Beteiligte
Landesversicherungsanstalt Niederbayern-Oberpfalz |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 18. November 1997 aufgehoben.
Die Sache wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Streitig ist, inwieweit die (wiederaufgelebte) Witwenrente der Klägerin aus der gesetzlichen Rentenversicherung wegen Zusammentreffens mit einer Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nur in beschränktem Umfang zu leisten ist.
Die 1945 geborene Klägerin war in erster Ehe mit dem Versicherten E. D. verheiratet, der am 19. Juni 1967 infolge eines Arbeitsunfalls ums Leben kam. Daraufhin bezog sie zwei Witwenrenten: eine aus der gesetzlichen Unfallversicherung von der Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik (BG) und eine aus der gesetzlichen Rentenversicherung von der Landesversicherungsanstalt (LVA) Oberfranken und Mittelfranken. Beide Renten fielen mit Ablauf des März 1972 fort, nachdem die Klägerin den Versicherten S. S. geehelicht hatte. Letzterer verstarb am 9. Dezember 1989. Seitdem erhielt die Klägerin aus dessen Versicherung eine Witwenrente von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. Ab Januar 1991 wurde ihr von der BG nach ihrem ersten Ehemann eine wiederaufgelebte Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung gewährt.
Im Dezember 1992 wandte sich die Klägerin – durch ihren Bevollmächtigten – an die LVA Oberfranken und Mittelfranken mit einem „Antrag auf Wiederaufleben von Hinterbliebenenrentenleistungen” aus der Versicherung ihres ersten Ehemannes. Dabei bezog sie sich auf den im Januar 1991 bei der BG gestellten Antrag und vertrat die Ansicht, dieser gelte auch als Antrag auf Wiederaufleben der Rentenversicherungsleistungen. Mit Bescheid vom 27. Januar 1994 gewährte die Beklagte, an die das Verfahren zuständigkeitshalber abgegeben worden war, der Klägerin unter Zugrundelegung der Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) ab 1. Dezember 1991 eine „große Witwenrente nach dem vorletzten Ehegatten”. Nach erfolglosem Vorverfahren (Widerspruchsbescheid vom 1. September 1994) begehrte die Klägerin vor dem Sozialgericht Landshut (SG) die Zahlung einer nach dem bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Recht berechneten Rente bereits ab 1. Januar 1991, hilfsweise eine Leistungshöhe nach Maßgabe der §§ 266, 311, 312 SGB VI. Diese Klage wurde durch Urteil des SG vom 21. März 1996 abgewiesen. Im anschließenden Berufungsverfahren vor dem Bayerischen Landessozialgericht (LSG) beschränkte die Klägerin ihr Klagebegehren auf die Anwendung der §§ 266, 311, 312 SGB VI bei der Rentenberechnung. Daraufhin hat das LSG die Berufung der Klägerin durch Urteil vom 18. November 1997 im wesentlichen mit folgender Begründung zurückgewiesen:
Zutreffend habe die Beklagte die Ruhensberechnung wegen des Zusammentreffens der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung und der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 93 SGB VI durchgeführt und die §§ 266, 311, 312 SGB VI nicht angewendet. Für den Anspruch der Klägerin seien ausschließlich die Vorschriften des SGB VI – nicht mehr diejenigen der Reichsversicherungsordnung (RVO) – maßgebend, da die Klägerin den Antrag auf Witwenrente nach dem vorletzten Ehegatten erst am 9. Dezember 1992, somit nach dem 31. März 1992, gestellt habe (Hinweis auf § 300 Abs 1 und 2 SGB VI). Ein früherer Antrag, der zur Anwendung der Bestimmungen der RVO geführt hätte, liege nicht vor.
§ 266 SGB VI sei bei der Berechnung der Witwenrente der Klägerin nicht anwendbar. Er stelle eine Besitzschutzregelung dar für den Fall, daß nach dem 31. Dezember 1991 eine Rente neu festzustellen sei, die bereits für Dezember 1991 tatsächlich zu leisten gewesen sei (vgl § 300 Abs 3 SGB VI), sowie für den Fall, daß nach dem 31. Dezember 1991 eine neue Rente unmittelbar an eine solche anschließe, auf die bereits für Dezember 1991 ein Zahlungsanspruch bestanden habe. Das sei hier nicht der Fall.
Auch die Besitzschutzvorschriften der §§ 311, 312 SGB VI stünden der Klägerin nicht zur Seite. Sie gälten nur für Bestandsrenten, dh für im Dezember 1991 laufende Renten.
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision macht die Klägerin im wesentlichen geltend: Zu der strittigen Frage, ob die sog Ruhensberechnung bei Zusammentreffen von Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung und der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 93 SGB VI oder nach den Sonderbestimmungen der §§ 266, 311, 312 SGB VI vorzunehmen sei, dürfe zunächst darauf hingewiesen werden, daß die im Urteil des LSG zitierten Kommentarmeinungen nicht zutreffend wiedergegeben worden seien. Aus Anmerkung 3 zu § 266 SGB VI im Kasseler Komm (Gürtner) sei erkennbar, daß nach Meinung des Verfassers diese Vorschrift dann Anwendung finde, wenn eine Auszahlung der Rente für einen Zeitpunkt vor dem 1. Januar 1992 beansprucht werden könne. Unerheblich sei nach Meinung des Verfassers, wann der Versicherungsfall eingetreten sei und wann die tatsächliche Zahlung aufgenommen worden sei. Im vorliegenden Fall bestehe zweifelsfrei ein Auszahlungsanspruch für Zeiten ab 1. Dezember 1991. Damit sei der klassische Fall gegeben, bei dem § 266 SGB VI Anwendung finden müsse. Darüber hinaus sei sie der Meinung, daß § 266 SGB VI und damit auch die §§ 311, 312 SGB VI bereits dann Anwendung fänden, wenn ein sog Stammanspruch auf die Leistungen zum 31. Dezember 1991 bestehe. Die gesetzlichen Bestimmungen ließen nicht erkennen, daß es auf einen tatsächlichen Zahlungsanspruch ankomme. Soweit zur Anwendung der strittigen Bestimmungen ein Vertrauensschutz gefordert werde, sei dem entgegenzuhalten, daß ein solcher bei ihr selbstverständlich bestehe. Sie habe sich bei der Antragstellung auf Wiederaufleben der Leistungen darauf verlassen dürfen, daß eine ähnliche Berechnungsmethode angewandt würde, wie sie bis zu ihrer Wiederverheiratung Geltung gehabt habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 18. November 1997 und das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 21. März 1996 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 27. Januar 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. September 1994 zu verurteilen, die ihr ab Dezember 1991 gewährte große Witwenrente unter Berücksichtigung der sich aus den §§ 266, 311, 312 SGB VI ergebenden Regelung über das Zusammentreffen dieser Rente mit ihrer Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu leisten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision gegen das Urteil des Bayerischen LSG vom 18. November 1997 zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und trägt ergänzend vor: Nicht gefolgt werden könne der Auffassung der Klägerin, daß sich aus der Anmerkung 3 zu § 266 SGB VI im Kasseler Komm die Anwendung des § 266 SGB VI auf den vorliegenden Fall ergebe. Entscheidend sei nämlich nach dieser Kommentierung, daß sich der Anspruch aus den Vorschriften der RVO ergeben habe. Auch aus den Gesetzesmaterialien (Hinweis auf die Begründung zu § 302 des Gesetzesentwurfs, BT-Drucks 11/4124) folge, daß nur laufende, nach dem bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Recht berechnete Renten von dieser Regelung erfaßt würden. Im vorliegenden Fall sei die Rente jedoch nach dem ab 1. Januar 1992 geltenden Recht berechnet worden.
Auch aus Gründen des Vertrauensschutzes gelange man nicht zur Anwendung der §§ 266, 311 SGB VI. Zwar dürften die Betroffenen darauf vertrauen, daß ein Anspruch auf Witwenrente wieder festgestellt werde, nicht aber, daß die Rente nach gleichen oder ähnlichen Berechnungsmethoden berechnet werde, und erst recht nicht, daß sie in gleicher Höhe gewährt werde. Zu berücksichtigen sei in diesem Zusammenhang insbesondere, daß diese Rente von vornherein gemäß § 90 SGB VI mit aus der zweiten Ehe erworbenen Ansprüchen belastet sei. Für einen weitergehenden Vertrauensschutz bedürfe es ausdrücklicher gesetzlicher Regelungen, die hier nicht vorlägen.
II
Die Revision der Klägerin ist zulässig und begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Dessen Tatsachenfeststellungen reichen nicht aus, um beurteilen zu können, ob der Klägerin höhere Rentenzahlungsbeträge zustehen.
Der Rentenanspruch der Klägerin für die Zeit ab Dezember 1991 richtet sich grundsätzlich insgesamt nach dem SGB VI. Gemäß § 300 Abs 1 SGB VI sind Vorschriften dieses Gesetzbuchs vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. Der erkennende Senat versteht diese Regelung in ständiger Rechtsprechung (vgl BSG SozR 3-2600 § 300 Nrn 5, 12) dahin, daß das SGB VI bei jeder nach dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens am 1. Januar 1992 (vgl Art 85 Abs 1 des Rentenreformgesetzes 1992 ≪RRG 1992≫) stattfindenden Rechtsanwendung heranzuziehen ist, und zwar auch für Zeiten vor diesem Stichtag. Soweit der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) insoweit eine andere Auffassung vertreten hat (vgl BSG SozR 3-2600 § 300 Nr 10), gibt dies keine Veranlassung zur Einleitung eines Verfahrens nach § 41 Sozialgerichtsgesetz (SGG), weil es sich dabei nicht um tragende Entscheidungsgründe gehandelt hat (vgl dazu bereits BSG SozR 3-2600 § 300 Nr 12).
Als Ausnahme zu dem Grundsatz des § 300 Abs 1 SGB VI sieht Abs 2 dieser Bestimmung vor, daß aufgehobene Vorschriften dieses Gesetzbuchs und durch dieses Gesetzbuch ersetzte Vorschriften auch nach dem Zeitpunkt ihrer Aufhebung noch auf den bis dahin bestehenden Anspruch anzuwenden sind, wenn der Anspruch bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung geltend gemacht wird. Auf diese Regelung kann sich die Klägerin nicht ohne weiteres stützen, da sie ihren Rentenantrag nach den bindenden Feststellungen des LSG (vgl § 163 SGG) tatsächlich erst im Dezember 1992 gestellt hat, während die Vorschriften des Vierten Buches der RVO bereits zum 1. Januar 1992 gestrichen worden sind (vgl Art 6 Nr 24, Art 85 Abs 1 RRG 1992).
Sind demnach grundsätzlich die Vorschriften des SGB VI anzuwenden, so ist mangels entgegenstehender Anhaltspunkte davon auszugehen, daß die Beklagte zunächst die Grundvoraussetzungen für einen Anspruch der Klägerin auf wiederaufgelebte große Witwenrente nach § 46 SGB VI zutreffend bejaht (vgl dazu auch BSG SozR 2200 § 1291 Nr 33) und auch die Rentenhöhe nach Maßgabe der §§ 63 ff SGB VI rechtsfehlerfrei errechnet hat. Bei der Berücksichtigung des Zusammentreffens der Rente der Klägerin mit einer (ebenfalls wiederaufgelebten) Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat die Beklagte darüber hinaus zu Recht die allgemeine Bestimmung des § 93 SGB VI und nicht die Sonderregelungen der §§ 266, 311, 312 SGB VI herangezogen. Allerdings wären die §§ 311, 312 SGB VI gemäß § 300 Abs 5 SGB VI an sich gegenüber § 93 (und auch § 266) SGB VI vorrangig zu berücksichtigen. Sie sind hier jedoch – entgegen der Auffassung der Klägerin – nicht einschlägig.
Der Grundtatbestand des § 311 Abs 1 SGB VI lautet:
Bestand am 31. Dezember 1991 Anspruch auf eine Rente nach den Vorschriften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet und auf eine Rente aus der Unfallversicherung, die für die Leistung der Rente zu berücksichtigen war, wird die Rente insoweit nicht geleistet, als die Summe dieser Renten den Grenzbetrag übersteigt.
Während Abs 2 dieser Vorschrift die Ermittlung der Summe der zusammentreffenden Renten betrifft, regelt Abs 5 die Höhe des Grenzbetrages. Dazu sieht § 312 SGB VI bei Versicherungsfällen vor dem 1. Januar 1979 einen günstigeren Mindestgrenzbetrag vor.
§§ 311, 312 SGB VI setzen demnach übereinstimmend voraus, daß am 31. Dezember 1991 Anspruch auf eine Rente bestand. Der Begriff des „Anspruchs” kann im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung vor allem zweierlei bedeuten: Entweder er bezeichnet den Grundanspruch (das „Stammrecht”) auf Rente (vgl dazu BSGE 61, 108, 110 = SozR 2200 § 169 Nr 3; BSG SozR 3-2200 § 1291 Nr 8) oder den – daraus abgeleiteten – Einzelanspruch auf Rentenzahlung für einen bestimmten Zeitraum (vgl BSGE 60, 18, 19 = SozR 2200 § 1262 Nr 33; BSG SozR 2200 § 1262 Nr 39; BSG SozR 2200 § 1321 Nr 17). Da sich die §§ 311, 312 SGB VI auf das Zusammentreffen von Renten aus Renten- und Unfallversicherung beziehen und dabei – ebenso wie die allgemeine Bestimmung des § 93 SGB VI – die Verhinderung von Überversorgung bezwecken (zur Vorgängervorschrift des § 1278 RVO vgl BVerfG SozR 2200 § 1278 Nr 11), knüpfen sie – jedenfalls im Grundsatz – an das Bestehen eines monatlichen Zahlungsanspruchs an (so auch BSG, Urteil vom 31. März 1998 - B 4 RA 114/95 R - Umdr S 10 f ≪zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen≫).
Das Bestehen eines Rentenanspruchs am 31. Dezember 1991 iS der §§ 311, 312 SGB VI setzt demnach voraus, daß der Berechtigte zu diesem Zeitpunkt die Auszahlung der Rente beanspruchen konnte. Unerheblich ist es hingegen, wann die Rente bescheidmäßig festgestellt und wann die Rentenzahlung tatsächlich aufgenommen worden ist (vgl BSGE 60, 18, 19 f = SozR 2200 § 1262 Nr 33; BSG SozR 2200 § 1321 Nr 17; ebenso BSG, Urteil vom 31. März 1998 - B 4 RA 114/95 R - Umdr S 11; ähnlich auch Gürtner, in Kasseler Komm, § 311 SGB VI RdNr 5; Hauck, § 311 SGB VI RdNr 3; Meyer/Heller, in Berliner Komm, § 311 SGB VI RdNr 2; Verbands Komm, § 311 SGB VI Anm 4; Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, § 311 SGB VI RdNr 4). Ebensowenig kommt es nach dem Wortlaut des § 311 Abs 1 SGB VI darauf an, ob die Rente letztlich unter Anwendung der Vorschriften der RVO oder des SGB VI festzustellen ist (aA wohl Brähler, in Gemeinschafts Komm - SGB VI, § 311 RdNr 17; Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, § 311 SGB VI Anm 2; Verbands Komm, § 311 SGB VI Anm 4).
Nach diesen Kriterien bestand am 31. Dezember 1991 kein Rentenanspruch der Klägerin iS der §§ 311, 312 SGB VI. Einschlägig waren in diesem Zeitpunkt die Vorschriften der RVO, da das RRG 1992 insoweit noch nicht in Kraft getreten war (vgl Art 6 Nr 24, Art 85 Abs 1 RRG 1992). Daraus ergab sich für die Klägerin folgende Rechtsposition:
Zunächst hatte sie gemäß §§ 1263, 1264 RVO einen Anspruch auf Witwenrente aus der Rentenversicherung ihres 1967 verstorbenen ersten Ehemannes. Diese Rente fiel mit dem Ablauf des Monats weg, in dem die Klägerin wieder heiratete (vgl § 1291 Abs 1 RVO). Das Wiederaufleben der Witwenrente richtete sich dann nach § 1291 Abs 2 RVO. Satz 1 dieser Vorschrift sah – soweit hier von Bedeutung – vor:
Hat eine Witwe sich wiederverheiratet und wird diese Ehe aufgelöst, so lebt der Anspruch auf Witwenrente vom Ablauf des Monats, in dem die Ehe aufgelöst ist, wieder auf, wenn der Antrag spätestens zwölf Monate nach der Auflösung der Ehe gestellt ist.
Die Grundvoraussetzungen dieser Bestimmung waren hier gegeben, da die zweite Ehe der Klägerin durch den Tod des Versicherten S. S. am 9. Dezember 1989 aufgelöst worden ist (vgl § 1353 Abs 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Zwar hing das Wiederaufleben der Witwenrente als solche (vgl dazu allgemein BSGE 58, 236 = SozR 2200 § 1291 Nr 29) nicht von der Einhaltung der Zwöf-Monats-Frist ab, bei einer Antragstellung nach Fristablauf begann die Rente jedoch gemäß § 1290 Abs 3 RVO (vgl dazu BSG SozR 2200 § 1290 Nr 4) erst mit dem Anfang des Antragsmonats (vgl BSGE 18, 62 = SozR Nr 4 zu § 1291 RVO; BSGE 72, 39, 42 f = SozR 3-2200 § 1265 Nr 9). Insofern kommt dieser Fristbestimmung für das Entstehen des Zahlungsanspruchs eine materiell-rechtliche Bedeutung zu (vgl BSG SozR 2200 § 1321 Nr 17). Es ist hier nicht darüber zu entscheiden, wie ein Fall zu beurteilen wäre, in welchem die zwölfmonatige Antragsfrist am 31. Dezember 1991 noch nicht abgelaufen war. Vorliegend waren jedenfalls an diesem Stichtag seit dem Tode des zweiten Ehemannes der Klägerin über zwölf Monate vergangen, ohne daß diese bis dahin einen Rentenantrag gestellt gehabt hätte. Mithin stand ihr zu diesem Zeitpunkt für den Monat Dezember 1991 kein Zahlungsanspruch auf Witwenrente zu (vgl dazu BSGE 66, 300, 301 f = SozR 3-2200 § 1291 Nr 2).
Daß sich bei der Bescheiderteilung am 27. Januar 1994 ein Rentenzahlungsanspruch der Klägerin für den Monat Dezember 1991 ergab, beruht auf dem am 1. Januar 1992 in Kraft getretenen § 99 Abs 2 SGB VI. Nach Satz 1 dieser Bestimmung wird Hinterbliebenenrente grundsätzlich von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, jedoch nicht für mehr als zwölf Kalendermonate vor dem Monat in dem die Rente beantragt wird (vgl § 99 Abs 2 Satz 3 SGB VI). Da die Klägerin ihren Antrag im Dezember 1992 gestellt hat, war nach dieser Bestimmung eine rückwirkende Leistungsgewährung ab Dezember 1991 möglich. Dieser Umstand ändert jedoch nichts daran, daß am 31. Dezember 1991 für die Klägerin noch kein Zahlungsanspruch bestand.
Eine derartige Auslegung der §§ 311, 312 SGB VI kann sich insbesondere auf die Gesetzesmaterialien zum RRG 1992 stützen. So wird in der Begründung zu § 302 des Gesetzesentwurfs (entspricht § 311 SGB VI) ausgeführt: Durch diese Regelung werde für laufende Renten das bis zum 31. Dezember 1991 geltende Recht über das Zusammentreffen mit Unfallrenten aufrechterhalten (vgl BT-Drucks 11/4124 S 207 f). Auch wenn der Begriff „laufende Renten” nicht ganz mit dem im Gesetzestext selbst vorausgesetzten Bestehen von Ansprüchen übereinstimmt, kommt darin doch hinreichend deutlich zum Ausdruck, daß die §§ 311, 312 SGB VI nur in solchen Fällen Anwendung finden sollen, in denen der Berechtigte bereits am 31. Dezember 1991 Rentenzahlungen beanspruchen konnte.
Der erkennbare Sinn und Zweck der §§ 311, 312 SGB VI rechtfertigt keine andere Beurteilung. Wenn der Gesetzgeber das Vertrauen der Berechtigten in einen Fortbestand derjenigen Berechnungsweise schützen wollte, die bis zum 31. Dezember 1991 bei einem Zusammentreffen von Unfall- und Rentenversicherungsrenten galt, so lag es nahe, insoweit darauf abzustellen, ob bereits nach altem Recht ein Zahlungsanspruch bestand. Denn die betreffenden Berechtigten hatten sich in der Regel auf Rentenzahlungen in bestimmter Höhe eingerichtet. Eine Einbeziehung solcher Hinterbliebener, denen – wie hier – allein wegen der Regelung des § 99 Abs 2 SGB VI unter Zugrundelegung des neuen Rentenrechts Leistungen rückwirkend auch für Zeiten vor dem 1. Januar 1992 zu erbringen sind, war hingegen nicht geboten (vgl Gürtner, in Kasseler Komm, § 311 SGB VI RdNr 5). Zwar soll § 99 Abs 2 SGB VI Verluste von Rentenansprüchen in den Fällen vermeiden, in denen Hinterbliebene aus Unkenntnis über den Tod des Versicherten und über das Bestehen eines Rentenanspruchs erst mit Verspätung einen Rentenantrag stellen (vgl BT-Drucks 11/5530 S 45 ≪zu § 98 des Gesetzesentwurfs≫), diese Vergünstigung muß sich jedoch nicht auf die Anwendung der §§ 311, 312 SGB VI erstrecken, da am 31. Dezember 1991 noch keine hinreichend schutzwürdige Rechtsposition vorhanden war.
Sind demnach die Voraussetzungen der §§ 311, 312 SGB VI nicht gegeben, so findet § 93 SGB VI Anwendung, ohne daß auf § 266 SGB VI zurückgegriffen werden könnte. Unabhängig davon, welche Bedeutung dieser Übergangsbestimmung im einzelnen zukommt (vgl dazu BSG, Urteil vom 30. März 1998 - B 4 RA 118/95 R - ≪zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen≫), greift sie hier nicht ein. Sie setzt nämlich ebenfalls das Bestehen eines Rentenanspruchs am 31. Dezember 1991 voraus, welches hier nicht bejaht werden kann.
Die Klägerin könnte nach alledem nur dann eine günstigere Berechnungsweise für das Zusammentreffen von Unfall- und Rentenversicherungsrente und damit höhere Zahlbeträge erreichen, wenn vorliegend ausnahmsweise doch noch das vor dem 1. Januar 1992 geltende Rentenrecht anwendbar wäre. Dies käme in Betracht, wenn die Klägerin im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so behandelt werden müßte, als hätte sie die wiederaufgelebte Witwenrente aus der Rentenversicherung bis zum 31. März 1992 beantragt. Mit dieser Frage hat sich das LSG nicht befaßt, obwohl es für einen derartigen Anspruch nach Lage der Akten Anhaltspunkte gibt. Immerhin hatte die LVA Oberfranken und Mittelfranken bereits seit dem 19. April 1991 Kenntnis von dem infolge des Todes des zweiten Ehemannes der Klägerin eingetretenen Wiederaufleben des Witwenrentenanspruchs gehabt, ohne daß sie sich im Rahmen ihrer Beratungs- und Betreuungspflichten veranlaßt gesehen hat, die Klägerin auf das Erfordernis eines Antrags, die insoweit geltende Antragsfrist (vgl § 1291 Abs 2 Satz 1 RVO, ab 1. Januar 1992: § 99 Abs 2 SGB VI) und die sich aus einer Anwendung neuen Rechts möglicherweise ergebenden Nachteile hinzuweisen (vgl dazu allgemein BSG SozR 2200 § 1286 Nr 3; BSGE 46, 124 = SozR 2200 § 1290 Nr 11; BSGE 79, 168, 175 = SozR 3-2600 § 115 Nr 1). Der Umstand, daß die (damals allerdings bereits anwaltlich vertretene) Klägerin im Jahre 1991 mehrfach von der BG aufgefordert worden ist, auch beim zuständigen Rentenversicherungsträger einen Antrag auf wiederaufgelebte Witwenrente zu stellen, war der LVA seinerzeit offenbar nicht bekannt. Er könnte daher wohl nur bei der Frage eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen behördlicher Pflichtverletzung und eingetretenem Rechtsnachteil von Bedeutung sein. Insofern dürfte er einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht zwingend ausschließen. Denn sachgerechte Hinweise des Rentenversicherungsträgers hätten bei der Klägerin möglicherweise eine andere Wirkung erzielt als die Aufforderung der BG.
Da zur Klärung der Frage eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs weitere Ermittlungen erforderlich sind, die der erkennende Senat im Revisionsverfahren nicht selbst durchführen kann (vgl § 163 SGG), ist das Berufungsurteil gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Dieses Gericht wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 542760 |
NZS 1999, 459 |
SGb 1999, 184 |