Leitsatz (amtlich)
Die "Bestimmungen des RAM über die Krankenversicherung und Arbeitslosenversicherung bei Arbeitsunterbrechung ohne Entgeltzahlung" vom 1942-01-28 zu 1. 2. - das Ende des versicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses bei Arbeitsbummelei und den Wegfall der Nachwirkung der Leistungspflicht der KK nach RVO § 214 Abs 1 betreffend - sind, soweit nicht ausdrücklich außer Kraft gesetzt, geltendes Recht.
Leitsatz (redaktionell)
Nach den sogenannten "Bummelerlaß" endet das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis, wenn der Arbeitnehmer ohne arbeitsunfähig krank zu sein und ohne Zustimmung des Arbeitgebers an 14 aufeinanderfolgenden Kalendertagen nicht gearbeitet und kein Entgelt erhalten hat, mit Ablauf dieses Zeitraumes. In diesem Fall besteht kein Anspruch auf Versichertenkrankenhilfe nach RVO § 214.
Normenkette
RVO § 214 Abs. 1 Fassung: 1911-07-19; RAMErl 1942-01-28 Abschn. 1 Nr. 2 Buchst. a
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 8. September 1970 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten über die Gültigkeit des sogenannten Bummelerlasses vom 28. Januar 1942.
Der Kläger war seit Oktober 1966 bei dem Tischlermeister W beschäftigt und auf Grund dessen bei der beklagten Innungskrankenkasse gegen Krankheit versichert. In der Zeit vom 23. April bis 6. Mai 1968 erkrankte er und war arbeitsunfähig. Danach nahm er die Arbeit nicht wieder auf. Mit Wirkung vom 20. Mai 1968 wurde er bei der beklagten Kasse abgemeldet. Am 22. Mai dieses Jahres erlitt er einen Verkehrsunfall, der stationäre Behandlung erforderte.
Mit Bescheid vom 24. Juli 1968 lehnte die Beklagte es ab, dem Kläger aus Anlaß der am 22. Mai 1968 eingetretenen Arbeitsunfähigkeit Leistungen zu erbringen. Der Kläger sei nach Wiedereintritt seiner Arbeitsfähigkeit an 14 aufeinanderfolgenden Kalendertagen unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben und deswegen von seinem Arbeitgeber abgemeldet worden. Damit habe das Beschäftigungsverhältnis nach dem Erlaß des Reichsarbeitsministers (RAM) vom 28. Januar 1942 (AN S. 91 Nr. I. 2. a - sogen. Bummelerlaß) geendet.
Der Widerspruch blieb erfolglos. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) die Berufung zurückgewiesen. Es hält den genannten Erlaß für rechtsgültig.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger die zugelassene Revision eingelegt. Er verfolgt weiter seine bisherige Rechtsauffassung, daß der Bummelerlaß nicht mehr gelte. Dieser habe § 214 der Reichsversicherungsordnung (RVO) wegen kriegswirtschaftlicher Belange eingeschränkt, jene Normsituation sei jedoch weggefallen.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil, das Urteil des SG Braunschweig vom 7. August 1969, den Widerspruchsbescheid vom 25. Oktober 1968 und den Bescheid vom 24. Juli 1968 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Krankenhilfe gemäß § 214 RVO ab 22. Mai 1968 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 SGG).
II
Die Revision ist unbegründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte hinsichtlich der Folgen des Verkehrsunfalls vom 22. Mai 1968 keinen Anspruch auf Krankenhilfe. Das LSG hat zutreffend erkannt, daß § 214 Abs. 1 RVO, der die Gewährung von Regelleistungen unter bestimmten Voraussetzungen auch noch nach dem Ausscheiden aus der Krankenkasse wegen Erwerbslosigkeit vorsieht, nicht anwendbar ist.
Nach Nr. I. 2. a des Erlasses des RAM vom 28. Januar 1942 über "Bestimmungen über die Kranken- und Arbeitslosenversicherung bei Arbeitsunterbrechung ohne Entgeltzahlung" (AN S. 91) endete das versicherungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis mit Ablauf von 14 aufeinander folgenden Tagen (Kalendertagen), also im vorliegenden Fall, nachdem der Kläger nach der Zeit der Arbeitsunfähigkeit vom 23. April bis 6. Mai 1968 ohne Zustimmung seines Arbeitgebers nicht mehr gearbeitet und kein Entgelt erhalten hatte, am 20. Mai 1968. Da der genannte Erlaß - soweit nicht ausdrücklich aufgehoben - auch heute noch gilt, durfte der Kläger von seinem Arbeitgeber bei der Beklagten zu dem erwähnten Zeitpunkt abgemeldet werden. Mit diesem Zeitpunkt war die Leistungspflicht der Beklagten endgültig beendet; die Nachwirkung des § 214 Abs. 1 RVO war ausgeschlossen (Nr. I. 2. b des genannten Erlasses).
Die genannten "Bestimmungen" sind auf Grund des § 9 Satz 2 der Verordnung (VO) des Beauftragten für den Vierjahresplan "zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung" vom 13. Februar 1939 - RGBl I 206 - als Rechtsverordnung erlassen und im Reichsanzeiger - vgl. den Vermerk in AN 1942, 91 - ordnungsgemäß veröffentlich worden (§ 1 des Gesetzes über die Verkündung von Rechtsverordnungen vom 13. Oktober 1923, RGBl I 959, siehe dazu BSG 5, 270, 274). Nach § 9 Satz 2 aaO konnte der RAM alle Maßnahmen treffen, die auf dem Gebiet des Arbeitsrechts, des Arbeitsschutzes und der Reichsversicherung notwendig waren, um diese VO durchzuführen. Zwar entspricht diese Vorschrift nicht den seit Inkrafttreten des Grundgesetzes (GG) an eine Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen zu stellenden Mindestanforderungen, wie sie Art. 80 Abs. 1 GG vorsehen. Wie der Senat jedoch in ständiger Rechtsprechung und so auch zu dem vorgenannten Erlaß bezüglich Nr. I. 1. a und b entschieden hat (BSG aaO), muß die Frage, ob eine Rechtsverordnung von der Ermächtigungsnorm gedeckt ist, nach den zur Zeit ihres Erlasses geltenden Rechtsgrundsätzen beurteilt werden. Der Senat hat deshalb die Ermächtigung in § 9 Satz 2 aaO für die Zeit des nationalsozialistischen Regimes als wirksam und danach den RAM als in der denkbar weitestgehenden Form als berechtigt angesehen, Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, die in irgendeinem Zusammenhang zu der rechtspolitischen Zwecksetzung der VO standen (siehe außer der genannten Entscheidung des Senats auch BSG 12, 157, 158/18, 65, 67). Die Bestimmungen vom 28. Januar 1942 sind - wie sich aus der Fassung der die Ermächtigung enthaltenden VO vom 13. Februar 1939 ergibt - "zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung erlassen". Es sollte die Möglichkeit geschaffen werden, "Bewohner des Reichsgebiets zu Leistungen heranzuziehen und die Bindung an den Arbeitsplatz fester zu gestalten". Nach der damaligen Staatsrechtspraxis genügte dies, um die erwähnten "Bestimmungen" als durch die Ermächtigungsnorm gedeckt anzusehen.
Dieser Erlaß ist auch nicht außer Kraft getreten. Ausdrücklich aufgehoben ist er in der früheren britischen Zone nicht. Er ist auch nicht aus anderen Gründen nach dem Kriegsende bzw. dem Zusammenbruch des "Dritten Reiches" außer Kraft getreten, etwa dadurch, daß die Normsituation - unaufschiebbare Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung, festere Bindung an den Arbeitsplatz - weggefallen ist. Diese Zweckbestimmung war nicht Bestandteil der vom Gesetzgeber getroffenen Regelung. Selbst wenn das Wegbleiben von der Arbeit ohne Urlaub in dem hier maßgeblichen Zeitraum anders als in den Kriegsjahren zu beurteilen wäre, fällt jedoch entscheidend ins Gewicht, daß eine Norm nicht mit jedem Wandel der Normsituation ihre Geltung einbüßt; sie wird vielmehr nur dann unanwendbar, wenn ihre Anwendung, gemessen an jedem vernünftigen Zweck, als völlig zweck- und sinnwidrig angesehen werden müßte (Larenz, Methoden der Rechtswissenschaft, 2. Aufl. 1969, 333; vgl. auch BVerfG 28, 179, 182).
Auch mit Wegfall der Ermächtigungsgrundlage - spätestens mit Inkrafttreten des Artikels 129 Abs. 3 GG - hat der Erlaß seine Geltung nicht verloren. Eine solche Abhängigkeit besteht allenfalls für Bestimmungen, die nur zur Ergänzung oder Durchführung anderer Vorschriften erlassen worden sind, aber nicht für Vorschriften, die eigenständige Normierungen wie Nr. I. 2. a und b des genannten Erlasses enthalten (BSG 9, 112, 118; 12, 157, 160; 18, 65, 68). Auch dies hat das LSG zutreffend erkannt.
Die Regelung der Nr. I. 2. des Erlasses vom 28. Januar 1942 ist gemäß Art. 123 Abs. 1 und Art. 125 Nr. 1 GG fortgeltendes Bundesrecht und wird auch vom Bundesgesetzgeber gemäß § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Sammlung des Bundesrechts vom 10. Juli 1958 (BGBl I 437) als festgestelltes Bundesrecht angesehen (vgl. BGBl III Anhang 820-1). Daß dieses fortgeltende Bundesrecht nicht von der Sozialstaatsklausel des GG (Art. 20) infrage gestellt wird, hat das LSG zutreffend dargelegt.
Da der Kläger somit keinen Anspruch auf Krankenhilfe nach § 214 Abs. 1 RVO hat, war die Revision zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen