Leitsatz (amtlich)
Die Gewährung von Schlechtwettergeld setzt ua voraus, daß der Arbeitsausfall im Bereich der Baustelle durch zwingende witterungsbedingte Gründe verursacht ist.
Witterungsbehinderungen am (auswärtigen) Wohnort von Arbeitnehmern oder auf ihren Anreisestrecken zum Arbeitsplatz fallen nicht unter die Schlechtwettergeld-Regelung.
Normenkette
AVAVG § 143e Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1959-12-07, § 143f Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1959-12-07, § 143e Abs. 2 Fassung: 1959-12-07
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. Juli 1967 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger beantragte als Inhaber eines Bauunternehmens, den witterungsbedingten Arbeitsausfall bei zwei seiner Arbeitnehmer (T und B) für den 11. und 12. Januar 1965 (Montag und Dienstag) anzuerkennen, weil sie von ihren Wohnorten im Bayerischen Wald infolge Schneeverwehungen nicht zur Baustelle hätten anreisen und daher an diesen beiden Tagen nicht hätten arbeiten können. Die Baustelle O, auf der am 11. und 12. Januar 1965 voll gearbeitet wurde, befand sich im Arbeitsamtsbezirk M. Gegen die (mündlichen) Bescheide des örtlich zuständigen Arbeitsamts, daß ein witterungsbedingter Arbeitsausfall im Sinne der Schlechtwettergeldregelung nicht vorliege, erhob der Kläger Widerspruch und Klage, blieb damit aber erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 29. März 1965 und Urteil des Sozialgerichts - SG - vom 22. Juli 1965). Auch sein nach der Klageerhebung gestellter Antrag, für die Arbeitnehmer P und B das Schlechtwettergeld zu gewähren, hatte keinen Erfolg (Bescheid vom 13. Mai 1965, Widerspruchsbescheid vom 12. August 1965). Die vom SG zugelassene Berufung des Klägers wies das Bayerische Landessozialgericht - LSG - (Urteil vom 19. Juli 1967) mit der Maßgabe zurück, daß die Klage gegen den Bescheid des Arbeitsamts M vom 13. Mai 1965 abgewiesen wird. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus:
Ein Arbeitsausfall im Sinne des § 143 e Abs. 1 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) komme nur in Betracht, wenn es in einem Betrieb des Baugewerbes aus zwingenden witterungsbedingten Gründen unmöglich wird, die auf einer bestimmten Baustelle bereits begonnenen Arbeiten fortzuführen. Werde auf der Baustelle selbst gearbeitet, weil die Arbeiten technisch möglich und den Arbeitnehmern zumutbar sind, dann könne nicht von einem Arbeitsausfall im Sinne der Schlechtwettergeld-Regelung gesprochen werden, wenn Arbeitnehmer infolge witterungsbedingter Verkehrsstörungen an ihrem Wohnort gehindert waren, den Weg zur Baustelle zurückzulegen. Maßgeblich seien nur die Witterungsverhältnisse am Arbeitsplatz. Dafür spräche die vom Gesetzgeber getroffene Regelung sowohl der betrieblichen (§ 143 e AVAVG) als auch der persönlichen (§ 143 f AVAVG) Voraussetzungen für die Gewährung von Schlechtwettergeld.
Revision wurde zugelassen.
Der Kläger hat Revision eingelegt und (sinngemäß) beantragt,
das angefochtene Urteil, das Urteil des SG München vom 22. Juli 1965 sowie die Bescheide der Beklagten vom 11. und 12. Januar 1965 idF des Widerspruchsbescheides vom 29. März 1965 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Arbeitnehmer P und B Schlechtwettergeld für den 11. und 12. Januar 1965 zu zahlen.
Zur Begründung hat er im wesentlichen ausgeführt: Sinn und Zweck der Schlechtwettergeld-Regelung sei, das kontinuierliche Bauen im Winter zu fördern, den am Baugeschehen Beteiligten einen Anreiz hierfür zu geben und den betroffenen Arbeitnehmern ihren Arbeitsplatz auch während des Winters zu erhalten. Diese Aufgabe werde aber nur dann erfüllt, wenn man als witterungsbedingten Arbeitsausfall im Sinne von § 143 e Abs. 1 und 2 AVAVG auch denjenigen anerkenne, der seine Ursache darin habe, daß der Arbeitnehmer aufgrund von atmosphärischen Einwirkungen an seinem Wohnort die Baustelle nicht erreichen könne. Aus der Sicht des Arbeitnehmers jedenfalls ergebe sich kein Unterschied, ob er der Wetterlage zufolge seine Arbeitsleistungen an der Baustelle aufgeben muß oder aber diese überhaupt nicht erst erreicht. Bei der von der Beklagten jetzt - entgegen früherer Übung - gewählten engen Auslegung jedoch erhalte der Arbeitnehmer weder Lohn noch Schlechtwettergeld noch Arbeitslosengeld und müsse folglich gerade das Risiko tragen, das ihm die Schlechtwettergeld-Regelung abnehmen wolle.
Die Beklagte hat beantragt,
die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.
Zweck der Maßnahmen zur Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft sei es nicht, jegliche Lohnausfälle auszugleichen, die den Arbeitnehmer in Betrieben anderer Gewerbezweige in gleicher Weise treffen könnten, sondern nur jene, die aus witterungsbedingten betrieblichen Einschränkungen auf der Baustelle verursacht seien. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) habe bereits festgestellt (Bd. 24 S. 58), daß es bei der Anerkennung des witterungsbedingten Arbeitsausfalles lediglich auf die Verhältnisse auf der Baustelle ankomme. Diese Auffassung ergebe sich zudem zwingend aus der Wortfassung des § 143 e Abs. 2 AVAVG, weil eine Arbeit "technisch unmöglich" oder "für die Arbeitnehmer unzumutbar" denknotwendig nur auf der jeweiligen Baustelle sein könne.
II
Die durch Zulassung statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Revision des Klägers konnte keinen Erfolg haben.
Gegenstand des Verfahrens ist nach § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) der Bescheid der Beklagten vom 13. Mai 1965 idF des Widerspruchsbescheides vom 12. August 1965, der die vorausgegangenen Bescheide in gleicher Sache ersetzt hat; diese waren - obgleich mündliche erteilt - anfechtbare Verwaltungsakte (BSG. Urteil vom 27. Oktober 1965 - 7 RAr 16/65 - Breithaupt 1966, 538).
Materiell-rechtlich hat das LSG zutreffend entschieden, daß den beiden Arbeitnehmern P und B für den 11. und 12. Januar 1965 Schlechtwettergeld nicht zusteht. Dessen Gewährung ist davon abhängig, daß die vom Gesetzgeber festgelegten allgemeinen (§ 143 d AVAVG), betrieblichen (§ 143 e AVAVG) und persönlichen (§ 143 f AVAVG) Voraussetzungen erfüllt sind. Zu den betrieblichen Voraussetzungen gehört nach § 143 e Abs. 1 Nr. 1 AVAVG der ausschließlich durch zwingende witterungsbedingte Gründe verursachte Arbeitsausfall. Solche liegen nach Abs. 2 nur vor, "wenn atmosphärische Einwirkungen (Regen, Schnee, Frost usw.) oder deren Folgewirkungen so stark oder so nachhaltig sind, daß die Fortführung der Arbeit technisch unmöglich ist oder den Arbeitnehmern nicht zugemutet werden kann." Wie der erkennende Senat bereits in seiner früheren Rechtsprechung (vgl. BSG 24 S. 58) ausgeführt hat, ergibt sich sowohl aus der Vorschrift des § 143 e Abs. 2 AVAVG als auch aus § 143 f AVAVG, daß der Begriff des Arbeitsausfalles den Beginn der Arbeit auf der Baustelle voraussetzt. Das Gesetz spricht davon, daß die "Fortführung" der Arbeit technisch unmöglich sein muß. Eine "Fortführung" der einmal begonnenen Bauarbeiten ist aber logisch wie sachlich nur auf einer bestimmten Baustelle (Arbeitsstätte) möglich. Ebenso kann nur auf einer bestimmten Baustelle eine Arbeit technisch urmöglich oder den Arbeiternehmern nicht zumutbar sein. Damit stellt das Gesetz nach Wortlaut und Inhalt erkennbar auf die Wetterverhältnisse auf der Baustelle, nicht jedoch auf die Verhältnisse am (auswärtigen) Wohnort einzelner Arbeitnehmer oder auf deren Anreisewegen ab. Diese Fixierung auf die Verhältnisse der Baustelle entspricht dem Sinn und Zweck der Schlechtwettergeld-Regelung. Die Bautätigkeit im Winter soll gefördert werden. Den Arbeitnehmern des Baugewerbes soll der Arbeitsplatz erhalten bleiben (vgl. dazu Amtliche Begründung zum Entwurf eines Zweiten Änderungsgesetzes zum AVAVG, Bundestags-Drucksache III/ 1240 S. 9 ff, insbes. S. 11). Die Schlechtwettergeld-Regelung ist also dazu bestimmt, das Risiko eines Arbeitsausfalles, das gerade für das Baugewerbe wegen der Abhängigkeit von der Witterung typisch ist, abzudecken. Dagegen werden die Wettererschwernisse am Wohnort oder auf den Anreisestrecken von (auswärtigen) Arbeitskräften, die möglicherweise dadurch ihren Arbeitsplatz nicht erreichen können, von der Regelung der §§ 143 a ff AVAVG nicht erfaßt (vgl. Draeger/Buchwitz/Schönefelder, Komm. zum AVAVG, § 143 e Anm. 7; Krebs, Komm. zum AVAVG, § 143 e Anm. 15).
Derartige (unverschuldete) Umstände im Berufsleben sind nicht dem Baugewerbe allein eigentümlich, sondern ereignen sich durch die Jahreszeit bedingt auch in vielen anderen Arbeits- und Gewerbezweigen. Sie können nach geltendem Recht nicht im Rahmen der Arbeitslosenversicherung oder der Sozialversicherung allgemein abgegolten werden, sondern sind allenfalls auf arbeitsrechtlicher Grundlage zu lösen. Bislang sind übrigens solche Fälle von Witterungsbehinderungen auf dem Weg zum Arbeitsplatz auch nicht in den Entwurf des geplanten Arbeitsförderungsgesetzes (§§ 68 ff AFG-Entwurf) aufgenommen.
Daß der Gesetzgeber auf die Witterungsverhältnisse unmittelbar auf der Baustelle abstellt, wird durch § 143 f Abs. 1 Nr. 1 AVAVG erhärtet, der die persönlichen, d.h. die von dem Arbeitnehmer selbst zu erfüllenden Voraussetzungen enthält. Danach hat Anspruch auf Schlechtwettergeld, "wer auf einem witterungsbedingten Arbeitsplatz bei Beginn des Arbeitsausfalles in einer versicherungspflichtigen Beschäftigung steht". Diese Bedingung ist aber regelmäßig nur dann erfüllt (vgl. BSG Bd. 24 S. 58, 60), wenn er "zu Beginn des Arbeitsausfalles an der Baustelle, auf der ihn der Arbeitsausfall trifft, seine Arbeit aufgenommen hat". Also deckt sich § 143 f mit § 143 e AVAVG. Ebenso wie bei der Beurteilung der betrieblichen kommt es auch bei der Beurteilung der persönlichen Voraussetzungen auf die Witterungsverhältnisse auf der Baustelle an. Die Wetterumstände am Wohnort oder Reiseweg des Arbeitnehmers müssen hierbei außer Betracht bleiben. Diese Rechtslage wird schließlich noch gestützt durch § 143 e Abs. 1 Nr. 3, § 143 f AVAVG, wonach der Arbeitsausfall dem Arbeitsamt anzuzeigen ist, in dessen Bezirk die "Baustelle" liegt (vgl. Kranz, BABl 1965, 687, 688), sowie durch § 143 m AVAVG, demzufolge dem Arbeitsamt nur "Entlassungen auf Baustellen" anzuzeigen sind.
Kommt es nach alledem allein auf die Verhältnisse auf der Baustelle (im Bereich der Baustelle) an, so bleibt die Störung der Verkehrsverbindungen wegen Schneeverwehungen o.ä. am Wohnort der Arbeitnehmer bei der Frage, ob ein Arbeitsausfall als Folgewirkung der Witterungsverhältnisse anzusehen ist, ohne Belang. Nach den nicht angefochtenen Feststellungen des LSG, an die der Senat nach § 163 SGG gebunden ist, wurde auf der Baustelle O am 11. und 12. Januar 1965 uneingeschränkt gearbeitet, so daß der Arbeitsausfall für P und B in diesen beiden Tagen nicht durch Witterungseinflüsse im Sinne der Schlechtwettergeld-Regelung verursacht war.
Die aus dem Gesetz erwachsene Rechtsanwendung hat die beklagte Bundesanstalt zumindest seit dem Jahre 1964 regelmäßig durchgeführt (vgl. Runderlaß vom 15. Oktober 1964 - Dienstblatt Ausgabe A Nr. 55 - unter 2.42).
Wenn sie vordem zeitweilig eine andere Verwaltungspraxis geübt haben sollte, ergibt sich für den Kläger daraus kein Anspruch auf eine von den gesetzlichen Vorschriften abweichende Behandlung (vgl. BSG 7, 75 ff; BSG 11, 86 ff).
Der Anspruch auf Schlechtwettergeld ist mithin nicht gerechtfertigt. Die Revision des Klägers mußte deshalb zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 926698 |
BSGE, 153 |