Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Regelbedarf. Kosten für die Beschaffung eines ausländischen Reisepasses
Leitsatz (amtlich)
Die Kosten für die Beschaffung eines Passes sind auch für ausländische Arbeitslosengeld II-Bezieher vom Regelbedarf grundsätzlich umfasst.
Orientierungssatz
Ablehnung eines Antrags auf PKH und auf Beiordnung eines Rechtsanwalts für die beabsichtigte Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil (BVerfG 1. Senat 1. Kammer vom 7.10.2019 - 1 BvR 2874/18).
Normenkette
SGB II § 20 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 1; SGB XII § 28 Abs. 1, § 28a Abs. 1 S. 1; RBEG § 5 Abs. 1; PAuswG § 1 Abs. 1 Sätze 1-2; AufenthG § 3 Abs. 1 S. 1; AufenthG 2004 § 3 Abs. 1 S. 1; AufenthG § 3 Abs. 1 S. 2; AufenthG 2004 § 3 Abs. 1 S. 2; AufenthG § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; AufenthG 2004 § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 13. Juni 2017 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Umstritten ist die Übernahme der Kosten für die Beschaffung eines türkischen Reisepasses.
Der 1966 geborene, in der strittigen Zeit alleinstehende und Alg II beziehende Kläger hat nur die türkische Staatsangehörigkeit und verfügt über eine Niederlassungserlaubnis nach § 9 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Er beantragte am 10.3.2015 bei dem beklagten Jobcenter einen Zuschuss für die Beschaffung eines neuen Reisepasses, weil der Gültigkeitszeitraum seines alten Reisepasses abgelaufen sei. Der Beklagte lehnte die Bewilligung eines Zuschusses ab (Bescheid vom 11.3.2015), stellte indes bei einer entsprechenden Antragstellung die Bewilligung eines Darlehens unter bestimmten Voraussetzungen in Aussicht. Auf den vom Kläger beim türkischen Konsulat am 18.3.2015 gestellten Antrag wurde ihm ein neuer endgültiger Reisepass mit einer Gültigkeitsdauer von mehr als vier Jahren ausgestellt. Die vom Konsulat erhobenen Gebühren in Höhe von 217 Euro brachte der Kläger durch ein Privatdarlehen auf. Seinen Widerspruch wies der Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 13.5.2015).
Das SG hat den Beklagten verurteilt, dem Kläger einen einmaligen Zuschuss über 217 Euro für die Kosten der Ausstellung eines neuen Reisepasses zu gewähren und die Berufung zugelassen (Urteil vom 1.12.2015). Das LSG hat auf die Berufung des Beklagten nach Beiladung des örtlichen Sozialhilfeträgers das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 13.6.2017): Zwar komme kein Anspruch nach dem SGB II gegen den Beklagten, wohl aber einer wegen einer Hilfe in sonstigen Lebenslagen nach § 73 SGB XII gegen die beigeladene Stadt in Betracht, denn die Kosten für die Beschaffung eines Reisepasses seien für ausländische Alg II-Bezieher nicht vom Regelbedarf umfasst. Dieser Anspruch scheitere jedoch daran, dass es dem Kläger möglich und zumutbar gewesen sei, sich einen vorläufigen Reisepass zu beschaffen, der zur Erfüllung der Passpflicht nach § 3 Abs 1 Satz 1 AufenthG genüge.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger neben Verfahrensmängeln die Verletzung von § 21 Abs 6 SGB II. Entgegen der Auffassung des LSG liege ein laufender Bedarf vor, denn einen Pass benötige der Kläger aufgrund rechtlicher Verpflichtungen täglich. Dieser Bedarf sei unabweisbar und bei der Ermittlung des Regelbedarfs nicht berücksichtigt worden, zudem bestehe eine atypische Lebenslage. Soweit das LSG einen Anspruch nach § 73 SGB XII verneine, weil dem Kläger die Möglichkeit offengestanden habe, einen vorläufigen türkischen Reisepass zu erlangen, könne aufgrund der Feststellungen des LSG nicht beurteilt werden, ob der Kläger auf den vorläufigen Reisepass zu verweisen sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 13. Juni 2017 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 1. Dezember 2015 zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er verteidigt die angefochtene Entscheidung im Ergebnis und macht geltend, dass die Ausweiskosten für In- und Ausländer der Art nach vom Regelbedarf umfasst seien.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers gegen das Urteil des LSG ist zurückzuweisen. Zwar ergeben die Entscheidungsgründe des Urteils eine Gesetzesverletzung, im Ergebnis ist das Urteil aber richtig (§ 170 Abs 1 Satz 2 SGG). Entgegen der vom LSG vertretenen Auffassung sind die Kosten für die Beschaffung eines Passes für ausländische Alg II-Bezieher vom Regelbedarf grundsätzlich umfasst und die vorliegende Klage auf die zuschussweise Übernahme solcher Kosten ist schon deshalb abzuweisen.
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Bescheid des Beklagten vom 11.3.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.5.2015, mit dem er es abgelehnt hat, die im März 2015 angefallenen und vom Kläger begehrten Kosten für die Beschaffung eines türkischen Reisepasses in Höhe von 217 Euro zuschussweise zu übernehmen. Diesem Bescheid kann aus der maßgeblichen Sicht eines verständigen Beteiligten entnommen werden, dass der Beklagte über die Ablehnung der zuschussweisen Übernahme der 217 Euro unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt entschieden hat. Soweit dies die Prüfung eines Mehrbedarfs umfasst, über den nur zusammen mit dem Regelbedarf entschieden werden kann (vgl BSG vom 29.4.2015 - B 14 AS 8/14 R - BSGE 119, 7 = SozR 4-4200 § 21 Nr 22, RdNr 12), steht dem nicht entgegen, dass der Beklagte bereits mit Bescheid vom 23.2.2015 über den Regelbedarf auch für den Monat März 2015 entschieden hat. Insoweit kann der Bescheid vom 11.3.2015 dahingehend ausgelegt werden, dass der Beklagte die von ihm getroffene Regelung hinsichtlich des Regelbedarfs unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs überprüft hat und in der Sache an der getroffenen Regelung festhält, was eine erneute Sachprüfung im Widerspruchs- und Klageverfahren ermöglicht (vgl BSG vom 4.6.2014 - B 14 AS 30/13 R - BSGE 116, 86 = SozR 4-4200 § 21 Nr 18, RdNr 11; BSG vom 11.2.2015 - B 4 AS 27/14 R - BSGE 118, 82 = SozR 4-4200 § 21 Nr 21, RdNr 12).
Nicht Gegenstand des Verfahrens ist eine darlehensweise Leistungsgewährung (vgl § 24 Abs 1 SGB II), weil das Begehren des Klägers sich ausschließlich auf eine zuschussweise Übernahme der Passbeschaffungskosten richtet, im Übrigen hat der Beklagte über ein solches Darlehen nicht entschieden (vgl zum Darlehen als aliud zur zuschussweisen Leistungsgewährung Kemper in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl 2017, § 42a RdNr 49).
2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Insbesondere war die Berufung zulässig, nachdem das SG sie in seinem Urteil zugelassen hat (vgl § 144 SGG). Sein Begehren verfolgt der Kläger zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG).
3. Rechtsgrundlage für die seitens des Klägers vom Beklagten begehrte Leistung sind §§ 19 ff iVm §§ 7 ff SGB II in der Fassung, die das SGB II für den streitbefangenen Zeitraum zuletzt durch das Gesetz zur weiteren Entlastung von Ländern und Kommunen ab 2015 und zum quantitativen und qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung sowie zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes vom 22.12.2014 (BGBl I 2411) ab 31.12.2014 erhalten hat, denn in Rechtsstreitigkeiten über abgeschlossene Bewilligungsabschnitte ist das zum damaligen Zeitpunkt geltende Recht anzuwenden (Geltungszeitraumprinzip; vgl BSG vom 19.10.2016 - B 14 AS 53/15 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 78 RdNr 14 f).
Der Kläger war eine leistungsberechtigte Person nach dem SGB II, denn er erfüllte nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II, weil er 1966 geboren, erwerbsfähig und hilfebedürftig war und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hatte; ein Ausschlusstatbestand nach § 7 SGB II lag nicht vor.
Er hat jedoch keinen Anspruch auf die zuschussweise Übernahme seiner Kosten in Höhe von 217 Euro für die Beschaffung eines Reisepasses, weil dieser Bedarf auch für ausländische Alg II-Bezieher grundsätzlich vom Regelbedarf umfasst ist, der dem Kläger als alleinstehendem Leistungsberechtigten in gesetzlicher Höhe von 399 Euro im März 2015 gewährt wurde (§ 20 Abs 2 Satz 1, Abs 5 SGB II iVm der Bekanntmachung über die Höhe der Regelbedarfe nach § 20 Abs 5 SGB II für die Zeit ab 1.1.2015, BGBl I 2014, 1620).
Dass der Bedarf eines ausländischen Alg II-Beziehers für einen Pass grundsätzlich vom Regelbedarf umfasst ist, folgt aus dem Konzept des Regelbedarfs als monatlicher Pauschalbetrag zur Sicherung des Lebensunterhalts und der Ermittlung des Regelbedarfs aufgrund des durchschnittlichen Verbrauchsverhaltens der maßgeblichen Referenzgruppe und dem gleichermaßen für Aus- wie Inländer bestehenden Bedarf an einem Pass bzw Ausweis, dessen Kosten in die Ermittlung des Regelbedarfs eingeflossen sind.
4. Der als monatlicher Pauschalbetrag gewährte Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 20 Abs 1 Satz 3, Abs 2 Satz 1 SGB II) dient dazu, die physische Seite des Existenzminimums sicherzustellen und zugleich dessen soziale Seite wie die Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben - jeweils in vertretbarem Umfang - abzudecken (vgl BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12, RdNr 148).
Referenzsystem für die Bemessung der Regelbedarfe nach dem SGB II ist das SGB XII (vgl BT-Drucks 17/3404 S 97). Demgemäß wird die Höhe der Regelbedarfe nach § 20 SGB II in dem für die Regelbedarfe nach §§ 28 ff SGB XII festgeschriebenen Verfahren ermittelt (vgl mittlerweile den bloßen Verweis auf die Regelbedarfsstufen des SGB XII in § 20 Abs 1a SGB II idF des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 22.12.2016, BGBl I 3159).
Nach § 28 Abs 1 SGB XII wird die Höhe der Regelbedarfe in einem Bundesgesetz neu ermittelt, wenn die Ergebnisse einer bundesweiten neuen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) vorliegen, was vor dem hier betroffenen März 2015 zuletzt mit dem Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 SGB XII (Regelbedarf-Ermittlungsgesetz vom 24.3.2011, BGBl I 453 ≪RBEG 2011≫) auf der Grundlage der EVS 2008 geschehen ist. In den Jahren, in denen keine Neuermittlung nach § 28 SGB XII vorgenommen wird, werden die Regelbedarfsstufen jeweils zum 1. Januar fortgeschrieben (§ 28a Abs 1 Satz 1 SGB XII), was für März 2015 mit der Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung 2015 (BGBl I 2014, 1618) erfolgt ist, die durch Bekanntmachung über die Höhe der Regelbedarfe nach § 20 Abs 5 SGB II für die Zeit ab 1.1.2015 (BGBl I 2014, 1620) auf das SGB II übertragen wurde.
Die Bestimmung der Höhe des Regelbedarfs durch den Gesetzgeber im Rahmen des RBEG 2011 genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine hinreichend transparente, auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren tragfähig zu rechtfertigende Bemessung der Leistungshöhe. Der Gesetzgeber hat die relevanten Bedarfsarten berücksichtigt, die für einzelne Bedarfspositionen aufzuwendenden Kosten mit einer von ihm gewählten, im Grundsatz tauglichen und im Einzelfall mit hinreichender sachlicher Begründung angepassten Methode sachgerecht, also im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt und auf dieser Grundlage die Höhe des Gesamtbedarfs bestimmt. Zur Bestimmung der Höhe des Regelbedarfs hat er sich im Ausgangspunkt mit der EVS 2008 auch auf geeignete empirische Daten gestützt; soweit von der Orientierung an den so ermittelten Daten durch die Herausnahme und durch Kürzungen einzelner Positionen abgewichen wird, bestehen im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken (BVerfG vom 23.7.2014 - 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13 - BVerfGE 137, 34 = SozR 4-4200 § 20 Nr 20, RdNr 89 ff; BSG vom 12.7.2012 - B 14 AS 153/11 R - BSGE 111, 211 = SozR 4-4200 § 20 Nr 17, RdNr 26 ff).
5. In den so ermittelten Regelbedarf ist der Bedarf für die Beschaffung eines Ausweises oder Passes eingeflossen.
Welche Bedarfe in die Ermittlung des Regelbedarfs eingeflossen sind, ergibt sich aus der dem RBEG 2011 zugrunde liegenden EVS 2008 des Statistischen Bundesamts (vgl BT-Drucks 17/3404 S 51). Im Rahmen der EVS 2008 wurden nach den Ausfüllhinweisen des Statistischen Bundesamts zur Führung des Haushaltsbuchs für die EVS 2008 in der "Abt S Sonstige Waren und Dienstleistungen" in der Rubrik S/03 erfasst: "Sonstige Dienstleistungen: Rechtsberatung, Gebühren für Arbeitsvermittlung, Bestattungskosten, Ausgaben für Bepflanzung von Gräbern und für Kulthandlungen, Vervielfältigungskosten, Zeitungsinserate, Zahlungen für Leistungen von Privatdetektiven, Schreibbüros, Eheberatungsinstituten, Steuerberatungskosten, sonstige Verwaltungsgebühren (z. B. für Personalausweis, Reisepass, Beglaubigungen) usw." (Statistisches Bundesamt, Wirtschaftsrechnungen, Fachserie 15 Heft 7, 2013, Anlage: Erhebungsunterlagen der EVS 2008 - Haushaltsbuch, S 148).
Der Abteilung S im Haushaltsbuch entspricht die Abteilung 12 "Andere Waren und Dienstleistungen" in der EVS 2008 sowie dem RBEG 2011 (vgl nur dessen § 5 Abs 1; BT-Drucks 17/3404 S 141). Die Rubrik S/03 wurde bei der Ermittlung des Regelbedarfs unter dem Code 1270 900 "Sonstige Dienstleistungen, nicht genannte" berücksichtigt (BT-Drucks 17/3404 S 63 f). Von den in dieser Rubrik ermittelten durchschnittlichen monatlichen Ausgaben der Referenzhaushalte wurden als regelbedarfsrelevanter Anteil jedoch nur 0,25 Euro als Kosten für die Beschaffung eines Personalausweises berücksichtigt (BT-Drucks aaO).
6. Dieser Betrag zielt gleichermaßen auf die Deckung der entsprechenden Bedarfe von In- und Ausländern hinsichtlich eines Ausweises oder Passes.
a) Deutsche wie Ausländer sind bei ihrem Aufenthalt im Inland gesetzlich zum Besitz und ggf zur Vorlage eines Ausweispapiers verpflichtet, was einen für beide Gruppen vergleichbaren Bedarf begründet, auch wenn die jeweilige Besitz- und Vorlagepflicht auf unterschiedlichen Rechtsgrundlagen beruht und ihre Nichtbefolgung unterschiedliche Folgen auf anderen Rechtsgebieten nach sich zieht.
Deutsche sind gemäß § 1 Abs 1 Satz 1 und 2 Personalausweisgesetz (idF vom 18.6.2009, BGBl I 1346 ≪PAuswG≫) verpflichtet, einen Ausweis zu besitzen, sobald sie 16 Jahre alt sind und der allgemeinen Meldepflicht unterliegen oder, ohne ihr zu unterliegen, sich überwiegend in Deutschland aufhalten. Sie müssen ihn auf Verlangen einer zur Feststellung der Identität berechtigten Behörde vorlegen. Durch Vorlage des Personalausweises wird für Deutsche der Passpflicht genügt (§ 1 Abs 1 Satz 2 Passgesetz idF vom 20.7.2007, BGBl I 1566 ≪PassG≫). Ein Deutscher, der seine Pflicht zum Besitz bzw zur Vorlage eines Personalausweises verletzt, verhält sich ordnungswidrig (§ 32 Abs 1 Nr 1, 2 PAuswG).
Ausländer unterliegen demgegenüber der Passpflicht nach § 3 Abs 1 Satz 1 AufenthG (idF, die es für den streitbefangenen Zeitraum zuletzt erhalten hat durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung von asylsuchenden und geduldeten Ausländern vom 23.12.2014, BGBl I 2439). Danach darf ein Ausländer nur in das Bundesgebiet einreisen oder sich darin aufhalten, wenn er einen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz besitzt, sofern er von der Passpflicht nicht durch Rechtsverordnung befreit ist (§ 3 Abs 2 AufenthG). Für den Aufenthalt im Bundesgebiet kann die Passpflicht auch durch den Besitz eines Ausweisersatzes iS des § 48 Abs 2 AufenthG erfüllt werden (§ 3 Abs 1 Satz 2 AufenthG). Welche Pässe und Passersatzpapiere für die Erfüllung der Passpflicht bei Ausländern anerkannt sind, entscheidet das Bundesministerium des Innern im Benehmen mit dem Auswärtigen Amt durch Allgemeinverfügung (§ 71 Abs 6 AufenthG; vgl im Übrigen Gutmann in GK-AufenthG, § 71 RdNr 20, Stand der Einzelkommentierung April 2017).
Ausländer sind verpflichtet, den Pass, Passersatz oder Ausweisersatz auf Verlangen den mit dem Vollzug des Ausländerrechts betrauten Behörden vorzulegen, auszuhändigen und vorübergehend zu überlassen, soweit dies zur Durchführung oder Sicherung von Maßnahmen nach dem AufenthG erforderlich ist (§ 48 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AufenthG). Ein Ausländer, der sich - ohne der Passpflicht zu genügen - im Bundesgebiet aufhält, macht sich strafbar (§ 95 Abs 1 Nr 1 AufenthG).
Angesichts dieser vergleichbaren Bedarfe ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber den von der EVS 2008 erfassten, mit den Personalausweisbeschaffungskosten korrespondierenden Bedarf eines Ausländers an Passbeschaffungskosten aus dem Regelbedarf herausnehmen wollte. Vielmehr hat der Gesetzgeber für beide Gruppen einen Bedarf berücksichtigt, der auf der Pflicht zum Besitz eines Ausweises oder Passes beruht.
Dem steht nicht entgegen, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Änderung des AsylbLG im Jahr 2014 zwar die regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben der EVS 2008 entsprechend dem RBEG 2011 übernommen, aber ua den hier relevanten Betrag für die Beschaffung eines Personalausweises von den zu berücksichtigenden Ausgaben abgezogen hat, weil dieser Bedarf bei den Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG nicht anfalle und die Mehrausgaben zur Beschaffung von Ausweispapieren im Herkunftsstaat keinen regelmäßig an die Stelle der Ausweisbeschaffungskosten tretenden Bedarf darstellten (vgl BT-Drucks 18/2592 S 21, 22). Aus dieser spezifischen Regelung für Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG können keine Folgerungen hinsichtlich der Passbeschaffungskosten für alle in Deutschland lebenden Ausländer abgeleitet werden. Denn für Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG gibt es sonstige Leistungen ua zur Erfüllung einer verwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflicht (§ 6 Abs 1 Satz 1 AsylbLG), als deren Hauptanwendungsfall die Passbeschaffungskosten angesehen werden (vgl nur Krauß in Siefert, AsylbLG, 2018, § 6 RdNr 50), zumal bei Asylbewerbern oftmals nicht nur die Kosten der eigentlichen Passbeschaffung anfallen, sondern die ggf deutlich höheren der Identitätsfeststellung (vgl Harich, jurisPR-SozR 9/2017 Anm 1).
b) Hierfür spricht außerdem, dass die Höhe des Regelbedarfs nicht nach der Staatsangehörigkeit differenziert, Ausländer erhalten den unter Einbeziehung der Kosten für einen deutschen Personalausweis ermittelten und jährlich erhöhten Regelbedarf in derselben Höhe wie Deutsche.
c) Dass die Kosten des Klägers für die Beschaffung des Reisepasses mit 217 Euro deutlich über den bei der Ermittlung des Regelbedarfs berücksichtigten Kosten für einen deutschen Personalausweis liegen, steht dem nicht entgegen.
Zwar sind in die Ermittlung des Regelbedarfs nur die Kosten eines deutschen Personalausweises eingeflossen (28,80 Euro, vgl § 1 Abs 1 Nr 2 Personalausweisgebührenverordnung vom 1.11.2010, BGBl I 1477 ≪PAuswGebV≫) und hierfür bei einer Geltungsdauer von zehn Jahren monatlich 0,25 Euro angesetzt worden (vgl BT-Drucks 17/3404 S 63). Schon die zugrunde liegende Annahme, dass für die Beschaffung des Personalausweises auch bei Bedürftigkeit Gebühren anfallen, unterliegt Zweifeln, weil gemäß § 1 Abs 6 PAuswGebV die Gebühr ermäßigt oder von ihrer Erhebung abgesehen werden kann, wenn die Person, die die Gebühr schuldet, bedürftig ist.
Die Höhe der einen Ausländer treffenden Kosten für die Beschaffung eines Passes können je nach Herkunftsstaat variieren (vgl Hammel, InfAuslR 2012, 137, 142; Harich, jurisPR-SozR 9/2017 Anm 1). Denkbar erscheinen zudem Gebührenermäßigungen oder -befreiungen wie im deutschen Recht. Welche Kosten anfallen und ob diese ggf aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls nicht in verfassungsrechtlich zulässiger Weise als durch den Regelbedarf gedeckt anzusehen sind, muss im Einzelfall geklärt werden.
7. Vorliegend ist nicht erkennbar, dass bei dem Kläger durch die Kosten für den benötigten, neuen türkischen Reisepass in Höhe von 217 Euro eine Unterdeckung aufgetreten ist, die mit seinem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG nicht vereinbar wäre.
Der Gesetzgeber darf grundsätzlich darauf verweisen, dass punktuelle Unterdeckungen intern ausgeglichen werden, wenn ein im Regelbedarf nicht berücksichtigter Bedarf nur vorübergehend anfällt oder ein Bedarf deutlich kostenträchtiger ist als der statistische Durchschnittswert, der zu seiner Deckung berücksichtigt worden ist. Gegen dieses Konzept, wonach Bedürftige Mittel zur Bedarfsdeckung eigenverantwortlich ausgleichen und ansparen müssen, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht grundsätzlich nichts einzuwenden. Ein solches Modell ist mit dem Grundgesetz vereinbar, wenn die Höhe der pauschalen Leistungsbeträge für den monatlichen Regelbedarf es zulässt, einen Anteil für den unregelmäßig auftretenden oder kostenträchtigeren Bedarf zurückzuhalten. Für einen internen Ausgleich darf jedoch nicht allgemein auf die Summen verwiesen werden, die den existenzsichernden soziokulturellen Bedarf decken sollen, zudem muss der Pauschalbetrag hinreichend hoch bemessen sein, um einen finanziellen Spielraum für Rücklagen zu lassen (BVerfG vom 23.7.2014 - 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13 - BVerfGE 137, 34 = SozR 4-4200 § 20 Nr 20, RdNr 117 ff, dort auch zur Gefahr der Unterdeckung bei einerseits langlebigen und andererseits teuren Gütern).
Wenn der Kläger im März 2015 nicht in der Lage war, die Kosten von 217 Euro aufzubringen, wäre bei einer entsprechenden, vorliegend indes nicht erfolgten Antragstellung ein Darlehen nach § 24 Abs 1 SGB II in Betracht gekommen. Diese Vorschrift dient gerade der Schließung von Deckungslücken im Bereich einmaliger, nicht dauerhafter oder laufender Bedarfe (vgl BSG vom 29.4.2015 - B 14 AS 19/14 R - BSGE 119, 17 = SozR 4-4200 § 31a Nr 1, RdNr 58-59; Blüggel in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl 2017, § 24 RdNr 12 ff).
Für eine Übernahme der Kosten nach § 21 Abs 6 SGB II als Härtefall-Mehrbedarf wegen eines unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarfs, die vom Kläger auch im Revisionsverfahren erstrebt wird, ist kein Raum, weil trotz fortlaufender Passpflicht der Bedarf hinsichtlich der Kosten des Passes nur im Zeitpunkt seiner Beschaffung entsteht.
Für den vom LSG erwogenen Rückgriff auf eine Hilfe in sonstigen Lebenslagen nach § 73 SGB XII und eine Verurteilung der als Sozialhilfeträger beigeladenen Stadt besteht - unbeschadet der grundsätzlichen Möglichkeit solcher Ansprüche für Alg II-Empfänger (vgl § 5 Abs 2 Satz 1 SGB II) - vorliegend kein Anlass, weil der Bedarf des Klägers mit dem Regelbedarf grundsätzlich abgedeckt war und die Möglichkeit eines Darlehens bestand.
Inwieweit bei extrem hohen Kosten für die Beschaffung eines ausländischen Passes, um der Ausweispflicht nach § 3 Abs 1 Satz 1 AufenthG zu genügen, zusätzliche Ansprüche oder die verfassungskonforme Auslegung bestehender Regelungen in Betracht kommen (vgl BVerfG vom 23.7.2014 - 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13 - BVerfGE 137, 34 = SozR 4-4200 § 20 Nr 20, RdNr 116), kann angesichts des vorliegend geltend gemachten Betrags von 217 Euro dahinstehen.
Ebenfalls kann dahinstehen, ob der Kläger überhaupt einen Bedarf in dieser Höhe hatte, was das LSG verneint hat, wogegen der Kläger aber Verfahrensrügen erhoben hat, und ob diese sowie weitere Verfahrensrügen des Klägers durchgreifen (vgl § 170 Abs 3 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 12463404 |
NJW 2019, 9 |
FEVS 2019, 441 |
InfAuslR 2019, 197 |
NDV-RD 2020, 3 |
NZS 2019, 156 |
SGb 2019, 34 |
ZfF 2019, 87 |
Breith. 2019, 859 |
info-also 2019, 43 |