Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung – 55-Jahres-Zugangsgrenze – verfassungskonforme Auslegung – Beantragung der Zulassung – Antrag auf Vorrat
Leitsatz (amtlich)
Die Vorschrift, daß eine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung nur bis zur Vollendung des 55. Lebensjahres möglich ist, ist dahin auszulegen, daß es ausreicht, wenn der Arzt sie bis zu diesem Zeitpunkt beantragt.
Stand: 25. Februar 2002
Normenkette
SGB V § 98 Abs. 2 Nr. 12; Ärzte-ZV § 25; GG Art. 20 Abs. 3, Art. 12 Abs. 1; Ärzte-ZV § 19 Abs. 1 S. 2
Beteiligte
Berufungsausschuß für Ärzte für den Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein |
1. AOK Rheinland – Die Gesundheitskasse |
4. Krankenkasse der rheinischen Landwirtschaft |
6. Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. |
7. Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e.V. |
2. Innungskrankenkasse Nordrhein |
3. Landesverband der Betriebskrankenkassen Nordrhein-Westfalen |
8. Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein |
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. September 2000 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird zurückgewiesen.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Zulassung des Klägers die 55-Jahres-Zugangsgrenze entgegensteht.
Der Kläger ist am 24. Februar 1943 geboren. Er hat die Berechtigung, die Gebietsbezeichnungen Innere Medizin sowie Physikalische und Rehabilitative Medizin zu führen. Früher lebte und arbeitete er in Rumänien, seit 1978 in der Bundesrepublik Deutschland. Hier war er bis zum April 1996 in verschiedenen Krankenhäusern und Arztpraxen tätig. Seitdem ist er arbeitslos. Vom 14. August 1997 bis zum 28. Januar 1998 war er aufgrund eines häuslichen Unfalls arbeitsunfähig. Danach – bis Mitte 1998 – bezog er erneut Arbeitslosengeld.
Mit seinem am 13. Februar 1998 eingegangenen Antrag auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung mit Vertragsarztsitz in R. zum 1. April 1998 trug er vor, nach seiner letzten Beschäftigung keine Anstellung für eine ärztliche Tätigkeit mehr gefunden zu haben. Er wolle nunmehr eine eigene Praxis gründen und dafür sein Vermögen einsetzen. Er habe eine Lebensversicherung mit einem Rückkaufswert von ca 98.000 DM sowie Barkapital von ca 50.000 DM. Er habe auch Beiträge zum Versorgungswerk für die Ärztealtersversorgung entrichtet. Bei seinen Vorsprachen in der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) sei ihm erklärt worden, er könne die Zulassung bis vor Vollendung des 55. Lebensjahres beantragen.
Der Zulassungsausschuß tagte am 27. Mai 1998. Er lehnte den Antrag des Klägers ab, weil er einen über 55 Jahre alten Arzt nicht mehr zulassen dürfe. Ein Härtefall, der eine Ausnahme rechtfertige, sei nicht gegeben (Bescheid vom 28. Juli 1998). Den Widerspruch des Klägers wies der beklagte Berufungsausschuß zurück (Bescheid vom 3. Dezember 1998). Er führte aus, für das Eingreifen der 55-Jahres-Zugangsgrenze sei der Zeitpunkt maßgebend, für den nach den Angaben des Antragstellers die Zulassung erfolgen solle. Diese habe der Kläger für den 1. April 1998 und damit für einen Zeitpunkt erst nach Vollendung seines 55. Lebensjahres beantragt. Eine Ausnahme wegen der unzutreffenden Auskunft der Verwaltungsangestellten komme nicht in Betracht, weil nur der Zulassungsausschuß selbst für Rechtsauskünfte zuständig sei. Eine unbillige Härte ergebe sich weder aus seiner Krankheit im Jahr 1997 noch aus seiner wirtschaftlichen Situation. Er habe eine ausreichende Altersrente ab dem 65. Lebensjahr zu erwarten. Bis dahin habe er eine genügende Lebensgrundlage aufgrund seiner Lebensversicherung und seines Barkapitals sowie aus Unterhaltsansprüchen gegen seine Ehefrau, die seit 1990 als Ärztin praktiziere und daraus erhebliche Einkünfte erziele.
Seine Klage ist beim Sozialgericht ohne Erfolg geblieben (Urteil vom 6. Oktober 1999). Das Landessozialgericht (LSG) hat Ermittlungen zu der wirtschaftlichen Situation des Klägers, dem Verlauf seiner Erkrankung sowie den Auskünften über die Frist für den Zulassungsantrag durchgeführt und sodann seine Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 20. September 2000). Zur Begründung hat es ausgeführt, für die 55-Jahres-Zugangsgrenze sei der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem die Zulassung erfolgen solle, also der Zeitpunkt, in dem alle Voraussetzungen der §§ 17, 18 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) vorlägen und der Antragsteller zur Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit bereit sei. Der Kläger habe seine Bereitschaft erst zum 1. April 1998 erklärt, mithin für einen Zeitpunkt, in dem er die Altersgrenze bereits überschritten habe. Sein Begehren sei auch dann erfolglos, falls die Verwaltungsangestellte der KÄV eine Antragstellung bis vor Vollendung des 55. Lebensjahres für ausreichend erklärt habe. Das Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sei im Vertragsarztrecht nicht anwendbar, könne überdies einen Mangel der vorliegenden Art ohnehin nicht unschädlich machen. Auch eine unbillige Härte iS des § 25 Satz 2 Ärzte-ZV sei nicht gegeben. Denn er habe für die Zeit ab Vollendung des 65. Lebensjahres ausreichende Altersrenten in Aussicht, nämlich sowohl aus der Ärzteversorgung als auch – nach Durchführung des Versorgungsausgleichs – von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. Für seinen derzeitigen Unterhalt sei er auf die im Scheidungsverfahren geltend gemachten Ausgleichszahlungen und den Rückkauf seiner Lebensversicherung zu verweisen, der ihm monatliche Entnahmen von mindestens ca 4.000 DM bis zur Vollendung seines 65. Lebensjahres bringen könne. Der Anerkennung einer unbilligen Härte stehe jedenfalls entgegen, daß er die Zulassung ohne weiteres hätte früher beantragen und die vertragsärztliche Tätigkeit noch vor Vollendung des 55. Lebensjahres hätte aufnehmen können. Dies hätte er bereits seit Beginn seiner Arbeitslosigkeit im Mai 1996 betreiben können, auch während der ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit, wie die in dieser Zeit dokumentierten Bemühungen – zB um Praxisübernahmen – zeigten.
Mit seiner Revision rügt der Kläger, § 25 Ärzte-ZV sei falsch ausgelegt und angewendet worden. Ohne Bedeutung sei, daß er für die Aufnahme seiner vertragsärztlichen Tätigkeit den 1. April 1998 und damit einen Zeitpunkt erst nach Vollendung seines 55. Lebensjahres angegeben habe. Eine Pflicht, bei der Antragstellung ein Datum für den Beginn seiner Kassenarzttätigkeit anzugeben, bestehe nach den Regelungen der §§ 17 bis 25 Ärzte-ZV nicht. Der Arzt könne im Regelfall einen solchen Zeitpunkt auch noch gar nicht benennen. Er wisse nicht, ob und wann er zugelassen werde, zumal die Sitzungstermine der Zulassungsgremien nicht regelmäßig stattfänden. Erst nach Erhalt der Zulassung könne er vernünftigerweise abschließend Praxisräume anmieten und ausstatten sowie Personal anstellen. Dementsprechend habe nach § 19 Abs 2 Ärzte-ZV der Zulassungsausschuß seinerseits den Zeitpunkt der Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit festzusetzen, wodurch auch Zulassungsanträgen auf Vorrat entgegengewirkt werde. Jeder Antrag vor Vollendung des 55. Lebensjahres sei als rechtzeitig anzusehen. Er – der Kläger – sei auf eine Erwerbstätigkeit angewiesen. Er könne derzeit nur die Mindestbeiträge zum Versorgungswerk leisten und erhalte dann nur eine Altersrente von 2.800 DM, womit er seinen bisherigen Lebensstandard nicht weiterführen könne. Schließlich habe das LSG den Erlös aus einem Rückkauf seiner Lebensversicherung mit monatlich 4.000 DM zu hoch berechnet.
Der Kläger beantragt,
Der Beklagte und die Beigeladenen zu 2., 3. und 8. (Innungskrankenkasse Nordrhein, Landesverband der Betriebskrankenkassen Nordrhein-Westfalen und Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein) beantragen,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie verteidigen das Urteil des LSG. Es habe entgegen der Ansicht des Klägers nicht die Forderung aufgestellt, der Zulassungsbewerber müsse einen Zeitpunkt für die Aufnahme seines Praxisbetriebs bestimmen. Es habe nur darauf abgehoben, daß der Kläger im vorliegenden Fall einen solchen Zeitpunkt angegeben habe, und daraus gefolgert, zum früheren Tätigkeitsbeginn sei er nicht bereit gewesen, so daß er nicht mehr habe zugelassen werden dürfen. Dies werde der Regelung des § 25 Ärzte-ZV gerecht, die auf die Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit und nicht auf den Zeitpunkt der Antragstellung abstelle. Die Regelungen des § 98 Abs 2 Nr 12 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) und des § 25 Ärzte-ZV normierten gerade keine Antragsfrist, sondern stellten auf die Zulassung ab. Im übrigen habe der Kläger den Zeitpunkt der Aufnahme seines Praxisbetriebs in der Verhandlung vor dem Zulassungsausschuß nochmals vom 1. April auf den 1. Juli 1998 verschoben, was zusätzlich zeige, daß er die vertragsärztliche Tätigkeit nicht vor Vollendung seines 55. Lebensjahres habe aufnehmen wollen.
Die übrigen Beteiligten haben sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers hat gemäß seinem Hilfsantrag iS der Zurückverweisung der Sache an das LSG Erfolg. Seinem Begehren auf Verpflichtung des Beklagten, ihn zur vertragsärztlichen Versorgung zuzulassen, hat der Senat nicht entsprechen können, weil zu weiteren Zulassungsvoraussetzungen, die im Berufungsurteil nicht erörtert worden sind, noch Tatsachenfeststellungen des LSG erforderlich sind. Die 55-Jahres-Zugangsgrenze des § 98 Abs 2 Nr 12 SGB V iVm § 25 Ärzte-ZV hindert – entgegen der Auffassung der Vorinstanzen und des Beklagten – die Zulassung des Klägers nicht. Denn diese Altersgrenze ist nach einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechenden Auslegung durch den vor Vollendung seines 55. Lebensjahres gestellten Antrag gewahrt worden.
Nach § 98 Abs 2 Nr 12 SGB V müssen die Zulassungsverordnungen Vorschriften über den Ausschluß einer Zulassung von Ärzten enthalten, die das 55. Lebensjahr vollendet haben und die Voraussetzungen für Ausnahmen von diesem Grundsatz festlegen. Gemäß § 25 Ärzte-ZV ist die Zulassung eines Arztes, der das 55. Lebensjahr vollendet hat, ausgeschlossen (Satz 1). Der Zulassungsausschuß kann davon in Ausnahmefällen abweichen, wenn dies zur Vermeidung unbilliger Härten erforderlich ist (Satz 2).
Die 55-Jahres-Zugangsgrenze als solche ist mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar (BVerfGE 103, 172, 182 ff = SozR 3-5520 § 25 Nr 4 S 25 ff; ebenso schon vorher BSGE 73, 223, 225 ff = SozR 3-5520 § 25 Nr 1 S 3 ff und zuletzt BSG SozR 3-5520 § 25 Nr 3 S 15 ff). Darin liegt zwar ein Eingriff in die berufliche Betätigungsfreiheit, die durch Art 12 Abs 1 GG geschützt ist. Er betrifft aber nicht die Berufswahl, sondern lediglich die Berufsausübung; denn nicht der Zugang zum Arztberuf insgesamt, sondern nur die Möglichkeit vertragsärztlicher Tätigkeit wird beschränkt. Diese Ausübungsregelung kommt allerdings einer Beschränkung der Berufswahl nahe, denn ein Arzt kann eine Arztpraxis im Regelfall nur dann wirtschaftlich tragfähig betreiben, wenn er auch die ca 90 % Patienten, die gesetzlich krankenversichert sind, behandeln kann. Berufswahlnahe Ausübungsregelungen sind nach der Rechtsprechung nur zur Sicherung besonders wichtiger Interessen der Allgemeinheit gerechtfertigt (s BVerfGE 11, 30, 44 f; vgl auch BVerfGE 17, 269, 276; 82, 209, 230; 103, 172, 184 = SozR 3-5520 § 25 Nr 4 S 27; BSGE 82, 41, 45 f = SozR 3-2500 § 103 Nr 2 S 15). Solche Gemeinwohlgründe liegen den Bestimmungen über die 55-Jahres-Zugangsgrenze zugrunde, wie das BSG und das BVerfG dargelegt haben (BSGE 73, 223, 226 ff = SozR 3-5520 § 25 Nr 1 S 4 ff; BVerfGE 103, 172, 184 ff = SozR 3-5520 § 25 Nr 4 S 27 ff). Mit ihnen soll zur Begrenzung der Ausgaben für die Gesundheitsversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) vor allem die Zahl der Vertragsärzte beschränkt werden. Zugleich soll gewährleistet werden, daß grundsätzlich nur solche Ärzte zugelassen werden, die noch ausreichend Zeit haben, ihre für die Praxistätigkeit nötigen Investitionen zu amortisieren und eine ausreichende Altersversorgung aufzubauen. Damit soll der Gefahr entgegenwirkt werden, daß Vertragsärzte vorrangig ihr Leistungs- und Einkommensvolumen ausweiten wollen und dabei das Gebot wirtschaftlicher Behandlungs- und Verordnungsweise vernachlässigen (vgl dazu BVerfGE 103, 172, 190 f = SozR 3-5520 § 25 Nr 4 S 31 f; BSGE 73, 223, 225 ff = SozR 3-5520 § 25 Nr 1 S 3 ff; BSGE 80, 9, 11 f = SozR 3-5520 § 98 Nr 4 S 10 und stRspr des BSG, zuletzt SozR 3-5520 § 25 Nr 3 S 15 f).
Außer der Alterszugangsgrenze als solcher muß indessen auch ihre Ausgestaltung und Auslegung den verfassungsrechtlichen Erfordernissen Rechnung tragen. Ist der Wortlaut der Rechtsnorm nicht eindeutig, so ist unter den denkbaren Auslegungen diejenige zu wählen, die den Anforderungen des GG Rechnung trägt. Nur wenn eine verfassungskonforme Auslegung nicht möglich wäre, müßte die Norm – bei förmlichen Gesetzen wäre ein Vorlageverfahren gemäß Art 100 Abs 1 Satz 1 letzter Halbsatz GG durchzuführen – für verfassungswidrig erklärt werden. Im Falle der Bestimmung über die 55-Jahres-Zugangsgrenze ist eine verfassungskonforme Auslegung möglich. Die Regelung ist von ihrem Wortlaut her nicht eindeutig; von den möglichen Auslegungen entspricht diejenige, daß der Antragsteller seine Zulassung noch bis zur Vollendung seines 55. Lebensjahres beantragen kann, den Anforderungen des Art 12 Abs 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip des Art 20 Abs 3 GG.
Nach § 98 Abs 2 Nr 12 SGB V iVm § 25 Ärzte-ZV ist die Zulassung eines Arztes, der das 55. Lebensjahr vollendet hat, ausgeschlossen. Die Vorschrift regelt nicht ausdrücklich, auf welchen Zeitpunkt genau abzustellen ist. In Betracht kommen der Zeitpunkt der Antragstellung, derjenige der Entscheidung des Zulassungsausschusses und der der Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit.
Nach dem Wortlaut könnte es naheliegen, die Entscheidung des Zulassungsausschusses, durch die der Status als Vertragsarzt begründet wird, als maßgeblich anzusehen. Dies hätte aber zur Folge, daß Verzögerungen im Verlauf des Zulassungsverfahrens – sei es durch die Handhabung im Zulassungsausschuß, sei es durch die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen zB der KÄV – zu Lasten des antragstellenden Arztes gingen. Dieser könnte nicht abschätzen, wann er die Zulassung beantragen muß, wenn er nicht Gefahr laufen will, noch vor dem Innehaben einer rechtswirksamen Zulassung bereits das 55. Lebensjahr zu vollenden. Dieses Ergebnis wäre mit den Anforderungen der Verfassung nicht vereinbar. Nach rechtsstaatlichen Grundsätzen müssen staatliche Eingriffe meßbar sowie für den Staatsbürger voraussehbar und berechenbar sein (BVerfGE 9, 137, 147). Erforderlich ist, daß die von einer Norm Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können (BVerfGE 103, 332, 384 mwN). Gerade in Fristfragen muß für den Rechtssuchenden klar erkennbar sein, was er zu tun hat, um einen Rechtsverlust zu vermeiden (vgl BVerfGE 69, 381, 385 f). Diese rechtsstaatlichen Erfordernisse haben besondere Bedeutung bei Regelungen der Berufswahl und auch im sog berufswahlnahen Bereich, wie er vorliegend betroffen ist. Normen in diesem Bereich müssen in Zweifelsfällen so ausgelegt werden, daß die Betroffenen die Gestaltung ihres Berufslebens weitestmöglich planen können (vgl unter dem Gesichtspunkt auch des Art 12 Abs 1 GG zB BVerfGE 102, 197, 222 f betr Erlaubnis für Spielbank; BVerfGE 58, 257, 279 – Entlassung aus Gymnasium; BVerfGE 45, 393, 399 f – Aufnahme von Parallelstudium; vgl ferner BVerfGE 33, 303, 345 f – Zugang zur Hochschule).
Diesen Anforderungen würde ebensowenig eine Auslegung der 55-Jahres-Zugangsregelung dahingehend gerecht werden, daß es darauf ankomme, welchen – voraussichtlichen – Zeitpunkt der Antragsteller für die Aufnahme seiner vertragsärztlichen Tätigkeit angegeben hat. Davon abgesehen, daß nach den Regelungen des § 98 Abs 2 Nr 12 SGB V und der Ärzte-ZV keine Rechtspflicht zu einer solchen Angabe besteht, steht diese naturgemäß unter dem Vorbehalt der zeitlichen Dauer des Zulassungsverfahrens – dessen Ablauf in den Händen der Zulassungsgremien liegt – und der erst danach möglichen abschließenden Umsetzung der weiteren Planungen wie der Anmietung und Ausstattung von Praxisräumen sowie der Anstellung von Praxispersonal. Weitere Verzögerungen sind zudem denkbar, falls zB die KÄV die Zulassungsentscheidung anficht, was aufschiebende Wirkung entfaltet (vgl dazu bei Rechtsbehelfen von KÄVen BSG SozR 3-1500 § 97 Nr 3 S 4 f).
Vereinbar mit den verfassungsrechtlichen Erfordernissen ist nach alledem einzig die Auslegung, wonach der Antragsteller seine Zulassung bis zum letzten Zeitpunkt vor Vollendung seines 55. Lebensjahres beantragen kann. So hat der Betroffene Planungssicherheit. Die Frist, binnen derer er den Antrag stellen muß, ist genau bestimmt. Er kennt ihren genauen Endzeitpunkt und kann sich auf sie einrichten.
Eine solche Auslegung fügt sich auch den weiteren Regelungen der Ärzte-ZV ein. Sie entspricht der Bestimmung des § 19 Abs 1 Satz 2 Ärzte-ZV. Nach dieser Vorschrift gelten Zulassungsbeschränkungen nur für solche Anträge, die nach deren Anordnung gestellt werden, und nicht für frühere Anträge. Einen Zulassungsausschluß enthält gleichfalls die Bestimmung, daß eine Zulassung nach Vollendung des 55. Lebensjahres nicht mehr zulässig ist. Demgemäß liegt es nahe, entsprechend der Vorschrift des § 19 Abs 1 Satz 2 Ärzte-ZV darauf abzustellen, ob das 55. Lebensjahr im Zeitpunkt der Antragstellung bereits vollendet war oder noch nicht.
Allerdings wahrt nicht jeder Zulassungsantrag, der vor Vollendung des 55. Lebensjahres gestellt wird, die Frist. Vielmehr muß es sich um einen Antrag handeln, der formell und materiell wirksam ist. Er muß den in der Ärzte-ZV geregelten Anforderungen entsprechen, dh ihm müssen die für eine Zulassung nach der Ärzte-ZV erforderlichen Angaben zu entnehmen und die nötigen Unterlagen beigefügt sein. Außerdem muß der Antrag darauf gerichtet sein, die vertragsärztliche Tätigkeit alsbald – mithin im Regelfall spätestens innerhalb von drei Monaten nach Vollendung des 55. Lebensjahres bzw mit Beginn des nach der Entscheidung des Zulassungsausschusses als nächstes beginnenden Quartals – aufzunehmen. Ein Antrag eines Arztes wäre zB mißbräuchlich, wenn dieser erkennbar noch nicht alsbald in die Lage kommt, eine vertragsärztliche Tätigkeit aufzunehmen, weil er noch für längere Zeit in einem Beschäftigungsverhältnis steht, oder der ersichtlich dazu noch nicht bereit ist (sog Antrag auf Vorrat). Ein solcher Antrag wäre nicht wirksam und würde die mit der 55-Jahres-Zugangsregelung normierte Frist nicht wahren. Damit ist den – vom LSG geltend gemachten – Bedenken die Grundlage entzogen, das Abstellen auf den Zeitpunkt der Antragstellung ermögliche Zulassungsanträge „auf Vorrat”. Der Gegenansicht, die deshalb auf den Zeitpunkt der Zulassung abstellt, ist daher nicht zu folgen (zur Gegenmeinung vgl zB Liebold/Zalewski, Kassenarztrecht, § 25 Ärzte-ZV, Bd II, RdNr E 145a, und Schallen, Zulassungsverordnungen für Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, 3. Aufl 2000, § 25 RdNr 457 f).
Nach dieser Auslegung der Regelungen über die 55-Jahres-Zugangsgrenze stellte der Kläger seinen Antrag auf Zulassung noch rechtzeitig. Das allein begründet aber den Anspruch auf Zulassung nicht. Vielmehr müssen auch die weiteren Zulassungsvoraussetzungen der §§ 18 ff Ärzte-ZV vorliegen. Hierzu fehlt es an Feststellungen im Berufungsurteil. Diese nachzuholen, ist Aufgabe des LSG als Tatsacheninstanz. Mithin hat das LSG abermals über die Sache zu verhandeln und zu entscheiden sowie dann auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden.
Fundstellen
NJW 2002, 1821 |
ArztR 2002, 221 |
MedR 2001, 638 |
SozR 3-5520 § 25, Nr. 5 |
AuS 2001, 70 |