Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung des rechtlichen Gehörs. Verwertung von Beiakten
Orientierungssatz
1. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör iS des § 62 SGG liegt vor, wenn ein Gericht Beiakten heranzieht und seiner Entscheidung zugrunde legt, ohne daß den Beteiligten zuvor Gelegenheit gegeben wurde, von deren Inhalt Kenntnis und zu deren Inhalt Stellung zu nehmen.
2. Ein Verlust des Rechts zur Rüge von Verfahrensmängeln (§ 295 Abs 1 ZPO) scheidet aus, wenn der Kläger erst dem Urteil entnehmen konnte, daß das Gericht (auch) die vollständigen Verwaltungsakten zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat, obwohl in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich nur der Inhalt der Gerichtsakten erörtert worden ist.
Normenkette
GG Art 103 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; SGG § 62 Fassung: 1953-09-03, § 150 Nr 2 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 295 Abs 1
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 10.12.1982; Aktenzeichen L 1 Ar 1/82) |
SG Kiel (Entscheidung vom 17.11.1981; Aktenzeichen S 6 Ar 141/81) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt eine höhere Festsetzung seiner Ansprüche auf Arbeitslosengeld (Alg) und Arbeitslosenhilfe (Alhi).
Die Beklagte bewilligte dem Kläger ab 18. Dezember 1980 Alg nach einem dynamisierten Bemessungsentgelt von 430,-- DM wöchentlich (Bescheid vom 16. Februar 1981). Sie ging dabei von dem Arbeitsentgelt aus, nach dem dem Kläger wegen Teilnahme an einer beruflichen Fortbildungsmaßnahme bis zum 16. Oktober 1979 Unterhaltsgeld bewilligt worden war (§ 112 Abs 5 Nr 4b des Arbeitsförderungsgesetzes -AFG-). Auf derselben Berechnungsgrundlage bewilligte sie ihm ab 19. März 1981 Anschluß-Alhi (Bescheid vom 6. Mai 1981). Mit Wirkung ab 12. Mai 1981 hob die Beklagte die Bewilligung von Alhi ganz auf, weil der Kläger es pflichtwidrig unterlassen habe, ihm zustehende Rentenansprüche geltend zu machen (Bescheid vom 18. Mai 1981). Die Widersprüche des Klägers lehnte die Beklagte durch getrennte Widerspruchsbescheide vom 7. Juli 1981 ab.
Das Sozialgericht (SG) hat nach Klageverbindung der Klage gegen die Aufhebung der Alhi-Bewilligung stattgegeben und die Beklagte verurteilt, sich weiterhin um die Vermittlung des Klägers in Arbeit zu bemühen. Die Klage gegen die Höhe der Leistungen hat es abgewiesen. Die Berufung wurde nicht zugelassen (Urteil vom 17. November 1981).
Kläger und Beklagte haben Berufung eingelegt; die Beklagte hat ihre Berufung wieder zurückgenommen.
Der Kläger hat mit der Berufung als Verfahrensmangel des SG gerügt, daß weder ihm noch seinem im Wege der Prozeßkostenhilfe für das Verfahren vor dem SG beigeordneten Rechtsanwalt B.-A. trotz entsprechenden Antrags Einsicht in die Originalakten der Beklagten gewährt worden sei; es hätten ihm lediglich 69 Seiten in Form von Kopien aus diesen Akten, die das SG gefertigt habe, zur Einsicht vorgelegen. In der Originalakte befände sich aber sein Antrag auf Leistungen vom 11. Februar 1981, in den die Beklagte fälschlich den 18. Dezember 1980 als Datum der Arbeitslosmeldung und Antragstellung eingetragen habe. Das SG hätte dies berücksichtigen müssen; dann hätte es sein höheres Einkommen bei der Fa. E., bei der er ab 17. November 1980 beschäftigt war, der Bemessung seiner Leistungsansprüche zugrunde legen müssen mit einem jeweils höheren Anspruch. Da sich die Originalakte wegen eines anderen Verfahrens beim Landessozialgericht (LSG) befunden habe, sei ihm das rechtliche Gehör verweigert worden.
Im Verhandlungstermin vor dem LSG vom 28. Oktober 1982 beantragte der Kläger, ihm Einsicht in die gesamten Prozeß- und Verwaltungsakten zu gewähren, und zwar wegen deren Umfangs beim SG oder Amtsgericht in K. . Er erklärte, daß er vorher nicht zur Sache verhandeln und auch keine Prozeßanträge stellen könne. Er verwies auf einen früheren Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe.
Das LSG lehnte diesen Antrag auf Prozeßkostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussicht durch Beschluß vom 28. Oktober 1982 ab, vertagte jedoch die mündliche Verhandlung und übersandte die Akten an das SG K. zur Einsicht durch den Kläger bis zum 19. November 1982. Der Kläger machte davon am 15., 16. und 18. November 1982 Gebrauch. Unter dem 18. November 1982 beantragte er beim SG schriftlich gegen Kostenerstattung die Anfertigung von 679 Fotokopien aus den Akten. Das SG übersandte die Akten mit diesem Antrag unter dem 19. November 1982 an das LSG, ohne die Fotokopien anzufertigen. Es hielt sich für die Erteilung derart umfangreicher Fotokopien im Wege der Amtshilfe nicht für zuständig, außerdem sei es wegen des Zeitaufwandes hierzu personell nicht in der Lage. Dem Kläger teilte das SG unter dem 19. November 1982 dieses Ergebnis mit dem Zusatz mit, daß das LSG insoweit entscheiden werde.
Das LSG beraumte unter dem 19. November 1982 Termin für die mündliche Verhandlung auf den 10. Dezember 1982 an. Der Kläger bat daraufhin am 24. November 1982 beim LSG telefonisch, den Termin aufzuheben, ferner seinen Anwalt B.-A. zu laden und diesem die Akten zur Einsicht zu übersenden; über die Bezahlung der Kopien könne später entschieden werden. Am 9. Dezember 1982 ging beim LSG der Schriftsatz des Klägers vom 8. Dezember 1982 ein, in dem er eine ärztliche Bescheinigung über die Erkrankung seines Rechtsanwalts bis voraussichtlich 31. Dezember 1982 vorlegte. Er bat erneut um Vertagung auf etwa Ende Januar 1983.
Im Termin vom 10. Dezember 1982, zu dem der Kläger ohne Prozeßbevollmächtigten erschienen war, lehnte das LSG den Vertagungsantrag ab, nachdem es ein Schreiben des Rechtsanwaltes B.-A. an den Kläger vom 18. Januar 1982 verlesen hatte. Der Kläger erklärte daraufhin, daß er nicht zur Sache verhandele und keine Anträge stelle. Daraufhin hat das LSG durch Beschluß einen erneuten Antrag des Klägers auf Prozeßkostenhilfe vom 3. Dezember 1982 abgelehnt und durch Urteil vom gleichen Tage (10. Dezember 1982) die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Sache sei entscheidungsreif. Das Recht des Klägers auf Akteneinsicht sei erschöpft; er habe dazu vor dem SG hinreichend Gelegenheit gehabt. Die beantragten Ablichtungen hätten ihm lediglich auf seine Kosten erteilt werden können, wozu der Kläger gegenwärtig jedoch nicht bereit sei. Auch gehe sein Anspruch auf rechtliches Gehör nicht darauf, die Genesung von Rechtsanwalt B.-A. abzuwarten. Erstens habe dieser sich nur zur Beiordnung im Wege der Prozeßkostenhilfe bereit erklärt, zweitens habe der Kläger erst am 24. November 1982 fernmündlich zu erkennen gegeben, er wolle sich auch ohne Prozeßkostenhilfe durch diesen Rechtsanwalt vertreten lassen.
Dieses Recht eines Verfahrensbeteiligten stehe jedoch unter dem Vorbehalt besonderer Verpflichtungen aus dem Prozeßrechtsverhältnis. Damit sei es unvereinbar, daß der Kläger erst kurz vor dem ausdrücklich angekündigten zweiten Termin einen Anwalt benenne, der erkennbar die Vertretung aus Gesundheitsgründen vorläufig nicht übernehmen könne.
Die Berufung sei nach § 147 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) unzulässig, weil sie nur die Höhe der Alhi betreffe. Einen Verfahrensmangel, der gem § 150 Nr 2 SGG zur Zulässigkeit der Berufung führe, habe der Kläger wirksam nicht geltend gemacht. Hinsichtlich der Rüge mangelnder Beweiserhebung durch das SG fehle es an ausreichender Bestimmtheit. Aus dem Inhalt der Prozeßakten ergebe sich auch, daß dem Kläger und seinem Bevollmächtigten Einsicht in sämtliche dem SG vorliegenden Prozeßakten gewährt worden sei. Auf das Fehlen vollständiger Verwaltungs- und Gerichtsakten könne sich der Kläger nicht mehr stützen, da er dieses in der mündlichen Verhandlung vor dem SG nicht mehr gerügt habe, obwohl anwaltschaftlich vertreten. Im übrigen habe sich das SG von seinem Standpunkt aus nicht gedrängt fühlen müssen, Weiteres aufzuklären.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung formellen Rechts durch das LSG. Er trägt dazu insbesondere vor:
Der Kläger habe bereits in der Berufungsschrift einen Verfahrensmangel gerügt; er verweist hierzu auf den Schriftsatz vom 7. Januar 1982 an das LSG. Warum das LSG dieses als wirksame Rüge eines vorliegenden Verfahrensmangels nicht für gegeben gehalten habe, habe er erst den Gründen des Berufungsurteils entnehmen können. Der seinen Antrag auf Prozeßkostenhilfe ablehnende Beschluß vom 28. Oktober 1982 enthalte hierzu keine nähere Begründung. Er sei deshalb durch die Entscheidung des LSG überrascht worden, daß er sein Rügerecht gem § 295 Abs 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) iVm § 202 SGG verloren habe. Hierauf beruhe das Urteil des LSG. Hätte ihn das LSG rechtzeitig auf seine Bedenken gegen die Wirksamkeit seiner Rüge hingewiesen, hätte er dargelegt, daß das SG ihm gerade nicht Einsicht in alle Gerichtsakten gewährt habe, die dem SG selbst vorgelegen haben, und daß er sein Rügerecht wegen unvollständiger Verwaltungsakten nicht verloren, er hiervon sogar Gebrauch gemacht habe. Er hätte mithin den vom SG begangenen Verfahrensfehler aufdecken können mit der möglichen Folge einer anderen Entscheidung des LSG. Der Kläger legt dies des Näheren dar.
Ein Verfahrensfehler liege auch in der Ablehnung seines Vertagungsantrages betreffend den Termin vom 10. Dezember 1982; das LSG habe insoweit den § 62 SGG verletzt und zugleich § 227 ZPO iVm § 202 SGG. Der Kläger weist im einzelnen auf die Vorgänge im Zusammenhang mit seinem Antrag auf Erteilung von Fotokopien aus den Akten hin. Über diesen Antrag sei überhaupt nicht entschieden worden, die Fotokopien seien ihm grundlos nicht erteilt worden. Angesichts des Umfanges der Akten habe er derer aber zur sachgerechten Auswertung der Verwaltungsakten der Beklagten bedurft, um die Verfahrensrüge näher begründen zu können. Jedenfalls hätten sie seinem Prozeßbevollmächtigten übersandt oder zur Einsicht gebracht werden müssen. Weder dazu noch zu einer Durcharbeitung der Akten sei aber bis zu dem Termin vor dem LSG noch Zeit geblieben. Es hätten mithin erhebliche Gründe zur Vertagung iS des § 227 ZPO vorgelegen.
Die vom LSG angeführten Gründe rechtfertigten die Ablehnung der Vertagung nicht. Erst durch die Erkenntnis vom Umfange der Akten und durch den Umstand des Nichterhalts von Fotokopien habe es sich dem Kläger aufdrängen müssen, die Hilfe eines Anwalts zu suchen. Er habe hierfür den Prozeßbevollmächtigten erster Instanz wählen dürfen und dessen Erkrankung nicht vorhersehen können. Die beantragte Vertagung auf Ende Januar 1983 hätte im übrigen keine unangemessene Verzögerung bedeutet, zumal da das LSG den Kläger hätte darauf hinweisen können, daß er sich ggf einen Prozeßbevollmächtigten zu suchen habe, der den vertagten Termin wahrzunehmen in der Lage sei.
Bei folglich sachgerechter Vertagung hätte der dann anwaltschaftlich vertretene Kläger den Verfahrensfehler des SG noch näher darlegen und die Berufung zulässig begründen können. Dieser Fehler habe darin gelegen, daß das SG dem Prozeßbevollmächtigten erster Instanz nicht die Verwaltungsakten zur Einsicht vorgelegt, ihnen aber seinerseits die näheren Einzelheiten für die Bemessung des dem Kläger 1979 bewilligten Unterhaltsgeldes entnommen habe. Das SG habe somit entgegen § 128 Abs 2 SGG seine Entscheidung auf Aktenvorgänge gegründet, zu denen sich der Kläger mangels Kenntnis nicht habe äußern können, obwohl volle Akteneinsicht beantragt gewesen sei; das SG habe deshalb auch gegen §§ 120, 62 SGG verstoßen. Auf dieser Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör beruhe auch das Urteil des SG, weil der Kläger sich deshalb ua zur Höhe seiner Ansprüche nicht habe sachangemessen äußern können. Bei voller Kenntnis des Akteninhalts hätte er aber dartun können, daß der Bemessung der Leistungen ein anderes tarifliches oder ortsübliches Entgelt hätte zugrunde gelegt werden müssen, als es geschehen sei. Der Kläger führt dies des Näheren aus.
Er beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben, das Urteil des SG Kiel vom 17. November 1981 insoweit abzuändern, als es die Klage abgewiesen hat, und die Beklagte unter Abänderung der Bewilligungsbescheide vom 16. Februar 1981 und 6. Mai 1981 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 1981 zu verurteilen, dem Kläger Alg und Anschluß-Alhi unter Berücksichtigung eines ihm angemessenen tariflichen Arbeitsentgelts zuzüglich 15,5 % Zinsen ab 2. September 1981 zu gewähren.
Die Beklagte hat von einer Antragstellung und Äußerung abgesehen.
Der vom Vorsitzenden durch Beschluß vom 12. Oktober 1984 für den Kläger bestellte besondere Vertreter Kurt Leingärtner hat die von dem Prozeßbevollmächtigten für den Kläger vorgenommenen Prozeßhandlungen genehmigt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet.
Aus den vom Kläger vorgetragenen Tatsachen ergibt sich das Vorliegen eines Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung des LSG beruht (§§ 162, 164 Abs 2 Satz 3 SGG). Der Kläger rügt, wie seinem Gesamtvorbringen zu entnehmen ist, zu Recht, daß das LSG seine Berufung als unzulässig verworfen hat. Das LSG hat dadurch den § 150 Nr 2 SGG verletzt; denn die nach § 147 SGG an sich ausgeschlossene Berufung war wegen eines vom Kläger im Berufungsverfahren wirksam gerügten und tatsächlich vorliegenden Mangels im Verfahren vor dem SG zulässig.
Wie der Kläger zur Begründung seiner Revision zutreffend vorgetragen hat, hat das LSG verkannt, daß das SG den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör iS des § 62 SGG verletzt hat. Das SG führt auf Seite 6 der Begründung seines Urteils an, daß die den Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten der Kammer vorgelegen haben. Sie wurden nach Anfertigung von zahlreichen Fotokopien am 14. Oktober 1981 an das LSG gesandt (s Bl 12 SG-Akte). Dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers wurde trotz weitergehenden Antrags Einsicht nur in die Gerichtsakten gewährt; das LSG stellt dies auf Seite 4 der Gründe seines Urteils selbst zutreffend fest. Folgerichtig heißt es deshalb auch im Protokoll über die mündliche Verhandlung vor dem SG vom 17. November 1981 "Die Gerichtsakten lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung". Der ursprüngliche Einschub nach "Gerichtsakten" : "und die Akten der Beklagten" ist ausdrücklich gestrichen worden. Gleichwohl hat das SG seine Entscheidung auf die Kenntnis vom Gesamtinhalt der Verwaltungsakten gestützt; denn anders ist der schon erwähnte Satz aus den Urteilsgründen, diese Akten hätten der Kammer vorgelegen, nicht zu verstehen. Es kann dahinstehen, inwieweit das SG seine Entscheidung konkret auf Erkenntnisse aus dem Kläger nicht zugänglich gewesenen Teilen der Verwaltungsakten gestützt und dadurch auch § 128 Abs 2 SGG verletzt hat, bzw inwieweit zugleich das Recht auf Akteneinsicht nach § 120 SGG berührt worden ist. Jedenfalls enthält es eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör iS des § 62 SGG, wenn ein Gericht Beiakten heranzieht und seiner Entscheidung zugrunde legt, ohne daß den Beteiligten zuvor Gelegenheit gegeben wurde, von deren Inhalt Kenntnis und zu deren Inhalt Stellung zu nehmen (vgl Hennig/Danckwerts/König, SGG, Erl 5 zu § 62 mwN; Meyer-Ladewig, Komm z SGG, RdNr 9 zu § 62 mwN; vgl auch BVerwG in MDR 1984, 609 - Nrn 119 bis 121 -).
Der Kläger hat dies, wie er im Revisionsverfahren zutreffend dargelegt hat, vor dem LSG hinreichend deutlich gerügt. Entgegen der Auffassung des LSG hat er in der Berufungsschrift vom 7. Januar 1982 nicht die unzureichende Einsicht in die Gerichtsakten bemängelt, sondern ausdrücklich das Vorenthalten der Einsicht in die Verwaltungsakten der Beklagten. Er hat dies selbst als einen Verstoß gegen seinen Anspruch auf rechtliches Gehör bezeichnet und dazu auf Art 103 des Grundgesetzes (GG) verwiesen. Zudem hat er ausgeführt, daß die Gewährleistung des rechtlichen Gehörs möglicherweise zu einer anderen Entscheidung geführt hätte.
Diesen Verfahrensmangel durfte der Kläger vor dem LSG auch dann noch rügen, wenn sein Prozeßbevollmächtigter die mangelnde Akteneinsicht in der mündlichen Verhandlung vor dem SG nicht mehr ausdrücklich beanstandet haben sollte. Ein Verlust des Rechts zur Rüge von Verfahrensmängeln (§ 295 Abs 1 ZPO) scheidet hier deshalb aus, weil der Kläger erst dem Urteil des SG entnehmen konnte, daß das Gericht (auch) die vollständigen Verwaltungsakten zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat, obwohl in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich nur der Inhalt der Gerichtsakten erörtert worden ist.
Das SG hat mit allgemein gehaltenen Ausführungen die Festsetzung des Bemessungsentgelts im Falle des Klägers für rechtens erklärt. Die Beklagte habe schon für die Bemessung des zuvor vom Kläger bezogenen Unterhaltsgeldes die Vorschrift des § 112 Abs 7 AFG richtig angewendet, wonach die tarifliche Regelung maßgeblich sei, für die der Kläger nach seinem Lebensalter unter billiger Berücksichtigung seines Berufes und seiner Ausbildung nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes in Betracht komme. Es ist dem weder zu entnehmen, von welchem tariflichen (oder ortsüblichen) Entgelt das SG bei der Anwendung der Bemessungsvorschrift des § 112 Abs 7 AFG konkret ausgegangen ist noch welche Umstände das SG festgestellt hat, aus denen sich ergibt, daß der Kläger nach seinem Lebensalter und seiner Leistungsfähigkeit unter billiger Berücksichtigung seines Berufes und seiner Ausbildung nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes nur für die von der Beklagten zugrunde gelegte Beschäftigung in Betracht gekommen ist. Es ist deshalb auch nicht auszuschließen, daß das SG insoweit Unterlagen aus den Verwaltungsakten der Beklagten verwendet hat, die dem Kläger und seinem Prozeßbevollmächtigten nicht bekannt geworden sind. Daran ändert es nichts, daß das SG ergänzend auf die Bestandskraft der Entscheidungen über das Unterhaltsgeld hingewiesen hat; denn es hat gleichwohl eine eigenständige Überprüfung der Bemessung nach § 112 Abs 7 AFG für angebracht gehalten und vorgenommen (vgl dazu auch das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des Senats vom 20. Juni 1984 - 7 RAr 91/83 -).
Ferner hat das SG auf Seite 3 der Urteilsgründe ausgeführt: "Ausweislich der Verwaltungsakte meldete sich der Kläger am 18. Dezember 1980 arbeitslos und beantragte Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung ...". Es handelt sich hierbei um den Formblattantrag des Klägers, der als Bl Nrn 73/74 in der Leistungsakte der Beklagten über den Kläger mit der Bezeichnung "Alg/Alhi" und der Stammnummer 175901 eingeheftet ist. Nach der Verfügung des Vorsitzenden des SG vom 12. Oktober 1981 (Bl 12 der SG-Akte) ist die Fotokopie dieser Blätter nicht angeordnet worden. Der Gerichtsakte ist nicht zu entnehmen, daß dieses anderweit geschehen ist. Damit muß davon ausgegangen werden, daß das SG wenigstens insoweit eine tatsächliche Feststellung dem Inhalt der dem Kläger nicht zugänglichen Teile der Verwaltungsakte entnommen hat. Gerade vom Datum seiner damaligen Arbeitslosmeldung und Antragstellung hängt aber nach dem Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren die streitige Höhe seines Anspruchs ab.
Hat sonach der Kläger ausreichend deutlich die Verletzung des § 62 SGG durch das SG dargelegt und trifft auch sein Vortrag zu, daß er dieses bereits vor dem LSG gerügt hat, war die Berufung nach § 150 Nr 2 SGG zulässig. Auf der Verkennung dessen beruht die fehlerhafte Prozeßentscheidung des LSG, so daß die Revision des Klägers begründet ist. Angesichts dessen bedarf es keiner Erörterung mehr, ob das Urteil des LSG noch auf weiteren Verfahrensfehlern beruht, wie der Kläger behauptet hat.
Der Senat kann die fehlende Sachentscheidung des LSG nicht nachholen; denn da das LSG lediglich eine Prozeßentscheidung getroffen hat, fehlt es für die revisionsrichterliche Prüfung des Klageanspruches als solchen an jeglicher tatsächlichen Feststellung (vgl Meyer-Ladewig, Komm z SGG, 2. Aufl, RdNr 7 zu § 170 mwN).
Die Sache muß deshalb an das LSG zurückverwiesen werden. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen