Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit einer Neuveranlagung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Neuveranlagung eines Unternehmens zu den Gefahrklassen (§ 734 Abs 2 RVO) ist nach Ablauf der Tarifzeit nicht mehr zulässig.
2. Zum Verhältnis von § 734 Abs 2 RVO zu § 45 Abs 4 SGB 10.
3. Eine Bau-Berufsgenossenschaft kann die Beiträge für fremdartige Unternehmensteile - hier: Bauten des Tiefbaus - in der Höhe erheben, in der sie bei der Tiefbau-Berufsgenossenschaft zu erheben wären.
Leitsatz (redaktionell)
Ob dann, wenn wegen Ablaufs der Tarifzeit (§ 731 RVO) eine Neuveranlagung nach § 734 Abs 2 RVO nicht zulässig ist, eine Rücknahme früherer Veranlagungsbescheide nach § 45 SGB 10 in Betracht kommt, bleibt offen. Voraussetzung dafür wäre unter anderem, daß es sich einerseits bei dem Veranlagungsbescheid um einen "begünstigenden" Verwaltungsakt handelt und andererseits der Tatbestand des § 45 Abs 4 SGB 10 erfüllt ist.
Orientierungssatz
Die Auffassung, eine Neuveranlagung komme nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen sowohl des § 734 Abs 2 RVO als auch des § 45 SGB 10 erfüllt seien, entspricht nicht Sinn und Zweck des § 734 Abs 2 RVO als Spezialvorschrift gegenüber den allgemeinen Regelungen des SGB 10.
Normenkette
RVO §§ 730, 734 Abs 2; SGB 10 § 45 Abs 4; RVO § 731
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 26.06.1984; Aktenzeichen L 6 U 192/83) |
SG Oldenburg (Entscheidung vom 17.03.1983; Aktenzeichen S 7a U 174/83) |
Tatbestand
Die Klägerin ist Mitglied der Beklagten und wendet sich gegen eine Neuveranlagung zur Gefahrklasse und eine darauf beruhende Beitragsnachentrichtung für die Jahre 1974 bis 1977.
Die Klägerin wurde durch Bescheid vom 17. Dezember 1971 aufgrund des ab 1. Januar 1971 gültigen Gefahrtarifs der Beklagten ua mit dem Unternehmenszweig Maurerei unter der laufenden Nummer 092 in der Gefahrklasse 8,5 und durch Bescheid vom 2. April 1976 aufgrund des ab 1. Januar 1976 gültigen Gefahrtarifs der Beklagten unter der laufenden Nummer 1 mit dem Unternehmenszweig Hochbauarbeiten aller Art ebenfalls in der Gefahrklasse 8,5 veranlagt.
In der Anlage zum Prüfbericht Nr 544 wurde ua ausgeführt, dem Rechnungsbeamten sei erklärt worden, daß die Firma sich in den letzten Jahren ausschließlich auf den Ingenieurbau verlegt habe, es würden überwiegend Brückenbauten und Kläranlagen sowie Unterführungen ausgeführt. In dem Prüfbericht Nr 544 und dem Beitragsbescheid vom 3. November 1978 sind ua die Entgelte für Maurerarbeiten und - nach dem Gefahrtarif der Tiefbau-Berufsgenossenschaft (Tiefbau-BG) - Bauwerke des Tiefbaues (laufende Nummer 325) getrennt aufgeführt. In dem "Ersten Nachtrag zum Veranlagungsbescheid vom 17. Dezember 1971" und dem "Ersten Nachtrag zum Veranlagungsbescheid vom 2. April 1976" - jeweils vom 27. Dezember 1978 - sind ua aufgeführt: "Fremdartige Unternehmensteile nach Teil II Ziff 4 des Gefahrtarifs, Tarifstelle 38 laufende Nr 325 Bauwerke des Tiefbaues". Nach Teil II Ziff 3 der ab 1. Januar 1971 und 1. Januar 1976 geltenden Gefahrtarife berechnete die Beklagte durch Bescheid vom 3. November 1978 rückwirkend vom 1. Januar 1974 an den Beitrag für die Bauwerke des Tiefbaues nach dem jeweils maßgebenden Gefahrtarif der Tiefbau-BG so, als ob die Klägerin insoweit Mitglied der Tiefbau-BG gewesen wäre. Den gegen diese Neuveranlagungen erhobenen Widerspruch vom 23. Januar 1979 wies die Beklagte durch Bescheid vom 2. Juli 1980 zurück.
Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 17. März 1983 die Klage abgewiesen, da die Beklagte gemäß § 749 Nr 1 und § 734 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sowie den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts wegen fehlerhafter Beitragsberechnung berechtigt gewesen sei, die Veranlagungsbescheide umzustellen.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG und die Veranlagungsbescheide vom 27. Dezember 1978 sowie den Beitragsbescheid vom 3. November 1978 insoweit aufgehoben, als für die Jahre 1974 bis 1977 Beiträge in Höhe von mehr als 17.320,93 DM festgesetzt sind (Urteil vom 26. Juni 1984). Das LSG hat zur Begründung ua ausgeführt: Es sei zwar nicht zu beanstanden, daß die Beklagte für fremdartige Unternehmensteile auf den Gefahrtarif der Fach-Berufsgenossenschaft (Fach-BG) zurückgreife. Auch seien die Neuveranlagungsbescheide hinreichend bestimmt. § 734 Abs 2 RVO erlaube jedoch eine Neuveranlagung nur innerhalb der jeweiligen laufenden Tarifzeit. Im übrigen habe die Klägerin keine unrichtigen Angaben gemacht, wie noch dargelegt werde. Auch eine Rücknahme nach § 45 des Sozialgesetzbuches X (SGB X) komme nicht in Betracht, da die 2-Jahres-Frist des Absatzes 3 Satz 1 dieser Vorschrift abgelaufen sei und die 10-Jahres-Frist nach Abs 3 Satz 3 nicht gelte, weil die Klägerin nicht grob fahrlässig unrichtige oder falsche Angaben gemacht habe.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht die Beklagte geltend, das LSG habe zu Unrecht § 734 Abs 2 RVO nicht als Sonderregelung gegenüber § 45 SGB X angesehen. Dabei sei auch fraglich, ob ein Beitragsbescheid überhaupt ein begünstigender Verwaltungsakt iS des § 45 SGB X sei. Selbst wenn unter Tarifzeit iS des § 734 Abs 2 RVO die gerade laufende Tarifzeit zu verstehen sei, hätte das LSG aber den Neuveranlagungsbescheid vom 27. Dezember 1978 zum Bescheid vom 2. April 1976 bestätigen müssen. Das LSG habe zudem sich nicht damit auseinandergesetzt, wie seine Auslegung des § 734 Abs 2 RVO mit der Verjährungsvorschrift des § 25 SGB IV zu vereinbaren sei. Die Feststellung des LSG, daß die Klägerin keine bewußt falschen Angaben gemacht habe, entsprächen nicht dem Gesamtergebnis des Verfahrens. Die Klägerin habe aus dem Veranlagungsbescheid gewußt, daß unter Maurerei nicht alle von ihr ausgeführten Arbeiten zusammengefaßt werden könnten. Wegen der zumindest grob fahrlässig falschen Angaben seien auch die Voraussetzungen des § 45 Abs 2 Nr 3 SGB X erfüllt.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 26. Juni 1984 zu ändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 17. März 1983 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Das LSG sei zutreffend davon ausgegangen, daß § 734 Abs 2 RVO auch deshalb nicht anwendbar sei, weil sie - die Klägerin - keine unrichtigen Angaben gemacht habe. Dies betreffe beide Veranlagungsbescheide. § 734 Abs 2 RVO sei eine Sondervorschrift, deren Voraussetzungen neben denen des § 45 SGB X erfüllt sein müßten. Die Veranlagung zu einer Gefahrklasse nach dem Gefahrtarif der Tiefbau-BG sei unzulässig.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist nur zum Teil begründet. Die Beklagte durfte im Jahre 1978 die Klägerin zwar für die Tarifzeit vom 1. Januar 1976 bis 31. Dezember 1980 nicht aber für die vorangegangene Tarifzeit neu zu den Gefahrklassen veranlagen.
Die Neuveranlagung zu den Gefahrklassen aufgrund einer Änderung des Veranlagungsbescheides ist auch nach Inkrafttreten des SGB -Verwaltungsverfahren- Zehntes Buch vom 18. August 1980 (BGBl I 1469, 2218) jedenfalls zunächst nach der auch durch dieses Gesetz nicht aufgehobenen speziellen Regelung des § 734 Abs 2 RVO zu beurteilen (s zu § 368a RVO und § 29 ZOÄ BSGE 56, 295). Auf die Frage, ob die Vorschriften des SGB X über die Rücknahme von Verwaltungsakten dann ergänzend eingreifen, wenn die besonderen Voraussetzungen des § 734 Abs 2 RVO nicht erfüllt sind, ist erst nach Prüfung dieser Voraussetzungen einzugehen.
Nach der Veranlagung kann die BG ein Unternehmen für die Tarifzeit neu veranlagen, wenn sich herausstellt, daß die Angaben des Unternehmers unrichtig waren, oder wenn eine Änderung des Unternehmens eingetreten ist (§ 734 Abs 2 RVO).
Die Angaben der Klägerin in dem ihr übersandten Fragebogen im Dezember 1965 enthielten unter der Bezeichnung Maurerei auch die Arbeiten für die Unternehmensteile, die der Tiefbau-BG angehören würden, wenn sie Hauptunternehmen wären. Die nicht aufgeteilte Angabe Maurerei war somit insoweit unrichtig, als sie die für die Zuteilung des Unternehmens zu den Gefahrklassen wesentliche Unterscheidung zwischen Hochbauarbeiten einerseits und Bauwerken für Abwässer und Brauchwässer und Brücken andererseits nicht erkennen ließ. Diese weiterhin für die Beitragsberechnung beibehaltene nicht aufgeteilte Angabe Maurerei war auch für die Veranlagung aufgrund der Veranlagungsbescheide vom 17. Dezember 1971 und 2. April 1976 maßgebend. Das LSG hat zwar auf Seite 9 seines Urteils ausgeführt, im übrigen habe die Klägerin auch keine unrichtigen Angaben gemacht. Dabei hat das Berufungsgericht auf seine Ausführungen "weiter unten" verwiesen. Dort hat das LSG aber lediglich dargelegt, die Klägerin habe nicht grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht. Ob die Klägerin die für die Veranlagung notwendige Unterscheidung der Maurerarbeiten schuldhaft unterließ oder die Bedeutung dieser Unterscheidung nicht erkennen mußte, ist für die Anwendung des § 734 Abs 2 RVO unerheblich, da es insoweit nur auf die objektive Unrichtigkeit ankommt (Bereiter-Hahn/Schieke/Mertens, Gesetzliche Unfallversicherung, 4. Aufl, § 734 RdNr 6; Gitter in SGB-Sozialversicherung - Gesamtkommentar -, § 734 Anm 5; Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 734 Anm 9 Buchst b; zu der insoweit gleichlautenden früheren Vorschrift ebenso Reichsversicherungsamt -RVA- AN 1901, 627, 628; RVA-Mitgliederkommentar, Band III, Unfallversicherung, 2. Aufl 1930, § 711 Anm 4; Schulte-Holthausen, Unfallversicherung, 4. Aufl 1929, § 711 Anm 6).
Bei unrichtigen Angaben darf die BG das Unternehmen "für die Tarifzeit" neu veranlagen. Der Senat folgt im Ergebnis der Auffassung des LSG, daß danach eine Neuveranlagung jeweils nur für die noch laufende Tarifzeit zulässig ist. Zwar kann das Tatbestandsmerkmal "für die Tarifzeit" seinem Wortlaut nach auch dahin ausgelegt werden, eine Neuveranlagung sei noch nach Ablauf der maßgebenden Tarifzeit zulässig, es müsse aber jeweils getrennt für die einzelnen - noch laufenden oder bereits abgelaufenen - Tarifzeiten geprüft werden, ob die Voraussetzungen des § 734 Abs 2 RVO erfüllt seien. Gegen diese Auslegung spricht jedoch, daß bei rückwirkender Neuveranlagung für verschiedene Tarifzeiten auch ohne dieses Tatbestandsmerkmal zu prüfen wäre, ob eine Angabe nur für eine oder noch weitere Veranlagungen unrichtig gewesen ist und ob sie sich auf alle in Betracht kommenden Veranlagungen ausgewirkt hat. Für die vom Senat geteilte Auffassung des LSG (ebenso LSG Rheinland-Pfalz, Breithaupt 1984, 657; Bereiter-Hahn/Schieke/Mertens aaO § 734 RdNr 5; Wiesner SGb 1984, 95, 96; zu § 711 RVO aF ebenso Stier-Somlo, Kommentar zur RVO, Band 2, 1916, § 711 Anm 5) ist anzuführen, daß ähnlich wie der Zugehörigkeit eines Unternehmens zu einer BG (s BSGE 49, 283, 286/287) auch der Veranlagung zu Gefahrklassen gegenüber der sonstigen darauf beruhenden Beitragsberechnung eine grundlegende Bedeutung zukommt und deshalb nach Ablauf der Tarifzeit im Interesse sowohl des Unternehmens als auch der BG in die erstrebte Stetigkeit und Sicherheit der Veranlagung jedenfalls im Rahmen des § 734 Abs 2 RVO nicht mehr - rückwirkend - eingegriffen werden soll. Dies rechtfertigt es auch, daß die BG dadurch zu einer Neuveranlagung selbst dann nicht mehr befugt ist, wenn sie die Unrichtigkeit unmittelbar nach Ablauf der Tarifzeit erkennt und sie deshalb gegebenenfalls auch Beiträge für das vorangegangene Jahr nicht nachfordern kann. Dabei darf zudem nicht übersehen werden, daß gerade in diesem Fall die unrichtigen Angaben regelmäßig mehr als 5 Jahre zurückliegen und, wie bereits aufgezeigt, auch schuldlos unrichtige Angaben im Rahmen des § 734 Abs 2 RVO für eine Neuveranlagung ausreichen. Ohne das Tatbestandsmerkmal "für die Tarifzeit" hätte außerdem insbesondere bei Verabschiedung der RVO fraglich sein können, ob eine Neuveranlagung nur für die Zukunft oder auch rückwirkend bis zum Beginn der Tarifzeit zulässig wäre (s dazu ua § 45 Abs 4 SGB X). Der Senat hat nicht übersehen, daß die frühere entsprechende Regelung in § 49 Abs 4 Satz 3 des Gewerbe-Unfallversicherungs-Gesetzes (GUV) vom 30. Juni 1900 (RGBl 573) die Formulierung enthielt, nach der Veranlagung könne die Genossenschaft einen Betrieb "während der Tarifperiode" neu veranlagen. Aus dem Vergleich mit diesem und dem seit Inkrafttreten der RVO insoweit maßgebenden Gesetzeswortlaut könnte geschlossen werden, die neue Regelung stelle es nicht mehr auf eine Neuveranlagung während einer noch laufenden Tarifzeit ab. Gegen eine insoweit inhaltliche Änderung des bisherigen Rechts durch die RVO ist aber neben Sinn und Zweck der Regelung anzuführen, daß sowohl in der amtlichen Begründung zum Entwurf einer RVO als auch in den Kommissionsberichten jeweils ausdrücklich vermerkt ist, wenn gegenüber dem damals geltenden Recht eine Neuregelung getroffen werden sollte. Dies ist insbesondere auch zu § 711 RVO (a.F.= § 712 des Entwurfs) hinsichtlich der gegenüber § 49 GUV vorgesehenen Erweiterung "oder wenn eine Änderung des Unternehmens eingetreten ist" geschehen. Dagegen ist auf die Änderung des Wortlautes "für die Tarifzeit" nicht eingegangen. Bei einer so genauen Dokumentation der neuen Regelungen kann nicht davon ausgegangen werden, die neue Gesetzesfassung "für die Tarifzeit" habe gegenüber dem bisher geltenden Recht eine inhaltliche Änderung bezweckt (ebenso im Ergebnis schon Stier-Somlo aaO). Gegen diese Auslegung des § 734 Abs 2 RVO spricht auch nicht, wie die Revision meint, daß nach § 25 SGB IV Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres verjähren, in denen sie fällig geworden sind. Diese Vorschrift setzt voraus, daß Beiträge nacherhoben werden dürfen. Ebenso wie aus der vierjährigen Verjährungsfrist für Ansprüche auf Sozialleistungen (s § 45 SGB I) nicht geschlossen werden kann, § 44 Abs 2 Satz 2 und Abs 4 SGB X sei dahin auszulegen, daß rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte immer mindestens vier Jahre für die Vergangenheit zurückgenommen werden müßten, rechtfertigt auch § 25 SGB IV nicht die Auffassung, Vorschriften, die zu einer Neuberechnung von Beiträgen führen können, müßten immer so ausgelegt werden, daß Beiträge für mindestens vier Jahre nacherhoben werden könnten.
Somit durfte die Beklagte nach § 734 Abs 2 RVO im Jahre 1978 die Klägerin nicht mehr für die am 31. Dezember 1975 abgelaufene Tarifzeit neu zu den Gefahrklassen veranlagen. Da sich die Unrichtigkeit der Angaben auf die Veranlagung nach Teil I des Gefahrtarifs der Beklagten bezieht und nicht nach Teil II dieses Gefahrtarifs eine Veranlagung entsprechend dem Gefahrtarif der Tiefbau-BG geändert wurde, bedarf es keiner Entscheidung, ob bei einem Auseinanderfallen der Tarifzeiten die Tarifzeit der Tiefbau-BG gelten würde oder - um das Unternehmen nicht schlechter zu stellen, als wenn in dem Gefahrtarif der Beklagten entsprechende Gefahrklassen bestehen würden - auch insoweit die Tarifzeit der Beklagten maßgebend bleiben müßte.
Der Senat braucht aus Anlaß des vorliegenden Falles auch nicht zu entscheiden, ob in den Fällen, in denen eine Neuveranlagung zu Ungunsten des Unternehmers nach § 734 Abs 2 RVO nicht zulässig ist, noch eine Rücknahme des Veranlagungsbescheides aufgrund der allgemeinen Vorschrift des § 45 SGB X in Betracht kommt (so Bereiter-Hahn/Schieke/Mertens aaO § 734 RdNr 5 Buchst a; Wiesner aaO). Dabei bedarf es insbesondere weder einer Entscheidung, ob diese Vorschrift überhaupt neben § 734 Abs 2 RVO subsidiär anwendbar ist, noch ob die Veranlagung zu den Gefahrklassen ein begünstigender Verwaltungsakt und ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung iS des § 45 Abs 2 Satz 2 und 3 und Abs 3 SGB X ist (vgl zu Verwaltungsakten mit Dauerwirkung ua Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-10. Aufl, S 232g VI; Wiesner aaO). Jedenfalls dürfte die Beklagte durch den Bescheid vom 27. Dezember 1978 nicht rückwirkend die Veranlagung zur Gefahrklasse für die am 31. Dezember 1976 abgelaufene Tarifzeit ändern, da die Voraussetzungen des § 45 Abs 4 SGB X nicht erfüllt sind. Die Klägerin hat die Veranlagung zur Gefahrklasse für diese Tarifzeit nicht durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt. Der Verwaltungsakt beruht auch weder auf Angaben, welche die Klägerin vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, noch kannte die Klägerin die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes oder kannte sie infolge grober Fahrlässigkeit nicht (s zum Erfordernis der kumulativen Erfüllung der Voraussetzungen des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 und 3 SGB X, BSG Urteil vom 20. Juni 1985 -11b/7 RAr 41/84-). Ebenso sind Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozeßordnung (ZPO) nicht ersichtlich. Die gegenteilige Auffassung der Revision, die vom Senat geteilte Auffassung des LSG entspreche nicht dem Gesamtergebnis des Verfahrens, geht davon aus, daß die unrichtige Angabe der Klägerin zumindest grob fahrlässig gemacht worden ist, ohne für diese Wertung zusätzliche Umstände anzuführen.
Die Beklagte durfte jedoch, wie bereits dargelegt, gemäß § 734 Abs 2 RVO mit Bescheid vom 27. Dezember 1978 die Klägerin für die damals noch laufende Tarifzeit 1976 bis 1980 neu zu der Gefahrklasse veranlagen. Die Auffassung der Klägerin, eine Neuveranlagung komme nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen sowohl des § 734 Abs 2 RVO als auch des § 45 SGB X erfüllt seien, entspricht nicht Sinn und Zweck des § 734 Abs 2 RVO als Spezialvorschrift gegenüber den allgemeinen Regelungen des SGB X. Der Bescheid vom 27. Dezember 1978 (Erster Nachtrag zum Veranlagungsbescheid vom 2. April 1976) ist, wie das LSG zutreffend dargelegt hat, entgegen der Auffassung der Klägerin hinreichend bestimmt.
Die Neuveranlagung steht auch insoweit noch im Einklang mit § 730 RVO, als die Beklagte die Klägerin für die Bauwerke des Tiefbaues nach dem Gefahrtarif der Tiefbau-BG veranlagt und die Beiträge hierfür so berechnet hat, als ob die Klägerin mit diesen Bauwerken Mitglied der Tiefbau-BG wäre.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist der Gefahrtarif seiner Rechtsnatur nach autonomes Recht des betreffenden Unfallversicherungsträgers. Er bildet kraft Gesetzes (s § 725 RVO) eine der - von der Selbstverwaltung beschlossenen - Rechtsgrundlagen, aufgrund deren die Verwaltung des Versicherungsträgers die diesem als Mitglieder angehörenden Unternehmer zur Beitragsleistung heranzieht. Im Rahmen der dem Versicherungsträger gesetzlich verliehenen Autonomie wird der Gefahrtarif von dem zuständigen Organ der Selbstverwaltung mit Rechtswirksamkeit für die in einer BG zusammengeschlossenen Unternehmer erlassen. Er ist somit objektives Recht (BSGE 27, 237, 240). Deshalb ist der Gefahrtarif, ungeachtet der autonomen Rechtsetzungsbefugnis des Versicherungsträgers, bei Streit über die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts, der die Veranlagung eines Unternehmens zu einer bestimmten Gefahrklasse zum Inhalt hat, durch die Gerichte auf seine Rechtsgültigkeit nachzuprüfen (BSGE aaO). Die richterliche Nachprüfung erstreckt sich insbesondere darauf, ob er Normen höherrangigen Rechts verletzt und, worüber die Satzung des Versicherungsträgers das Nähere zu bestimmen hat, ordnungsgemäß zustande gekommen ist. Ähnlich wie dem Gesetzgeber ist auch den ihre Angelegenheiten selbst regelnden öffentlich- rechtlichen Körperschaften als Stellen der mittelbaren Staatsverwaltung und somit auch den Trägern der Sozialversicherung ein nicht zu eng bemessener Spielraum eingeräumt, soweit sie innerhalb der ihnen erteilten gesetzlichen Ermächtigung Recht setzen (BVerfG SozR 2200 § 543 Nr 6; BSGE aaO; 54, 232, 233; 54, 243, 244).
Die Vertreterversammlung der Beklagten hat zur Abstufung der Beiträge nach dem Grad der Unfallgefahr durch einen Gefahrtarif Gefahrklassen zu bilden (s § 730 RVO). Für die Unternehmenszweige, die nach den von ihr angeführten Arbeiten in ihren Zuständigkeitsbereich fallen (s § 3 der Satzung der Beklagten), hat die Beklagte in dem von ihr festgesetzten Gefahrtarif in Teil I Gefahrklassen gebildet und ihnen die einzelnen Unternehmenszweige zugewiesen. In Teil II Nr 3 des Gefahrtarifs der Beklagten ist dagegen bestimmt: Für fremdartige Unternehmensteile, die einer anderen BG angehören würden, wenn sie Hauptunternehmen wären, werden keine Gefahrklassen festgesetzt (Teil II Nr 3 Satz 1 des Gefahrtarifs der Beklagten). Der Beitrag für diese Unternehmensteile wird in der Höhe erhoben, in der er für das dem Umlagejahr vorausgegangene Jahr bei der Fach-BG zu entrichten wäre (Teil II Nr 3 Satz 2 des Gefahrtarifs der Beklagten). Danach hat die für die Aufstellung des Gefahrtarifs und die Bildung der Gefahrklassen für die Mitgliedsunternehmen der Beklagten zuständige Vertreterversammlung für die sogenannten fremdartigen Unternehmen keine Gefahrklassen gebildet. Dennoch ist diese in der gesetzlichen Unfallversicherung seit Jahrzehnten praktizierte Veranlagung in diesen Sonderfällen (s Schulz, Gefahrtarif und Risikoausgleich bei den gewerblichen Berufsgenossenschaften, 1981, Schriftenreihe des Hauptverbandes der gewerblichen BGen, S 232) noch mit Sinn und Zweck des § 730 RVO vereinbar (s auch Schulz aaO; Rundschreiben des Hauptverbandes der gewerblichen BGen VB 18/65 vom 10. Februar 1965). Die Beitragsberechnung erfolgt auch insoweit nach dem Grad der Unfallgefahr und nach einer durch einen Gefahrtarif gebildeten Gefahrklasse. Der Gefahrtarif stellt eine Gruppierung der in einer BG vereinigten Gewerbezweige und Betriebszweige nach dem Grad der Unfallgefährlichkeit dar (Renz, Der Gefahrtarif der gewerblichen Berufsgenossenschaften, Diss. München 1930, S 36; Schulz aaO S 58; s dazu Urteil des BSG vom 12. Dezember 1985 - 2 RU 40/85 -). Die Gruppierung innerhalb einer BG erlaubt es deshalb nicht, die sich daraus ergebende Gefahrklasse in den aus einer anderen Gruppierung gebildeten Gefahrtarif einzusetzen. Dies hat die Beklagte auch nicht getan. Sie hat vielmehr für die Unternehmensteile des Tiefbaues den gesamten Beitrag so berechnet, als wäre die Klägerin insoweit Mitglied der Tiefbau-BG. Dafür sprechen sachliche, noch von Sinn und Zweck des § 730 RVO getragene Erwägungen. Schon das RVA hatte nicht verkannt, daß es besonderen Schwierigkeiten begegnet, für "fremdartige" Betriebe oder Nebenbetriebe, welche einem Gewerbezweig angehören, der in den Zuständigkeitsbereich einer anderen BG fällt, in dem Gefahrtarif der BG, dessen Mitglied das Unternehmen ist, Gefahrklassen festzulegen. Das RVA hatte ebenfalls deshalb für zulässig erachtet, insoweit in dem Gefahrtarif keine Gefahrklasse festzulegen (s RVA AN 1886, 94, 97 - unter III E -). Der BG steht für diese Fälle oft das für die Veranlagung zur Gefahrklasse erforderliche Zahlenmaterial nicht zur Verfügung (s Schulz aaO S 232), jedenfalls nicht in dem Umfang, wie es bei der Fach-BG ausgewertet werden könnte. Eine auf die Gruppierung innerhalb der BG, deren Mitglied das Unternehmen ist, ausgerichtete Einstufung in eine Gefahrklasse oder die Bildung einer eigenen Gefahrklasse für fremdartige Betriebe oder Nebenbetriebe kann zudem dazu führen, daß das Unternehmen eine unverhältnismäßig niedrigere oder höhere Gefahreinstufung enthält als bei der für diesen Betrieb oder Nebenbetrieb zuständigen Fach-BG. Die von der Beklagten praktizierte Regelung hat somit neben der größeren Risikobasis den weiteren Vorteil, daß fremdartige Nebenunternehmen gegenüber gleichartigen Hauptunternehmen, die bei der Fach-BG erfaßt sind, weder benachteiligt noch bevorzugt sind (Schulz aaO). Sinn des berufsgenossenschaftlichen Prinzips liegt ua darin, daß möglichst jeder Gewerbezweig, der einer BG angehört, entsprechend der ihm eigentümlichen Gefahr belastet wird (BSGE 43, 289, 292/293). Tiefbauarbeiten gehören aber nicht zum Zuständigkeitsbereich der von der Beklagten erfaßten Gewerbezweige. Diese Grunderwägungen treffen auch auf die anderen Mitgliedsunternehmen der Beklagten zu, die zu Gefahrklassen im Teil I des Gefahrtarifs der Beklagten veranlagt sind. Auch sie werden durch die Mitgliedsunternehmen mit Unternehmensteilen, die aufgrund der in ihnen verrichteten Arbeiten und die damit verbundenen Gefahren in den Zuständigkeitsbereich einer anderen BG fallen würden, weder bevorzugt noch benachteiligt. Für diese Erwägungen ist unerheblich, ob es sich um Arbeiten handelt, die im Rahmen eines Nebenunternehmens oder die im Rahmen einer Nebentätigkeit (s dazu BSGE 49, 283, 284) verrichtet werden. Maßgebend ist, daß die Beiträge auch insoweit nach dem Grad der Unfallgefahr abgestuft sind und das Unternehmen durch die Vertreterversammlung einer Gefahrklasse zugeordnet worden ist, daß aber bei der - umfassenderes Material und größere Erfahrungen der Fach-BG ausnutzenden Regelung der Beklagten - sowohl das betreffende Unternehmen als auch die anderen Mitgliedsunternehmen der BG keine Nachteile treffen, ihnen aber auch keine Vorteile zukommen. Allerdings erfolgt die Abstufung der Beiträge nach dem Grad der Unfallgefahr nicht aufgrund einer Gefahrklasse, die durch die Vertreterversammlung der BG, deren Mitglied die Klägerin ist, gebildet worden ist. Das steht jedoch der Rechtmäßigkeit der in Teil II Nr 3 des Gefahrtarifs der Beklagten getroffenen Regelung nicht entgegen. Schon das RVA hatte es, wie bereits ausgeführt, für zulässig erachtet, im Gefahrtarif der BG, deren Mitglied ein Unternehmen ist, in Sonderfällen keine eigene Gefahrklasse zu bilden. Zudem hätte es zu einem entsprechenden Ergebnis geführt, wenn die Beklagte eine Gefahrklasse für die fremdartigen Unternehmensteile nach der Beitragshöhe der BG festgesetzt hätte, der diese Unternehmensteile als Hauptunternehmen angehören würden (s Rundschreiben des Hauptverbandes der gewerblichen BGen aaO). Bei dieser Regelung hätten sich der Grad der Unfallgefahr durch den Vergleich zwischen der sich aus dem Gefahrtarif der Fach-BG für die maßgebenden Unternehmensteile ergebenden Beitragsbelastung und der dieser Belastung entsprechenden Beitragsklasse im Gefahrtarif der Beklagten ergeben. Die in Teil II Nr 3 des Gefahrtarifs der Beklagten getroffene Regelung ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil sie für die Beitragsberechnung das dem Umlagejahr vorausgegangene Jahr bei der Fach-BG als maßgebend festsetzt. Für die gegenüber der Beitragsberechnung für in Teil I des Gefahrtarifs der Beklagten aufgeführten Unternehmen abweichende Regelung bestehen sachliche Gründe (s insbesondere Rundschreiben des Hauptverbandes der gewerblichen BGen aaO), deren Berücksichtigung sich zudem für das betroffene Unternehmen in dessen einzelnen Jahren nicht nur ungünstig, sondern auch günstig auswirken kann.
Der Senat hat auch insoweit nicht zu prüfen, ob durch eine andere Veranlagung der Klägerin im Gefahrtarif der Beklagten eine bessere Einstufung der Unfallgefahr erreicht werden könnte. Dies muß im Rahmen der Selbstverwaltung der hierfür zuständigen Vertreterversammlung überlassen bleiben und ist nicht vom Senat zu entscheiden (s BSGE 54, 243, 246/247); das Gericht hat nicht zu prüfen, ob die Vertreterversammlung die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Regelung getroffen hat (BSGE 54, 232, 235).
Danach ist die Neuveranlagung der Klägerin für die Tarifzeit vom 1. Januar 1976 bis 31. Dezember 1980 durch den Bescheid vom 27. Dezember 1978 idF des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 1980 rechtmäßig. Dagegen ist der erste Nachtrag vom 27. Dezember 1978 zum Veranlagungsbescheid vom 17. Dezember 1971 und die darauf beruhende Neuberechnung der Beiträge für diese Zeit rechtswidrig und aufzuheben.
Für die Tarifzeit 1976 bis 1980 durfte die Beklagte somit gemäß § 749 Nr 2 RVO den Beitrag zu Ungunsten der Klägerin neu feststellen. Das LSG hat jedoch - ausgehend von seiner Rechtsauffassung - nicht geprüft, ob die Beitragsneuberechnung für die Zeit vom 1. Januar 1976 bis 31. Dezember 1977 auf der Grundlage der Neuveranlagung rechtmäßig und wie hoch die sich daraus ergebende Beitragsnachforderung ist. Der Senat kann diese Prüfung nicht nachholen. Der Rechtsstreit war deshalb insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das LSG zurückzuverweisen.
Fundstellen