Leitsatz (amtlich)
Bei Streit über die Höhe des Berufsschadensausgleichs ist die Berufung nicht nach SGG § 148 Nr 3 und 4 ausgeschlossen.
Normenkette
SGG § 148 Nr. 3 Fassung: 1958-06-25, Nr. 4 Fassung: 1958-06-25
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 7. Juli 1965 - mit Ausnahme der Entscheidung über die Klage gegen den Bescheid vom 28. Januar 1965 - aufgehoben. Die Sache wird in diesem Umfange zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
Mit Bescheid vom 28. Februar 1962, der während des Widerspruchsverfahrens durch Bescheid vom 7. Juni 1962 abgeändert worden ist, wurde dem Kläger ein Berufsschadensausgleich von 137,- DM bewilligt. Mit weiterem, während des Klageverfahrens ergangenen Bescheid vom 5. Dezember 1962 setzte der Beklagte das Durchschnittseinkommen nach A 6 des Bundesbesoldungsgesetzes fest. Das Sozialgericht (SG) wies mit Urteil vom 19. November 1963 die Klage ab. Im Berufungsverfahren begehrte der Kläger, das Durchschnittseinkommen nach Besoldungsgruppe A 9 festzusetzen und ihm ab 1. November 1960 einen höheren Berufsschadensausgleich zu gewähren. In der mündlichen Verhandlung erklärte er, er sei ab Inkrafttreten des inzwischen erteilten weiteren Bescheides vom 28. Januar 1965 nicht mehr beschwert. Das Landessozialgericht (LSG) verwarf mit Urteil vom 7. Juli 1965 die Berufung, wies die Klage gegen den Bescheid vom 28. Januar 1965 als unzulässig ab und ließ die Revision zu. Die Berufung sei nicht nach § 148 Nr. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossen, denn der Anspruch auf Berufsschadensausgleich betreffe nicht die Höhe der Ausgleichsrente, sondern es handele sich um die erstmalige Feststellung eines neuen selbständigen Anspruchs. Die Berufung sei jedoch nach § 148 Nr. 2 SGG unzulässig, weil dem Kläger durch Bescheid vom 28. Januar 1965 ab 1. Januar 1964 Berufsschadensausgleich unter Berücksichtigung des Endgrundgehalts der Besoldungsgruppe A 9 gewährt worden sei und daher nur noch Versorgung für die Zeit vom 1. Juni (November) 1960 bis 31. Dezember 1963 streitig sei. Die Klage gegen den Bescheid vom 28. Januar 1965 habe als unzulässig verworfen werden müssen, weil der Kläger insoweit nicht mehr beschwert sei. Ein wesentlicher Mangel im Verfahren des SG liege nicht vor, weshalb die Berufung auch nicht unter diesem Gesichtspunkt zulässig sei.
Der Kläger rügt als wesentlichen Verfahrensmangel, daß das LSG ein Prozeßurteil statt eines Sachurteils erlassen habe. Zwar habe das LSG zutreffend einen Berufungsausschluß nach § 148 Nr. 4 SGG verneint, es habe die Berufung jedoch zu Unrecht als nach § 148 Nr. 2 SGG unzulässig angesehen. Für die Frage, ob die Berufung zulässig ist, komme es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) regelmäßig auf den Zeitpunkt ihrer Einlegung an. Da der spätere Berufungsantrag durch den Kläger nicht willkürlich eingeschränkt worden, sondern die Einschränkung auf den Erlaß des Bescheides vom 28. Januar 1965 zurückzuführen sei, sei die Änderung des Beschwerdegegenstandes von ihm prozessual nicht zu vertreten. An der Zulässigkeit der Berufung habe sich daher nichts geändert.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG vom 19. November 1963 als unzulässig verworfen worden ist und den Rechtsstreit in diesem Umfange an das LSG zurückzuverweisen. Der Beklagte hat sich einer Äußerung enthalten.
Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG); sie ist auch sachlich begründet.
Der Senat hatte nicht zu prüfen, ob das LSG die Klage gegen den Bescheid vom 28. Januar 1965 als unzulässig ansehen durfte, da die Revision das Urteil insoweit nicht angegriffen hat. Zutreffend rügt die Revision, daß das LSG für die Zeit bis 31. Dezember 1963 statt eines Prozeßurteils ein Sachurteil hätte erlassen müssen.
Das LSG hat zunächst ohne Rechtsirrtum einen Berufungsausschluß nach § 148 Nr. 4 SGG verneint. Der durch § 30 Abs. 3 und 4 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) in der Fassung des 1. Neuordnungsgesetzes (NOG) vom 27. Juni 1960 (BGBl I, 453) für Erwerbsunfähige neu eingeführte Berufsschadensausgleich stellt eine selbständige Versorgungsleistung dar. Obwohl diese Leistung in die Vorschrift des § 30 BVG eingefügt ist, der in den Absätzen 1 und 2 die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) regelt, betrifft sie weder den Grad der MdE noch stellt sie eine der Ausgleichsrente rechtsähnliche Leistung dar. Die Ausgleichsrente ist in den §§ 32 ff BVG geregelt. Der Gesetzgeber hat der neuen Leistung nicht nur einen anderen Namen gegeben und Ausgleichsrente sowie Berufsschadensausgleich gesondert geregelt, sondern beide Leistungen unterscheiden sich auch hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen und des gesetzgeberischen Zwecks wesentlich voneinander. Während die Ausgleichsrente den infolge des Gesundheitszustandes, Alters oder wegen sonstiger Gründe bedingten Minderverdienst der Schwerbeschädigten in einem nach der MdE-Höhe gestaffelten begrenzten Rahmen ausgleichen soll, kam der Berufsschadensausgleich zunächst überhaupt nur für Erwerbsunfähige in Betracht. Bei Erwerbsunfähigen war eine Höherbewertung der MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit nicht mehr möglich, so daß denjenigen, die schwerste Schädigungen erlitten und deshalb besonders starke Einbußen in ihrem Einkommen hinzunehmen hatten, nach den bis zum 31. Mai 1960 geltenden Vorschriften des BVG hierfür kein Ausgleich gewährt werden konnte. Aus diesem Grunde ist mit dem 1. NOG der Berufsschadensausgleich für Erwerbsunfähige, sofern sie durch die Art der Schädigungsfolgen beruflich besonders betroffen sind, eingeführt worden, der für den Einkommensverlust in Höhe von 3/10 bis zum Betrag von 300,- DM zusätzlich zu Grund- und Ausgleichsrente entschädigen soll (vgl. auch Schönleiter "Die Kriegsopferversorgung" 2. Auflage 1965, S. 16). Wenn auf Grund des 2. NOG vom 21. Februar 1964 (BGBl I 85) für den Berufsschadensausgleich nun auch Schwerbeschädigte - wie bei der Ausgleichsrente - als Anspruchsberechtigte in Betracht kommen, so blieb es doch bei der Einschränkung, daß diese durch die Schädigungsfolgen in dem hier genannten Umfang beruflich besonders betroffen sein müssen. Eine solche Einschränkung enthalten die Vorschriften über die Ausgleichsrente nicht. Der Berufsschadensausgleich kann auch im übrigen nicht etwa als eine bloße Verfeinerung und Fortbildung der Ausgleichsrente angesehen werden; denn er ist nicht wie diese nach dem Grade der MdE gestaffelt und trägt auch unabhängig hiervon in weit größerem Umfang dem mutmaßlichen individuellen Einkommensverlust des Beschädigten Rechnung, als dies die dem MdE-Grad angepaßte starre, nach einheitlichen Sätzen generell bemessene Ausgleichsrente vermag. Daß die Ausgleichsrente ihrem Wesen nach vom Berufsschadensausgleich grundsätzlich zu unterscheiden ist, folgt überdies auch daraus, daß bei der Ermittlung des Einkommensverlustes zur Errechnung des Berufsschadensausgleichs gemäß § 30 Abs. 4 BVG aF und nF das von dem Beschädigten erzielte derzeitige Bruttoeinkommen "zuzüglich der Ausgleichsrente" dem Durchschnittseinkommen einer vergleichbaren Berufsgruppe gegenüberzustellen ist. Das Gesetz selbst will sonach die Ausgleichsrente vom Berufsschadensausgleich unterschieden wissen. Es geht daher nicht an, beide gesetzlich verschieden geregelten Leistungen bei der Frage der Berufungszulässigkeit ohne weiteres gleich zu behandeln. Zwar hätte es im Ermessen des Gesetzgebers gelegen, in den Fällen, in denen nur die Höhe des Berufsschadensausgleichs streitig ist, die Berufung - ähnlich wie bei der Ausgleichsrente - auszuschließen. Wenn der Gesetzgeber die Berufungsausschlußvorschriften des § 148 SGG nicht in diesem Sinne erweitert hat, so ist hieraus zu schließen, daß für diese neu eingeführte Leistung - auch wenn nur Streit über ihre Höhe besteht - die Berufung nicht ausgeschlossen sein sollte. Es kann nicht angenommen werden, daß insoweit eine Gesetzeslücke vorliege, die vom Richter geschlossen werden könnte. Denn es ist kein Anhalt dafür gegeben, daß die Einführung eines solchen Berufungsausschlusses vom Gesetzgeber lediglich übersehen worden wäre. Er konnte im Gegenteil gute Gründe dafür haben, für diesen neuartigen und zudem oft schwierig festzustellenden Versorgungsanspruch nicht lediglich eine gerichtliche Instanz vorzusehen. Nach alledem war im vorliegenden Fall die Berufung nicht gemäß § 148 Nr. 4 SGG ausgeschlossen. Es kommt auch kein Berufungsausschluß nach § 148 Nr. 3 SGG in Betracht, weil die Berufung den Grad der MdE beträfe; denn der Berufsschadensausgleich steht in keiner inneren Beziehung zur Höhe der MdE, wenngleich ein Mindestgrad der MdE Voraussetzung des Anspruchs ist.
Zu Unrecht hat das LSG jedoch die Berufung gemäß § 148 Nr. 2 SGG als unzulässig angesehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG in SozR Nr. 6, 8, 9, 12 zu § 146 SGG und BSG 16, 135) wird eine Berufung, die im Zeitpunkt ihrer Einlegung eine zeitlich unbegrenzte Rente betrifft und daher zulässig ist, nicht dadurch unzulässig, daß der Kläger während des Berufungsverfahrens seinen Antrag auf eine bereits abgelaufene Zeit beschränkt, weil der Beklagte den Anspruch für die spätere Zeit anerkannt hat. Etwas anderes gilt nur, wenn die spätere Verminderung der Beschwer auf einer willkürlichen Beschränkung des Rechtsmittels beruht (aaO Nr. 6, 8, 9). Das ist hier nicht der Fall, da die Beschränkung des Antrags auf eine abgelaufene Zeit durch die Gewährung eines höheren Berufsschadensausgleichs ab 1. Januar 1964 im Bescheid vom 28. Januar 1965 veranlaßt wurde (vgl. BSG 16, 135).
Das LSG hätte daher über den Anspruch des Klägers in dem noch streitigen Umfang (bis 31. Dezember 1963) sachlich entscheiden müssen. Da es die Berufung somit zu Unrecht als unzulässig verworfen hat, mußte sein Urteil insoweit aufgehoben werden. Die Sache war, da der Senat die fehlenden Feststellungen nicht selbst nachholen kann, in diesem Umfange zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen