Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufsausbildungsbeihilfe. Einkommensanrechnung. Ausbildungsvergütung. Jugendhilfeleistung. Übernahme der Kosten durch Jugendhilfeträger. Feststellung des Leistungsanspruchs des Jugendhilfeträgers. gleichartige Sozialleistung. Vorrang-Nachrang-Regelung
Leitsatz (amtlich)
Erhält eine behinderte Jugendliche während ihrer Berufsausbildung eine Vergütung, ist diese als anrechenbares Einkommen bei der Berufsausbildungsbeihilfe auch dann zu berücksichtigen, wenn der Jugendhilfeträger dem Ausbildungsbetrieb die Kosten hierfür erstattet.
Orientierungssatz
1. Der Jugendhilfeträger ist gem § 97 S 1 SGB 8 berechtigt im Wege einer gesetzlichen Prozessstandschaft die Feststellung zu erfolgen, das die Bundesagentur für Arbeit verpflichtet ist, an den behinderten Jugendlichen, der weiterhin potentieller Inhaber des Anspruchs bleibt, Berufsausbildungsbeihilfe zu erbringen. § 97 SGB 8 bezieht sich nicht ausschließlich auf eine in die Zukunft gerichtete Feststellung des Sozialleistungsanspruchs; vielmehr soll das Feststellungsverfahren einer Klärung der Verhältnisse in Bezug auf das Bestehen eines Erstattungsanspruchs dienen.
2. Eine Kongruenz von Leistungen ist bei der Sicherstellung des Lebensunterhalts durch die Jugendhilfeleistungen einerseits und die Berufsausbildungsbeihilfe andererseits grundsätzlich anzunehmen, wobei die Berufsausbildungsbeihilfe gegenüber Leistungen für Unterhalt und Unterkunft nach dem SGB 8 grundsätzlich vorrangig ist.
Normenkette
SGB 3 § 22 Abs. 1; SGB 3 § 56 Abs. 1 Nr. 3; SGB 3 § 67 Abs. 1, 2 S. 1; SGB 8 § 10 Abs. 1 Sätze 1-2; SGB 8 § 13 Abs. 2; SGB 8 § 27 Abs. 3 S. 2; SGB 8 § 41 Abs. 1; SGB 8 § 97 S. 1; SGB 10 § 104 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 9. Juni 2016 und des Sozialgerichts Trier vom 30. Juni 2015 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der klagende Landkreis, ein Träger der Jugendhilfe, begehrt die Feststellung der Verpflichtung der beklagten Bundesagentur für Arbeit zur Zahlung von Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) an die Beigeladene.
Die im Jahre 1996 geborene N. W. (im Folgenden: Beigeladene) erhält seit Juli 2012 Hilfe zur Erziehung in einer Einrichtung über Tag und Nacht (Heimerziehung) im Jugendhilfezentrum "c. " in A. (im Folgenden: Jugendhilfezentrum) mit Kostenübernahme durch den Kläger. Die Beklagte bestätigte nach einem Eignungstest, dass bei der Beigeladenen aufgrund der Art und Schwere der Behinderung eine Ausbildung nach § 66 BBiG angezeigt sei (Schreiben vom 13.6.2014). Der Kläger trug auch die Kosten für deren im September 2014 begonnene Ausbildung zur Beiköchin im Jugendhilfezentrum (Bescheid an die Beigeladene und Nachricht an den Kläger vom 22.9.2014). Die Kosten für die Gesamtmaßnahme beliefen sich auf ca 7000 Euro monatlich und umfassten Betreuungskosten (Heimerziehung), Ausbildungskosten (rund 2000 Euro) und den Lebensunterhalt der Beigeladenen. Als Ausbildungsbetrieb zahlte das Jugendhilfezentrum der Beigeladenen eine Ausbildungsvergütung in Höhe von 793,26 Euro monatlich (1.8.2014 bis 31.8.2015) bzw 843,20 Euro monatlich (1.9.2015 bis 29.2.2016) und einmalige Leistungen im November 2014, Juni 2015 und November 2015.
Der Kläger beantragte bei der Beklagten für die Beigeladene BAB. Er teilte mit, dass die von ihm erbrachten Aufwendungen neben den Kosten der Bestreitung des gesamten Lebensunterhalts die Ausbildungskosten umfassten (Schreiben vom 22.9.2014). Die Eltern der Beigeladenen bezögen SGB II-Leistungen. Die Beklagte lehnte den Antrag auf BAB ab, weil die Beigeladene mit der Ausbildungsvergütung über ausreichende Einkünfte verfüge (Bescheid vom 18.11.2014; Widerspruchsbescheid vom 19.2.2015). Das SG hat der allein von dem Kläger als erstattungsberechtigtem Träger der Jugendhilfe erhobenen Klage stattgegeben, den Bescheid vom 18.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.2.2015 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an den Kläger BAB für die Beigeladene ab dem 1.9.2014 zu zahlen (Urteil vom 30.6.2015).
Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das SG-Urteil geändert und festgestellt, dass diese verpflichtet sei, der Beigeladenen ab 1.9.2014 BAB in gesetzlicher Höhe zu gewähren sowie im Übrigen die Berufung zurückgewiesen und die Klage abgewiesen (Urteil vom 9.6.2016). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Beigeladene habe vom 1.8.2014 bis 29.2.2016 eine dem Grunde nach förderungsfähige berufliche Ausbildung absolviert, gehöre zum förderungsfähigen Personenkreis und erfülle auch die sonstigen persönlichen Voraussetzungen. Die erforderlichen Mittel zur Deckung des Bedarfs für den Lebensunterhalt, die Fahrkosten, die sonstigen Aufwendungen und die Maßnahmekosten (Gesamtbedarf) hätten ihr auch nicht anderweitig zur Verfügung gestanden, weil die Ausbildungsvergütung nicht anzurechnen sei. Unabhängig von der Frage, ob man in den konkret an die Beigeladene erbrachten Zahlungen eine Ausbildungsvergütung, eine Ausbildungsbeihilfe oder eine gleichartige Leistung aus öffentlichen Mitteln sehe, stehe § 10 Abs 1 SGB VIII einer Anrechnung entgegen. Bei diesen Zahlungen und der BAB handele es sich um zweckidentische Leistungen mit unterhaltssichernder Funktion. Unerheblich sei, dass die Jugendhilfeleistungen nicht unmittelbar von dem Kläger an die Beigeladene ausgezahlt, sondern zunächst der Ausbildungseinrichtung (Jugendhilfezentrum) zur Verfügung gestellt würden, die dann ihrerseits der Beigeladenen eine Ausbildungsvergütung in entsprechender Höhe nach dem BBiG erbringe. Es handele sich dennoch um an Dritte erbrachte Sozialleistungen nach den Vorschriften des SGB VIII, weil sie der hilfebedürftigen Beigeladenen zur Verwirklichung ihres sozialen Rechts auf Jugendhilfe zukämen und deren Lebensunterhalt während der Ausbildung ermöglichten. Wegen der kausalen Verknüpfung der beiden Zahlungen erfordere es der Zweck des § 10 Abs 1 Satz 2 SGB VIII, diese Vorrangregelung anzuwenden. Entscheidend sei, dass die beiden Leistungsverpflichtungen nebeneinander bestünden und jeweils der Deckung des Lebensunterhalts der Beigeladenen im streitbefangenen Zeitraum dienten.
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 22 Abs 1 SGB III sowie § 10 SGB VIII. Eine Ausbildungsvergütung, die von der Ausbildungseinrichtung im Rahmen der Heimerziehung an einen (minderjährigen) Jugendlichen gezahlt, aber vom Jugendhilfeträger erstattet werde, müsse als Einkommen auf die BAB angerechnet werden. Im Verhältnis zwischen ihr und der Beigeladenen verliere die Ausbildungsvergütung nicht ihren Charakter als "Vergütung".
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 9. Juni 2016 und des Sozialgerichts Trier vom 30. Juni 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet.
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Urteil des LSG vom 9.6.2016, soweit dieses die Aufhebung des Bescheids vom 18.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.2.2015 durch das SG bestätigt und festgestellt hat, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Beigeladenen ab 1.9.2014 BAB in gesetzlicher Höhe zu erbringen.
Das LSG ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger sein Begehren als Anfechtungs- und Feststellungsklage geltend machen muss. Nach § 97 Satz 1 SGB VIII kann der erstattungsberechtigte Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Feststellung einer Sozialleistung betreiben sowie Rechtsmittel einlegen. Die Regelung berechtigt den Kläger, im Wege einer gesetzlichen Prozessstandschaft die Feststellung zu verfolgen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an die Beigeladene, die weiterhin potentielle Inhaberin des Anspruchs bleibt, BAB zu erbringen. Auf das von dem Kläger als Jugendhilfeträger anstelle der Beigeladenen im Wege des § 97 SGB VIII geführte Verfahren auf Bewilligung von BAB hat die Beklagte diese Sozialleistung durch die angefochtenen Bescheide abgelehnt.
Bei einer solchen Leistungsablehnung ermöglicht § 97 Satz 1 SGB VIII die Erhebung einer Anfechtungsklage (vgl nur BSG vom 22.4.1998 - B 9 VG 6/96 R - BSGE 82, 112, 114 = SozR 3-5910 § 91a Nr 4). Die damit verbundene Feststellungsklage kann sich auf das Bestehen eines Anspruchs des Jugendlichen oder Kindes beziehen. Deren (fremde) Rechte können geltend gemacht, nicht aber eine Leistung an sich selbst verlangt werden (BSG vom 15.2.2000 - B 11 AL 73/99 R - juris RdNr 14; BSG vom 11.12.2008 - B 9/9a VG 1/07 R - SozR 4-3100 § 60 Nr 5, RdNr 25; Schneider in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, § 97 RdNr 24, Stand Dezember 2016).
2. Von Amts wegen zu beachtende Verfahrenshindernisse liegen nicht vor. Ein (teilweiser) Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses für die Feststellungsklage ist nicht deshalb anzunehmen, weil der Kläger wegen der bei Klageerhebung bereits erbrachten Jugendhilfeleistungen auch einen Erstattungsanspruch gegen die Beklagte hätte geltend machen können. Der Gesetzgeber stellt den Trägern der Jugendhilfe grundsätzlich beide Wege (Feststellungsverfahren, Erstattungsverfahren) zur Wahl. § 97 SGB VIII bezieht sich nicht ausschließlich auf eine in die Zukunft gerichtete Feststellung des Sozialleistungsanspruchs; vielmehr soll das Feststellungsverfahren einer Klärung der Verhältnisse in Bezug auf das Bestehen eines Erstattungsanspruchs dienen (Schneider in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, § 97 RdNrn 19, 27, Stand Dezember 2016; vgl zu § 91a BSHG: BSG vom 22.4.1998 - B 9 VG 6/96 R - BSGE 82, 112, 116 = SozR 3-5910 § 91a Nr 4 mwN). Solange davon ausgegangen werden kann, dass sich durch die Feststellung wesentliche Vorfragen des Erstattungsstreits erledigen können, besteht (weiterhin) ein Rechtsschutzbedürfnis. Dies ist hier wegen der Klärung des Anspruchs der Beigeladenen auf BAB der Fall (vgl auch BSG vom 10.7.2014 - B 10 SF 1/14 R - SGb 2014, 504 zu der § 86 SGB X entnommenen Verpflichtung des erstattungsberechtigten Sozialhilfeträgers statt und gerade neben Erstattungsansprüchen nach den §§ 102 ff SGB X die Feststellung der Leistungspflicht des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers für bereits erbrachte Sozialleistungen als Prozessstandschafter bei vorangegangener Ablehnung gegenüber dem Berechtigten zu betreiben). Ob im Ausnahmefall das Rechtsschutzbedürfnis für eine Feststellungsklage fehlen kann, wenn bei Klageerhebung ausschließlich bereits abgeschlossene Zeiträume betroffen sind und direkt auf Erstattung geklagt werden könnte, ist im Übrigen nach den Gesamtumständen des jeweiligen Einzelfalls zu beantworten (vgl für eine derartige Konstellation: BSG vom 15.2.2000 - B 11 AL 73/99 R - juris RdNr 14). Eine solche Fallgestaltung liegt hier nicht vor.
Der Umstand, dass die Beigeladene wegen der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs 1 SGB X vor Klageerhebung bereits erbrachter Leistungen nicht noch einmal an sich selbst verlangen könnte, berührt nicht das Feststellungsrecht des vorleistenden Jugendhilfeträgers, sondern - wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat - allein den Auszahlungsanspruch der Berechtigten - also hier der Beigeladenen - gegen die Beklagte, der jedoch nicht Streitgegenstand ist.
3. Das zulässige Feststellungsbegehren ist jedoch nicht begründet. Zwar ist der Kläger grundsätzlich erstattungsberechtigt, weil er an die Beigeladene Leistungen der Jugendhilfe erbracht hat und es sich bei einem Teil dieser Jugendhilfeleistungen und der BAB um gleichartige Sozialleistungen handelt (s hierzu unter a). Wegen der Höhe der an die Beigeladene ausgezahlten Ausbildungsvergütung hatte diese gegen die Beklagte jedoch keinen Anspruch auf BAB (s hierzu unter b).
a) Rechtsgrundlage für eine potentielle Erstattungsberechtigung des Klägers nach § 97 Satz 1 SGB VIII ist § 104 Abs 1 Satz 1 SGB X. Dies setzt voraus, dass Leistungsverpflichtungen von zwei Sozialleistungsträgern - hier des Klägers als Jugendhilfeträger und der beklagten BA als zur Erbringung von BAB Verpflichtete - nebeneinander bestehen und miteinander konkurrieren, wobei die Verpflichtung eines der Leistungsträger der Leistungspflicht des anderen Sozialleistungsträgers nachgehen muss.
Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG ist davon auszugehen, dass der Kläger der Beigeladenen neben der fortgeführten Hilfe zur Erziehung ab September 2014 die Förderung einer Berufsausbildung zur Beiköchin als Maßnahme der Jugendberufshilfe bewilligt hat. Nach § 41 Abs 1 SGB VIII soll einem jungen Volljährigen - in der Regel bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres - Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung gewährt werden, wenn und solange die Hilfe aufgrund der individuellen Situation des jungen Menschen notwendig ist. § 27 Abs 3 Satz 2 SGB VIII, auf den § 41 Abs 2 SGB VIII zur Ausgestaltung dieser Hilfen ausdrücklich verweist, bestimmt, dass die Hilfen zur Erziehung bei Bedarf Ausbildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen iS des § 13 Abs 2 SGB VIII einschließen. Hiernach können geeignete sozialpädagogisch begleitete Ausbildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen angeboten werden, die den Fähigkeiten und dem Entwicklungsstand dieser jungen Menschen Rechnung tragen. Im ambulanten und stationären Bereich können Hilfeformen vorgehalten werden, die Hilfe zur Erziehung mit Ausbildungs- und Beschäftigungsformen koppeln (Schmidt-Obkirchner in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl 2015, § 27 RdNr 35; Schäfer in Münder/Meysen/Trenzcek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 7. Aufl 2013, § 13 RdNr 16 mit Verweis auf BT-Drucks 11/5948, S 55; zur sozialpolitischen Bedeutung: Schruth in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, § 13 RdNr 48 ff, Stand Juni 2014). Möglich sind öffentlich-rechtliche Beschäftigungsmaßnahmen und reguläre Arbeitsverträge (Struck in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl 2015, § 13 RdNr 32). Bei der Entscheidung über die Art, den Umfang und die zeitliche Dauer einer Hilfe für junge Volljährige steht dem Jugendhilfeträger im erforderlichen Rahmen der (sozial-)pädagogischen Wertungen und Zukunftsprognosen ein gerichtlich nicht voll überprüfbarer Beurteilungsspielraum und ein Bewertungsvorrecht zu (Fischer in Schellhorn ua, SGB VIII, 5. Aufl 2017, § 41 RdNr 17 mwRspr).
Die gerichtliche Überprüfung hat sich grundsätzlich darauf zu beschränken, ob allgemein gültige fachliche Maßstäbe beachtet worden, keine sachfremden Erwägungen eingeflossen und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt worden sind (vgl BVerwG vom 24.6.1999 - 5 C 24/98 - BVerwGE 109, 155, 167; BayVGH vom 17.6.2004 - 12 CE 04.578 - JAmt 2004, 545, 546; VG Würzburg vom 22.7.2010 - W 3 K 10.489 - juris, RdNr 25). Anhaltspunkte dafür, dass eine solche Förderung der Beigeladenen durch die auch von der Beklagten als "angezeigt" angesehene Ausbildung zur Beiköchin in der Jugendhilfeeinrichtung nicht erforderlich war, liegen nicht vor.
Bei diesen Leistungen des Klägers als Jugendhilfeträger und der BAB kann es sich auch um gleichartige Sozialleistungen im Sinne der Vorrang-Nachrang-Regelung des § 104 SGB X handeln. Wesentliche Kriterien für die Gleichartigkeit der Leistungen sind deren Ziel und Funktion, also "deren Zweck" (Mrozynski, SGB VIII, 5. Aufl 2009, § 10 RdNr 2). Die Leistungen müssen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sein (BVerwG vom 2.3.2006 - 5 C 15.05 - BVerwGE 125, 95 ff, 96). Dies kann nicht pauschal anhand der (gesamten) Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe, sondern nur bezogen auf die jeweils differenziert zu betrachtenden einzelnen Anteile einer Jugendhilfemaßnahme bestimmt werden (vgl nur OVG Lüneburg vom 28.7.2009 - 4 PA 250/08 - FEVS 61, 180, 181).
Eine Kongruenz von Leistungen ist bei der Sicherstellung des Lebensunterhalts durch die Jugendhilfeleistungen einerseits und die BAB andererseits grundsätzlich anzunehmen, wobei die BAB gegenüber Leistungen für Unterhalt und Unterkunft nach dem SGB VIII grundsätzlich vorrangig ist (Luthe in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, § 10 RdNr 15, Stand Februar 2017; Happe/Saurbier in Jans/Happe/Saurbier/Maas, Kinder- und Jugendhilferecht, § 10 RdNr 31, Stand Januar 2015; Meysen in Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 7. Aufl 2013, § 10 RdNr 9; vgl zur früheren Rechtslage: BSG vom 28.9.1993 - 11 RAr 7/93 - FEVS 45, 127, 131). Dies ergibt sich aus dem Zusammenwirken der Subsidiaritätsregelungen in § 22 Abs 1 SGB III und § 10 Abs 1 SGB VIII. Nach § 10 Abs 1 Satz 1 SGB VIII werden Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen und der Schulen, durch das SGB VIII nicht berührt (Satz 1). Auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil nach dem SGB VIII entsprechende Leistungen vorgesehen sind (§ 10 Abs 1 Satz 2 SGB VIII). Wenn Leistungen eines anderen Sozialleistungsträgers nicht deshalb versagt werden dürfen, weil es im SGB VIII entsprechende Leistungen gibt, zeigt dies, dass im Sinne der weiteren Nachrangregelung des § 22 Abs 1 und 2 SGB III eine Leistungspflicht des Jugendhilfeträgers in Fallgestaltungen gleichartiger Leistungen gerade nicht bestehen soll und die Jugendhilfe als nachrangig angesehen werden muss (Luthe in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, § 10 RdNr 27, Stand Februar 2017).
b) Trotz demnach grundsätzlich möglicher Erstattungsberechtigung des Klägers iS des § 97 Satz 1 SGB VIII steht einer Begründetheit seines Feststellungsbegehrens entgegen, dass die Ausbildungsvergütung selbst nicht als nachrangige Jugendhilfeleistung iS des § 10 SGB VIII angesehen werden und wegen deren konkreter Höhe von der Beigeladenen keine BAB beansprucht werden kann.
§ 56 Abs 1 SGB III macht den Anspruch von Auszubildenden auf BAB während einer Berufsausbildung davon abhängig, ob eine Berufsausbildung förderungsfähig ist (Nr 1), sie zum förderungsfähigen Personenkreis gehören, die sonstigen persönlichen Voraussetzungen für eine Förderung erfüllt sind (Nr 2) und ihnen die erforderlichen Mittel zur Deckung des Bedarfs für den Lebensunterhalt, die Fahrkosten und die sonstigen Aufwendungen (Gesamtbedarf) nicht anderweitig zur Verfügung stehen (Nr 3). Zwar kann ausgehend von einer Berufsausbildung für behinderte Menschen nach § 66 BBiG grundsätzlich eine durch BAB förderungsfähige Ausbildung vorliegen (§ 116 Abs 2 SGB III iVm § 57 Abs 1 SGB III; vgl die am 30.9.2011 beschlossene Empfehlung für eine Ausbildungsregelung zum Fachpraktiker Küche ≪Beikoch≫/zur Fachpraktikerin Küche ≪Beiköchin≫ gemäß § 66 BBiG bzw § 42m HwO ≪BAnZ Nr 165a - Beilage vom 3.11.2011≫). Die Beigeladene konnte ihren zu berücksichtigenden Gesamtbedarf im Rahmen der BAB jedoch anderweitig iS des § 56 Abs 1 Nr 3 SGB III decken.
Die Subsidiaritätsklausel des § 56 Abs 1 Nr 3 SGB III wird in § 67 SGB III näher konkretisiert. Die Ermittlung des zu berücksichtigenden Einkommens richtet sich über § 67 Abs 2 Satz 1 SGB III im Wesentlichen nach § 21 BAföG und knüpft an den Einkommensbegriff iS des § 2 EStG an. § 2 Abs 1 EStG bestimmt, welche Arten des zu berücksichtigenden Einkommens existieren. Vom Einkommensbegriff des § 21 Abs 3 Satz 1 Nr 4 BAföG iVm § 2 EStG umfasst sind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, nicht jedoch solche aus staatlichen Transferleistungen (Buser in Eicher/Schlegel, SGB III, § 56 RdNr 47, Stand Dezember 2015). Die Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass die von dem Jugendhilfezentrum erbrachte Lehrlingsvergütung als Einkommen aus unselbständiger Arbeit iS des § 67 SGB III iVm den Vorschriften des BAföG und des EStG anzurechnen ist.
Insofern ist nicht entscheidend, dass der Kläger die gesamten Ausbildungskosten der Beigeladenen zur Beiköchin - einschließlich der damit verbundenen Lehrlingsvergütung - gegenüber der Beigeladenen als Jugendhilfeleistung bewilligt und tatsächlich wirtschaftlich getragen hat. Zwar könnten die Leistungen des Klägers an das Jugendhilfezentrum als ausbildenden Betrieb als Sozialleistungen für den Arbeitgeber zu qualifizieren sein (vgl nur BSG vom 22.9.2004 - B 11 AL 33/03 R - SozR 4-1500 § 183 Nr 2 zu Eingliederungszuschüssen an Arbeitgeber; BSG vom 6.8.2014 - B 11 AL 7/13 R - SozR 4-1200 § 45 Nr 8 RdNr 15 ff zu Erstattungszahlungen für Arbeitgeberbeiträge an den eine WfB betreibenden Verein). Hiervon getrennt zu betrachten ist jedoch die Frage, ob die zwischen der Beigeladenen und dem Jugendhilfezentrum auf der Grundlage eines Berufsausbildungsvertrags (§ 10 BBiG) mit Vereinbarung einer Vergütung (§ 17 BBiG) an die Beigeladene erbrachte Ausbildungsvergütung als Einkommen im Sinne der Vorschriften zur BAB zu berücksichtigen ist (vgl zu den unterschiedlichen Rechtsverhältnissen im Rahmen einer dreiseitigen Rechtsbeziehung bei Förderung einer überbetrieblichen Ausbildung der beruflichen Rehabilitation durch die Arbeitsverwaltung: BAG vom 15.11.2000 - 5 AZR 296/99 - BAGE 96, 237, 244).
Die Vorschriften zur Einkommensanrechnung bei der BAB unterscheiden zwischen anrechenbaren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit und staatlichen Transferleistungen. Nur für staatliche Transferleistungen regelt § 21 Abs 3 Satz 1 Nr 4 BAföG, dass sonstige Einnahmen, die zur Deckung des Lebensbedarfs bestimmt sind, als Einkommen in Höhe der tatsächlich geleisteten Beträge gelten, soweit sie das Bundesministerium für Bildung und Forschung in der diese Leistungen der sozialen Sicherung abschließend aufzählenden BAföG-Einkommensverordnung erfasst bzw gerade nicht erfasst hat. Bezogen auf privatrechtlich vereinbarte Ausbildungsvergütungen enthalten die bei der BAB heranzuziehenden Einkommensanrechnungsvorschriften jedoch keine Einschränkungen (etwa im Sinne einer Nichtanrechenbarkeit von aus Jugendhilfemitteln in wirtschaftlicher Hinsicht getragenen Ausbildungsvergütungen). Dass bei Berufsausbildungsverhältnissen nach § 66 BBiG häufig eine Förderung durch staatliche Transferzahlungen notwendig sein wird und zugleich aus jugendhilferechtlicher Sicht eine Angleichung an "normale Ausbildungsverhältnisse" angestrebt wird, ermöglicht keine andere rechtliche Wertung. Da die gesetzlichen Regelungen eine Anrechenbarkeit der tatsächlichen Einnahmen aus einer Ausbildungsvergütung - in hier bedarfsdeckender Höhe von 793,26 Euro (Zeitraum: 1.8.2014 bis 31.8.2015) bzw 843,20 Euro (Zeitraum: 1.9.2015 bis 29.2.2016) zzgl der einmaligen Zahlungen - zwingend vorsehen, sieht der Senat keinen rechtlichen Ansatz für eine Nichtberücksichtigung der an die Beigeladene nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG gezahlten Vergütung in bedarfsdeckender Höhe.
Ohne ausdrückliche Regelung des Gesetzgebers ist es mit der privatautonomen Gestaltung der Ausbildungsvergütungen und deren Funktionen nicht vereinbar, diese gegenüber der BAB als subsidiäre Sozialleistung iS des § 11 Satz 1 SGB I zu werten. Zu berücksichtigen ist, dass die Angemessenheit der Höhe der Ausbildungsvergütung nach der Rechtsprechung des BAG ausgehend von den drei Funktionen einer finanziellen Unterstützung, der Heranbildung ausreichenden Nachwuchses und der Entlohnung der Leistungen des Auszubildenden bestimmt wird (BAG vom 22.1.2008 - 9 AZR 999/06 - BAGE 125, 285, 292; BAG vom 29.4.2015 - 9 AZR 108/14 - NZA 2015, 1384; Lakies in Lakies/Malottke, BBiG, 5. Aufl 2016, § 17 RdNr 6). Es greift regelmäßig die Vermutung, dass die Höhe der Ausbildungsvergütung diesen Gesichtspunkten Rechnung trägt. Dies wird auch darin deutlich, dass das BAG in Fallgestaltungen einer vollständigen Förderung durch die öffentliche Hand eine deutliche Unterschreitung der tariflichen Vergütung bis hin zu einem völligen Verzicht auf eine Ausbildungsvergütung jedenfalls in Einzelfällen für möglich gehalten hat (BAG vom 6.9.1989 - 5 AZR 611/88 - NZA 1990, 105 zur Vereinbarung einer Zahlung des von der BA erbrachten Ausbildungsgeldes als Vergütung iS des § 10 Abs 1 Satz 1 BBiG; BAG vom 11.10.1995 - 5 AZR 258/94 - BAGE 81, 139 ff bei 100%iger Förderung durch die öffentliche Hand und fehlendem Vorteil des ausbildenden Vereins an der Durchführung der Ausbildung; BAG vom 22.1.2008 - 9 AZR 999/06 - BAGE 125, 285 ff, zur Zulässigkeit einer deutlich unter dem Tarifniveau liegenden Ausbildungsvergütung bei einem durch Zuschüsse der Bundesagentur für Arbeit finanziertem Ausbildungsverhältnis).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
NZS 2018, 117 |
SGb 2017, 706 |
info-also 2018, 93 |