Leitsatz (amtlich)
Eine Deutsche, die als Witwe eines im Gebiet der Bundesrepublik versicherungspflichtig beschäftigt gewesenen - 1953 gestorbenen - Versicherten sich ständig in den unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten aufgehalten hat, bis sie im August 1958 in das Bundesgebiet zugezogen ist, hat nach dem bis zum Inkrafttreten des FANG (1959-01-01) geltenden Recht des SVFAG und der RVO gegen einen Rentenversicherungsträger im Bundesgebiet einen Anspruch auf Witwenrente frühestens vom Beginn des Monats ihres Zuzuges an.
Ein Anspruch auf Nachzahlung von Witwenrente für die Zeit des ständigen Aufenthalts in den unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten besteht auch dann nicht, wenn der Versicherte die Wartezeit mit den nach dem Zusammenbruch im Bundesgebiet zurückgelegten Versicherungszeiten erfüllt hatte (Abweichung von BSG 1958-10-23 4 RJ 131/57 = BSGE 8, 195).
Normenkette
SVFAG § 8 Abs. 1 Fassung: 1953-08-07
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 30. April 1963 dahin abgeändert, daß die Klage in vollem Umfang abgewiesen wird.
Außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin begehrt Witwenrente aus der Arbeiterrentenversicherung für eine Zeit, in der sie sich ständig in den unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten aufgehalten hat. Ihr versicherter Ehemann ist am 31. August 1953 gestorben. Er war vor Ausbruch des zweiten Weltkriegs zuletzt selbständiger Tischler in A (Ostpreußen). Nach Kriegsende lebte er in Schleswig-Holstein, wo er bis zu seinem Tode insgesamt für 71 Kalendermonate versicherungspflichtig beschäftigt war. Die Klägerin befand sich in dieser Zeit weiterhin in Allenstein; sie kam im September 1958 in das Bundesgebiet. Auf ihren am 25. September 1958 gestellten Antrag hin gewährt ihr die Beklagte gemäß Bescheid vom 8. April 1959 Witwenrente vom 1. September 1958 an. Der Berechnung der Rente liegen die in der Bundesrepublik zurückgelegten Beitragszeiten des Versicherten von 1946 bis 1953, seine Kriegsdienstzeit von 1939 bis 1945 und eine glaubhaft gemachte Beitragszeit zur Landesversicherungsanstalt (LVA) Ostpreußen (Königsberg) für die Jahre 1927 und 1928 zugrunde.
Mit der gegen den Bescheid erhobenen Klage hat die Klägerin Witwenrente bereits vom 1. September 1953 an beansprucht. Unter Hinweis auf das Urteil des 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23. Oktober 1958 (BSG 8, 195) hat sie geltend gemacht, ihr stehe die Witwenrente bereits vom Tode ihres Ehemannes an zu. Die Beklagte hat sich demgegenüber auf die Entscheidungen des 5. Senats des BSG vom 20. September 1956 (BSG 3, 286) und des 1. Senats des BSG vom 27. März 1957 (BSG 5, 60) berufen und die Zahlung der Rente für die Zeit vor dem Zuzug der Klägerin in das Bundesgebiet abgelehnt.
Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 30. April 1963 den Bescheid der Beklagten teilweise aufgehoben und diese verurteilt, der Klägerin die Witwenrente vom 1. Januar 1957 an zu gewähren; im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Es hat die Berufung zugelassen. Das SG hat für die Zeit von 1. September 1953 bis zum 31. Dezember 1956 einen Anspruch auf Witwenrente nicht für begründet angesehen, weil es an dem Rentenantrag fehle, der nach dem bis zum 31. Dezember 1956 geltenden Recht Anspruchsvoraussetzung gewesen sei. Für die Zeit vom 1. Januar 1957 bis zum 31. August 1958 habe die Klägerin aber Anspruch auf Zahlung von Witwenrente - so hat das SG ausgeführt -, weil bei Eintritt des Versicherungsfalls die versicherungstechnischen Voraussetzungen des Anspruchs aus überwiegend in der Bundesrepublik zurückgelegten Beitragszeiten erfüllt seien; unter ausschließlicher Berücksichtigung der allgemeinen Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung (RVO) hätten in diesem Falle die Hinterbliebenen auch dann einen Anspruch, wenn sie noch ihren Wohnsitz in den unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten gehabt hätten; der Grundsatz, den der 4. Senat des BSG in der Entscheidung BSG 8, 195 aufgestellt habe, habe auch im Falle der Klägerin zu gelten. Dem stünden die von der Beklagten angeführten Entscheidungen des BSG (BSG 3, 286; 5, 60) nicht entgegen, weil ihnen andere Sachverhalte zugrunde lägen. Den Berechtigten seien in jenen Fällen Renten vom Zeitpunkt des Zuzugs in die Bundesrepublik nicht rückwirkend vom Eintritt des Versicherungsfalles an gewährt worden, weil sie in der Sowjetzone gewohnt und dort einem deutschen Sozialversicherungssystem unterlegen hätten, dessen Vor- und Nachteile sie gegen sich gelten lassen müßten. Diesem Personenkreis könnten aber die Deutschen, die in den unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten lebten, nicht gleichgestellt werden, weil sie keinen Versicherungsschutz nach deutschem Recht hätten. Die Rente sei für den Zeitraum von Januar 1957 bis August 1958 auch zu zahlen, denn Ruhensbestimmungen griffen nicht durch. § 1317 RVO, demzufolge die Rente eines Deutschen ruhe, solange er sich außerhalb des Bundesgebietes aufhalte, sei erst am 1. Januar 1959 in Kraft getreten (Art. 7 § 3 des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes - FANG - vom 25. Februar 1960) und daher auf den hier streitigen Zeitraum nicht anzuwenden. Da die Klägerin nicht Ausländerin sondern Deutsche sei, finde auch die in den Jahren 1957 und 1958 geltende Vorschrift des § 1283 RVO keine Anwendung.
Gegen das Urteil hat die Beklagte Sprungrevision eingelegt. Sie vermag sich der Entscheidung des 4. Senats des BSG vom 23. Oktober 1958 (BSG 8, 195) nicht anzuschließen. Sie hält vielmehr die Entscheidungen des 5. Senats vom 20. September 1956 (BSG 3, 286) und des 1. Senats vom 27. März 1957 (BSG 5, 60) für zutreffend, nach denen wegen des geltenden "Wohnsitzgrundsatzes" Renten an Hinterbliebene frühestens mit Ablauf des Monats beginnen könnten, in dem die Berechtigten in die Bundesrepublik zugezogen seien.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG Köln vom 30. April 1963 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II
Die Sprungrevision der Beklagten ist begründet. Sie wendet sich mit Recht gegen ihre Verurteilung zur Nachzahlung der Witwenrente für die Zeit vom 1. Januar 1957 bis zum 31. August 1958, in der sich die Klägerin in den unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten ständig aufgehalten hat.
Da das SG in dem angefochtenen Urteil die Klage insoweit abgewiesen hat, als sie die Nachzahlung der Witwenrente für die Zeit vom 1. September 1953 bis zum 31. Dezember 1956 betraf, und nur die Beklagte gegen das Urteil des SG Revision eingelegt hat, ist nur noch über den Anspruch auf Witwenrente für die Zeit vom 1. Januar 1957 bis zum 31. August 1958 zu entscheiden. Für diese Zeit beurteilt sich die Anspruchsberechtigung der Klägerin nach dem am 1. April 1952 in Kraft getretenen Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz (FAG) (§ 20 Abs. 1 FAG) und der RVO in der seit dem 1. Januar 1957 geltenden Fassung des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) (im Folgenden als RVO aF - alter Fassung - bezeichnet) sowie nach dem Übergangsrecht des Art. 2 ArVNG. Die Vorschriften des erst mit Wirkung vom 1. Januar 1959 in Kraft getretenen FANG (Art. 7 § 3 Abs. 1 FANG) mit den durch dieses Gesetz vorgenommenen Änderungen der RVO sind nicht anzuwenden.
In der Person der Klägerin sind zwar an sich die in der RVO aF und dem ArVNG aufgestellten gesetzlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Witwenrente für die Zeit vom 1. Januar 1957 an erfüllt (§§ 1263, 1264; 1290 Abs. 1 RVO aF i.V.m. Art. 2 § 25 Abs. 1 Satz 1 ArVNG). Ihr Anspruch auf Zahlung der Witwenrente für die streitige Zeit scheitert aber daran, daß weder nach dem Recht des FAG noch nach dem Recht der RVO aF für deutsche Staatsangehörige, die sich ständig in den unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten aufgehalten haben, Ansprüche auf Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung gegen Versicherungsträger im Gebiete der Bundesrepublik und im Lande Berlin begründet waren.
Die Witwenrente der Klägerin hätte als Fremdrente gemäß § 1 FAG festgestellt und gewährt werden müssen, weil es für die Anwendung des § 1 FAG genügt, wenn der Versicherte auch nur kurze Zeit bei einem in dieser Vorschrift genannten Versicherungsträger versichert war (BSG 4, 47, 48). Gemäß § 1 Abs. 2 FAG steht der Leistungsanspruch nach § 1 Abs. 1 FAG u.a. Personen zu, die in der gesetzlichen Rentenversicherung bei einem nicht mehr bestehenden, einem stillgelegten oder einem außerhalb des Bundesgebietes und des Landes Berlin befindlichen deutschen Versicherungsträger versichert waren, sowie den Hinterbliebenen solcher Versicherten. Da die LVA Ostpreußen, bei der der Ehemann der Klägerin in den Jahren 1927 und 1928 versichert war, zu den nicht mehr bestehenden Versicherungsträgern zählt, sind die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 1 FAG erfüllt. Obgleich also die Klägerin zu den in dieser Vorschrift genannten Personen gehört, steht ihr für die streitige Zeit die Witwenrente als Fremdrente nicht zu, weil in ihrer Person die besonderen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 FAG nicht erfüllt sind. Nach dieser Vorschrift haben bis zu einer anderen gesetzlichen Regelung und unbeschadet zwischenstaatlicher Abkommen Personen der im Abs. 2 bezeichneten Art nach den Vorschriften der §§ 2 bis 6 auf Antrag Anspruch auf Gewährung von Leistungen gegen den nach § 7 zuständigen Versicherungsträger im Bundesgebiet oder im Lande Berlin, wenn diese Personen sich ständig in den genannten Gebieten aufhalten. Das FAG geht demnach für Fremdrenten von dem Antrags- und Wohnsitzgrundsatz aus, d.h. es gewährt Ansprüche auf Fremdrenten nur auf Antrag und grundsätzlich nur denjenigen Personen, die sich im Bundesgebiet oder im Lande Berlin ständig aufhalten. Da die Klägerin bis zum 1. Januar 1957 keinen Rentenantrag gestellt und vor allem nicht ihren ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet oder im Lande Berlin genommen hat, sondern diese Voraussetzungen erst vom September 1958 an erfüllt sind, hat die Beklagte die Witwenrente mit Recht erst vom 1. September 1958 an gewährt.
Die Witwenrente für die Zeit vom 1. Januar 1957 bis zum 31. August 1958 kann auch nicht auf Grund der Vorschriften der RVO aF i.V.m. den Vorschriften des Abschnitts II des FAG über Leistungen an Berechtigte im Ausland, also als Auslandsrente, beansprucht werden. Zwar haben nach § 8 FAG alle Deutschen, Ausländer und Staatenlosen Rechtsansprüche gegen Versicherungsträger im Bundesgebiet und im Lande Berlin, wenn ihr Versicherungsverhältnis in einem Zusammenhang mit dem Bundesgebiet oder dem Lande Berlin gestanden hat, jedoch nur unter den in § 8 Abs. 1 FAG aufgestellten besonderen Voraussetzungen, also nur, wenn sie sich im Gebiet eines auswärtigen Staates, d.h. im Sinne der RVO im Ausland aufhalten. Der südliche Teil Ostpreußens, der zu den unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten gehört, ist aber völker- und staatsrechtlich nicht Bestandsteil Polens, also kein Gebiet eines auswärtigen Staates und kein Ausland im Sinne der RVO, wie das BSG in ständiger Rechtsprechung entschieden hat (BSG 3, 286; 8, 195, 197; Urteil des erkennenden Senats vom 12. Dezember 1968 - 12 RJ 76/63 -; vgl. auch Bundesverwaltungsgericht, Zeitschrift für Lastenausgleich 1966, 158). Da sich die Klägerin in der Zeit vom 1. Januar 1957 bis 31. August 1958 während ihres Aufenthalts in Ostpreußen also nicht im Ausland aufgehalten hat, vermögen auch die genannten Vorschriften über Zahlung von Renten in das Ausland ihren Witwenrentenanspruch für diese Zeit nicht zu begründen.
Allerdings hat der 4. Senat in seinem Urteil vom 23. Oktober 1958 (BSG 8, 195) entschieden - worauf sich die Entscheidung des SG stützt -, daß den Hinterbliebenen eines nach dem Zusammenbruch bis zu seinem Tode in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt gewesenen Versicherten, welche im Gegensatz zu dem Versicherten ihren Wohnsitz in den unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Gebieten östlich der Oder und Neiße beibehalten haben, Hinterbliebenenrenten jedenfalls dann zuständen, wenn bei Eintritt des Versicherungsfalles die versicherungstechnischen Voraussetzungen in der Person des Versicherten schon allein aus den von dem Versicherten in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegten Beitragszeiten erfüllt seien, und er hat in seinem Urteil - das ebenfalls den Anspruch einer Witwe auf Zahlung von Hinterbliebenenrente nach ihrem Zuzug in die Bundesrepublik für die Zeit ihres ständigen Aufenthaltes in den unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten (Oberschlesien) betraf - ausgeführt, liege der durch Abschnitt II des FAG geregelte spezielle Tatbestand des Auslandsaufenthalts nicht vor und seien auch die sonstigen Vorschriften des FAG nicht anwendbar, so griffen bei Rentenansprüchen gegen Versicherungsträger, die ihren Sitz in der Bundesrepublik Deutschland oder im Lande Berlin hätten, allein die allgemeinen Vorschriften, d.h. die der RVO, ein. Der Umstand, daß die RVO in den deutschen Gebieten östlich der Oder und Neiße nicht mehr gelte, stehe ihrer Anwendung auf den zu entscheidenden Fall nicht entgegen. Es sei grundsätzlich dasjenige Recht maßgebend, welches an dem Ort gelte, an dem die versicherungspflichtige Beschäftigung stattgefunden habe (Kaskel/Sitzler, Grundriß des sozialen Versicherungsrechts, Berlin 1912, S. 28). Der Versicherte sei in der Bundesrepublik Deutschland pflichtversichert beschäftigt gewesen und habe schon allein mit den auf Grund dieser Beschäftigung zurückgelegten Beitragszeiten die versicherungstechnischen Voraussetzungen erfüllt. Jedenfalls gelte in einem solchen Falle das Recht des Ortes, an welchem diese versicherungspflichtige Beschäftigung stattgefunden habe, d.h. hier die RVO.
Auf Anfrage des erkennenden Senats hat der 4. Senat jedoch erklärt, daß er an dieser Rechtsprechung nicht mehr festhalte. Sie berücksichtigt nicht die grundsätzlichen Änderungen, die der Zusammenbruch Deutschlands im Jahre 1945 hinsichtlich der Leistungen der früheren reichsgesetzlichen Rentenversicherung innerhalb des deutschen Staatsgebietes für die dort wohnenden Deutschen mit sich gebracht hat. Sie trägt nicht der nach dem Zusammenbruch eingetretenen Rechtsentwicklung in der Rentenversicherung Rechnung, nach der die deutschen Versicherungsträger grundsätzlich nur an solche Personen Leistungen gewährten, die sich in ihrem Bereich ständig aufhielten, nach der sich also für Ansprüche aus der Rentenversicherung der Grundsatz des Wohnsitzes als einer weiteren Anspruchsvoraussetzung durchgesetzt hatte. In ständiger Rechtsprechung hat das BSG Ansprüche auf Leistungen, die nach der RVO an sich begründet wären, wegen des dauernden Aufenthalts in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und im Sowjetsektor von Berlin (SSB) für die Zeit dieses Aufenthalts abgelehnt (BSG 22, 263, 264 und die dort angegebene Rechtsprechung des BSG). Diesem Grundsatz trägt auch das am 1. April 1952 in Kraft getretene FAG Rechnung, wie sich der Begründung des Regierungsentwurfs zu diesem Gesetz (Teil A Nr. 2, Teil B zu Abschnitt II, BT-Drucks. I/4202) deutlich entnehmen läßt; denn dort ist u.a. ausgeführt: "Die Zerreißung Deutschlands nach dem Zusammenbruch im Jahre 1945 hat auch zu einer Aufteilung der früheren gesamtstaatlichen deutschen Sozialversicherung geführt. Im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland blieb die reichsgesetzliche Sozialversicherung im wesentlichen bestehen, es wurden lediglich Änderungen zur Anpassung an die veränderten staatsrechtlichen Verhältnisse und das steigende Lohn- und Preisniveau vorgenommen. In der Ostzone und in Berlin wurden neue Sozialversicherungssysteme geschaffen, die in ihrer Organisation, ihrem Leistungs- und Beitragsrecht und in ihrer Finanzierung nicht nur vom westdeutschen Recht abweichen, sondern auch von der westdeutschen Sozialversicherung völlig abgetrennt wurden. Entsprechendes gilt für die Sozialversicherung in den unter polnischer oder sowjetischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten, in denen jetzt polnisches oder sowjetisches Recht gilt. ... Diese veränderten staatsrechtlichen Verhältnisse und die sich daraus ergebenden Folgewirkungen für die gesamtstaatliche deutsche Sozialversicherung lassen es nicht zu, die Sozialversicherung im Bundesgebiet uneingeschränkt mit sämtlichen Auslandsverpflichtungen der ehemaligen gesamtstaatlichen deutschen Sozialversicherung, die gegenüber Berechtigten im Ausland bestehen, zu belasten. Der Abschnitt II sieht deshalb Regelungen vor, durch die eine gerechte Abgrenzung von Auslandsverpflichtungen der Sozialversicherung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der früheren gesamtstaatlichen deutschen Sozialversicherung vorgenommen wird."
Hieraus ergibt sich nicht nur, daß der Gesetzgeber des FAG die Gebiete der SBZ und des SSB, aber auch die unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebiete, sozialversicherungsrechtlich bewußt nicht als Ausland behandelt, sondern auch, daß er bewußt für die dort ständig wohnenden Deutschen keine Ansprüche auf Leistungen gegen Versicherungsträger im Bundesgebiet und im Lande Berlin begründet hat. In den deutschen Staatsgebieten, und dazu gehören nicht nur die SBZ und der SSB, sondern auch die unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebiete, hat der Gesetzgeber des FAG für Leistungen aus der Sozialversicherung den Wohnsitzgrundsatz jedenfalls in dem Sinne weiterhin als geltend erachtet, daß für die in diesen deutschen Staatsgebieten lebenden Deutschen Ansprüche nur gegen die für das jeweilige deutsche Staatsgebiet zuständigen Versicherungsträger begründet und gegen andere deutsche Versicherungsträger ausgeschlossen sein sollen. Die sozialversicherungsrechtlichen Beziehungen von Personen, die sich in den unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten ständig aufhalten, zu den Versicherungsträgern im Bundesgebiet und im Lande Berlin hat weder das FAG geregelt noch die RVO in der Fassung des am 1. Januar 1957 in Kraft getretenen ArVNG. Beide Gesetze haben Ansprüche für Personen, die sich ständig in diesen Gebieten aufhalten, gegen Versicherungsträger im Bundesgebiet und im Lande Berlin nicht begründet; sie haben keine Möglichkeit geschaffen, Leistungen aus der Rentenversicherung an Personen, die in den deutschen Ostgebieten leben, zu gewähren (Hörnigk/Jahn/Wickenhagen, Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz, 2. Aufl., § 8 Abs. 1 Anm. 5).
Dieser besonderen durch die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen und durch die Unterstellung deutschen Gebietes unter die Verwaltung fremder Staaten geschaffenen Rechtslage hat auch das BSG in seiner Rechtsprechung bereits Rechnung getragen. Es hat zu dem Anspruch auf wiederaufgelebte Witwenrente entschieden, daß die Deutschen (Witwen), die sich in den unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten aufgehalten haben, nicht anders behandelt werden können als die Deutschen, die in der SBZ ansässig und ebenfalls mit der ungünstigen Entwicklung der Sozialversicherung ihres Gebietes schicksalsmäßig verhaftet gewesen sind (BSG, 11. Senat, Urteil vom 4.8.1966 - 11/1 RA 307/63 -). Hierbei ist ausdrücklich berücksichtigt worden, daß das BSG in den Fällen, in denen es über die Ansprüche von in der SBZ ansässig gewesenen Berechtigten entschieden hat, auch für erheblich gehalten hat, daß in diesen Fällen die Berechtigten in ein anderes Sozialversicherungssystem eingegliedert gewesen seien; bei deutschen Witwen in den polnisch verwalteten Gebieten Schlesiens sei dies in den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch nicht der Fall gewesen; allein hieraus sei aber nach der derzeitigen Rechtslage ein Rentenanspruch gegen einen Versicherungsträger im Bundesgebiet nicht herzuleiten.
Der Senat pflichtet der Auffassung bei, daß auch die deutschen Staatsangehörigen in den unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten dem an ihrem Wohnort geltenden, von dem Recht der RVO abweichenden Sozialversicherungsrecht schicksalshaft unterworfen sind, mag es sich hier auch nicht wie in der SBZ um ein deutsches Sozialversicherungssystem handeln und mögen in ihm auch Versicherungszeiten, die im Bundesgebiet oder im Lande Berlin zurückgelegt sind, nicht berücksichtigt werden. Solange diese Deutschen sich in diesen deutschen Staatsgebieten ständig aufhalten, unterliegen sie allein dem System der Sozialversicherung des Staates, das dieses deutsche Staatsgebiet zur Zeit verwaltet. Die Regelungen des FAG und der RVO in der Fassung des ArVNG lassen hinreichend deutlich erkennen, daß sowohl die in der SBZ und dem SSB wohnenden Deutschen als auch die Deutschen, die sich ständig in den unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten aufhalten, nicht mehr von dem im Bundesgebiet und im Lande Berlin geltenden Sozialversicherungssystem erfaßt sein und Ansprüche auf Leistungen gegen Versicherungsträger in diesen Gebieten nicht haben sollen. Ihnen sollen vielmehr erst Ansprüche gegen Versicherungsträger im Bundesgebiet und im Lande Berlin zustehen, wenn sie dadurch, daß sie ihren Wohnsitz in diesen Gebieten genommen haben, von dem hier herrschenden Sozialversicherungsrecht erfaßt werden, und zwar grundsätzlich auch nur für die Zeit ihres Aufenthaltes in diesen Gebieten. Dieser Rechtszustand, der vor Inkrafttreten des FAG und des ArVNG auf Grund der früheren Vorschriften der RVO zum Teil ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung bestanden hat, ist durch die Vorschriften des FAG und der RVO idF des ArVNG nicht geändert worden. Durch die Vorschriften des FANG ist er bestätigt worden, denn erst seit dem Inkrafttreten des FANG am 1. Januar 1959 sind für die Deutschen außerhalb des Geltungsbereichs der RVO Ansprüche auf Leistungen gegen Versicherungsträger im Bundesgebiet und im Lande Berlin begründet worden. Soweit derartige Ansprüche bestehen, ruhen sie allerdings, bis der Berechtigte seinen ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet oder im Lande Berlin genommen hat. Ein Anspruch auf Auszahlung der Rente an Berechtigte für Zeiten, in denen sie sich ständig in den unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten aufhalten oder aufgehalten haben, ist also selbst durch die Vorschriften des gegenwärtig geltenden FANG nicht begründet worden.
Da hiernach der Anspruch der Klägerin auf Witwenrente für die Zeit vom 1. Januar 1957 bis zum 31. August 1958 aus den Vorschriften der RVO idF des ArVNG ebenfalls nicht hergeleitet werden kann, ist die Klage gegen den Bescheid vom 8. April 1959 auch insoweit unbegründet, so daß sie in vollem Umfang abzuweisen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen