Leitsatz (amtlich)
Der Rückforderung von Versorgungsbezügen, die auf Grund eines nach SGG § 154 Abs 2 erlassenen Ausführungsbescheides gewährt wurden, steht ein Vertrauensschutz in die Bestandskraft des Ausführungsbescheides nicht entgegen.
Normenkette
SGG § 154 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03; KOVVfG § 47 Abs. 1 Fassung: 1955-05-02, Abs. 4 Fassung: 1955-05-02; BGB § 242
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. Mai 1963 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Durch zwei Bescheide vom 12. Dezember 1952 wurde bei dem Kläger nach dem Körperbeschädigten-Leistungsgesetz und dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) eine Schädigung des Ober-Schulterblattnerven links nach Schußverletzung anerkannt und die bis zum 31. Januar 1952 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 vom Hundert (v. H.) gezahlte Rente von diesem Zeitpunkt an entzogen, weil die MdE nur noch 10 v. H. betrage. Auf die Berufung (alten Rechts), die als Klage auf das Sozialgericht (SG) überging, verurteilte das SG am 11. November 1954 den Beklagten, über den 31. Januar 1952 hinaus Beschädigtenrente nach einer MdE um 30 v. H. zu gewähren. Gegen dieses Urteil legte der Beklagte Berufung ein. Durch Benachrichtigung vom 28. Dezember 1954 unterrichtete das Versorgungsamt (VersorgA) den Kläger über die sich aus § 154 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ergebende Verpflichtung zur Zahlung der durch das Urteil gewährten Rente und wies ihn darauf hin, daß der Beklagte gegen das Urteil Berufung eingelegt habe und daß im Falle der Änderung oder Aufhebung des Urteils die inzwischen empfangenen Bezüge zurückzuerstatten seien. Durch Urteil vom 25. November 1959 hob das Landessozialgericht (LSG) das SG-Urteil auf und wies die Klage ab. Mit Bescheid vom 12. Januar 1960 forderte das Versorgungsamt die für die Zeit vom 1. Dezember 1954 bis 31. Dezember 1959 geleisteten Zahlungen im Gesamtbetrage von 1.570,- DM zurück. Auf den Widerspruch des Klägers, den der Beklagte als einen Antrag nach § 47 Abs. 4 und 6 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) ansah, holte das VersorgA vom Bezirksfürsorgeverband und vom Landwirtschaftsamt Forchheim Auskünfte über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers ein und gestattete mit Bescheid vom 24. Juni 1960 die Rückzahlung in monatlichen Raten von 15,- DM. Der Widerspruch war erfolglos. Das SG hob durch Urteil vom 14. Mai 1962 den Bescheid vom 24. Juni 1960 und den Widerspruchsbescheid vom 7. September 1960 auf, soweit darin der Anspruch auf Rückerstattung von 1.570,- DM überzahlter Versorgungsbezüge geltend gemacht wurde. Auf die Berufung des Beklagten hob das LSG mit Urteil vom 21. Mai 1963 das Urteil des SG auf, wies die Klage gegen den Bescheid vom 24. Juni 1960 ab und ließ die Revision zu. Der Kläger habe den Betrag von 1.570,- DM, dessen Höhe nicht bestritten sei, ohne Rechtsgrund empfangen. Der im Bescheid vom 12. Januar 1960 ausgesprochene Widerruf, der durch die Benachrichtigung vom 28. Dezember 1954 verfügten Auszahlung sei nach § 47 Abs. 1 VerwVG nicht zu beanstanden. Ein Vertrauensschutz des Klägers scheide aus. Der Beklagte habe den ihm durch § 47 Abs. 4 VerwVG eingeräumten Ermessensspielraum nicht überschritten. Die Rückzahlung des Betrages von 1.570,- DM bedeute keine besondere Härte. Wenn eine solche Härte auch nicht grundsätzlich allein die wirtschaftliche Lage zu betreffen brauche, so könne sie doch nicht darin erblickt werden, daß vom Kläger Beträge, die ihm aufgrund eines noch nicht endgültigen Urteils nach § 154 Abs. 2 SGG zu zahlen waren, zurückgefordert würden. Wenn der Kläger gehofft habe, das erstinstanzliche Urteil würde sich als rechtmäßig erweisen, so werde dieses Vertrauen von der Rechtsordnung nicht als schutzwürdig anerkannt. Eine besondere Härte könne auch nicht wegen der wirtschaftlichen Verhältnisses des Klägers angenommen werden. Berücksichtige man, daß er Schulden in Höhe von etwa 12.000,- DM habe, so fehle in Anbetracht der Größe des von ihm bewirtschafteten landwirtschaftlichen Betriebes von 27,- ha jeder Hinweis dafür, daß die Rückzahlungspflicht für ihn eine besondere, d. h. über das zumutbare Maß hinausgehende, seine Lebensexistenz bedrohende Verpflichtung bedeute, zumal auch das Landwirtschaftsamt Forchheim den Kläger bei der Größe seines Betriebes für fähig halte, den Überempfang in monatlichen Raten zurückzuzahlen.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung der §§ 47 Abs. 4 VerwVG, 154 Abs. 2 SGG sowie der allgemeinen Rechtsgrundsätze über den Widerrufsvorbehalt. Auch die vorläufige Auszahlung einer Rente nach § 154 Abs. 2 SGG könne einen Vertrauensschutz und die Unzulässigkeit eines Widerrufs der Auszahlungsanordnung rechtfertigen und zur Annahme einer besonderen Härte im Sinne des § 47 Abs. 4 VerwVG führen. Der Gesetzgeber habe dem Widerspruch zwischen der Verpflichtung der Versorgungsverwaltung zur Zahlung nach § 154 Abs. 2 SGG und der Verpflichtung des Berechtigten zur Rückzahlung dadurch begegnen wollen, daß er durch § 47 Abs. 4 VerwVG die Möglichkeit geschaffen habe, von der Geltendmachung des Rückerstattungsanspruchs abzusehen, wenn die Rückforderung nach den Umständen des Einzelfalles mit dem allgemeinen Rechtsbewußtsein nicht zu vereinbaren sei und somit eine besondere Härte darstelle. Hätte der Gesetzgeber etwas anderes gewollt, so hätte er die Ausführung erstinstanzlicher Urteile bis zur Rechtskraft zurückgestellt und nur ausnahmsweise eine Vollstreckbarkeit zugelassen. Im übrigen habe der Beklagte die Möglichkeit gehabt, zu beantragen, daß die Vollstreckung des Urteils ausgesetzt werde. Das LSG hätte auch eine besondere Härte im Sinne des § 47 Abs. 4 VerwVG wegen der wirtschaftlichen Lage des Klägers annehmen müssen. Insoweit werde auf die Auskunft des Finanzamtes Erlangen und darauf verwiesen, daß der landwirtschaftliche Besitz mit 12.000,- DM belastet sei. Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Bayreuth vom 14. Mai 1962 zurückzuweisen, hilfsweise, die Sache an das LSG zurückzuverweisen. Der Beklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Benachrichtigung vom 28. Dezember 1954 sei mit der Rechtskraft des Urteils vom 25. November 1959 von selbst hinfällig geworden. Die Leistung sei nach Wegfall des formalen Rechtsgrundes (§ 154 Abs. 2 SGG) im Sinne des § 47 Abs. 1 VerwVG zu Unrecht, d. h. ohne materiellen Rechtsgrund empfangen. Aus dem sozialen Schutzcharakter des § 154 Abs. 2 SGG folge für die Rückerstattung, daß sie nur dann nicht verlangt werden könne, wenn sie ohne eine schwerwiegende Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Lage und des sozialen Standes des Leistungsempfängers nicht möglich sei. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor.
Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG) und daher zulässig. Sachlich ist sie nicht begründet.
Streitig ist die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 24. Juni 1960, mit dem ein Verzicht auf die Rückforderung des unstreitigen Überempfangs von 1.570,- DM abgelehnt und dem Kläger nur Ratenzahlungen von monatlich 15,- DM gestattet wurden. Die Revision vertritt die Auffassung, die Zahlung von Versorgungsleistungen aufgrund eines nach § 154 Abs. 2 SGG erlassenen Ausführungsbescheides begründe für sich schon einen Vertrauenstatbestand, der die Rückforderung der zwischenzeitlich aufgrund des aufgehobenen Urteils geleisteten Zahlungen unzulässig machen könne. Diese Auffassung, der das LSG bereits mit Recht entgegengetreten ist, berücksichtigt nicht hinreichend, daß die Versorgungsbehörde mit dem Ausführungsbescheid nur einer vorläufigen gesetzlich vorgeschriebenen Zahlungspflicht nachkommt. Trotz Hemmung der Rechtskraft des Urteils - nach Einlegung der Berufung - ist die Versorgungsverwaltung nach § 154 Abs. 2 SGG dennoch verpflichtet, vom Erlaß des Urteils an die Rente entsprechend dem Urteil zu gewähren. Insoweit kann das Urteil nach § 199 Abs. 1 Nr. 1 SGG vollstreckt werden, falls nicht eine der Vollstreckung entgegenstehende Anordnung nach § 199 Abs. 2 SGG ergeht. Bei den aufgrund eines solchen Urteils für die Zukunft geleisteten Zahlungen handelt es sich ebenso wie bei der freiwilligen Befriedigung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung im Zivilprozeß um eine vorläufige Regelung des Streitverhältnisses zugunsten des Klägers, aber unter Wahrung der Rechte des Beklagten. Der Bestand dieser vorläufigen Regelung ist abhängig gemacht von dem Bestand oder der Aufhebung des Urteils (BSG 9, 170 mit Angaben aus der Rechtsprechung des Reichsgerichts). Darum wird der Bescheid, der nach § 154 Abs. 2 SGG in Ausführung des Urteils ergeht, von selbst hinfällig, wenn das Urteil, auf dem er beruht, aufgehoben wird. Er wird nicht Gegenstand des Verfahrens nach § 96 SGG; es bedarf wenn das Urteil aufgehoben wird, daher keiner Aufhebung des Ausführungsbescheides durch das Gericht und keiner Rücknahme des Bescheides durch die Verwaltung (BSG 9, 170). Es handelt sich um einen der Fälle, in denen rückwirkend mit der Aufhebung des Urteils die Leistung im Sinne des § 47 Abs. 1 VerwVG als zu Unrecht empfangen gilt und darum zurückzuerstatten ist. Der durch die Zahlung gemäß dem Ausführungsbescheid bewirkte vorläufige Rechtszustand verliert kraft Gesetzes rückwirkend seine Rechtfertigung. Nicht weil die Leistung dem sachlichen Recht widersprach, wie der Beklagte meint, sondern weil nur eine vorläufige Verpflichtung ohne materielle Bindungswirkung des Beklagten vorgelegen hat, kann die Leistung nach § 47 Abs. 1 VerwVG zurückgefordert werden. Diese gesetzliche Regelung läßt somit keinen Raum für einen Vertrauensschutz, der selbst nach § 47 Abs. 2 und 3 VerwVG nur insoweit gewährt wird, als in den dort bestimmten Fällen der Empfänger der Leistung auf die Bestandskraft bindend gewordener Bescheide vertrauen konnte. Diese Bindungswirkung kommt einem nach § 154 Abs. 2 SGG erlassenen Ausführungsbescheid - jedenfalls bei der Frage der Rückforderung - nicht zu. Das Gesetz geht vielmehr davon aus, daß der Empfänger von Leistungen, die aufgrund eines nicht rechtskräftigen Urteils bewirkt werden, mit dem von ihm zu tragenden Risiko belastet ist, die Leistungen ungeschmälert wieder erstatten zu müssen. Wenn er zu Unrecht darauf vertraut, daß das erstinstanzliche Urteil bestätigt und damit eine Rückzahlungspflicht nicht entstehen werde, ist ihm der Schutz des Gesetzes versagt. Auf diese Rechtsfolge ist der Kläger im Ausführungsbescheid zutreffend hingewiesen worden. Ein Widerspruch zwischen der Zahlungspflicht der Versorgungsbehörde nach § 154 Abs. 2 SGG und der Rückzahlungspflicht des Versorgungsberechtigten, auf den die Revision hinweist, besteht insofern nicht, als es sich hier um eine prozessualen Erfordernissen angepaßte Regelung handelt, auf die die Grundsätze, die im materiellen Recht für den Schutz des Vertrauens auf bindend gewordene Bescheide gelten, nicht anwendbar sind. Eine Einschränkung der Verpflichtung des Klägers, den zu Unrecht empfangenen Betrag von 1.570,- DM zurückzuerstatten, könnte sich daher nur aus § 47 Abs. 4 VerwVG ergeben. Hiernach kann von der Rückforderung ua abgesehen werden, wenn sie eine besondere Härte für den Versorgungsberechtigten bedeutet. Damit wird der Versorgungsverwaltung die Möglichkeit eröffnet, in Fällen, in denen das öffentliche Interesse der Versorgungsverwaltung an der Durchsetzung des Anspruchs vor dem individuellen Interesse des Versorgungsberechtigten auf Freistellung von der Verpflichtung keinen Bestand mehr haben kann, von der Geltendmachung des Anspruchs abzusehen. Die Frage, ob die Verwaltung sich in den gesetzlichen Grenzen der Ausübung dieses Ermessens gehalten hat, unterliegt der richterlichen Überprüfung. Die Ausübung dieses Ermessens ist davon abhängig, daß die Voraussetzungen für den Ausnahmetatbestand, den das Gesetz mit dem allgemeinen Rechtsbegriff besondere Härte bezeichnet, erfüllt sind. Liegen sie nicht vor, darf die Versorgungsbehörde auf den Rückzahlungsanspruch nicht verzichten; für die Ausübung des Ermessens ist in diesem Falle kein Raum. Das LSG hat eine besondere Härte schon deswegen verneint, weil die Rückzahlungspflicht im Rahmen einer Ratenzahlung von 15,- DM monatlich für den Kläger, der einen mit 12000,- DM verschuldeten landwirtschaftlichen Betrieb von 27,- ha führt, keine über das zumutbare Maß hinausgehende, seine Lebensexistenz bedrohende Verpflichtung bedeutet. Diese Auffassung läßt einen Rechtsirrtum bei der Auslegung des Rechtsbegriffs der besonderen Härte nicht erkennen. Das LSG hat damit den für einen Erlaß der Forderung in Betracht kommenden strengen Maßstab, der eine Härte noch nicht genügen läßt, sondern eine besondere Härte verlangt, nicht verkannt. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob § 47 Abs. 4 VerwVG nur anwendbar ist, wenn die Lebensexistenz bedroht ist, denn sinngemäß hat das LSG auch eine unzumutbare Einschränkung der Lebensführung gemeint und sie mit Recht verneint. Das LSG brauchte sich auch durch die Auskunft des Finanzamtes Erlangen vom 17. April 1962, nach der sich die Einkünfte des Klägers aus dem landwirtschaftlichen Betrieb steuerlich nicht ausgewirkt haben, weswegen die Einkünfte für die Jahre 1954 bis 1961 nicht mitgeteilt werden konnten, nicht zu einer anderen Beurteilung veranlaßt sehen. Es konnte der Auskunft des Landwirtschaftsamts Forchheim vom 25. Mai 1960 als einer für die Beurteilung landwirtschaftlicher Verhältnisse sachverständigen Behörde entnehmen, daß aus einem Betrieb von 27,- ha "auf jeden Fall" der Überempfang in monatlichen Raten zurückgezahlt werden könne. Da bei landwirtschaftlichen Betrieben ohne eine Schätzung der Leistungsfähigkeit nicht ganz auszukommen ist, konnte das LSG allgemein auf den Grad der Verschuldung bei dieser Größe des Gutes abstellen, zumal nach den Angaben der Gemeindebehörde in Kappel auf dem Betrieb immerhin ein Pferd, 9 Rinder, 6 Schweine und Hühner gehalten werden und es sich bei den Schulden überwiegend um Verpflichtungen zur Abfindung von Angehörigen handelt, deren Forderungen nur auf Verlangen zu erfüllen sind.
Die Revision ist somit, da die gerügten Gesetzesverletzungen nicht vorliegen, nicht begründet. Sie war nach § 170 Abs. 1 Satz 1 SGG als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen