Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen von 15. August 1979 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit.
Der im Jahre 1922 geborene Kläger war nach Ausübung anderweitiger Tätigkeiten vom Jahre 1956 an beim Wasser- und Schiffahrtsamt C. als Matrose beschäftigt. Er wurde wie ein Matrose mit abgeschlossener Berufsausbildung tariflich eingestuft und entlohnt. Nach einer während des Berufungsverfahrens eingeholten Auskunft des Wasser- und Schifffahrtsamtes C. vom 26. April 1979 wird er seit dem 13. Oktober 1978 als Vervielfältiger/Lichtpauser beschäftigt. Mit dieser Tätigkeit ist er in die Lohngruppe VII des Manteltarifvertrages für Arbeiter des Bundes (MTB II) eingestuft. Ihm wird jedoch gemäß § 37 MTB II im Wege der tariflichen Lohn ab Sicherung der Unterschiedsbetrag zwischen der Lohngruppe VII und seiner bisherigen Lohngruppe II als persönliche Zulage gewährt.
Den Antrag des Klägers vom Januar 1977 auf Gewährung einer Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 3. August 1977 ab. Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteile des Sozialgerichts -SG- Stade vom 12. Mai 1978 und des Landessozialgerichts –LSG– Niedersachsen vom 15. August 1979). Das LSG hat die Berufung des Klägers mit folgender Begründung zurückgewiesen:
Der Kläger könne nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme seinen bisherigen Beruf des Matrosen nicht mehr ausüben. Aufgrund seines bisherigen Berufes genieße er den vollen Berufsschutz eines gelernten Facharbeiters, Gleichwohl sei er nicht berufsunfähig. Er müsse sich nicht nur auf andere Lehr- oder Anlernberufe, sondern auch auf solche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsfeldes verweisen lassen, die sich durch besondere Anforderungen zB an Verantwortung, Konzentration, Umsicht oder Sorgfalt sowie durch ihre betriebliche Bedeutung deutlich aus dem Kreis einfacher ungelernter Arbeiten hervorhöben und deswegen zumindest wie Tätigkeiten der mittleren Gruppe der Arbeiterberufe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters entlohnt würden. In Betracht kämen außer Prüf- und Kontrollarbeiten mit gehobener Verantwortung in Gewerbe und Industrie (zB Qualitätsprüfer in der Metallindustrie; Lohngruppen 5 und 6) auch die zahlreichen sich aus der Mechanisierung und Automation der Arbeitsprozesse ergebenden Uberwachungs, Kontroll- und Revisionsarbeiten sowie Maschinen-, Apparate-, Anlagen- und Schalttafelbedienungen. Arbeiten dieser Art könne der Kläger nach einer Einarbeitungszeit bis zu drei Monaten vollwertig verrichten. Arbeitsplätze seien in hinreichender Anzahl vorhanden.
Überdies könne der Kläger zumutbar auch auf seine gegenwärtig ausgeübte Tätigkeit als Vervielfältiger/Lichtpauser verwiesen werden, weil ihm hierfür im Wege der tariflichem Lohnabsicherung der bisherige Matrosenlohn in voller Höhe weitergezahlt werde. Zwar könne diese Tätigkeit von ihrer Qualität her von einem ungelernten Arbeiter nach kurzer Einweisung verrichtet werden. Sie sei in die niedrigste Lohngruppe eingestuft und deswegen in die unterste Gruppe der Arbeiterberufe einzuordnen. Allein von daher sei sie dem Kläger nicht zuzumuten. Im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung könne jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, daß der Kläger im Wege der tariflichen Lohn ab Sicherung sein volles bisheriges Arbeitsentgelt weitererhalte. Damit liege Berufsunfähigkeit noch nicht vor (Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts –BSG– vom 19. Januar 1978, BSGE 45, 267 – SozR 2200 § 1246 Kr 26). Zwar habe das BSG bezüglich der Zumutbarkeit von Verweisungstätigkeiten stets primär auf die qualitativen Anforderungen und die betriebliche Bedeutung der zu prüfenden Verweisungstätigkeiten abgestellt und in diesem Zusammenhang die tarifliche Einstufung als wichtiges Indiz für den qualitativen Wert der Verweisungstätigkeiten angesehen. Es habe jedoch mehrfach betont, daß neben oder anstelle dieser Kriterien auch andere Faktoren von ausschlaggebender Bedeutung sein könnten, und in diesem Zusammenhang wiederholt das tatsächliche Arbeitseinkommen sowie seine Höhe und Sicherheit in den Vordergrund seiner Erwägungen gerückt. In Fortführung dieser Rechtsprechung könne es auf die Qualität eines tatsächlich ausgeübten Verweisungsberufes und auf seine normale tarifliche Einstufung jedenfalls dann nicht entscheidend ankommen, wenn das reale Arbeitseinkommen des Versicherten aus dieser Tätigkeit deutlich höher sei als der ausschließlich nach jenen Merkmalen maßgebende Lohn, das höhere Arbeitseinkommen nicht auf einem auf die Person des Versicherten beschränkten Entgegenkommen des Arbeitgebers, sondern auf einer Tarif- oder Betriebsvereinbarung beruhe, die eine vollständige oder teilweise Lohnabsicherung nach langer Betriebszugehörigkeit und krankheitsbedingter Versetzung auf einen tariflich geringer bewerteten Arbeitsplatz für alle vergleichbaren Arbeitnehmer des Unternehmens gewährleiste, und die Qualität der Verweisungstätigkeit nicht in einem unvertretbar krassen Mißverhältnis zur Qualität des früheren Hauptberufes stehe. Die Lohnersatzfunktion der Versichertenrente rechtfertige es, dem Arbeitseinkommen aus einer tatsächlich verrichteten Erwerbstätigkeit Bedeutung nicht nur für die Frage beizumessen, ob hierdurch die gesetzliche Lohnhälfte erreicht werde, sondern auch für die Frage der Zumutbarkeit dieser Tätigkeit. Allerdings könne diesem Merkmal nicht die allein ausschlaggebende Bedeutung zukommen. Vielmehr könne die Frage der Zumutbarkeit stets nur aus der Summe aller maßgebenden Merkmale beantwortet werden. In bestimmten Fällen sei das tatsächlich erzielte höhere Erwerbseinkommen nicht zu berücksichtigen. Andererseits seien neben den qualitativen Anforderungen des neuen Arbeitsplatzes und seiner normalen tariflichen Bewertung auch die Sicherheit des neuen Arbeitsplatzes und die ganze Arbeitsplatzsituation wie zB Sauberkeit der Arbeit sowie Fehlen körperlicher Belastungen und negativer Umwelteinflüsse (Temperatur, Lärm, Witterung) zu beachten. Unter Berücksichtigung der vollen tariflichen Lohnabsicherung, der Sicherheit des neuen Arbeitsplatzes und der deutlich leichteren und angenehmeren allgemeinen Arbeitsplatzsituation sei insgesamt die gegenwärtige Tätigkeit dem Kläger zumutbar. Die ihm gewährte Lohnabsicherung sei keine Vergönnungsleistung, sondern eine Fortwirkung der langjährigen Beschäftigung sowie des im Betrieb erworbenen sozialen und beruflichen Ansehens und zur Wahrung des erworbenen sozialen Besitzstandes bestimmt. Ein „besonderes soziales Betroffensein”, wie es Voraussetzung für die Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit sei, liege nicht vor≪ Dem stehe nicht entgegen, daß nach dem Sachvortrag des Klägers die tarifliche Lohnabsicherung entfalle, wenn und soweit er Rente erhalte.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzungen des § 1246 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und der §§ 103, 128 und 136 Abs. 1 Nr. 6 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), Mit der generellen und pauschalen Verweisung auf die angeführten herausgehobenen und deswegen wie Tätigkeiten der mittleren Gruppe der Arbeiterberufe entlohnten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsfeldes habe das LSG die von der Rechtsprechung des BSG geforderten konkreten Bezeichnungspflichten mißachtet. Das angefochtene Urteil enthalte keine ausreichend konkreten und revisionsgerichtlich nachprüfbaren Feststellungen darüber, welche beruflichen sowie körperlichen und seelischgeistigen Anforderungen an die in Betracht gezogenen Verweisungstätigkeiten gestellt würden. Ferner fehle die Feststellung, aufgrund welcher Tatsachen angenommen werden dürfe, er (Kläger) könne innerhalb von drei Monaten die Fähigkeiten für eine der ihm berufsfremden qualifizierten Verweisungstätigkeiten erlangen. Verfahrensmäßig sei in diesem Zusammenhang zu beanstanden, daß das LSG nur seine (Klägers) körperliche Einsatzfähigkeit geprüft und gewürdigt und demzufolge nur über seine körperliche Eignung für eine der erwogenen Verweisungstätigkeiten entschieden habe, Hingegen habe es nicht geprüft, ob er sich nach seinen seelischgeistigen Fähigkeiten überhaupt noch für Tätigkeiten eigne, weiche Verantwortung, Konzentration, Umsicht oder Sorgfalt erforderten, und ob ihm insbesondere eine Umstellung auf qualitativ anspruchsvolle berufsfremde Arbeiten objektiv zugemutet werden könne. Zu einer solchen Prüfung und zur weiteren Sachaufklärung insbesondere durch Einholung eines psychologischen Eignungsgutachtens habe jedoch im Hinblick auf ein von mehreren Sachverständigen festgestelltes psychovegetatives Syndrom mit Versagenshaltung und funktionellen Kreislaufregulationsstörungen sowie eine Alkoholgefährdung aller Anlaß bestanden. Statt dessen sei das LSG auf seine (Klägers) geringe psychischgeistige Belastbarkeit mit keinem Wort eingegangen.
Es habe ihn auch zu Unrecht auf die gegenwärtig ausgeübte Tätigkeit eines Vervielfältigers verwiesen. Diese in die niedrigste Lohngruppe eingestufte Tätigkeit sei eine ausgesprochene Hilfsarbeit. Ihre Unzumutbarkeit komme auch darin zum Ausdruck, daß er (Kläger) um fünf Lohngruppen des Tarifvertrages zurückgefallen sei. Die Tätigkeit werde nicht dadurch zumutbar, daß ihm im Ergebnis der Lohn nach Lohngruppe II fortgezahlt werde. Das Urteil des BSG vom 19. Januar 1978 habe einen anderen Sachverhalt – Weiterbeschäftigung älterer leistungsgeminderter Facharbeiter in einer eigens vom Betrieb eingerichteten Sonderwerkstatt, wobei die Arbeitnehmer nicht als Hilfsarbeiter beschäftigt und entsprechend niedrig tariflich eingestuft worden seien – betroffen. Er (Kläger) arbeite nicht unter vergleichbaren Umständen und ähnlichen Bedingungen. Das Urteil vom 19. Januar 1978 könne nicht dahin verallgemeinert werden, daß eine an sich unzumutbare Verweisungstätigkeit stets dann zumutbar sei, wenn aufgrund tarifvertraglicher Lohnsicherung der bisherige Lohn weitergezahlt werde. Vielmehr komme es nach ständiger Rechtsprechung bei der subjektiven Zumutbarkeit auf den qualitativen Wert der verrichteten Tätigkeit und nicht auf die Lohnhöhe an. Hiervon seien nur eng begrenzte Ausnahmen zugelassen. Ein solcher Ausnahmefall liege nicht vor.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 15. August 1979 und des Sozialgerichts Stade vom 12. Mai 1978 sowie den Bescheid der Beklagten vom 3. August 1977 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. Januar 1977 Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit zu leisten;
hilfsweise: den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Niedersachsen zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie trägt vor, jedenfalls die Verweisung des Klägers auf eine in die Lohngruppen 5 und 6 eingestufte Tätigkeit eines Qualitätskotrolleurs in der Metallindustrie sei hinreichend konkret. Der Kläger könne diese Tätigkeit mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen ausüben. Im übrigen könne er auch aufgrund seiner zur Zeit ausgeübten Tätigkeit des Vervielfältigers/Lichtpausers mit tarifvertraglicher Lohnsicherung nicht als berufsunfähig gelten.
Entscheidungsgründe
II
Die durch Zulassung statthafte Revision des Klägers ist zulässig und im Sinne einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG begründet.
Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit, Rechtsgrundlage hierfür ist § 1246 RVO. Danach erhält Rente wegen Berufsunfähigkeit der Versicherte, der berufsunfähig ist, wenn die Wartezeit erfüllt ist (§ 1246 Abs. 1 RVO). Berufsunfähig ist ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfanges seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 1246 Abs. 2 Sätze 1 und 2 RVO).
Bezüglich der Frage, ob ein Versicherter berufsunfähig ist, ist von seinem „bisherigen Beruf” auszugehen. Kann der Versicherter die bisherige Berufstätigkeit auch nach Eintritt der angeblich Berufsunfähigkeit bedingenden Umstände ohne wesentliche Einschränkungen weiterhin ausüben, so schließt allein dies das Vorliegen von Berufsunfähigkeit aus. Für eine Verweisung auf andere Tätigkeiten und für eine Erörterung der sozialen Zumutbarkeit dieser Verweisung ist dann kein Raum (vgl. Urteil des Senats in BSGE 48, 65, 66 = SozR 2200 § 1246 Nr. 39 S 119). Kommt hingegen eine solche Verweisung in Betracht, so bedarf es ebenfalls der Feststellung des „bisherigen Berufes”. Er ist im Rahmen des § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO von entscheidender Bedeutung für die Bestimmung des Kreises der Tätigkeiten, auf die der Versicherte unter Verneinung von Berufsunfähigkeit zumutbar verwiesen werden kann. Dabei bestimmt sich nach feststehender Rechtsprechung des BSG der Kreis der zumutbaren Tätigkeiten hauptsächlich nach dem qualitativen Wert des bisherigen Berufes des Versicherten im Betrieb. Dieser qualitative Wert wird relativ zuverlässig durch die tarifliche Einstufung widergespiegelt. Sie ist daher ein geeignetes Hilfsmittel zur Feststellung der Qualität des bisherigen Berufes und damit zugleich der nach § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO zumutbaren Verweisung des Versicherten auf andere Tätigkeiten. Dabei ist zu berücksichtigen, daß sich in der Arbeitswelt auf der Grundlage der tariflichen Bewertung mehrere Gruppen von Arbeiterberufen auffinden lassen, welche durch „Leitberufe” – nämlich diejenigen des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters, des angelernten Arbeiters und des ungelernten Arbeiters – charakterisiert werden. Zumutbar im Sinne des § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO sind dem Versicherten im allgemeinen nur Tätigkeiten der jeweils nächstunteren Gruppe, soweit sie ihn weder nach seinem beruflichen Können und Wissen noch bezüglich seiner gesundheitlichen Kräfte überfordern (vgl. Urteile des Senats in BSG SozB 2200 § 1246 Kr 41 S 125, in BSGE 49, 54, 56, SozB 2200 § 1246 Nr. 51 S 155 f und in SozR 2200 § 1246 Nr. 55 S 170, jeweils mwN).
Das LSG ist zu dem Ergebnis gelangt, bisheriger Beruf des Klägers sei derjenige eines Matrosen. Dieser Beruf vermittle den vollen Berufsschutz eines gelernten Facharbeiters. Gegen diese insbesondere auf die Auskunft des Wasser- und Schifffahrtsamtes Cuxhaven vom 6. September 1978 gestützte rechtliche Würdigung sind Bedenken nicht zu erheben. Das LSG hat weiter festgestellt, der Kläger könne seinen bisherigen Beruf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben. Diese Feststellung ist für den Senat bindend (§ 163 SGG).
Damit ist es für den vom Kläger erhobenen Rentenanspruch erheblich, ob und gegebenenfalls auf welche andere Tätigkeiten er im Sinne des § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO zumutbar verwiesen werden kann. Das LSG hat dazu zunächst ausgeführt, als wie Tätigkeiten der mittleren Gruppe der Arbeiterberufe entlohnte und damit zumutbare Verweisungstätigkeiten kämen neben Prüf- und Kontrollarbeiten mit gehobener Verantwortung in Gewerbe und Industrie auch die zahlreichen sich aus der Mechanisierung und Automation der Arbeitsprozesse ergebenden Überwachungs-, Kontroll- und Revisionsarbeiten sowie Maschinen-, Apparate-, Anlagen- und Schalttafelbedienungen in Betracht. Hiergegen wendet sich die Revision zu Recht.
Nach ständiger Rechtsprechung aller für Streitigkeiten aus dem Gebiet der Rentenversicherung der Arbeiter zuständigen Senate des BSG kann ein Facharbeiter sozial zumutbar außer auf eine andere Facharbeitertätigkeit auch auf Tätigkeiten verwiesen werden, die zur Gruppe der übrigen Ausbildungsberufe (Anlernberufe) gehören. Dazu zählen nicht nur die staatlich anerkannten Ausbildungsberufe mit einer Regelausbildungs zeit bis zu zwei Jahren, sondern auch diejenigen Ausbildungsberufe, die zwar als soche nicht anerkannt sind, jedoch eine echte betriebliche Ausbildung voraussetzen, wiche über eine bloße Einweisung und Einarbeitung eindeutig hinausgeht. Der Facharbeiter kann ferner auf ungelernte Tätigkeiten, die sich durch besondere Merkmale aus dem Kreis der sonstigen einfachen Arbeiten herausheben, jedenfalls dann verwiesen werden, wenn sie wegen ihrer Qualität – nicht wegen mit ihnen verbundener Nachteile oder Erschwernisse – tariflich wie sonstige Ausbildungsberufe eingestuft sind (vgl. u.a. BSGE 44, 10, 11 = SozR 2200 § 1246 Nr. 17 S 52; BSGE 44, 288, 291 = SozR 2200 § 1246 Nr. 23 S 66; BSGE 45, 267, 269 = SozR 2200 § 1246 Nr. 26 S 74; BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 21 S 61; Nr. 25 S 69; Nr. 29 S 89; Nr. 33 S 101; Nr. 34 S 105; Nr. 36 S 110 f; Nr. 38 S 116; Nr. 45 S 133). Dabei bedarf es jedenfalls bei der Verweisung eines Facharbeiters auf herausgehobene ungelernte Tätigkeiten entweder im Bescheid des Rentenversicherungsträgers oder spätestens im Urteil des Tatsachengerichts konkreter Feststellungen. Pauschale und allgemeine Ausführungen wie etwa die undifferenzierte Verweisung eines Facharbeiters auf „Überwachungs- und Kontrolltätigkeiten” reichen nicht aus. Vielmehr muß wenigstens eine zumutbare Verweisungstätigkeit konkret und mit nachprüfbaren Feststellungen benannt werden. Das bedeutet, daß zunächst konkret auf den Einzelfall substantiiert zu prüfen ist, welche beruflichen Anforderungen an die in Erwägung gezogenen Verweisungstätigkeiten gestellt werden. Sodann ist festzustellen, ob der Versicherte diesen beruflichen Anforderungen nach seinem gesundheitlichen Leistungsvermögen genügen kann und ob die Tätigkeit seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entspricht bzw nach einer Einarbeitungs- oder Einweisungszeit bis zu drei Monaten ausgeübt werden kann. Schließlich ist insbesondere anhand ihrer tariflichen Einstufung zu prüfen, ob sich die Tätigkeit qualitativ deutlich aus dem Bereich der ungelernten Arbeiten heraushebt (vgl. zu alledem BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 30 S 90 f; Nr. 33 S 99, 102; Nr. 35 S 107 f; Nr. 36 S 111; Nr. 37 S 114 f; Nr. 38 S 116; Nr. 45 S 134 f).
Diesen Anforderungen entspricht das angefochtene Urteil nicht. Das gilt einmal bezüglich der Verweisung des Klägers auf „die zahlreichen, sich aus der Mechanisierung und Automation der Arbeitsprozesse ergebenden Uberwachungs-, Kontroll- und Revisionsarbeiten, Maschinen-, Apparate-, Anlagen- und Schalttafelbedienungen. Eine derart pauschale Verweisung genügt für eine Verneinung von Berufsunfähigkeit nicht (so ausdrücklich BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 35 S 108; Nr. 37 S 115, Nr. 38 S 117; Nr. 45 S 133). Sie läßt nicht erkennen, welche beruflichen Anforderungen an die einzelnen der zusammengefaßt bezeichneten Tätigkeiten gestellt werden. Damit zugleich fehlt es an einer zuverlässigen Grundlage für die Feststellung, ob und gegebenenfalls welche konkreten Tätigkeiten der Kläger nach seinem körperlichen und geistigen Leistungsvermögen zu leisten imstande und ob er hierzu erst nach einer Einweisungs- oder Einarbeitungszeit in der Lage ist. Schließlich läßt das angefochtene Urteil jegliche Feststellung hinsichtlich des qualitativen Wertes, insbesondere der tariflichen Einstufung der oder zumindest einer der Verweisungstätigkeiten vermissen, Letzterem Erfordernis genügt allenfalls die Verweisung des Klägers auf „Prüf- und Kontrollarbeiten mit gehobener Verantwortung in Gewerbe und Industrie (zB Qualitätsprüfer in der Metallindustrie – Lohngruppe 5 und 6 –)”. Aber auch insoweit hat das LSG nicht festgestellt, welche beruflichen Anforderungen mit diesen Tätigkeiten verbunden sind und ob der Kläger nach dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen diese Anforderungen überhaupt und gegebenenfalls erst nach einer Einweisungs- oder Einarbeitungszeit erfüllen kann.
Das LSG wird die demnach erforderlichen tatsächlichen Feststellungen nachzuholen und sodann unter Anlegung der vorstehend dargelegten rechtlichen Kriterien erneut über den Anspruch des Klägers zu befinden haben. Dem ist es nicht dadurch enthoben, daß der Kläger aufgrund seiner gegenwärtig ausgeübten Tätigkeit als Vervielfältiger bzw Lichtpauser im Wege der tariflichen Lohn ab Sicherung im wirtschaftlichen Endergebnis weiterhin seinen bisherigen Facharbeiterlohn erhält. Ungeachtet dessen ist er auf seine derzeit ausgeübte Tätigkeit nicht verweisbar.
Der Facharbeiter kann – wie erwähnt – auf ungelernte Tätigkeiten dann verwiesen werden, wenn diese sich wegen ihrer Qualität aus dem Kreise der sonstigen ungelernten Arbeiten hervorheben. Wichtiges Indiz für die qualitative Bewertung einer Tätigkeit ist deren tarifliche Einstufung. Diese ist jedoch nur insoweit maßgebend, als sie die objektive Qualität einer Tätigkeit widerspiegelt. Die relativ hohe tarifliche Einstufung einer Tätigkeit ist daher für die Bestimmung ihres objektiv-qualitativen Wertes dann unbeachtlich, wenn sie nicht auf der betrieblichen Bedeutung der Tätigkeit beruht, sondern lediglich dem Ausgleich von mit ihr verbundenen Nachteilen und Erschwernissen (zB Nacht-, Akkord- oder Schmutzarbeit) dient öder aus sozialen Gründen wegen in der Person des Versicherten liegender Umstände (höheres Lebensalter, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Bewährungsaufstieg,) vorgenommen wird. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte kann bei der Heranziehung von Tarifverträgen zwecks qualitativer Bewertung einer Verweisungstätigkeit nicht entscheidend auf die Lohnhöhe abgestellt werden. Allein die Talsache, daß der Versicherte eine Lohneinbuße nicht erleidet, kann im Regelfall nicht zur Verneinung von Berufsunfähigkeit führen. Andernfalls hätte der Gesetzgeber schlechthin auf die Höhe der Entlohnung hingewiesen. Ausnahmsweise bei Vorliegen besonderer Umstände kann eine Lohngleichheit zwischen der früheren und der jetzigen Tätigkeit letztere als zumutbar erscheinen lassen (vgl. BSGE 44, 10, 11 f = SozR 2200 § 1246 Nr. 17 S 52 f; BSGE 44, 288, 291 = SozR 2200 § 1246 Nr. 23 S 66 f, BSGE 45, 267, 269 f = SozR 2200 § 1246 Nr. 26 S 75 f; BSGE 49, 34, 36 f = SozR 2200 § 1246 Nr. 49 S 148 f; BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 34 S 106; Nr. 46 S 138 f)
Derartige Besonderheiten liegen hier nicht vor. Dabei teilt der erkennende Senat die Auffassung des 5. Senats des BSG, daß es ungeachtet der dagegen zu erhebenden sozialpolitischen Bedenken jedenfalls nach dem gegenwärtig geltenden Recht von dem durch § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO vorgegebenen Grundsatz, daß es für die Beurteilung der Zumutbarkeit einer Tätigkeit auf deren objektive Qualität ankommt, nur in engen Grenzen Ausnahmen geben kann (BSGE 49, 34, 37 = SozR 2200 § 1246 Nr. 49 S 149), Das gilt etwa dann, wenn der bisher als Facharbeiter eingestufte Versicherte für eine ihm von der Qualität her nicht zumutbare neue Tätigkeit im Wege des Rechtsanspruchs nicht nur einen Zuschuß zu dem an sich verdienten Lohn, sondern weiterhin seinen bisherigen Tariflohn erhält, ohne daß auf ihn eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder wegen Berufsunfähigkeit angerechnet wird (BSGE 45, 267, 270 = SozR 2200 § 1246 Nr. 26 S 76). Dasselbe mag dann gelten, wenn das Entgelt des Versicherten, welches er aufgrund einer ihm an sich nicht zumutbaren Tätigkeit erzielt, dasjenige Entgelt, welches ein gesunder Versicherter durch Verrichtung der bisherigen Tätigkeit des ersteren Versicherten tariflich verdienen würde, kraß übersteigt (BSG SozR Nr. 103 zu § 1246 RVO). Hingegen reicht allein die lohnmäßige Gleichstellung des Versicherten mit den Angehörigen einer höheren Berufsgruppe nicht aus, um seine Tätigkeit auch qualitativ den Tätigkeiten der höheren Gruppe gleichzustellen (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 46 S 139; BSGE 49, 34, 36, SozR 2200 § 1246 Nr. 49 S 148 f).
Nach den Feststellungen des LSG ist die jetzige Tätigkeit des Klägers als Vervielfältiger bzw Lichtpauser in die Lohngruppe VII des MTB II eingestuft. Zu dieser Lohngruppe gehören nach Teil I der Anlage 1 des Tarifvertrages über das Lohngruppenverzeichnis zum Manteltarifvertrag für Arbeiter des Bundes (MTB II) Arbeiter mit Tätigkeiten, für die eine eingehende Einarbeitung erforderlich ist. Dazu zählt ua der Vervielfältiger, soweit er nicht höher eingereiht ist (Ziffer 1.5 der Lohngruppe VII). Der qualitative Wert der gegenwärtigen Tätigkeit des Klägers ist somit dadurch charakterisiert, daß sie weder eine Anlernung (vgl. Ziffer 1 der Lohngruppe VI) noch gar eine Ausbildung (vgl. Ziffern 1 der Lohngruppen V und IV) erfordert und demnach zu den einfachen Tätigkeiten gerechnet werden muß. Allerdings erhält der Kläger neben seinem Lohn nach Lohngruppe VII auch noch den Unterschiedsbetrag zwischen diesem Lohn und dem Lohn seiner bisherigen Lohngruppe II. Dies muß jedoch bei der qualitativen Bewertung seiner nunmehr ausgeübten Tätigkeit außer Betracht bleiben. Der Unterschiedsbetrag wird ihm nicht wegen der Bedeutung und des Wertes dieser Tätigkeit, sondern aus sozialen Gründen als persönliche Zulage gewährt. Dies ergibt sich aus § 37 MTB II. Nach dessen Abs. 1 Satz 1 wird dann, wenn der Arbeiter, der eine mindestens einjährige Beschäftigungszeit zurückgelegt hat, infolge eines Unfalls, den er in Ausübung oder infolge seiner Arbeit ohne Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit erlitten hat, in seiner Lohngruppe nicht mehr voll leistungsfähig ist und deshalb in einer niedrigeren Lohngruppe weiterbeschäftigt wird, der Unterschiedsbetrag zwischen dem jeweiligen Monatstabellenlohn der bisherigen und der neuen Lohngruppe als persönliche Zulage gewährt. Das gilt entsprechend ua für mindestens 55 Jahre alte Arbeiter nach 15jähriger Beschäftigungszeit, wenn die Leistungsminderung durch Abnahme der körperlichen Kräfte und Fähigkeiten infolge langjähriger Arbeit verursacht ist (§ 37 Abs. 2 Satz 1 Buch b MTB II). Darunter fällt der Kläger. Der ihm gewährte Unterschiedsbetrag zwischen den Lohngruppen II und VII ist demnach für die qualitative Bewertung seiner gegenwärtigen Tätigkeit als Lichtpauser bzw Vervielfältiger ungeachtet dessen, daß er seine Grundlage in einem Tarifvertrag und der Kläger einen entsprechenden Rechtsanspruch hat, unerheblich. Relevant ist in diesem Zusammenhang allein, daß die Tätigkeit des Klägers nach ihren objektiven Qualitätsmerkmalen in die Lohngruppe VII eingestuft ist. Auf eine derart bewertete Tätigkeit kann der Kläger als bisheriger Facharbeiter nicht zumutbar verwiesen werden.
Mit dieser Entscheidung weicht der erkennende Senat nicht von dem Urteil des 4. Senats des BSG vom 19. März 1980 – 4 RJ 13/79 – ab. Zwar hat darin der 4. Senat in Fortentwicklung seiner bisherigen Rechtsprechung (BSGE 45, 267 = SozR 2200 § 1246 Nr. 26) ausgesprochen, daß ein Facharbeiter, der aus gesundheitlichen Gründen in seinem Betrieb eine ihm an sich subjektiv nicht zumutbare Tätigkeit aufgenommen hat, jedoch aufgrund einer tariflichen Verdienstsicherung weiterhin den früheren Lohn erhält, nicht berufsunfähig ist. Jener Fall ist dadurch charakterisiert worden, daß die neue Tätigkeit des Versicherten um drei Lohngruppen innerhalb eines zehn Gruppen umfassenden Lohnschlüsselsystems niedriger als seine bisherige Facharbeitertätigkeit und in eine Lohngruppe eingestuft war, die Arbeiten umfaßt, welche ein Anlernen von drei Monaten erfordern. Schon deswegen hat der damalige Kläger möglicherweise auf seine neue Tätigkeit zumutbar verwiesen werden können. Jedenfalls hat es der 4. Senat ausdrücklich offen gelassen, ob die von ihm entwickelten Grundsätze auch dann gelten können, wenn der Versicherte ganz einfache Tätigkeiten ausübt. Gerade hierin unterscheidet sich der vorliegende von dem dem Urteil vom 19. März 1980 zugrundeliegenden Sachverhalt. Die jetzige Tätigkeit des Klägers ist in die Lohngruppe VII und damit in die vorletzte Gruppe eines acht Gruppen umfassenden Systems eingestuft. Sie muß deswegen als einfache Tätigkeit angesehen werden.
Das LSG wird somit unter Außerachtlassung der gegenwärtigen Tätigkeit des Klägers zu prüfen haben, ob und gegebenenfalls auf welche ihm nach Leistungsvermögen und Fähigkeiten objektiv möglichen Tätigkeiten er aufgrund des ihm als Facharbeiter zustehenden Berufsschutzes subjektiv zumutbar verwiesen werden kann. Zu diesem Zweck ist der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG). Dieses wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen