Leitsatz (redaktionell)

Nimmt die Versorgungsbehörde bei einer Neuregelung nach KOV- VfG § 40 Abs 1 den früheren Bescheid auch für die Vergangenheit zurück, so steht es in ihrem pflichtgemäßen Ermessen, den Zeitpunkt zu bestimmen, von dem an die Neuregelung gilt. 2. Beschränkt sich die Versorgungsbehörde nicht nur auf den Erlaß eines Neufeststellungsbescheides nach BVG § 62, sondern erteilt sie - gleichzeitig - einen Zugunstenbescheid nach KOV-VfG § 40 Abs 1, so muß sie dann, wenn sie die höhere Rente vor der Stellung des Verschlimmerungsantrages für gerechtfertigt hält, einen vor diesem Zeitpunkt liegenden Beginn der Rente bestimmen, weil anderenfalls die Zugunstenregelung - soweit sie die Rentenerhöhung betrifft - weder eine Wirkung für die Vergangenheit noch für die Zukunft äußern würde.

 

Normenkette

KOVVfG § 40 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27; BVG § 62 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27

 

Tenor

Die Sprungrevision des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 20. August 1964 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

Mit Umanerkennungsbescheid nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) vom 16. August 1951 war dem Kläger wegen Verlustes des rechten Oberschenkels, Lungenfellschwarte nach Brustdurchschuß, Teilversteifung des rechten 4. Fingers, Splittersteckschuß im rechten Mittelfinger und Dekubitalnarbe über dem Kreuzbein Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 v. H. (nebst Kleider-und Wäscheverschleißzulage) gewährt worden. Am 15. November 1961 beantragte der Kläger, die Rente durch Zugunstenbescheid von 70 auf 80 v. H. zu erhöhen. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 9. Januar 1962 abgelehnt. Der Widerspruch blieb erfolglos. Im Klageverfahren beantragte der Kläger, auch den bisher nicht berücksichtigten Durchschuß am linken Unterschenkel mit dessen Folgen als Schädigungsfolge anzuerkennen und diesen sowie eine Verschlimmerung durch Neigung zu Hautentzündungen im Stumpfgebiet in die Gesamtbewertung der MdE einzubeziehen. Am 24. Juli 1963 erteilte der Beklagte einen Zugunstenbescheid, mit dem zusätzlich mehrere Stecksplitter in den Unterschenkelweichteilen links mit druckempfindlicher Narbe an der linken Wade und Empfindungsstörungen anerkannt sowie die MdE ab 1. November 1961 (Antragsmonat) auf 80 v. H. erhöht wurden. Das Sozialgericht (SG) verurteilte den Beklagten mit Urteil vom 20. August 1964 zur Erteilung eines neuen Bescheides über die Gewährung einer Rente nach einer MdE von 80 v. H. ab 1. Oktober 1960. Im übrigen wies es die auf Gewährung einer Rente nach einer MdE um 80 v. H. ab 1. Oktober 1950 und 90 v. H. ab 1. November 1961, hilfsweise 80 v. H. ab 1. Januar 1960 gerichtete Klage ab und ließ die Berufung zu. Der Bescheid vom 9. Januar 1962 und der Widerspruchsbescheid seien durch den späteren Bescheid vom 24. Juli 1963 abgeändert worden, so daß nur noch streitig sei, ob und in welchem zeitlichen Umfang vor dem 31. Oktober 1961 (richtig: 1. November 1961) gemäß § 40 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) ... eine höhere Rente zu zahlen sei. Die gesamten Schädigungsfolgen - einschließlich der durch Zugunstenbescheid vom 24. Juli 1963 zusätzlich anerkannten - hätten zunächst keine höhere MdE als 70 v. H. bedingt. Durch das Auftreten von Randknoten, die erstmalig bei der Untersuchung vom 31. Oktober 1960 nachgewiesen seien, sei eine Verschlimmerung eingetreten. Diese bedinge für sich allein nur eine MdE um 10 v. H., so daß eine Gesamt-MdE von 80 v. H. hierdurch nicht erreicht werde. Erst durch das Zusammentreffen mit den bisher nicht bewerteten Schädigungsfolgen im linken Unterschenkel, die ebenfalls eine MdE von 10 v. H. bedingten, werde eine Gesamt-MdE von 80 v. H. (70 v. H. + 20 v. H. von 30 v. H. = 6 v. H. zusammen 76 v. H.) erreicht. Da die Randknoten nicht vor Oktober 1960 nachgewiesen seien, könne die MdE erst seit Oktober 1960 erhöht werden. Der Beklagte habe in seinem Bescheid vom 24. Juli 1963, bei dem es sich nach seinem Vorbringen um einen kombinierten Zugunsten- und Neufeststellungsbescheid handele, aus dem Gesichtspunkt der Neufeststellung gemäß § 62 BVG vom Antragsmonat (November 1961) ausgehen dürfen. Hinsichtlich der Zugunstenregelung habe jedoch keine Veranlassung bestanden, die Regelung rückwirkend auf den Antragsmonat zu beschränken. Ein Zugunstenbescheid sei gerade für die Zeit vor der Stellung des Neuantrages in Betracht gekommen, da von diesem Zeitpunkt an ohnehin eine Neufeststellung nach § 62 BVG geboten gewesen sei. Der Bescheid könne nicht als reiner Neufeststellungsbescheid gewertet werden, der Zugunstenbescheid müsse vielmehr begrifflich etwas beinhalten, worauf der Kläger nicht schon nach § 62 BVG einen Rechtsanspruch habe. Die Zugunstenregelung müsse sich daher auf die Zeit vom 1. Oktober 1960 bis 15. November 1961 beziehen. Über den vom Kläger am 15. Januar 1964 gestellten weiteren Antrag auf Erhöhung der Rente von 80 auf 90 v. H. seit dem 1. November 1961 habe nicht entschieden werden können, weil es insoweit an einem Vorverfahren fehle.

Gegen dieses Urteil hat der Beklagte unter Vorlage einer Einwilligungserklärung des Klägers Sprungrevision eingelegt. Er rügt Verletzung der §§ 62 BVG und 40 VerwVG, weil die höhere Rente vom SG bereits ab 1. Oktober 1960 anstatt ab 1. November 1961 zuerkannt worden sei. Der Bescheid vom 24. Juli 1963 sei, soweit die Höhe der Rente in Frage stehe, ein Neufeststellungsbescheid nach § 62 BVG und nur insoweit ein Zugunstenbescheid, als die Verwundungsfolgen am linken Bein, obwohl sie bei Erlaß des Umanerkennungsbescheides schon vorlagen, erst jetzt zusätzlich anerkannt worden seien. Hinsichtlich der MdE-Höhe sei der Umanerkennungsbescheid nicht unrichtig gewesen. Eine Änderung der Verhältnisse durch Auftreten von Randknoten sei erst ab Oktober 1960 eingetreten, mit der Folge, daß nun eine MdE von 80 v. H. gerechtfertigt gewesen sei. Diese Änderung habe aber nach § 62, 60 Abs. 2 BVG erst ab Antragsmonat (1. November 1961) berücksichtigt werden dürfen. Auf die Überschrift des Bescheides komme es nicht an.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des SG abzuändern und die Klage in vollem Umfange abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Sprungrevision zurückzuweisen. Das angefochtene Urteil sei nicht zu beanstanden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Die Sprungrevision (vgl. hierzu BSG in SozR SGG § 161 Nr. 2) ist form-und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§§ 161, 164, 166 SGG); sachlich ist sie nicht begründet.

Da nur der Beklagte Revision eingelegt hat, war nicht zu prüfen, ob das SG zutreffend über den Antrag auf Gewährung einer Rente von 90 v. H. seit dem 1. November 1961 nicht entschieden hat. Streitig ist nur noch, ob dem Kläger Versorgungsrente nach einer MdE um 80 v. H. bereits ab 1. Oktober 1960 (anstatt 1. November 1961) zu gewähren ist.

Der Kläger hatte am 14./15. November 1961 nicht einen Verschlimmerungsantrag gestellt, sondern einen Zugunstenbescheid beantragt. Demgemäß wurde am 9. Januar 1962 die Erteilung eines Zugunstenbescheides nach § 40 VerwVG abgelehnt und nach weiteren Ermittlungen am 24. Juli 1963 ein "Zugunstenbescheid" gemäß § 40 VerwVG erlassen. Das Vorbringen des Beklagte, bei diesem Bescheid habe es sich um einen kombinierten Zugunsten-und Neufeststellungsbescheid gehandelt, ist zwar rechtlich nicht zu beanstanden, da die Voraussetzungen nicht für den beantragten Zugunstenbescheid, sondern auch für eine Neufeststellung nach § 62 BVG erfüllt und darum beide rechtliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen waren. Das SG mußte aber bei Auslegung des Bescheides vom 24. Juli 1963 nicht der Auffassung sein, daß sich die Zugunstenregelung - wie die Revision vorträgt - nur auf die zusätzliche Anerkennung der Verwundungsfolgen am linken Bein, nicht aber auch auf die zugebilligte MdE von 80 v. H. bezog. Der "Zugunstenbescheid" enthält eine solche Unterscheidung nicht; der Verfügungssatz läßt nicht einmal vermuten, daß auch eine Regelung nach § 62 BVG getroffen werden sollte und gestattet nur die Auslegung, daß die Zugunstenregelung mindestens seinen wesentlichen Inhalt darstellt und sich darum auch auf die MdE erstreckt. Zwar trifft es zu, daß eine Zugunstenregelung nach § 40 VerwVG dann in Betracht kommt, wenn ein im Zeitpunkt seines Erlasses unrichtiger Bescheid ergangen ist, nicht aber, wenn der frühere Bescheid erst nachträglich durch eine Änderung der Verhältnisse unrichtig geworden ist (§ 62 BVG). Nach den unangegriffenen und daher für den erkennenden Senat nach § 163 SGG bindenden Feststellungen des SG kann der Umanerkennungsbescheid hinsichtlich der MdE nicht als unrichtig angesehen werden. Die Revision übersieht jedoch, daß dem Zugunstenbescheid vom 24. Juli 1963 auch noch andere Bescheide vorausgegangen sind, die unter Berücksichtigung der Feststellungen des SG im Zeitpunkt ihres Erlasses hinsichtlich der MdE objektiv unrichtig waren. Hierbei handelt es sich nicht nur um den Bescheid vom 9. Januar 1962, der die Gesamt-MdE mit 70 v. H. als richtig bezeichnete und der im Zugunstenbescheid ausdrücklich erwähnt wurde, sondern auch, um den vor dem 1. November 1961 ergangenen Bescheid vom 12. Juni 1961, wo es heißt, daß Grundrente nach einer MdE um 70 v. H. zustehe, und um den Bescheid vom 24. Oktober 1961, der besagt, daß sich an der Höhe der laufenden Zahlung nichts ändere. Nachdem die Revision selbst eingeräumt hat, daß bereits ab Oktober 1960, also vor Erlaß der genannten Bescheide, eine höhere Rente von 80 v. H. gerechtfertigt gewesen sei, durfte das SG davon ausgehen, daß sich die Zugunstenregelung, die sich Rückwirkung - jedenfalls bis zum Antragsmonat - beilegte, auch auf die Höhe der MdE erstrecken sollte; dies um so mehr, als der Zugunstenbescheid keine gegenteilige Bestimmung getroffen, ja überhaupt nicht zum Ausdruck gebracht hat, daß (nur nebenbei) auch eine Neufeststellung nach § 62 BVG erfolgen sollte.

War sonach davon auszugehen, daß die Zugunstenregelung auch die Erhöhung der MdE mit umfasst, so war zu prüfen, ob der Beklagte dadurch, daß er diese Erhöhung erst zu einem Zeitpunkt eintreten ließ, in dem der Kläger einen Antrag gestellt hatte, den der Beklagte zugleich als einen Verschlimmerungsantrag wertete, fehlerhaft verfahren ist. Dies war in Übereinstimmung mit dem SG zu bejahen.

Nach § 40 Abs. 1 VerwVG kann die Versorgungsbehörde zugunsten des Berechtigten jederzeit einen neuen Bescheid erteilen und damit ihren früheren Bescheid berichtigen. Dabei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, die von den Gerichten nach § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG nur daraufhin nachgeprüft werden kann, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind, oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (BSG 15, 10; 19, 12). Nimmt die Versorgungsbehörde bei einer Neuregelung nach § 40 Abs. 1 VerwVG den früheren Bescheid auch für die Vergangenheit zurück, so steht es in ihrem pflichtgemäßen Ermessen, den Zeitpunkt zu bestimmen, von dem an die Neuregelung gilt (BSG 19, 12).

Im vorliegenden Fall hat der Beklagte mit Zugunstenbescheid vom 24. Juli 1963 rückwirkend ab 1. November 1961 eine Neuregelung bzw. Rentenerhöhung vorgenommen. Dies war jedoch der Zeitpunkt, von dem an dem Kläger auf Grund des vom Beklagten angenommenen Verschlimmerungsantrages ohnedies gemäß §§ 62, 60 Abs. 1 und 2 BVG ein Rechtsanspruch auf erhöhte Rentengewährung zustand. Die Versorgungsbehörde setzte sich mit ihrem eigenen aus dem Bescheid zu entnehmenden Verhalten in Widerspruch, wenn sie zwar durch Zugunstenbescheid rückwirkend eine höhere Rente zubilligte, diese aber erst von dem Zeitpunkt an gewährte, in dem der Berechtigte aus einem anderen Rechtsgrund - auch ohne Erlaß eines Zugunstenbescheides - einen Anspruch auf die erhöhte Rente hatte. Beschränkt sich die Versorgungsbehörde in einem solchen Fall nicht auf den Erlaß eines Neufeststellungsbescheides nach § 62 BVG, sondern erteilt sie - gleichzeitig - einen Zugunstenbescheid nach § 40 Abs. 1 VerwVG, so muß sie dann, wenn sie die höhere Rente vor der Stellung des Verschlimmerungsantrages für gerechtfertigt hält, einen vor diesem Zeitpunkt liegenden Beginn der Rente bestimmen, weil andernfalls die Zugunstenregelung - soweit sie die Rentenerhöhung betrifft - weder eine Wirkung für die Vergangenheit noch für die Zukunft äußern würde. Da der Zeitpunkt, von dem an die höhere Rente zuzusprechen wäre, zeitlich nur 13 Monate zurückliegt, kann bei sachgemäßer Auslegung des Zugunstenbescheides vom 24. Juli 1963 nur angenommen werden, daß die Rentenerhöhung ab 1. Oktober 1960 nur deshalb unterblieben ist, weil der Beklagte sich durch § 62 BVG gehindert gesehen hat, den Beginn der höheren Rente vor dem 1. November 1961 eintreten zu lassen. Er ist davon ausgegangen, daß der Beklagte in Ausübung seines Ermessens bei der Wahl zwischen dem 1. November 1961 und dem 1. Oktober 1960 den letzteren Zeitpunkt als Beginn der höheren Rente gewählt hätte. Daher war vom 1. Oktober 1960 - unbeschadet der Frage eines etwaigen Ruhens des Versorgungsanspruchs in der Zeit vor dem 1. Mai 1961 (vgl. § 65 Abs. 1 Nr. 2 BVG) - auszugehen.

Da sonach das SG-Urteil im Ergebnis nicht zu beanstanden war, mußte die Sprungrevision als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324567

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