Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersatzkassenmitgliedschaft. Beendigung. Doppelmitgliedschaft. Zuständige Einzugsstelle. Allgemeine Ortskrankenkasse oder Ersatzkasse
Leitsatz (amtlich)
Tritt ein der Ersatzkasse freiwillig beigetretener, später bei ihr pflichtversicherter Student (§ 165 Abs 1 Nr 5 RVO) in ein Beschäftigungsverhältnis ein, so ist die Ersatzkasse die zuständige Einzugsstelle.
Orientierungssatz
1. Die durch freiwilligen Beitritt begründete Mitgliedschaft zu einer Ersatzkasse endet nur durch Ausschluß oder Austritt der Versicherten aus der Kasse (vergleiche §§ 511, 513 RVO).
2. Grundsätzlich unberührt von der Mitgliedschaft eines Versicherten bei einer Ersatzkasse entsteht aber mit der Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung kraft Gesetzes ein Pflichtversicherungs- und Mitgliedschaftsverhältnis bei der zuständigen Pflichtkrankenkasse. In einem solchen Fall muß der Versicherte, will er die für ihn nutzlose Doppelmitgliedschaft bei der Pflichtkrankenkasse und bei der Ersatzkasse vermeiden, von der Befreiung gemäß § 517 Abs 2 RVO Gebrauch machen und dadurch aus der Pflichtkrankenkasse ausscheiden (vergleiche BSG vom 6.12.1978 8 RK 3/78 = SozR 2200 § 517 Nr 13).
Normenkette
RVO § 517 Abs 1 Fassung: 1924-12-15, § 165 Abs 1 Nr 5 Fassung: 1975-06-24, § 517 Abs 2 Fassung: 1924-12-15, § 511 Fassung: 1980-08-18, § 513 Fassung: 1939-12-12
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 14.09.1983; Aktenzeichen L 4 Kr 106/81) |
SG Nürnberg (Entscheidung vom 22.10.1981; Aktenzeichen S 7 Kr 47/79) |
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden zu Recht die Gesamtsozialversicherungspflicht des Beigeladenen zu 3) in der Zeit zwischen dem 1. März 1976 und 30. September 1978 festgestellt und von der Klägerin nachträglich die Zahlung der für diese Zeit für den Beigeladenen zu 3) entstandenen Gesamtsozialversicherungsbeiträge gefordert hat.
Der Beigeladene zu 3) war seit Sommersemester 1975 an die Universität E.-N. als Student eingeschrieben. Vom 1. März 1976 an war er zugleich als Krankenpfleger bei den Städtischen Krankenanstalten N. beschäftigt. Die Arbeitszeit betrug zunächst 40 Wochenstunden; im ersten Halbjahr 1978 war sie zeitweise auf 35 Stunden wöchentlich festgelegt. Der Beigeladene zu 3) war während der Vorlesungszeiten an drei Wochentagen zwischen 18 Uhr und 6 Uhr beschäftigt. Die an der vereinbarten Arbeitszeit fehlenden Stunden hatte er während der Semesterferien nachgeholt.
Der Beigeladene zu 3) war seit 1974 als Versicherungsberechtigter Mitglied der Beigeladenen zu 4), die ihn ab 1. Oktober 1975 als versicherungspflichtigen Studenten führte. Die Beigeladene zu 4) hat dem Beigeladenen zu 3) eine Mitgliedsbescheinigung iS des § 518 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ausgestellt, die vom Beigeladenen zu 3) auch der Klägerin übergeben worden ist. Mit ihrem Schreiben an die Klägerin vom 7. Mai 1976 vertrat die Beigeladene zu 4) jedoch die Auffassung, der Beigeladene zu 3) sei in seinem Arbeitsverhältnis mit der Klägerin gemäß § 172 Abs 1 Nr 5 RVO versicherungsfrei; zugleich bat sie um Rückgabe der Mitgliedsbescheinigung; letzteres ist nicht erfolgt.
Die Klägerin entrichtete daraufhin zunächst keine Sozialversicherungsbeiträge für den Beigeladenen zu 3), von dem sie auch keine Arbeitnehmeranteile einbehielt.
Aufgrund der Ergebnisse einer im September/Oktober 1978 durchgeführten Betriebsprüfung stellte die Beklagte mit dem der Klägerin erteilten Bescheid vom 15. November 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. März 1979 die Versicherungs- und Beitragspflicht des Beigeladenen zu 3) in der Zeit vom 1. März 1976 bis zum 30. September 1978 fest; zugleich forderte sie rückständige Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 19.193,22 DM, die die Klägerin auch unter Vorbehalt gezahlt hat.
Auf seinen Antrag wurde der Beigeladene zu 3) mit Wirkung vom 1. Oktober 1978 von der Pflichtmitgliedschaft bei der Beklagten befreit; von diesem Zeitpunkt an zahlte die Klägerin die Gesamtsozialversicherungsbeiträge an die Beigeladene zu 4).
Das Sozialgericht (SG) Nürnberg hat mit Urteil vom 22. Oktober 1981 die Klage abgewiesen. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 14. September 1983 das erstinstanzliche Urteil und die angefochtenen Bescheide aufgehoben: Die Beklagte sei nicht Einzugsstelle gewesen, weil der Beigeladene zu 3) bereits bei Beginn des Beschäftigungsverhältnisses nach § 165 Abs 1 Nr 5 RVO pflichtversichertes Mitglied der Beigeladenen zu 4) gewesen sei und sich durch Vorlage einer entsprechenden Mitgliedsbescheinigung der Beigeladenen zu 4) bei der Klägerin ordnungsgemäß von der Pflichtmitgliedschaft zur Beklagten befreit habe. Dementsprechend sei die Beklagte auch nicht die zuständige Einzugsstelle gewesen.
Mit ihrer - vom erkennenden Senat zugelassenen - Revision wendet sich die Beklagte gegen das Berufungsurteil. Nicht die Beigeladene zu 4), sondern sie - die Beklagte - sei zur Feststellung der Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 3) in der streitigen Zeit zuständig gewesen. Dieser sei bei Beginn der Beschäftigung bei der Klägerin nicht wirksam von der Pflichtmitgliedschaft bei der Beklagten befreit worden. Insbesondere genüge die Bestätigung der Mitgliedschaft bei einer Ersatzkasse aufgrund einer studentischen Pflichtversicherung nicht zur Befreiung nach § 517 Abs 2 RVO.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 14. September 1983 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 22. Oktober 1981 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladenen zu 1) bis 4) haben im Revisionsverfahren keine Anträge gestellt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet; die angefochtenen Bescheide sind schon deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte nicht die zuständige Einzugsstelle gewesen ist.
In Übereinstimmung mit dem LSG ist davon auszugehen, daß der Beigeladene zu 3) während der gesamten streitigen Zeit Mitglied der Beigeladenen zu 4) war. Er ist im Jahre 1974 als Versicherungsberechtigter Mitglied der Beigeladenen zu 4) geworden. Diese Mitgliedschaft hat entgegen der von der Beklagten vertretenen Ansicht ununterbrochen und über das Ende der streitigen Zeit hinaus fortbestanden. Denn die durch Beitritt begründete Mitgliedschaft zu einer Ersatzkasse endet nur durch Ausschluß oder Austritt der Versicherten aus der Kasse (vgl §§ 511, 513 RVO). Insbesondere führt, wie bereits der 12. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in dem Urteil vom 17. März 1981 - 12 RK 18/80 - (SozR 2200 § 517 Nr 5) entschieden hat, weder der Erwerb oder der Verlust der Eigenschaft als versicherungspflichtig Beschäftigter noch das Ausscheiden aus der Krankenversicherungspflicht zB wegen Überschreitung der Versicherungspflichtgrenze zur Beendigung der Mitgliedschaft bei einer Ersatzkasse. Infolgedessen hat weder die Umstellung des Versicherungsverhältnisses des Beigeladenen zu 3) ab dem Sommersemester 1975 von der freiwilligen Mitgliedschaft in die studentische Pflichtversicherung noch die Aufnahme der versicherungspflichtigen Beschäftigung des Beigeladenen zu 3) am 1. März 1976 die Mitgliedschaft bei der Beigeladenen zu 4) beendet. Insofern unterscheidet sich dieser Fall auch von der dem Urteil des erkennenden Senats vom 28. Juni 1981 - 8 RK 18/81 - (SozR 2200 § 517 Nr 6) zugrunde liegenden Sachlage, wo die Mitgliedschaft bei der Ersatzkasse von vornherein durch die studentische Pflichtversicherung begründet worden war.
Grundsätzlich unberührt von der Mitgliedschaft eines Versicherten bei einer Ersatzkasse entsteht aber mit der Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung kraft Gesetzes ein Pflichtversicherungs- und Mitgliedschaftsverhältnis bei der zuständigen Pflichtkrankenkasse. In einem solchen Fall muß der Versicherte, will er die für ihn nutzlose Doppelmitgliedschaft bei der Pflichtkrankenkasse und bei der Ersatzkasse vermeiden, von der Befreiung gemäß § 517 Abs 2 RVO Gebrauch machen und dadurch aus der Pflichtkrankenkasse ausscheiden (s dazu ausführlich BSG SozR 2200 § 517 Nr 5 Seite 13).
Das Befreiungsverlangen des Doppelversicherten gemäß § 517 RVO ist eine einseitige, dem Arbeitgeber gegenüber abzugebende rechtsgestaltende Willenserklärung mit mehrfacher Wirkung: Der Arbeitgeber wird von der Meldepflicht bei der Pflichtkasse befreit. Legt der Versicherte dem Arbeitgeber eine Mitgliedsbescheinigung der Ersatzkasse zur Befreiung von der Mitgliedschaft von der Pflichtkasse vor (§ 517 Abs 2 RVO), so hat der Arbeitgeber nunmehr seine Arbeitgeberpflichten aus dem Sozialversicherungsverhältnis (s dazu im einzelnen BSGE 41, 297, 301 f) der Ersatzkasse gegenüber zu erfüllen. Mit der wirksamen Befreiungserklärung endet aber nicht nur die Mitgliedschaft zur Pflichtkasse, sondern auch deren Zuständigkeit als Einzugsstelle für die Entscheidung über die Versicherungspflicht und die Einziehung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge. Solange die Ersatzkasse den Arbeitgeber nicht gemäß § 521 RVO von dem Ausscheiden eines versicherungspflichtigen Mitgliedes unterrichtet, hat nur die Ersatzkasse die Funktion der Einzugsstelle.
Entstehen Zweifel über die Versicherungspflicht, so ist nicht die Pflichtkasse, sondern die Ersatzkasse die für die Entscheidung zuständige Einzugsstelle. Wie gerade der zur Entscheidung stehende Fall zeigt, kann bei Aufnahme einer grundsätzlich gesamt-sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung durch einen Studenten gemäß § 172 Abs 1 Nr 5 RVO, § 1228 Abs 1 Nr 3 RVO (= § 4 Abs 1 Nr 4 AVG) und gemäß § 169 AFG ausnahmsweise Versicherungs- und Beitragsfreiheit bestehen. Ob das der Fall ist, hängt von den Verhältnissen des Einzelfalles ab (BSG SozR 2200 § 172 Nr 14). Die Entscheidung über das Konkurrenzverhältnis der studentischen Krankenpflichtversicherung zur Krankenversicherungspflicht nach anderen Vorschriften hat daher die Ersatzkasse auch dann zu treffen, wenn der bei ihr versicherte Student eine möglicherweise versicherungspflichtige Beschäftigung aufnimmt und gegenüber dem Arbeitgeber von seinem Befreiungsrecht Gebrauch macht. Andernfalls würden gegensätzliche Entscheidungen der Ersatzkasse und der Pflichtkrankenkasse zumindest über die studentische Krankenversicherungspflicht möglich sein.
Mithin hatte nicht die Beklagte, sondern die Beigeladene zu 4) darüber zu entscheiden, ob der Beigeladenen zu 3) im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses bei der Klägerin krankenversicherungspflichtig war. Da die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Versicherungspflicht zur Rentenversicherung und zur Arbeitslosenversicherung an die Entscheidung über die Krankenversicherungspflicht gekoppelt ist, hat dies zur Folge, daß die Ersatzkasse auch über die Versicherungspflicht zu diesen Zweigen der Sozialversicherung zu befinden hat. Dementsprechend hatte die Beigeladene zu 4) als zuständige Einzugsstelle darüber zu entscheiden, ob das bei der Klägerin am 1. März 1976 begonnene Arbeitsverhältnis überhaupt eine versicherungspflichtige Beschäftigung gewesen ist oder ob diese Tätigkeit gemäß § 172 Abs 1 Nr 5 RVO, § 4 Abs 1 Nr 4 AVG und gemäß § 169 AFG versicherungsfrei war. Die Beigeladene zu 4) hat diese Entscheidung auch getroffen. Sie ist zunächst davon ausgegangen, der der Beigeladene zu 3) im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses bei der Klägerin nicht nach den vorgenannten Vorschriften versicherungsfrei war. Die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung ist in diesem Verfahren ebensowenig zu prüfen wie die Richtigkeit der von der Beigeladenen zu 4) im Schreiben vom 7. Mai 1976 an die Klägerin vertretenen abweichenden Rechtsauffassung, der Beigeladene zu 3) sei im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses bei der Klägerin nicht versicherungspflichtig. Weiter hat hier außer Betracht zu bleiben, ob die Beigeladene zu 4) die von ihr dem Beigeladenen zu 3) erteilte Mitgliedsbescheinigung überhaupt "zurückfordern" konnte und ob sie dies mit ihrem Schreiben vom 27. Mai 1976 auch wollte oder ob sie nicht letztlich nur die formlose Rückgabe dieser Bescheinigung deshalb für erforderlich gehalten hatte, weil sie nunmehr davon ausgegangen war, daß es im Hinblick auf die von ihr jetzt angenommene Versicherungsfreiheit gemäß § 172 Abs 1 Nr 5 RVO einer Befreiung des Beigeladenen zu 3) von einem Doppelversicherungsverhältnis überhaupt nicht bedurfte.
Die angefochtenen Bescheide sind daher allein deshalb rechtswidrig und aufzuheben, weil die Beklagte als nicht zuständiger Versicherungsträger entschieden hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen