Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, gegenüber der bei ihr versicherten Klägerin die Kosten für eine Refertilisierungsoperation zu tragen.
Die im Jahre 1949 geborene Klägerin, Mutter von vier Kindern, hat im Jahre 1979 auf Kosten der Beklagten eine weitere Schwangerschaft unterbrechen und eine Sterilisation durchführen lassen. Im Oktober 1980 - nachdem sie eine neue Partnerschaft eingegangen war - hat sie bei der Beklagten beantragt, die Kosten einer Refertilisierungsoperation zu übernehmen. Die Beklagte hat den Antrag abgelehnt und ausgeführt, daß die gewünschte Operation nicht aus Krankheitsgründen erforderlich sei. Die von der Versicherten erhobene Klage wurde vom Sozialgericht WG) mit der Begründung abgewiesen, bei dem durch die Sterilisation der Klägerin herbeigeführten Zustand handele es sich nicht um eine Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt: Die durch die Sterilisation herbeigeführte Situation sei zwar als Krankheit im Sinne der Reichsversicherungsordnung (RVO) anzusehen, gleichwohl sei die Beklagte nicht verpflichtet, der Klägerin zur Beseitigung dieser Krankheit eine Leistung in Form einer Refertilisierungsmaßnahme zu gewähren. Aus der Regelung des § 200 f. RVO (Leistungen bei nicht rechtswidriger Sterilisation und bei nicht rechtswidrigem Schwangerschaftsabbruch) ergebe sich im Wege der Rechtsfortbildung, daß im Falle einer Refertilisierung eine Leistungspflicht der Krankenkasse nicht bestehe.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts und beantragt, die Urteile des Landessozialgerichts Bremen vom 6. Juni 1983 und des Sozialgerichts Bremen vom 12. August 1981 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. Dezember 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Februar 1981 aufzuheben und festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, die Kosten für die Durchführung einer Refertilisierungsmaßnahme bei der Klägerin zu tragen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend, meint aber, bei einer bewußt herbeigeführten Sterilität liege keine Krankheit im Sinne der §§ 182, 184 RVO vor.
II
Die Revision ist nicht begründet.
1. Wie das LSG festgestellt hat, liegt bei der Klägerin, sieht man von der Sterilität ab, keine Krankheit vor, die durch eine Refertilisierungsmaßnahme geheilt oder wesentlich gebessert werden könnte. Gegen diese Feststellungen hat die Klägerin keine zulässigen Verfahrensrügen erhoben. Soweit in dem weiteren Schriftsatz vom 31. Januar 1985 vorgebracht wird, es werde weiterhin behauptet, die Klägerin sei durch die bestehende Unfruchtbarkeit psychisch krank, liegt dieses Vorbringen außerhalb der Revisionsbegründungsfrist und ist als Verfahrensrüge zudem nicht begründet worden (§ 164 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Das Revisionsgericht ist daher an die genannten Feststellungen des LSG gebunden (§ 163 SGG).
2. Dem geltend gemachten Anspruch fehlt die rechtliche Grundlage.
Der Unterabschnitt III a mit dem Titel "Sonstige Hilfen" (§§ 200 e bis g) wurde durch § 1 Nr. 2 des Strafrechtsreform-Ergänzungsgesetzes vom 28. August 1975 (BGBl. I 2289) mit Wirkung vom 1. Dezember 1975 (§ 13 a.a.O.) in den Zweiten Abschnitt ("Gegenstand der Versicherung") des 2. Buches der RVO Krankenversicherung") eingefügt. Gleichzeitig erhielt die unter dem Unterabschnitt I desselben Abschnitts ("Leistungen im allgemeinen") stehende Vorschrift des § 179 RVO eine neue Fassung u.a. dahin, daß nunmehr unter Absatz 1 Nr. 4 als (Regel-) Leistungen der Krankenkassen auch "sonstige Hilfen" - eben die im Unterabschnitt III a normierten - aufgeführt wurden. Nach der Bestimmung des § 200 f. RVO haben Versicherte Anspruch auf Leistungen bei einer nicht rechtswidrigen Sterilisation und bei einem nicht rechtswidrigen Abbruch der Schwangerschaft durch einen Arzt; es werden u.a. ärztliche Behandlung sowie Krankenhauspflege gewährt. Auf diese Vorschrift, die nur Leistungen bei einer Sterilisation und bei einem Schwangerschaftsabbruch im Auge hat, nicht aber Leistungen bei einem Operationsverfahren, mit dem eine durch Operation erzielte Sterilität wieder rückgängig gemacht wird (Refertilisierung), kann sich die Klägerin mit ihrem Leistungsbegehren nicht stützen. Der klare Wortlaut des Gesetzes umgreift eine solche Leistung nicht. Eine im Wege der Analogie vorzunehmende Ausdehnung der genannten Leistungsinhalte auch auf Fälle der Refertilisierung ist nicht zulässig. Eine analoge Anwendung des Gesetzes auf gesetzlich nicht umfaßte Sachverhalte ist geboten, wenn die Regelungsabsicht des Gesetzgebers wegen der Gleichheit der zugrundeliegenden Interessenlage auch den nichtgeregelten Fall hätte einbeziehen müssen (Urteil des 6. Senats vom 24. Oktober 1984 - 6 RKa 36/83 -, BSGE 57, 195, 196). Dieses Gebot beruht letztlich auf der Forderung normativer Gerechtigkeit, Gleichartiges gleich zu behandeln (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. S. 366). Bei der Prüfung, ob die beiden verglichenen Sachverhalte in einer die Analogie ermöglichenden Weise gleich bzw. ähnlich sind, ist die Grenze dort zu ziehen, wo durch die analoge Anwendung die Wertung des Gesetzgebers in Frage gestellt werden würde (vgl. Larenz, a.a.O., S. 339). Die Interessenlage bei einer Sterilisation ist aber nicht gleichzusetzen mit der bei ihrer Rückgängigmachung. Mangels vergleichbarer Sachverhalte hat hier also eine Analogie auszuscheiden. Selbst schon dann, wenn es nur zweifelhaft wäre, ob der Unterschied zwischen den verglichenen Sachverhalten nicht doch so groß ist, daß durch eine Gleichstellung die gesetzliche Wertung in Frage gestellt sein könnte, wäre für eine Analogie kein Raum (vgl. das zitierte Urteil des 6. Senats).
Demnach war zu prüfen, ob sich der Anspruch der Klägerin aus den in Betracht kommenden Leistungsvorschriften der Krankenhilfe (II. Unterabschnitt des Zweiten Abschnitts) herleiten läßt, nämlich aus den Bestimmungen der §§ 182 Abs. 1, 184 Abs. 1 RVO. Der Anspruch auf ärztliche Behandlung (§ 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst a RVO) bzw. auf Krankenhauspflege (§ 184 Abs. 1 RVO) setzt das Vorliegen einer (der Behandlung zugänglichen) Krankheit voraus. Ist bei der Frage, ob eine Krankheit vorliegt, nach feststehender Rechtsprechung auf das Bestehen eines regelwidrigen Körper- oder Geisteszustandes abzustellen, der vom Leitbild des gesunden Menschen abweicht, nämlich darauf, ob der Versicherte zur Ausübung der normalen psychophysischen Funktionen in der Lage ist oder nicht (BSGE 35, 10, 12; 39, 167, 168; jeweils m.w.N.), so kann es nicht zweifelhaft sein, daß die schicksalhafte Unfruchtbarkeit einer im geburtsfähigen Alter stehenden Frau als eine in diesem Sinne vorliegende Normabweichung anzusehen ist (BSGE 39, 167, 168). Hier aber hat die Versichertengemeinschaft die von der Klägerin begehrte Leistung nicht zu tragen. Zwar ist dem LSG darin zuzustimmen, daß die gesetzliche Krankenversicherung dem Versicherten Leistungen grundsätzlich unabhängig von der Krankheitsursache zu gewähren hat, sich die Ausnahmebestimmung des § 192 RVO ("Die Satzung kann Mitgliedern das Krankengeld ganz oder teilweise für die Dauer einer Krankheit versagen, die sie sich vorsätzlich zugezogen haben") nur auf das Krankengeld bezieht und eine Leistungspflicht auch dann besteht, wenn die Krankheit auf ein schuldhaftes Verhalten des Versicherten zurückzuführen ist. So hat der Senat schon in seinem Urteil vom 30. Januar 1963 - 3 RK 4/61 - ausgeführt, es wäre mit dem das geltende Recht der Krankenversicherung beherrschenden Grundsatz, dem Versicherten bei Erkrankungen jeder Art im eigenen und auch im Interesse der Allgemeinheit Krankenhilfe zu gewähren, damit er nach Möglichkeit bald wieder arbeitsfähig und gesund werde, nicht zu vereinbaren, die Gewährung von Krankenpflege davon abhängig zu machen, auf welche Weise die Krankheit entstanden sei; das Bedürfnis nach sachgerechter ambulanter oder stationärer Versorgung mit Arzneien und Heilmitteln sei unabhängig von der Ursache der Erkrankung, die zudem von den Krankenkassen oft auch nur schwer und mit erheblichem Verwaltungsaufwand festzustellen wäre (BSGE 18, 257, 258). Das kann jedoch nicht für den vorliegenden Fall gelten, wo es auch gar nicht darum geht, die Leistungspflicht wegen eines "vorwerfbaren" Verhaltens zu beschränken. Die Klägerin hat mit ihrer Unfruchtbarmachung bewußt und gewollt einen Eingriff in der Absicht vornehmen lassen, künftig keine Kinder mehr haben zu wollen. Eine solche durch freiwillige Sterilisierung herbeigeführte Unfruchtbarkeit wird von der Rechtsgemeinschaft und regelmäßig auch von der Betroffenen nicht als "krankhaft" angesehen, weder im Sinne eines Leidens noch im Sinne psychophysischer Normabweichung. Der Gesetzgeber hat sie im gesetzlichen Rahmen legalisiert und wer sie vornehmen läßt, will sich damit nicht in die Situation des Kranken begeben, sondern hat die für ihn anstehende Güterabwägung bewußt und gewollt in der Absicht künftiger Lebensgestaltung in dieser Weise vorgenommen. Dies zeigt, daß bei der Versicherten - bei der, wie festgestellt, auch keine Folgeerkrankung vorliegt -, die durch freiwillige Sterilisierung herbeigeführte Unfruchtbarkeit allenfalls dadurch als "Krankheit" angesehen werden könnte, daß sie später anderen Sinnes wurde und die vorgenommene Güterabwägung nun wieder umzukehren gedenkt. Ein solcher Sinneswandel gehört aber nicht zum Versicherungsrisiko der gesetzlichen Krankenversicherung; die Folge einer solchen Entscheidung abzufangen ist nicht der Sinn der Solidargemeinschaft. Ein bewußt und gewollt in der Absicht künftiger Lebensgestaltung herbeigeführter Zustand der Unfruchtbarkeit ist daher keine Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung. Das mag dann anders sein, wenn die Sterilisation aus gesundheitlichen Gründen durchgeführt wurde und diese Gründe zwischenzeitlich entfallen sind. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.
Die Revision konnte demnach keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.3 RK 48/33
Bundessozialgericht
Verkündet am
12. November 1985
Fundstellen