Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf Beitragsnachentrichtung. Hinweispflicht
Orientierungssatz
1. Die wirksame Ausübung des Antragsrechts erfordert es, die rechtsgestaltende Willenserklärung vor Ablauf der in AnVNG Art 2 § 49a Abs 3 S 1 geregelten Antragsfrist wenigstens in einem Umfange abzugeben, der die Bestimmung des objektiven Erklärungsinhalts zuläßt; ein Nachentrichtungsantrag, in dem die Nachentrichtungszeiten konkret bezeichnet und die entsprechenden Beitragsklassen beziffert sind, ist nur als ein bestimmter und begrenzter Antrag anzusehen, der allein auf die Nachentrichtung von Beiträgen für die genannten Beitragszeiten und in den genannten Beitragsklassen gerichtet ist (vgl BSG vom 1979-06-07 12 RK 33/78 = unveröffentlicht).
2. Eine über die allgemeine Aufklärungspflicht hinaus bestehende Hinweispflicht für eine Gestaltung des Versicherungsverhältnisses durch Nachentrichtung von Beiträgen nach AnVNG Art 2 § 49a kann nicht ohne weiteres angenommen werden, weil dies eine individuelle Entschließung unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und deren mutmaßliche zukünftige Entwicklung erfordert (vgl BSG vom 1979-04-04 12 RK 36/78 = unveröffentlicht).
Normenkette
AnVNG Art. 2 § 49a Abs. 3 S. 1 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art. 2 § 51a Abs. 3 S. 1 Fassung: 1972-10-16, § 49a Abs. 2 Fassung: 1972-10-16, § 51 Abs. 2 Fassung: 1972-10-16; SGB 1 §§ 13-14, 15 Abs. 2
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 15.06.1978; Aktenzeichen L 5 A 106/77) |
SG Koblenz (Entscheidung vom 05.09.1977; Aktenzeichen S 6 A 147/76) |
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin aufgrund mehrerer vor dem 31. Dezember 1975 gestellter und hinsichtlich der Beitragszeiten und der Beitragshöhe konkretisierter Nachentrichtungsanträge gem Art 2 § 49a des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) berechtigt war, noch 1976 weitere Beiträge nachzuentrichten.
Die Klägerin hatte mit einem am 16. September 1974 eingegangenen Formblattantrag nach Art 2 § 49a AnVNG die Nachentrichtung freiwilliger Beiträge der Klasse 2200 für die Jahre 1973 und 1972 und der Klasse 1800 für die Jahre 1971 und 1970 beantragt und zugleich die entsprechende Beitragssumme überwiesen. Der Antragsvordruck enthält den Zusatz "1. Rate". Am 1. April 1975 war bei der Beklagten ein weiterer Formblattantrag der Klägerin eingegangen, mit dem die Klägerin die Nachentrichtung von insgesamt 60 Beiträgen der Klassen 1600, 1400 und 1200 für die Jahre 1969 bis 1965 beantragt hatte; auch diese Beiträge hatte sie sofort überwiesen. Der Antragsvordruck enthält den Zusatz "2. Rate". Ein dritter Formblattantrag auf Nachentrichtung von insgesamt 72 Beiträgen der Klassen 1000 und 800 für die Jahre 1964 bis 1959 war am 9. Dezember 1975 bei der Beklagten eingegangen. Einen zusätzlichen Hinweis auf eine beabsichtigte weitere Ratenzahlung hat die Klägerin in diesem Antrag nicht gegeben. Die insoweit errechnete Beitragssumme hat die Klägerin am 15. Dezember 1975 gezahlt. Schließlich hat die Klägerin mit einem am 19. Januar 1976 eingegangenen Formblattantrag die Nachentrichtung von insgesamt 36 Beiträgen der Klasse 600 für die Jahre 1958 bis 1956 beantragt. Die Nachentrichtung dieser Beiträge hat die Beklagte durch den Bescheid vom 20. Mai 1976 idF des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 1976 mit der Begründung abgelehnt, der Antrag sei erst nach Ablauf der Frist des Art 2 § 49a Abs 3 Satz 1 AnVNG gestellt worden und daher unwirksam. Die Antragsfrist sei auch nicht durch die vor dem 31. Dezember 1975 gestellten Anträge gewahrt worden, weil die Klägerin mit diesen Anträgen ihr Nachentrichtungsrecht nur für die konkret angeführten Zeiten ausgeübt habe. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 5. September 1977). Die Berufung ist ohne Erfolg geblieben (Urteil des Landessozialgerichts - LSG - vom 15. Juni 1978). Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe mit den vor Dezember 1975 gestellten und nur auf bestimmte Beitragszeiten gerichteten Nachentrichtungsanträgen die Antrags-Ausschlußfrist des Art 2 § 49a Abs 3 Satz 1 AnVNG für die Nachentrichtung weiterer Beiträge nicht gewahrt; insbesondere könnten diese Anträge nicht als formlose "Antragstellung dem Grunde nach" angesehen werden, mit denen die Klägerin die Antragsfrist für die Nachentrichtung weiterer Beiträge auch noch nach dem 31. Dezember 1975 habe wahren können. Unerheblich sei auch, daß die Klägerin die ersten beiden dieser vier selbständigen Anträge mit den Zusätzen "1. Rate" und "2. Rate" versehen habe, weil sie sich nicht selbst habe willkürlich Ratenzahlungen bewilligen können.
Hiergegen richtet sich die - vom LSG zugelassene - Revision, zu deren Begründung die Klägerin geltend macht, die Nachentrichtung von Beiträgen gem Art 2 § 49a AnVNG sei mit dem ersten Antrag dem Grunde nach wirksam erklärt worden. Demgemäß habe die Klägerin auch noch nach dem 31. Dezember 1975 Beiträge für die noch nicht belegten Beitragszeiten nachentrichten dürfen.
Die Klägerin beantragt,
|
1. |
|
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. Juni 1978 und das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 5. September 1977 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. Mai 1976 idF des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 1976 aufzuheben sowie den Rentenbescheid vom 6. Juli 1976 zu ändern, |
|
2. |
|
die Beklagte zu verurteilen, die Nachentrichtung weiterer Beiträge für die Jahre 1956 bis 1958 nach Art 2 § 49a AnVNG zuzulassen und die Beiträge bei der Berechnung des Altersruhegeldes zu berücksichtigen. |
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
II.
Die Revision ist nicht begründet.
Das LSG hat die Nachentrichtung weiterer Beiträge gemäß Art 2 § 49a AnVNG nach dem 31. Dezember 1975 zu Recht als nicht statthaft angesehen.
Der erkennende Senat hat die für die Entscheidung dieses Rechtsstreits erheblichen Rechtsfragen weitgehend bereits in dem Urteil vom 7. Juni 1969 - 12 RK 33/78 - entschieden. Darin hat der Senat zunächst an die Rechtsprechung des 11. Senats des Bundessozialgerichts - BSG - (Urteil vom 15. Dezember 1975 - 11 RA 52/77 - SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 17) angeknüpft und in Übereinstimmung damit die Ausübung des dem Versicherten in Art 2 § 51a des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - ArVNG - (Art 2 § 49a AnVNG) eingeräumten Antragsrechts inhaltlich als die Verkörperung seines Verlangens angesehen, das in dieser Vorschrift im einzelnen umschriebene Nachentrichtungsrecht in Anspruch zu nehmen; der Versicherungsträger müsse in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise tätig werden, ohne daß seine Entscheidung konstitutive Bedeutung habe. Deshalb sei der Nachentrichtungsantrag gemäß Art 2 § 49a AnVNG (Art 2 § 51a ArVNG) eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung zur rückwirkenden Gestaltung des Versicherungsverhältnisses. Die wirksame Ausübung des Antragsrechts erfordere es, die rechtsgestaltende Willenserklärung vor Ablauf der in Art 2 § 49a Abs 3 Satz 1 AnVNG geregelten Antragsfrist wenigstens in einem Umfange abzugeben, der die Bestimmung des objektiven Erklärungsinhalts zuläßt; ein Nachentrichtungsantrag, in dem die Nachentrichtungszeiten konkret bezeichnet und die entsprechenden Beitragsklassen beziffert sind, sei nur als ein bestimmter und begrenzter Antrag anzusehen, der allein auf die Nachentrichtung von Beiträgen für die genannten Beitragszeiten und in den genannten Beitragsklassen gerichtet ist. An dieser Rechtsansicht hält der Senat fest, zumal da auch die Revisionsbegründung keine Zweifel an ihrer Richtigkeit aufkommen läßt.
Das LSG hat festgestellt, daß die Klägerin in ihren am 16. September 1974, 1. April 1975 und 9. Dezember 1975 eingegangenen Formblattanträgen die Nachentrichtung von Beiträgen für die in diesen Anträgen genau bezeichneten Beitragszeiten und -klassen beantragt hat. Diese von der Klägerin nicht mit wirksam erhobenen Verfahrensrügen angegriffene Feststellung ist für den Senat bindend (§ 163 SGG), weil es sich um die Auslegung einer Willenserklärung handelt und diese jedenfalls insoweit Gegenstand der tatrichterlichen Feststellung ist, wie es sich um den Wortlaut der Erklärung und um den inneren Willen des Erklärenden handelt (BSG SozR 1500 § 163 Nr 2 mwN; vgl ferner Rosenberg/Schwab, ZPO 12. Aufl, § 144 I 5, S 821).
Das LSG hat zu Recht auch den auf den beiden ersten Formblattanträgen enthaltenen Zusätzen "1. Rate" und "2. Rate" keine rechtsbegründende Bedeutung für die Nachentrichtung weiterer Beiträge, insbesondere nach Ablauf der Antragsfrist des Art 2 § 49a Abs 3 Satz 1 AnVNG, beigemessen. Diese Zusätze waren, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, als solche nicht geeignet, die gesetzliche Antragsfrist des Art 2 § 49a Abs 3 Satz 1 AnVNG außer Kraft zu setzen. Ob Zusätzen dieser Art unter Umständen der objektive Erklärungsinhalt beigemessen werden kann, der Antragsteller erkläre sich dadurch dem Grunde nach zur Nachentrichtung weiterer Beiträge bereit, läßt der Senat unentschieden. Nach den Umständen des vorliegenden Falles scheidet eine dahingehende Deutung jedenfalls aus. Wie das LSG unangegriffen festgestellt hat, enthalten nur die ersten beiden Anträge der Klägerin einen Zusatz über die Zahlung der Beiträge als 1. bzw 2. Rate, nicht mehr dagegen der dritte - noch rechtzeitig gestellte - Antrag vom 9. Dezember 1975. Bei dieser Sachlage konnte die Beklagte davon ausgehen, daß die Klägerin mit den im dritten Antrag angebotenen Beiträgen ihre Beitragsnachentrichtung abschließen wollte; mindestens war ein gegenteiliger Wille der Klägerin für die Beklagte nicht hinreichend deutlich erkennbar.
Daß der Verfahrensbevollmächtigte der Klägerin die Bedeutung der Zusätze anders beurteilt und angenommen hat, die Klägerin sei danach befugt gewesen, die Beitragsnachentrichtung auch noch nach Ablauf der gesetzlichen Antragsfrist fortzusetzen, ist unerheblich. Die irrige Beurteilung der Rechtslage durch einen Verfahrensbevollmächtigten geht zu Lasten des Vertretenen.
Die Beklagte hat schließlich keine Aufklärungspflicht gegenüber der Klägerin verletzt. Der erkennende Senat hat bereits in dem Urteil vom 4. April 1979 - 12 RK 36/78 - (nicht veröffentlicht) entschieden, daß eine über die allgemeine Aufklärungspflicht (vgl jetzt § 13 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - SGB I) hinaus bestehende Hinweispflicht der Beklagten für eine Gestaltung des Versicherungsverhältnisses durch Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 2 § 49a AnVNG nicht ohne weiteres angenommen werden kann, weil dies eine individuelle Entschließung unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Versicherten und deren mutmaßliche zukünftige Entwicklung erfordert. Offengeblieben ist, ob etwas anderes gilt, wenn der Antragsteller unter Darlegung seiner Verhältnisse um Beratung nachsucht. Diese Frage kann auch hier unentschieden bleiben, da die Klägerin kein solches Ersuchen gestellt hat. Damit entfällt für sie auch die Möglichkeit, die im Januar 1976 angebotenen weiteren Beiträge im Wege des Herstellungsanspruches wegen einer unzureichenden Beratung des Versicherten (BSGE 41, 126) nachzuentrichten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen