwandter Tätigkeiten - und damit praktisch jeweils die geringst entlohnte Tätigkeit dieses Kreises - als Ausgangspunkt für den nunmehr durch Gesetz vorgeschriebenen Vergleich der Berufsgruppe heranzog, so war es damit, ihm selbst vielleicht unbewußt, zu einer grundsätzlichen Abweichung von seinem bisher vertretenen Standpunkt gekommen, da mit dieser neuen "Kreistheorie" nunmehr in Wirklichkeit eine wesentlich weitergehende Relativierung gegenüber den bis dahin angewandten Grundsätzen eintreten mußte. Während bisher nur ein "Kreis" um den individuellen Beruf geschlagen wurde, war nach dieser neuen Rechtsprechung gleichsam um jeden Punkt des Kreisumfangs nochmals ein weiterer Kreis zu schlagen. Da nicht zweifelhaft ist, daß mit der Einführung der Legaldefinition des § 35 RKG nicht etwa eine sachliche Änderung des geltenden Rechts beabsichtigt, sondern einzig eine größere Klarheit durch genauere gesetzliche Fassung geschaffen werden sollte, erscheint jene durch die Rechtsprechung des RVA. eingetretene Begriffsänderung unbegründet und rechtlich nicht haltbar. Im Ergebnis ist daher insoweit die vom RVA. im Kriege vertretene Auffassung zutreffend (so auch Schweighäuser in Soz. Vers. 51 S. 123, Brockhoff in BABl. 51 S. 617 und SGb. 55 S. 227, Meyer in Soz. Vers. 53 S. 253 u. a.).
III. Es bedarf keiner Untersuchung, ob durch die Ziff. 5 b der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 13 der Britischen Militärregierung vom 25.1.1946 (ArbBl. für die Britische Zone 47 S. 17) die Anwendung der "Kreistheorie" wieder zwingend vorgeschrieben wurde, wie damals weitgehend angenommen worden ist, da die SVD Nr. 13, selbst wenn sie jene Rechtswirkung gehabt hätte, spätestens seit dem 1.6.1949 (Aufhebung durch die SVD Nr. 29 vom 15.9.1949 - ArbBl. 1949 S. 329) unwirksam geworden ist.
Es ist daher festzustellen, daß das LSG. rechtlich zutreffend bei seinen weiteren Erwägungen die individuell vom Kläger verrichtete Hauertätigkeit als Vergleichstätigkeit zugrunde gelegt hat.
IV. Das LSG. hat bindend festgestellt, daß der Kläger eine Tätigkeit als Hauer nicht mehr verrichten kann; es verneint das Vorliegen von Berufsunfähigkeit trotzdem, da es ihn noch für fähig hält, Reparatur- oder Zimmerhauerarbeiten unter Tage an staubarmen Betriebspunkten zu verrichten.
In Übereinstimmung mit der ständigen Übung der Knappschaften und der überwiegenden, nur durch die oben bezeichneten im Kriege ergangenen Entscheidungen des RVA. unterbrochenen übereinstimmenden Rechtsprechung aller mit dieser Frage befaßten Gerichte kann davon ausgegangen werden, daß für einen Hauer die Arbeiten eines Reparatur- und eines Zimmerhauers zu den im wesentlichen gleichartigen und wirtschaftlich gleichwertigen Tätigkeiten gehören. Es kommt daher entscheidend darauf an, ob die Ansicht des LSG., der Kläger könne derartige Arbeiten noch verrichten, der rechtlichen Prüfung standhält. Soweit es sich dabei um die Beurteilung der Fähigkeiten des Klägers zu derartigen Arbeiten vom medizinischen Standpunkt aus handelt, durfte das LSG. ohne erkennbaren Rechtsirrtum die Befähigung des Klägers annehmen. Trotzdem würde die Verweisung des Klägers auf derartige Arbeiten auf einem Rechtsirrtum beruhen, wenn er aus anderen als medizinischen Gründen dazu nicht fähig wäre. Das wäre der Fall, wenn die Vorschrift des § 308 Abs. 3 BPVO rechtsgültig ist, da der Kläger unstreitig zu dem Personenkreis gehört, dem jene Vorschrift jede Arbeit in staubgefährdeten Bergwerksbetrieben unter Tage verbietet, und es nicht zulässig erscheint, einen Versicherten auf eine für ihn zwar medizinisch für möglich gehaltene, aber polizeilich rechtswirksam untersagte Tätigkeit zu verweisen.
Die Unwirksamkeit der genannten Bestimmung begründet das LSG. mit dem Hinweis darauf, daß das OBA. Dortmund bei dem Erlaß jener Vorschrift die Grenzen der ihm durch den § 197 ABG eingeräumten Ermächtigung zum Erlaß bergpolizeilicher Vorschriften überschritten habe. Hieraus ergibt sich, daß nicht die nicht über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus geltende Vorschrift des § 308 Abs. 3 BPVO, die als solche nicht revisibel ist, sondern die rechtmäßige Anwendung des § 197 ABG durch das OBA. Gegenstand der Nachprüfung des Revisionsgerichts zu sein hat. Das ABG gehört jedoch auf Grund seines auch heute noch weit über den Bezirk des Berufungsgerichts hinausgehenden Geltungsbereiches zu den revisiblen Rechtsnormen.
V. Entgegen der Auffassung des LSG. deckt die dem OBA. im ABG gegebene Ermächtigung zum Erlaß von Polizeiverordnungen die streitige Bestimmung. Das LSG. will die Nichtigkeit daraus herleiten, daß in der Vorschrift das völlige Verbot einer Tätigkeit unter Tage, also auch an gesundheitlich keine Gefährdung verursachenden Betriebspunkten, angeordnet sei. Diese Bestimmung überschritte die Grenzen dessen, was für die Abwendung von Gefahren für die Gesundheit der Bergleute notwendig sei.
Es kann dahingestellt bleiben, ob gemäß § 81 Abs. 2 des Preuß. Polizeiverwaltungsgesetzes vom 1. Juni 1931 - PVG - (Preuß. GSamml . 31 S. 77) § 209 Abs. 3 ABG nicht eine auch heute noch gültige, von der üblichen Regelung abweichende Ermächtigung für das auf seinem Fachgebiet besonders sachverständige OBA. zum Erlaß aller Vorschriften enthält, die von ihm subjektiv für notwendig angesehen werden, wie dies im vorliegenden Fall offenbar anzunehmen ist; denn auch wenn auf die objektive Notwendigkeit des Erlasses der Bestimmung des § 308 Abs. 3 BPVO abgestellt werden muß, kann ihre Rechtsgültigkeit nicht bezweifelt werden. Die besonderen Verhältnisse des Bergbaubetriebs unter Tage bringen es mit sich, daß ein nur auf die Arbeit in staubhaltigen, gesundheitsgefährdenden Wettern beschränktes Verbot seinen Zweck, mit Sicherheit eine weitere Schädigung bereits silikosegefährdeter Bergleute zu verhindern, nicht erreichen würde. Je nach der Wetterführung können die einzelnen Betriebspunkte das Maß ihrer Staubgefährlichkeit verändern; es ist nicht vermeidbar, daß unter Tage beschäftigte Bergleute ausgewechselt oder vorübergehend oder aushilfsweise auch an anderen, möglicherweise staubgefährdeten Betriebspunkten beschäftigt werden. Es läßt sich nicht sicherstellen, daß von diesen und anderen betrieblichen Maßnahmen silikosegefährdete Bergleute nicht gleichfalls erfaßt werden; eine ausreichende und zuverlässige Kontrolle durch die Aufsichtspersonen des Betriebes und der Bergbehörden wäre unter diesen Umständen nicht durchführbar. § 308 III BPVO geht demnach nicht über das zur sicheren Erreichung des erforderlichen Zweckes notwendige Maß hinaus; die Bestimmung dient insbesondere nicht lediglich der Erleichterung der behördlichen Aufsicht und ist aus diesem Grunde nicht unwirksam.
Die Unwirksamkeit ergibt sich auch nicht aus der Polizeiverordnung des Reichswirtschaftsministers über ärztliche Anlegeuntersuchungen im Bergbau vom 23. Mai 1940 (RGBl. I S. 819), da die BPVO mit keiner der Vorschriften dieser Polizeiverordnung in Widerspruch steht und dem OBA. nicht untersagt ist, über die ministerielle Regelung hinaus in eigener Zuständigkeit eigene Gebote und Verbote zu erlassen, soweit sie sich zu jener Regelung nicht in Widerspruch setzen, was hier nicht festgestellt werden kann.
Das LSG. hat daher den § 197 ABG dadurch, daß es den § 308 III BPVO als rechtsunwirksam ansieht, unrichtig ausgelegt; es hätte bei Bejahung der Gültigkeit der fraglichen Bestimmung den Kläger für jede der von ihm für möglich gehaltenen Untertagetätigkeiten für unfähig ansehen müssen; dies hätte dazu geführt, daß das LSG., das den Kläger auf Arbeiten über Tage aus anderen Gründen nicht glaubte verweisen zu können, den Rentenanspruch für begründet hätte halten müssen. Daraus ergibt sich, daß das angefochtene Urteil auf der festgestellten Gesetzesverletzung beruht.
VI. Einer Aufhebung des angefochtenen Urteils bedurfte es gleichwohl nicht, da sich das Urteil aus anderen Gründen als richtig erweist.
Das LSG. ist uneingeschränkt dem Gutachten der Ärzte der H-stiftung gefolgt; es muß daher, auch wenn dies nicht ausdrücklich im Urteil ausgesprochen ist, davon ausgegangen werden, daß das LSG. mit jenen Sachverständigen den Kläger auch für fähig hielt, die in dem Gutachten erwähnten Arbeiten über Tage, insbesondere die Tätigkeiten eines 1. und 2. Anschlägers, eines 1. Maschinisten und eines Lokomotivführers zu verrichten.
Das LSG. lehnt jedoch eine Verweisung des Klägers auf diese Arbeiten schon deshalb ab, weil es dieselben nicht als der Hauertätigkeit gleichartig ansieht. Diese Auffassung ist mindestens teilweise unzutreffend. Das angefochtene Urteil will auch insoweit den Grundsätzlichen Entscheidungen Nr. 5415 und 5421 folgen, die insbesondere aus der Eigenart und der Wichtigkeit der Tätigkeit eines Steinkohlenhauers folgern, daß dieser keine Tätigkeit über Tage gleichartig sei. Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 24. Mai 1956 - 5 RKn 20/55 - bereits ausgeführt hat, soll der Begriff der "Gleichartigkeit" es ermöglichen, innerhalb des gesamten knappschaftlich versicherten Personenkreises unter besonderer Berücksichtigung des Ausbildungsganges und der Art der Tätigkeit der Versicherten im Gesamtgeschehen des Betriebs nach ihrer Artverwandtschaft Untergruppen zu bilden. Mit Hilfe dieser Einteilung soll alsdann ermittelt werden, welche Tätigkeiten den einzelnen Versicherten noch als artentsprechend zugemutet werden können. Es soll demnach durch die Forderung der Gleichartigkeit im Sinne einer echten Berufsversicherung gewährleistet werden, daß der Versicherte, - auch wenn er seine Tätigkeit wechselt -, immer nur auf solche anderen Tätigkeiten verwiesen werden kann, die sich noch innerhalb "seines Berufes" halten und keine Artverschiedenheit zu diesem aufweisen. Bei einer derartigen Betrachtung kann der Frage, ob sich der zuzumutende Arbeitsplatz über oder unter Tage befindet, keine grundsätzlich ausschlaggebende und stets abgrenzende Bedeutung beigemessen werden. Bei zahlreichen in Bergwerksbetrieben vorkommenden Berufen ist vielmehr ohne weiteres ersichtlich, daß die Lage des Arbeitsplatzes für die berufliche Gleichartigkeit keine Rolle spielt, z. B. bei Handwerkern jeder Art, insbesondere Schlossern und Elektrikern, bei Telefonisten u. a. m.; selbst bei Hauern liegen in anderen Bergbauzweigen in einer Reihe von Betrieben die Betriebspunkte bald über, bald unter Tage. Bei der Feststellung des Berufs, dem auch die Tätigkeit als Hauer unter Tage angehört, wird man weitgehend dem Sprachgebrauch und der Verkehrsauffassung folgen können. Danach wird die Hauerarbeit als die wichtigste Tätigkeit im Rahmen des eigentlichen Bergmannsberufs angesehen. Zu diesen "typisch bergmännischen Arbeiten" sind alle diejenigen zu rechnen, denen der Bergbau das Gepräge gibt, die unmittelbar auf die Gewinnung und Förderung der Mineralien gerichtet sind und die nur und gerade dem Bergbau eigen sind und in anderen industriellen Betrieben nicht oder doch nicht in gleicher Weise vorkommen. Bei einem Wechsel zwischen derartigen Tätigkeiten bleibt der Arbeiter stets weiter in seinem Beruf als "Bergmann". Zu diesen in den Kreis der echten bergmännischen Arbeiten gehörenden Tätigkeiten muß man von den nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils dem Kläger gesundheitlich zumutbaren Tätigkeiten jedenfalls die Tätigkeit eines Anschlägers über Tage rechnen, der - genau wie der entsprechende Anschläger unter Tage - für den Ablauf der Förderung und Seilfahrt in dem ihm zugewiesenen Abschnitt verantwortlich ist und damit eine nur im Bergbau vorkommende und noch unmittelbar mit der Förderung zusammenhängende Arbeit verrichtet. Hinsichtlich der übrigen dem Kläger über Tage gesundheitlich zugemuteten Arbeiten - insbesondere derjenigen eines 1. Maschinisten und Lokomotivführers über Tage - trug der erkennende Senat allerdings Bedenken, sie noch in die Gruppe der eigentlichen bergmännischen Arbeiten einzureihen, so daß eine Verweisung des Klägers auf sie nicht in Frage kam.
Der Kläger ist auch in der Lage, die Tätigkeit als Anschläger auszuüben, da er auf Grund seines bergmännischen Wissens und seiner Ausbildung die für jene Tätigkeit erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt bzw. nach kurzer Einarbeitung erlernen kann.
VII. Es bleibt schließlich noch zu prüfen, ob die Tätigkeit als Anschläger über Tage, auf die sich der Kläger demnach im übrigen verweisen lassen muß, seiner bisherigen Tätigkeit gegenüber als im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig anzusehen ist.
Bei der Prüfung der Frage der Gleichwertigkeit müssen stets zwei Beträge verglichen werden, das Einkommen der bisher verrichteten Tätigkeit und das Einkommen der Tätigkeit, die Gegenstand der Verweisung ist. Da es sich bei dieser letzteren Tätigkeit stets um eine nur gedachte, keinen bestimmten individuellen Arbeitsplatz betreffende Tätigkeit handelt, kann bei ihr auch stets nur ein generell zu erzielender Lohn zugrunde gelegt werden. Bereits diese Überlegung spricht dafür, daß auch auf der anderen Seite nicht von dem tatsächlichen im Einzelfall erzielten (Individual-) Lohn auszugehen ist. Hinzu kommt, daß dieser Individuallohn in seiner Höhe stets wechselt und von zufälligen Faktoren abhängig ist, die in der Person, dem Arbeitsplatz oder besonderen Arbeitsbedingungen ihre Ursache haben können, so dass er keine billige und brauchbare Ausgangsgrundlage bilden kann.
Dies gilt um so mehr, als sich dabei auch eine verschiedene Behandlung der Versicherten je nach der Zeit der Arbeitsaufgabe ergeben müßte, selbst wenn die Frage der Gleichwertigkeit zu derselben Zeit geprüft würde.
Auch der tatsächliche Durchschnittslohn erscheint als Vergleichsmaßstab ungeeignet; auch hier kommen durch Über- und Nebenschichten sowie durch konjunkturbestimmte Umstände derartige Schwankungen in den monatlichen Beträgen zustande, daß ein für alle Betroffenen gleichmäßiger und gerechter Maßstab dadurch nicht gewährleistet ist.
Als brauchbarer Vergleichsmaßstab verbleibt somit nur der jeweilige Tariflohn, der auch allein gewährleistet, daß die beiden miteinander zu vergleichenden Größen wirklich vergleichbar sind, da auf der Seite der gedachten zumutbaren Tätigkeiten eine andere Vergleichsgrundlage als der für alle möglicherweise in Frage kommenden Arbeitsplätze gleichermaßen geltende Tariflohn ohnehin nicht gedacht werden kann. Ob der Tariflohn auch dann noch, wenn der tatsächlich erzielte Individuallohn bzw. der Durchschnittslohn ständig unverhältnismäßig vom Tariflohn abweicht, als Vergleichsgrundlage brauchbar wäre, ist hier nicht zu entscheiden, da für den vorliegenden Fall solche weitgehenden Divergenzen nicht anzunehmen sind.
Bei der Beurteilung ist demnach auszugehen von der Tarifordnung vom 1. April 1955, die für die Arbeiten des Rheinisch-Westfälischen Steinkohlenbergbaus zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz galt. Danach betrug der tarifliche Hauerdurchschnittslohn 18,17 DM, der Lohn eines 1. Anschlägers über Tage 14,90 DM, der Lohn eines 2. Anschlägers über Tage 14,14 DM. Ausgehend von dem monatlichen Verdienst des Hauers mit 454,25 DM ergibt dies ein monatliches Mindereinkommen des 1. Anschlägers von 81,75 DM und des 2. Anschlägers von 100,75 DM. Auch nach den Lohnordnungen, die vom Zeitpunkt der Antragstellung (Oktober 1951) bis zum Inkrafttreten der erwähnten Lohnordnung vom 1. April 1955 galten, ergibt der Vergleich ein ähnliches Verhältnis. Der Senat hält unter Abwägung der gesamten Verhältnisse den von einem 1. Anschläger über Tage zu erzielenden Tariflohn gerade noch als innerhalb der Grenzen des im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertigen Einkommens liegend, während er diese Grenze bei dem 2. Anschläger über Tage als überschritten ansieht. Da es bei der Beurteilung dieser Frage stets darauf ankommen wird, eine wie starke Einschränkung des bisherigen Lebensstandards unter Berücksichtigung der gesamten Lebenshaltungskosten im Rahmen der wesentlichen Gleichwertigkeit noch zumutbar ist, darf, worauf ausdrücklich hingewiesen wird, nicht allein auf den absoluten Hundertsatz des Mindestverdienstes abgestellt werden, sondern es kommt mindestens ebenso entscheidend auf die absolute Höhe der Differenz an, wobei bei geringem Einkommen auch prozentual erheblich stärker beieinanderliegende Vergleichsbeträge nicht mehr als im wesentlichen gleichwertig angesehen werden dürften.
VIII. Die Zahl der an den Schachtanlagen des Steinkohlenbergbaus der Ruhr benötigten 1. Anschläger über Tage ist zwar beschränkt, aber doch groß genug, um eine Verweisung auf diese Tätigkeiten zuzulassen. Wegen der Fähigkeit des Klägers, noch 1. Anschläger über Tage zu sein, mußte das Urteil des LSG. im Ergebnis bestätigt und die Revision zurückgewiesen werden.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, die Festsetzung der Gebühren für den Rechtsanwalt auf § 196 Abs. 4 SGG.
Fundstellen