Beteiligte

Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagter

Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I

Der Streit geht um die Höhe des Altersruhegeldes des Klägers.

Der 1916 geborene, aus Schlesien stammende Kläger beantragte im März 1976 das vorzeitige Altersruhegeld und bat in der Folge die Beklagte mehrfach um einen Vorschuß, weil er sich nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes (Alg) in einer Notlage befinde.

Mit Bescheid (1) vom 2. Juli 1976 bewilligte die Beklagte dem Kläger vorgezogenes Altersruhegeld ab 1. Juni 1976 im Betrag von 1.468,70 DM monatlich und wies darauf hin, daß die Rente nach Abschluß der Ermittlungen in bezug auf die von 1932 bis 1935 weiter geltend gemachten Beitragszeiten gegebenenfalls auch zu Ungunsten des Klägers neu berechnet werde. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch.

In dem weiteren Bescheid (2) vom 1. November 1976 hob die Beklagte den ersten Bescheid auf, stellte das Altersruhegeld unter Berücksichtigung weiterer, die persönliche Rentenbemessungsgrundlage vermindernder Versicherungszeiten auf den Betrag von 1.411,80 DM monatlich neu fest und verrechnete die Überzahlung von 170,70 DM mit einem noch nicht ausgezahlten Rentenbetrag. Auch hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein.

In einem dritten Bescheid vom 12. Mai 1977 veränderte die Beklagte die bisherige, ihrer Ansicht nach "besitzgeschützte" Rentenhöhe nicht, berechnete die Rente aber gleichwohl unter veränderter Anwendung des § 32 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) neu auf 1.411,30 DM monatlich.

Gegen diesen Bescheid und die vorangegangenen beiden anderen Bescheide hat der Kläger Klage erhoben. Die Beklagte hat am 19. Januar 1978 den Widerspruch des Klägers gegen alle drei Bescheide zurückgewiesen. Mit der Entscheidung vom 26. Juli 1979 hat das Landessozialgericht (LSG) das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts (SG) vom 26. September 1978 abgeändert und den Bescheid 2 vom 1. November 1976 insoweit aufgehoben, als die Beklagte mit einem Rückforderungsanspruch aufrechnet; im übrigen hat das LSG die Berufung des Klägers zurückgewiesen. In der Begründung führt das Berufungsgericht aus, der Bescheid 1 vom 2. Juli 1976 habe erkennbar nur einen - vom Kläger auch geforderten - Rentenvorschuß bewilligt, der als typische vorläufige Leistung den Rentenversicherungsträger für eine zukünftige Rentenbewilligung nicht an die Höhe dieses Vorschusses binde. Deshalb, habe die Beklagte die endgültig bewilligte Rente auf einen unter dem Vorschuß liegenden Betrag festsetzen dürfen. Der Bescheid 3 vom 12. Mai 1977 sei rechtmäßig, weil die Beklagte mit der zutreffend neu festgestellten persönlichen Rentenbemessungsgrundlage allein die Begründung dieses Bescheides und den Zahlbetrag der Rente nicht geändert habe. Der Rückforderungsanspruch der Beklagten auf überzahlte Rente bestehe nach § 42 Abs. 2 Satz 2 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I). Die Beklagte habe ihn jedoch mit einem Anspruch des Klägers auf Rente nicht verrechnen dürfen, weil dies nach § 51 SGB 1 die Fälligkeit des Rückforderungsanspruchs voraussetze. Daran fehle es, weil der Anspruch noch nicht "bindend festgestellt" sei.

Das LSG hat in seinem Urteil die Revision zugelassen.

Kläger wie Beklagte haben die Revision eingelegt. Der Kläger bringt in dem am 1. Oktober 1979 eingegangenen Schriftsatz vom 28. September 1979 vor, er habe 1949 fern seiner schlesischen Heimat beruflich nochmals neu anfangen müssen und wenig verdienen können. Insbesondere der Grundsatz der Sozialstaatlichkeit zwinge dazu, auf seinen nochmaligen beruflichen Neubeginn nach dem Kriege § 32 Abs. 4 AVG erneut anzuwenden.

Der Kläger hat in einem weiteren Schriftsatz vom 6. Dezember 1979, eingegangen am 10. Dezember 1979, seine Revision noch weiter ausführlich begründet.

Der Kläger beantragt,das Urteil des Landessozialgerichts vom 26. Juli 1979 dahin abzuändern, daß sowohl das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 26. September 1978 sowie die Bescheide der Beklagten vom 1. November 1976 (2) und vom 12. Mai 1977 (3), jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 19781 vollständig und ersatzlos aufgehoben werden und der Beklagten die Kosten des gesamten Rechtsstreits aufzuerlegen, ferner die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als darin ihr Bescheid (2) vom 1. November 1976 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 1978 insoweit aufgehoben wird, als sie mit einem Rückforderungsanspruch in Höhe von 170,70 DM gegen den Anspruch des Klägers auf Altersruhegeld für die Zeit vom 1. Juni bis 31. August 1976 aufrechnet und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 26. September 1978 in vollem Umfang zurückzuweisen, ferner die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie begründet ihre Revision und führt aus, der Erstattungsanspruch nach § 42 Abs. 2 Satz 2 SGB 1 entstehe kraft Gesetzes mit der Gewährung der Vorschußzahlung, wenngleich es zu seiner Konkretisierung eines Verwaltungsaktes bedürfe. Wenn aber der Erstattungsanspruch bereits mit der Zahlung des Vorschusses entstehe und mit seinem Entstehen auch fällig werde, dann sei es sowohl für das Entstehen als auch für die Fälligkeit des Anspruches unbeachtlich, ob der ihn konkretisierende Verwaltungsakt angefochten werde oder nicht. Im übrigen treffe das Urteil des LSG zu.

II

Die Revisionen der Beteiligten sind zulässig. Das Rechtsmittel des Klägers ist nicht, das der Beklagten ist begründet.

Zur Revision des Klägers:

Vorweg ist festzuhalten, daß der Kläger im Laufe des sozialgerichtlichen Verfahrens seine Anträge zunehmend eingeschränkt hat. Während er vor dem SG noch die Aufhebung bzw. die Abänderung der Bescheide 1 bis 3 der Beklagten und die Gewährung eines höheren Altersruhegeldes beantragt hatte (Häufung mehrerer sogenannter verbundener Aufhebungs- und Leistungsklagen, §§ 54 Abs. 4, 56 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), hat er vor dem LSG die Aufhebung nur noch der Bescheide 2 und 3, d.h. die Wiederherstellung des Bescheides 1 beantragt (Häufung zweier Aufhebungsklagen, § 54 Abs. 1 SGG). Sein Revisionsantrag deckt sich dem Wortlaut nach mit dem Antrag vor dem LSG. Indessen hat der Kläger vor dem Senat schlüssig auch die Klage gegen den Bescheid 3 der Beklagten nicht aufrechterhalten: Weder die Revisionsbegründung im Schriftsatz vom 28. September 1979 noch der - nach Ablauf der Frist zur Begründung der Revision eingegangene (§ 164 Abs. 2 Satz 1 SGG) - weitere Schriftsatz vom 6. Dezember 1979 enthält einen Angriff gegen den Bescheid 3. Daß der Kläger diesen Bescheid nicht mehr beanstandet , ist im Hinblick darauf, daß der Bescheid ausdrücklich die Höhe der zu zahlenden Rente unverändert läßt, verständlich. Der Senat, der nach § 123 SGG nicht an die Fassung der Anträge des Klägers gebunden ist, muß nach allem davon ausgehen, daß er endgültig davon abgerückt ist, auch diesen dritten Bescheid anzufechten. Selbst dann aber, wenn angenommen werden könnte, daß der Kläger den Bescheid 3 auch noch in der Revisionsinstanz bekämpfen wollte, wäre der Senat gehindert, die Rechtmäßigkeit dieses Bescheides zu überprüfen. Bis zum Ablauf der Frist zur Begründung der Revision - und im übrigen auch nach ihrem Ablauf - hat der Kläger entgegen § 164 Abs. 2 Satz 3 SGG nicht, und zwar mangels jeglicher, auch nur andeutungsweiser Beanstandung die von den Vorinstanzen "verletzte Rechtsnorm" auch nicht wenigstens schlüssig "bezeichnet" (zur Notwendigkeit, bei mehreren prozessualen Ansprüchen, wie sie hier bei der Häufung mehrerer Aufhebungsklagen vorliegen, die Begründungserfordernisse für jeden Anspruch zu erfüllen vgl. BSGE 7, 35 und Meyer-Ladewig, SGG, § 164 Anm. 13). Sollte also angenommen werden können, daß der Kläger seine Klage auch gegen den Bescheid 3 in der Revisionsinstanz aufrechterhielte, wäre das Rechtsmittel mangels ordnungsgemäßer Begründung als unzulässig zu verwerfen.

Nicht begründet ist die Revision des Klägers mit dem Antrag, den Bescheid 2 der Beklagten vom 1. November 1976 abzuändern.

Die Beklagte war nicht dadurch gehindert, in diesem Bescheid die Rente auf einen geringeren Betrag als im Bescheid 1 festzusetzen, weil dieser letztere Bescheid etwa mangels eines Rechtsbehelfs des Klägers auch für die Beklagte "in der Sache bindend" i.S. von § 77 SGG geworden wäre. Der Bescheid 1 war nämlich kein Versichertenrente bewilligender Bescheid i.S. von § 204 AVG i.V.m. § 1613 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Es handelt sich vielmehr um eine Leistung, die die Beklagte zu Recht als nur vorläufige - noch nicht endgültige - Leistung und unter dem Vorbehalt der Erstattung für den Fall gezahlt hat, daß ihr Betrag die dem Kläger erst noch zu bewilligende Rente übersteige. Das LSG hat nämlich nach eingehender Würdigung aller Umstände - z.B. auch der wiederholten Bitten des Klägers um Gewährung eines Vorschusses - festgestellt, daß die Beklagte im Bescheid 1 eine solche nur vorläufige, unter dem Vorbehalt der Erstattung stehende Leistung zahlen wollte und daß dies der Kläger habe erkennen können. Diese Tatsachenfeststellung hat der Kläger bis zum Ablauf, der Frist zur Begründung der Revision nach § 164 Abs. 2 Satz 3 SGG nicht formgerecht angegriffen; der Senat ist daher an sie gebunden (§ 163 SGG).

Eine solche Zahlung des Rentenversicherungsträgers im Vorgriff und als Vorleistung auf eine erst noch zu gewährende Rente ist ihrem Wesen nach nicht geeignet, bei dem Empfänger auch nur einen guten Glauben dahin zu begründen, der Träger habe ihm eine Rente auch der Höhe nach bereits endgültig zugebilligt (vgl. z.B. BSGE 39, 86, 91 = SozR 2200 § 628 Nr. 1). Die Bewilligung eines Vorschusses auf eine dem Munde nach zustehende Rente vermag daher keine Bindung des Versicherungsträgers an die Höhe des Vorschusses zu bewirken. Vielmehr ist der Träger ungehindert hiervon verpflichtet, die Rente endgültig in der gesetzlichen Höhe festzusetzen.

Die Beklagte hatte sich im "Bescheid" 1 auch auf die Bewilligung eines Vorschusses beschränken dürfen. Nach § 42 Abs. 1 Satz 2 SGB 1 hat der Rentenversicherungsträger auf den Antrag des Versicherten einen solchen Vorschuß zu gewähren, wenn ein Anspruch auf Rente dem Grunde nach besteht und die Feststellung der Rentenhöhe noch längere Zeit in Anspruch nehmen würde. All dies war hier nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG der Fall. Die Beklagte war also nicht verpflichtete im Bescheid 1 Rente bereits endgültig zu bewilligen.

Nach allem durfte die Beklagte im Bescheid 2 den im Vorschuß-"Bescheid" 1 festgelegten Betrag ohne Bindung an diesen Bescheid (vgl. § 77 SGG) unterschreiten.

Der Kläger hat die Rechtmäßigkeit dieses Bescheides allerdings auch mit der sachlich-rechtlichen Behauptung bestritten, die Beklagte habe gegen Verfassungsrecht verstoßen, weil es § 32 Abs. 4 AVG nicht auch - ein zweites Mal - auf die ersten fünf Jahre des beruflichen Wiederbeginns nach Krieg und Vertreibung angewandt habe. Der Vortrag des Klägers ist insoweit nicht widerspruchsfrei: Im - nach Ablauf der Frist zur Begründung der Revision eingegangenen - Schriftsatz vom 6. Dezember 1979 bekundet der Kläger "unter Umständen" seine Bereitschaft, nicht auf die nach dem, sondern auf die vor dem zweiten Weltkrieg zurückgelegten Versicherungszeiten zu verzichten, auf die § 32 Abs. 4 a.a.O. ohnedies auch nach Ansicht der Beklagten anzuwenden ist. Abgesehen davon, daß ein solcher Verzicht, falls ihn der Kläger erklären würde, als eine nach Abschluß der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG abgegebene Willenserklärung materiell-rechtlichen Inhalts vom erkennenden Senat nicht berücksichtigt werden könnte (vgl. § 163 SGG), bleibt es fraglich, ob dem Kläger die "doppelte Anwendung" des § 32 Abs. 4 AVG den beabsichtigten Erfolg brächte. Im einzelnen mag dies dahinstehen. Jedenfalls gilt:

In bezug auf die vom Kläger gewünschte doppelte Anwendung des § 32 Abs. 4 a.a.O. liegt keine Lücke im Gesetz vor. Daß insbesondere die aus ihrer Heimat vertriebenen deutschen Versicherten nach dem zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik Deutschland auch beruflich neu anfangen mußten, ist eine Tatsache, der ein evidenter Massensachverhalt zugrunde liegt: Im Zusammenhang mit und nach dem Kriege sind Millionen vertriebener Deutscher in das Bundesgebiet gelangt. Das kann der Gesetzgeber, der zum Zwecke der Eingliederung gerade dieser Vertriebenen in das Rentensystem der Bundesrepublik am 7. August 1953 das Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz (FAG; BGBl. 1, 848) und am 25. Februar 1960 das Gesetz zur Neuregelung des Fremdrenten- und Auslandsrentenrechts (FANG) erlassen hat (BGBl. 1, 93), nicht übersehen haben. Im übrigen verstößt die Tatsache, daß der Gesetzgeber keine doppelte Anwendung des § 32 Abs. 4 a.a.O. auf den genannten Personenkreis vorgesehen hat, nicht gegen Verfassungsgrundsätze, insbesondere nicht gegen das Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs. 1 i.V.m. Art 28 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes - GG -) oder gegen den Gleichheitssatz (Art 3 Abs. 1 GG). Motiv der in § 32 Abs. 4 a.a.O. getroffenen Regelung ist die Überlegung des Gesetzgebers, daß die in den ersten fünf Kalenderjahren der Versicherung entrichteten Pflichtbeiträge im allgemeinen von Berufsanfängern (Lehrlingen, Anlernlingen, Praktikanten, sonstigen Auszubildenden) entrichtet worden sind und daher ungewöhnlich niedrig sein werden; diese Beiträge sind daher geeignet, die Rentenhöhe ungünstig zu beeinflussen (vgl. dazu z.B. Hanow/Lehmann/Bogs, Rentenversicherung der Arbeiter, 5. Aufl., § 1255 RVO, Rdnr. 58; VerbKomm, 6. Aufl., § 1255 RVO Anm. 48 a). Diesen rentenrechtlichen Nachteil beseitigt die in Frage stehende Vorschrift. Es kann jedoch kein Zweifel bestehen, daß z.B. ein nach dem letzten Kriege aus Schlesien ins Bundesgebiet gelangter Facharbeiter oder Buchhalter sein berufliches Können und Wissen mitgebracht haben wird, also keineswegs zum Kreise der Berufsanfänger gehört, wie sie dem Gesetzgeber bei Schaffung des § 32 Abs. 4 AVG vor Augen standen. Es besteht ein manifester, keiner Erklärung bedürftiger Unterschied zwischen einem "Berufsanfänger" und dem beruflichen Wiederbeginn des beruflich bereits qualifizierten Arbeiters oder Angestellten in der Bundesrepublik nach Krieg und Vertreibung. Das gilt auch dann, wenn die Lage auf dem Arbeitsmarkt der Bundesrepublik den vertriebenen Versicherten zwangen, in einem anderen Beruf tätig zu werden. Für die Gegebenheiten des Arbeitsmarktes, z.B. die zeitweilige Unmöglichkeit einer berufsrichtigen Arbeitsvermittlung hat die gesetzliche Rentenversicherung grundsätzlich nicht einzustehen. Mithin handelt es sich um verschiedene, nicht vergleichbare Sachverhalte, auf die der Kläger zu Unrecht Gleichheitssatz und Sozialstaatsprinzip angewendet haben will.

Nach allem ist der Bescheid 2 der Beklagten vom 1. November 1976 nicht zu beanstanden. Da dies auch das LSG nicht getan hat, war die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.

Zur Revision der Beklagten:

Die Beklagte hat im Bescheid 2 vom 1. November 1976 mit der Vorschußüberzahlung von 170,70 DM gegen den Anspruch des Klägers auf Altersruhegeld aufgerechnet. Entgegen der Auffassung des LSG ist dies nicht zu rügen:

Nach § 51 Abs. 1 SGB 1 kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf Geldleistungen mit Ansprüchen gegen den Berechtigten - innerhalb gewisser Grenzen - aufrechnen. Schon durch die Übernahme des Begriffs der Aufrechnung verweist § 51 SGB 1 stillschweigend auf die in den §§ 387 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) getroffene Regelung, wobei angesichts des Schutzcharakters des Sozialrechts zumindest die Voraussetzungen des § 387 BGB vorliegen müssen, also auch die Fälligkeit der gegenseitigen Forderungen (vgl. BSGE 15, 38; 34, 132; Heinze in Bochumer Kommentar, Allgem. Teil, § 51 Rdnr. 4 und 12; Thieme in Wannagat, Komm zum SGB 1, § 51 Rdnr. 3 und 4). Fällig ist eine Forderung von dem Zeitpunkt an, von dem an sie der Gläubiger verlangen kann (vgl. z.B. Palandt, BGB, 39. Aufl., § 271, Anm. 1). Nach § 42 Abs. 2 Satz 2 SGB 1 hat der Empfänger einen die "zustehende", d.h. endgültige Leistung "übersteigenden" Vorschuß zu erstatten. Das bedeutet, daß der Leistungsträger vom Vorschußempfänger einen "übersteigenden" Betrag von dem Zeitpunkt an zurückverlangen kann, von dem an feststeht, in welcher Höhe ihm die - bevorschußte - Leistung endgültig "zusteht". Diesen Zeitpunkt nennt § 42 Abs. 1 Satz 1 SGB die "Feststellung" der Leistung. Diese Feststellung wiederum ist in der Rentenversicherung identisch mit dem Erlaß des Renterbewilligungsbescheides i.S. des § 1631 Abs. 3 RVO. Es genügt der Erlaß des Feststellungsbescheides; nicht notwendig ist der Eintritt der Bindung i.S. von § 77 SGG. Der Feststellungsbescheid, ist ein zum überwiegenden Teil begünstigender Verwaltungsakt i.S. der am 1. Januar 1981 in Kraft tretenden §§ 31, 45 Abs. 1 des 10. Buches des SGB (SGB 10). Dieser Verwaltungsakt erzeugt bereits mit seinem Erlaß, selbst wenn er angefochten wird, mangels einer aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage volle Rechtswirkung (vgl. §§ 86 Abs. 2, 97 SGG). Diese sofortige, von der Einlegung eines Rechtsbehelfs unbeeinflußte Wirkung des Verwaltungsaktes zeigt sich u.a. darin, daß der Versicherte nach § 42 Abs. 1 SGB 1 nunmehr keinen Vorschuß mehr verlangen kann.

Das Vorgehen der Beklagten ist um so unbedenklicher, als die Aufrechnung eine Rückforderung des Versicherungsträgers enthält und die Klage des Betroffenen daher insoweit - worauf das LSG zutreffend hingewiesen hat - nach § 97 Abs. 1 Nr. 2 SGG aufschiebende Wirkung hat (vgl. Peters/Sautter/Wolff, Komm zur SGg, § 97 SGG, Anm. 3, S. II/61-6-). Dieser weitgehende gerichtliche Rechtsschutz in bezug auf den Aufrechnungsbescheid bewirkt, daß der Rentenversicherungsträger mit ihm gleichsam eine Rückforderung erst einmal versucht; ficht der Betroffene den Renten- und den Aufrechnungsbescheid an, macht erst die rechtskräftige Entscheidung im Rechtszuge die Aufrechnung wirksam. Eine solche gerichtliche Klärung schon zusammen mit der Entscheidung über die Höhe der - endgültigen - Rente herbeizuführen, liegt im übrigen im Interesse aller Beteiligten.

Läßt aber der Bescheid der Beklagten auch bezüglich der darin verfügten Aufrechnung keinen Rechtsfehler erkennen, so mußte auf die Revision der Beklagten das Urteil des LSG entsprechend abgeändert und das Ersturteil des SG wiederhergestellt werden.

Da der Kläger mit seinem Rechtsmittel nicht durchgedrungen ist, hat ihm die Beklagte außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten (§ 193 SGG).1 RA 105/79

Bundessozialgericht

Verkündet am 12. Nov. 1980

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518589

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