Entscheidungsstichwort (Thema)
Ruhensberechnung bei Zusammentreffen mehrerer Zurechnungszeiten
Leitsatz (amtlich)
Treffen zwei jeweils Zurechnungszeiten enthaltende Renten aus der Rentenversicherung und zumindest eine hiervon mit einer zweckgleichen Rente aus der Unfallversicherung zusammen, ruht nur die Rente aus der Rentenversicherung mit der im Auszahlungsbetrag effektiv (wirtschaftlich) ungünstigeren Zurechnungszeit insoweit (Fortführung von BSG vom 12.7.1988 4/11a RA 78/87 = BSGE 63, 293 = SozR 2200 § 1280 Nr 3).
Normenkette
AVG § 57 Abs 1; RVO § 1280 Abs 1; AVG § 57 Abs 4, § 56 Abs 1, § 55 Abs 1; RVO § 1280 Abs 4, § 1279 Abs 1, § 1278 Abs 1
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 26.07.1989; Aktenzeichen L 1 An 199/87) |
SG Stade (Entscheidung vom 27.07.1987; Aktenzeichen S 4 An 66/86) |
Tatbestand
Streitig ist die Höhe einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU).
Die im Juli 1940 geborene Klägerin ist die Witwe des im Dezember 1932 geborenen S K (S. K.), der im Juli 1969 durch einen Arbeitsunfall zu Tode kam. Die Berufsgenossenschaft (BG) der Gas- und Wasserwerke gewährt ihr deswegen eine Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung (UV), die im Jahre 1985 jährlich 16.166,40 DM betrug. Die Landesversicherungsanstalt (LVA) Oberbayern gewährt ihr Witwenrente aus der Rentenversicherung (RV) ihres verstorbenen Ehemannes, bei deren Berechnung ab August 1985 ua eine auf ihn bezogene Zurechnungszeit von 221 Monaten berücksichtigt ist. Der Jahresbetrag dieser Rente belief sich 1985 auf 10.655.94 DM, worin die Zurechnungszeit mit einem anteiligen Wert von 4.867,53 DM enthalten ist. Darüber hinaus gewährt die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) der Klägerin aufgrund eines im Mai 1982 eingetretenen Versicherungsfalls Rente wegen EU, die zunächst auf Zeit (Bescheid 1 vom 22. April 1985) und seit September 1985 auf Dauer bewilligt wurde (streitiger Bescheid 2 vom 24. April 1986). Die BfA setzte den Jahresbetrag (1985) dieser Rente auf 1.867,23 DM fest, weil die Rente wegen EU in Höhe von 4.462,06 DM jährlich, dh des anteiligen Wertes der - hier auf die Klägerin bezogenen - Zurechnungszeit von 158 Monaten an der jährlichen Gesamtrente von 6.329,29 DM, gemäß § 57 Abs 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) ruhe. Denn die Zurechnungszeit, welche die LVA bei der Witwenrente der Klägerin aus der Arbeiterrentenversicherung mit einem Wert von jährlich 4.867,53 DM anrechne, sei für die Klägerin günstiger, auch wenn die Witwenrente aus der RV wegen des Zusammentreffens mit der von der BG gewährten Witwenrente aus der UV nach § 56 Abs 1 AVG in einem Umfang ruhe, daß sich die - an sich günstigere - Zurechnungszeit dort nicht rentensteigernd auswirke.
Das Sozialgericht (SG) Stade hat die auf Gewährung einer höheren Rente wegen EU unter Anrechnung der Zurechnungszeit von 158 Monaten gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 27. Juni 1987). Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat auf die Berufung der Klägerin dieses Urteil, den streitigen Bescheid 2) und den während des Berufungsverfahrens ergangenen Bescheid 3) vom 11. Februar 1988, in dem die Rücknahme des streitigen Bescheides 2) abgelehnt worden war, aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Rente der Klägerin unter Berücksichtigung einer Zurechnungszeit von 158 Monaten neu festzustellen (Urteil vom 26. Juli 1989). Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die vom Bundessozialgericht (BSG - Urteil des erkennenden Senats vom 12. Juli 1988, BSGE 63, 293 = SozR 2200 § 1280 Nr 3) dargelegte Rechtsauffassung, daß bei der Ermittlung der für den Berechtigten günstigeren Zurechnungszeit iS von § 57 AVG auch die Ruhensberechnung nach § 55 Abs 1 AVG mit einzubeziehen sei, müsse auch für den vorliegenden Fall gelten, in dem zwei der drei Renten der Klägerin aus der Sozialversicherung Hinterbliebenenrenten seien und der Bezug der Witwenrente aus der UV teilweise zum Ruhen der Witwenrente aus der RV führe. Zwar sei die auf die Witwenrente aus der RV entfallende Zurechnungszeit mit dem Wert von 4.867,53 DM an sich günstiger als der Wert der Zurechnungszeit in der Rente wegen EU von 4.462,06 DM. Unter Einbeziehung der das Zusammentreffen der Witwenrente aus der UV und der RV regelnden Ruhensbestimmung des § 1279 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ergebe sich jedoch etwas anderes. Beide Witwenrenten zusammen dürften nur mit einem Höchstbetrag von 19.399,33 DM ausgezahlt werden, so daß die Witwenrente aus der RV ruhe, soweit sie zusammen mit der voll auszuzahlenden Witwenrente aus der UV (16.166,40 DM) diesen Höchstbetrag übersteige, also mehr als 3.232,93 DM betrage. Bei einer Jahreswitwenrente aus der RV von 10.655,94 DM unter Einschluß der Zurechnungszeit von 221 Monaten mit dem Wert 4.867,53 DM zeige sich, daß es für den Zahlbetrag dieser Witwenrente unerheblich sei, ob sie mit oder ohne Zurechnungszeit berechnet werde. Demgegenüber wirke sich die Nichtberücksichtigung der Zurechnungszeit von 158 Monaten bei der Rente wegen EU aus eigener Versicherung der Klägerin im Umfang von 4.462,06 DM rentenmindernd aus. Dies sei mit § 57 Abs 1 AVG nicht vereinbar, nach dem die für den Berechtigten "günstigere" Zurechnungszeit nur eine solche sein könne, die zu einem höheren Auszahlungsbetrag führe.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 56, 57 AVG. Sie trägt vor, es treffe zwar zu, daß das geltende Recht keine Regelung darüber enthalte, in welcher Reihenfolge die §§ 56 Abs 1 Satz 1, 57 Abs 1 AVG anzuwenden seien. Aus dem äußeren Merkmal der Reihenfolge der Vorschriften könne nicht auf eine Systematik des Gesetzes geschlossen werden. Das Berufungsgericht habe sich auf das "Meistbegünstigungsprinzip" gestützt, das im Gesetz keine Grundlage habe. Bei der vom LSG gewählten Berechnungsart finde § 57 Abs 1 AVG letztlich überhaupt keine Anwendung, so daß sowohl in der Witwenrente als auch in der Versichertenrente eine Zurechnungszeit enthalten sei. Seit dem Inkrafttreten der Vorschriften über die Erstattungsansprüche zwischen den Leistungsträgern im Zehnten Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) sei zwingend, daß § 57 Abs 1 AVG vor § 56 Abs 1 Satz 1 AVG angewandt werden müsse, ohne daß es auf eine Meistbegünstigung des Berechtigten ankomme. Regelmäßig leiste in den Fällen des § 56 Abs 1 Satz 1 AVG der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung gegenüber dem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung vor. Dabei müsse der vorleistende Träger der Rentenversicherung seine Leistung unter Anwendung des § 57 Abs 1 AVG erbringen, könne aber Erstattung von dem Träger der Unfallversicherung in dem Umfang verlangen, in dem nach § 56 Abs 1 Satz 1 AVG die Witwenrente aus der RV ruhe. Im vorliegenden Fall beliefe sich der Erstattungsanspruch der LVA bei richtiger Anwendung der §§ 57, 56 AVG auf 7.423,01 DM im Jahresbetrag, während die BG nach der vom LSG gewählten Berechnungsweise nur 2.555,58 DM zu erstatten habe. Der Rechtsauffassung des erkennenden Senats im Urteil vom 12. Juli 1988 (BSG SozR 2200 § 1280 Nr 3), es sei nach dem Prinzip der den Versicherten möglichst schonenden Rentenkürzung zu verfahren, könne nicht gefolgt werden, weil das Gesetz ein auf das Endergebnis abzielendes "Meistbegünstigungsprinzip" nicht enthalte (Hinweis auf VDR-Verbandskommentar, 6. Aufl, Anm 6 und 9 zu § 1278 RVO). Die §§ 55 Abs 1 Satz 1 und 2, 56 Abs 1 Satz 1 AVG enthielten lediglich eine "Mindestgarantie", die für die Reihenfolge der Anwendung verschiedener Ruhensvorschriften nichts hergebe. Auch das Rentenreformgesetz (RRG) 1992 enthalte kein Meistbegünstigungsprinzip. Gegen dessen Anwendung sprächen auch erhebliche verwaltungstechnische Probleme. Denn bei jeder Anpassung der Rente wäre von Neuem zu prüfen, in welcher der beiden Renten die Zurechnungszeit zu ruhen habe. Dafür müßten diese Renten aus dem Anpassungsverfahren durch die Deutsche Bundespost herausgenommen und vom jeweils zuständigen Rentenversicherungsträger wie bei der erstmaligen Rentenfeststellung behandelt werden. Das widerspreche dem durch das Rentenanpassungsgesetz 1982 (RAG 1982) aufgehobenen § 59 Abs 2 AVG, nach dem eine einmal als die ungünstigere qualifizierte Zurechnungszeit die ungünstigere blieb.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 27. Juli 1987 zurückzuweisen, hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht durch einen beim BSG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat richtig entschieden, daß der Klägerin Rente wegen EU unter Anrechnung einer Zurechnungszeit von 158 Monaten zu zahlen ist.
Gemäß § 57 Abs 1 und 4 AVG (= § 1280 Abs 1 und 4 RVO) wird, wenn eine Rente aus eigener Versicherung ua mit einer Witwenrente aus der RV der Arbeiter zusammentrifft, von zwei Zurechnungszeiten (§ 37 AVG) nur die für den Berechtigten günstigere angerechnet; die Rente, bei der die Zurechnungszeit nicht berücksichtigt wird, ruht insoweit (Abs 1 Halbs 2 aaO). Keiner Darlegung bedarf, daß die Klägerin aus eigener Versicherung Anspruch auf Rente wegen EU gegen die Beklagte und Anspruch auf Witwenrente aus der Versicherung des S. K. gegen die LVA hat, daß in beiden Rentenansprüchen Zurechnungszeiten enthalten sind und daß der letztgenannte Anspruch wegen seines Zusammentreffens mit der - worauf zurückzukommen ist - zweckgleichen Witwenrente aus der UV nach § 1279 Abs 1 RVO (= § 56 Abs 1 AVG) in Höhe des jährlich 3.232,93 DM übersteigenden Betrages nicht auszuzahlen ist. Nach dieser Vorschrift (Satz 1 aaO) ruht nämlich eine Witwenrente aus der RV der Arbeiter, die mit einer Witwenrente aus der gesetzlichen UV zusammentrifft, insoweit, als sie zusammen mit der Rente aus der UV sechs Zehntel der Rentenbezüge übersteigt, die dem Verstorbenen zur Zeit seines Todes als Vollrente aus der gesetzlichen UV und als Rente wegen EU aus der RV der Arbeiter - ohne Kinderzulage und ohne Kinderzuschuß - zugestanden hätte, wenn er zu diesem Zeitpunkt erwerbsunfähig gewesen wäre. Nach den mit zulässigen und begründeten Revisionsgründen nicht angegriffenen und darum den Senat bindenden (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG) tatsächlichen Feststellungen des LSG beträgt der Grenzwert für beide Witwenrenten jährlich 19.399,33 DM, die voll auszuzahlende Witwenrente aus der UV jährlich 16.166,40 DM und somit der jährlich - nicht ruhende - Anspruch auf Witwenrente aus der RV der Arbeiter 3.232,93 DM. Bei dieser Sachlage hängt die Antwort auf die Frage, ob die Rente wegen EU, die der Klägerin aus eigener Versicherung in der RV der Angestellten zusteht, in Höhe des Wertes ihrer Zurechnungszeit von 158 Monaten ruht, davon ab, ob diese Zurechnungszeit als die "für die Berechtigte günstigere" (§ 57 Abs 1 Halbs 1 AVG) anzurechnen ist oder die in ihrem Witwenrentenanspruch aus der RV der Arbeiter enthaltene, auf S. K. bezogene von 221 Monaten. Der Rechtsauffassung des LSG ist beizupflichten, daß die Zurechnungszeit von 158 Monaten iS von § 57 Abs 1 AVG für die Berechtigte (nämlich die Klägerin) günstiger ist.
In einem in wesentlicher Hinsicht gleichgelagerten Fall hat der erkennende Senat bereits entschieden (BSGE 63, 293, 296 ff = SozR 2200 § 1280 Nr 3), daß die "Begünstigungsregel" des § 57 Abs 1 AVG im Blick auf die Günstigkeit der Zurechnungszeiten für den Berechtigten nicht auf irgendein Zwischenergebnis bei der Berechnung seiner Rentenansprüche, sondern auf das Endergebnis, die Gesamtleistung, dh auf den Auszahlungsbetrag abhebt, der sich nach Anwendung der Ruhensvorschriften ergibt, die nach dem Prinzip der den Versicherten möglichst schonenden Rentenkürzung anzuwenden sind. Ebenso wie damals kann auch im hier zu entscheidenden Fall nur auf dieser Grundlage das gesetzwidrige Ergebnis vermieden werden, daß ein Versicherter mit Anspruch auf drei Renten insgesamt weniger ausbezahlt erhält als mit Anspruch nur auf zwei dieser Renten: Die Klägerin bezöge (Jahresbetrag für 1985) ohne die Witwenrente aus der RV der Arbeiter 22.495,69 DM, mit ihr (also mit drei Renten) aber nur 21.266,56 DM.
An dieser Rechtsprechung hält der Senat nach erneuter Prüfung der von der Beklagten vorgetragenen Bedenken aus folgenden Gründen fest:
Nach Rechtsnatur und Normzweck des § 57 Abs 1 AVG kann "die für den Berechtigten günstigere" Zurechnungszeit nur diejenige sein, die - vor Eintreten des Ruhens nach dieser Vorschrift, welche die Feststellung der "günstigeren" Zurechnungszeit gerade tatbestandlich voraussetzt - mit dem höheren Betrag an den Berechtigten auszuzahlen ist. § 57 Abs 1 AVG regelt nämlich als Ruhensbestimmung nicht die Zusammensetzung und Berechnung der beiden Rentenansprüche aus der RV (vgl BSG SozR Nr 27 zu Art 2 § 42 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - ArVNG), sondern nur die Auszahlung einer der beiden Renten, die zT nicht ausgezahlt werden darf. Das Ruhen vernichtet also insoweit nur den Anspruch des Berechtigten auf Auszahlung einer der jeweils fälligen Rentenleistungen, ohne das Stammrecht und den nicht ruhenden Teil dieses Rentenanspruchs oder gar den Anspruch mit der günstigeren Zurechnungszeit einzuschränken (vgl BSG -GS- E 33, 280, 286; BSG VdK-Mitt 1986, Nrn 9, 36 f; BSG Der VersorgB 1960, 6). Dieses Auszahlungsverbot greift somit erst dann ein, wenn die Rentenzahlbeträge beider Renten aus der RV festgestellt sind und durch Gegenüberstellung dieser Beträge mit den jeweils ohne Berücksichtigung einer Zurechnungszeit zu leistenden Renten ermittelt ist, welche Zurechnungszeit den höheren wirtschaftlichen Wert "für den Berechtigten" hat (vgl schon BSG SozEntsch 5 § 1280 Nr 2; BSG Urteil vom 28. September 1967 - 12 RJ 40/65 -; BSGE 63, 293, 295 = SozR 2200 § 1280 Nr 3). Nach dem Zweck des § 57 Abs 1 AVG muß ihm dieser ungeschmälert zugute kommen. Die Vorschrift soll nämlich die Versichertengemeinschaft(en) in der RV vor einer Doppelbelastung infolge zweifacher Anrechnung von - beitragslosen - Zurechnungszeiten schützen. Nicht bezweckt ist, dem Berechtigten die Rechtswohltat einer Zurechnungszeit - im Sinne des schonendsten Ausgleichs der beiderseitigen Interessen: der für ihn günstigeren - ganz oder teilweise zu nehmen. Denn Sinn der Zurechnungszeiten ist, dem Versicherten oder Hinterbliebenen eine, gemessen an dem Wert der früher entrichteten Beiträge (§ 32a Abs 4 AVG), ausreichende Lebensgrundlage zu gewährleisten, wenn hinreichende Vorsorge durch eigene RV-Beiträge wegen frühzeitigen Versicherungsfalls nicht möglich war (stellv. Schulin, Sozialrecht, 3. Aufl 1989, S 216). Dafür kommt es auf den Zahlbetrag der Rente aus der RV an, also auf das Gesamtergebnis der Rentenberechnung, nicht auf bloße Berechnungselemente oder Zwischenergebnisse (vgl schon BSG SozR Nr 15 zu § 1268 RVO; BSG Urteil vom 27. Februar 1990 - 5 RJ 59/88 - zu Art 2 § 55 Abs 2 Satz 1 ArVNG, zur Veröffentlichung vorgesehen). Auf diese Weise gewährleistet § 57 Abs 1 AVG, daß der Berechtigte im Endergebnis beim Zusammentreffen zweier RV-Renten mit Zurechnungszeiten die Rente mit der für ihn wirtschaftlich wertvolleren Zurechnungszeit vollständig und darüber hinaus jedenfalls mehr als nur eine Rente erhält.
Außerhalb der Regelungsthematik, des sachlichen Anwendungsbereichs, des § 57 Abs 1 AVG (Schutz der RV vor Doppelbelastung mit beitragslosen Zeiten, Garantie des Wertzuflusses der günstigeren Zurechnungszeit) liegt, ob der in die Vergleichsberechnung nach dieser Vorschrift einzustellende Betrag einer der beiden Rentenansprüche aus der RV infolge des Zusammentreffens mit einer zweckgleichen Verletzten- oder Hinterbliebenenrente aus der UV gemäß den Ruhensvorschriften der §§ 55, 56 AVG niedriger ist, als er es ohne den Bezug der UV-Rente wäre. Denn diese Auszahlungsverbote dienen einem anderen Zweck, nämlich der Vermeidung einer Überversorgung des Berechtigten, der funktionsgleiche Leistungen aus zwei Versicherungszweigen (§ 1 Abs 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IV) erhält, sowie der sachgerechten Verteilung der Versicherungslast zwischen den Trägern der beiden Versicherungszweige. Sind bei einem Versicherten ein Versicherungsfall der UV und einer der RV eingetreten und entgeht ihm bzw einem Hinterbliebenen deswegen Erwerbseinkommen (§ 55 AVG) oder ein Unterhaltsanspruch (§ 56 AVG), sollen diese Ruhensbestimmungen - typisierend und pauschalierend - verhindern, daß das Gesamtrenteneinkommen höher ist als der durch die Versicherungsfälle entstandene Bedarf (vgl schon BSG SozR Nr 14 zu § 1278 RVO). Wegen der spezifischen Einstandspflicht der UV für unfallbedingte Bedarfslagen hat dann der UV-Träger in vollem Umfang zu leisten, während der RV-Träger nur bis zu der - in den §§ 55, 56 AVG im einzelnen und unterschiedlich ausgestalteten - Überversorgungsgrenze hinzuleisten muß, aber den sie übersteigenden Betrag der RV-Rente nicht auszahlen darf. Dieses Auszahlungsverbot greift somit überhaupt nur ein, wenn durch das Zusammentreffen einer RV-Rente mit einer zweckgleichen UV-Rente eine Überversorgung droht. Soweit die RV-Rente die Überversorgungsgrenze nicht überschreitet, bleibt der RV-Rentenanspruch des Berechtigten gewährleistet. Zugleich garantieren auch diese Ruhensbestimmungen dem Berechtigten, daß er aus zwei zweckgleichen Renten, je einer aus der UV und aus der RV, im Gesamtergebnis mehr erhält als nur eine Rente.
Angesichts dieser Rechtslage ist die Folgerung zwingend, daß es dem Gesetz widerspricht, einem Berechtigten mit Anspruch auf drei Renten aus zwei Versicherungszweigen durch Anwendung dieser zweckverschiedenen Ruhensbestimmungen (§ 57 und §§ 55, 56 AVG) insgesamt weniger auszuzahlen, als wenn er Anspruch nur auf zwei Renten hätte. Das widerstreitet dem - wie aufgezeigt - im Gesetz angelegten Grundsatz der den Berechtigten möglichst schonenden Rentenkürzung.
Entgegen der Ansicht der Beklagten handelt es sich hierbei nicht um eine "Meistbegünstigungsregel", sondern vielmehr um eine Mindestgarantie. Sie verhindert eine vollständige und entschädigungslose Entziehung des wirtschaftlichen Wertes eines Rentenanspruchs ohne eine hierfür hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage (Art 14 Abs 1 und Abs 3 des Grundgesetzes - GG; § 31 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I). Deshalb sind beide Ruhensvorschriften unter strenger Begrenzung auf ihren jeweiligen Zweck - wie der Senat (BSGE 63, 293, 296 = SozR 2200 § 1280 Nr 3) entschieden hat - nicht in einer bestimmten Reihenfolge, sondern nebeneinander so in das Verfahren zur Feststellung des Auszahlungsbetrages einzubeziehen, daß dem Berechtigten aus jedem Rentenanspruch aus der RV - die Rente aus der UV wird vollständig ausgezahlt - wenigstens der Betrag zufließt, der ihm nach dem Garantiegehalt der jeweiligen Ruhensnorm wirtschaftlich zufließen soll. Es sind also "beide Berechnungswege" (so der Senat aaO) zu beschreiten.
Das bedeutet für die Anwendung des § 57 Abs 1 AVG beim Zusammentreffen zweier RV-Renten mit Zurechnungszeiten und funktionsgleichen UV-Renten, daß zur tatbestandlichen Feststellung der "für den Berechtigten günstigeren" Zurechnungszeit wie folgt vorzugehen ist:
Zunächst ist die "an sich", dh ohne Anwendung der §§ 55, 56 AVG günstigere Zurechnungszeit in der oben beschriebenen Weise festzustellen (Gegenüberstellung der jeweiligen Renten mit und ohne Zurechnungszeit; günstiger ist der höhere Differenzbetrag). Ist die günstigere Zurechnungszeit in der Rente enthalten, die nicht mit einer UV-Rente zusammentrifft, wird nur sie angerechnet und ausgezahlt. Die in der anderen RV-Rente enthaltene ungünstigere Zurechnungszeit wird nicht angerechnet und geht in den Abgleich mit der UV-Rente nach §§ 55, 56 AVG nicht ein. Der Berechtigte erhält eine RV-Rente mit dem vollen Wert der günstigeren Zurechnungszeit und den unter der og Überversorgungsgrenze liegenden (Teil-)Betrag der anderen Rente.
Ist hingegen - wie im vorliegenden Fall - die "an sich" günstigere Zurechnungszeit in der RV-Rente enthalten, die mit einer UV-Rente zusammentrifft, muß sodann im Wege der Zunächstberechnung in zwei Schritten geprüft werden, ob sie "im Endergebnis", dh im Auszahlungsbetrag, für den Berechtigten günstiger ist: Erstens ist der anteilige Wert der Zurechnungszeit am Auszahlungsbetrag der nach §§ 55, 56 AVG fiktiv gekürzten RV-Rente zu berechnen. Er ergibt sich grundsätzlich dadurch, daß die RV-Rente einmal mit der "an sich" günstigeren Zurechnungszeit der (fiktiven) Kürzung nach §§ 55, 56 AVG unterworfen wird, zum anderen dieselbe Berechnung ohne eine Zurechnungszeit durchgeführt wird. Die Differenz zwischen den Auszahlungsbeträgen ist der effektive wirtschaftliche Wert der "an sich" günstigeren Zeit "für den Berechtigten". Von dieser Gegenüberstellung kann ausnahmsweise - wie im vorliegenden Fall vom LSG zu Recht angenommen - abgesehen werden, wenn der Auszahlungsbetrag der nach §§ 55, 56 AVG (fiktiv) gekürzten RV-Rente schon trotz Anrechnung der "an sich" günstigeren Zurechnungszeit niedriger ist (hier: 3.232,93 DM) als der Wert der "an sich" ungünstigeren Zurechnungszeit (hier: 4.462,06 DM), weil der anteilige Wert der Zurechnungszeit an der nach §§ 55, 56 AVG (fiktiv) gekürzten Rente in jedem Fall niedriger ist als ihr Auszahlungsbetrag. Im zweiten Schritt ist der Anteilswert der Zurechnungszeit an dieser Rente mit dem Wert der "an sich" ungünstigeren Zurechnungszeit zu vergleichen; die höherwertige Zurechnungszeit ist die "für den Berechtigten günstigere" iS von § 57 Abs 1 Halbs 1 AVG. Sie fließt ihm - sei es in der nach §§ 55, 56 AVG gekürzten oder in der nach § 57 Abs 1 AVG nicht gekürzten RV-Rente - wirtschaftlich in vollem Umfang zu.
Erst jetzt, dh nach Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 57 Abs 1 Halbs 1 AVG, ist die "günstigere" Zurechnungszeit einer der beiden RV-Renten zugeordnet, deshalb mit ihrem "an sich"-Wert bei ihr anzurechnen und ggf in die effektive Kürzung nach §§ 55, 56 AVG einzubeziehen, dh, die RV-Rente mit der auf og Weise ermittelten effektiv günstigeren Zurechnungszeit wird entweder - wenn sie nicht mit einer UV-Rente zusammentrifft - voll ausgezahlt (§ 57 Abs 1 AVG) oder andernfalls nur in der nach §§ 55, 56 AVG gekürzten Höhe. Dadurch erhält der Berechtigte in jedem Fall aus drei Rentenansprüchen im Auszahlungsbetrag mehr, als wenn ihm nur zwei Renten zustünden, und jeweils dasjenige, was ihm nach "Wortlaut, Sinn und Normzweck" (so der Senat aaO) der Ruhensbestimmungen ungekürzt zufließen soll.
Die für die Klägerin effektiv günstigere Zurechnungszeit ist in ihrem Anspruch auf Rente wegen EU enthalten. Sie hat einen Wert von 4.462,06 DM, der über dem Auszahlungsbetrag (3.232,93 DM) der RV-Witwenrente nach fiktiver Anrechnung der "an sich" günstigeren Zurechnungszeit (4.867,53 DM) und fiktiver Kürzung dieser Rente gemäß § 56 Abs 1 Satz 1 AVG liegt und deshalb nach § 57 Abs 1 Halbs 1 AVG bei ihrer Rente wegen EU anzurechnen und auszuzahlen ist. Ihre RV-Witwenrente ist daher nach Halbs 2 aaO seit dem Zusammentreffen beider RV-Rentenansprüche mit der UV-Witwenrente für die Dauer der Gewährung der UV-Witwenrente ohne Anrechnung einer Zurechnungszeit von 221 Monaten zu berechnen und in die effektive Kürzung nach § 1279 Abs 1 Satz 1 RVO (= § 56 Abs 1 Satz 1 AVG) einzubeziehen. Dies wirkt sich - wie das LSG bindend (§ 163 SGG) festgestellt hat - auf den von der LVA bewilligten Auszahlungsbetrag der RV-Witwenrente nicht aus.
Die von der Beklagten mit der Revision vorgetragenen weiteren Bedenken gegen die Rechtsprechung des Senats greifen nicht durch:
Nicht nachvollziehbar ist, daß nach der hier dargelegten Rechtsauffassung § 57 Abs 1 AVG "letztlich überhaupt nicht" angewendet wird. Vielmehr ist gemäß dieser Vorschrift eine der beiden Zurechnungszeiten nicht "anzurechnen", nämlich die in der RV-Witwenrente an sich enthaltene, aber effektiv für die Klägerin ungünstigere. Folgerichtig kann ein ggf im Verhältnis zum Träger der UV vorleistender RV-Leistungsträger, sobald die in der von ihm zu zahlenden RV-Rente enthaltene Zurechnungszeit nach § 57 Abs 1 AVG (= § 1280 Abs 1 RVO) nicht (mehr) anzurechnen ist, die Rente also insoweit ruht, Erstattung vom UV-Leistungsträger nur noch in der Höhe verlangen, in der die RV-Rente ohne Zurechnungszeit die Überversorgungsgrenze übersteigt und deswegen nach §§ 55, 56 AVG (= §§ 1278, 1279 RVO) insoweit ruht. Schließlich sind "erhebliche verwaltungstechnische Probleme", insbesondere die Notwendigkeit einer Herausnahme dieser Renten aus dem Anpassungsverfahren der Deutschen Bundespost, nicht gegeben: Das Hinzutreten einer UV-Rente (iS der §§ 55, 56 AVG) zu zwei RV-Renten mit Zurechnungszeiten (iS von § 57 AVG) oder - wie im vorliegenden Fall - dasjenige einer RV-Rente mit Zurechnungszeit zu einer anderen RV-Rente mit Zurechnungszeit und einer UV-Rente ist im Blick auf die bewilligten RV-Renten jeweils ein Neufeststellungsgrund iS von § 48 Abs 1 SGB X, der einen einmaligen Bearbeitungsvorgang auslöst, der sich nicht von dem Verwaltungsaufwand unterscheidet, den der (oder die, § 57 Abs 4 AVG) RV-Träger hätte(n), wenn alle Rentenansprüche zeitgleich entstanden wären. Hinsichtlich später folgender Rentenanpassung findet ein neuer Vergleich der Günstigkeit der Zurechnungszeiten nicht statt (BSG SozR 2200 § 1280 Nr 2 S 8 f zum Ruhen von Waisenrenten nach § 57 Abs 2 AVG), zumal - wie die Beklagte richtig ausführt - ein sog "Kippen" der Renten seit Aufhebung des § 59 Abs 2 AVG (vgl Art 2 § 22 Abs 3b des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - AnVNG) durch Rentenanpassungen nicht eintreten kann.
Mit ihrem Hilfsantrag konnte die Beklagte keinen Erfolg haben, weil die LVA und die BG iS von § 75 Abs 2 Regelung 1 SGG nicht notwendig beizuladen waren. Denn sie sind an dem hier allein streitigen Leistungsrechtsverhältnis nicht beteiligt (vgl BSG SozR 1500 § 75 Nr 71 S 83f).
Nach alledem war die Revision der Beklagten gegen das im Ergebnis zutreffende Urteil des Berufungsgerichts zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen