Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen eines Anerkenntnisses
Leitsatz (amtlich)
1. Die Minderung der Rente des Verpflichteten iS von § 96a Abs 4 S 2 RKG (= § 1304a Abs 4 S 2 RVO = § 83a Abs 4 S 2 AVG) ist von seinem Versicherungsträger erst dann vorzunehmen, wenn er Kenntnis davon hat, daß dem Berechtigten von dem für ihn zuständigen Versicherungsträger eine bescheidmäßig festgelegte Rente zu gewähren ist.
2. Zur Frage der Rückforderung gegenüber dem Verpflichteten, wenn die Rente aus der Versicherung des Berechtigten rückwirkend gewährt wird.
Leitsatz (redaktionell)
Eine "Zusage" des Leistungsträgers, dem Klageanspruch zu entsprechen, kann nicht als Anerkenntnis iS des § 101 Abs 2 SGG gewertet werden, wenn sie - als Prozeßhandlung - nicht dem Gericht gegenüber abgegeben wird.
Normenkette
RKG § 96a Abs. 4 S. 2 Fassung: 1976-06-14; RVO § 1304a Abs. 4 S. 2 Fassung: 1976-06-14; AVG § 83a Abs. 4 S. 2 Fassung: 1976-06-14; RKG § 93 Abs. 2 S. 2; RVO § 1301 S. 2; SGG § 101 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der 1919 geborene Kläger, ein Rentner der Beklagten, lebte seit vielen Jahren von seiner Ehefrau getrennt. Aufgrund gerichtlichen Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses hatte die Beklagte an die Ehefrau von der Rente des Klägers Teilbeträge - zuletzt 600,- DM - abzuzweigen. Die Ehe wurde schließlich am 17. November 1977 geschieden; dabei wurden Rentenanwartschaften des Klägers in Höhe von 597,51 DM auf ein bei der Beigeladenen zugunsten der geschiedenen Ehefrau zu errichtendes Versicherungskonto übertragen. Das Urteil wurde nach erfolglosem Berufungsverfahren bei Ablehnung des Armenrechtsgesuchs des Klägers durch den Bundesgerichtshof (BGH) am 27. Februar 1979 rechtskräftig. Dies teilte das Familiengericht der Beklagten am 28. Juni 1979 mit. Nach einem Schriftwechsel mit der Beigeladenen wies die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 29. Juli 1979 auf die Auswirkungen des Versorgungsausgleichs hin und behielt sich die Rückforderung überzahlter Beträge vor. Die Beigeladene bewilligte der geschiedenen Ehefrau des Klägers auf deren Antrag vom Juli 1979 mit Bescheid vom 1. Februar 1980, der der Beklagten am 12. Februar 1980 zuging, Altersruhegeld ab 1. März 1979 in Höhe von 846,60 DM und ab 1. Januar 1980 in Höhe von 880,50 DM. Nunmehr stellte die Beklagte die Zahlungen aus dem Unterhaltstitel von 600,- DM ab 1. Mai 1980 ein und teilte dies dem Kläger durch Bescheid vom 21. März 1980 mit. Durch Bescheid vom 17. April 1980 minderte die Beklagte die Rente des Klägers gemäß § 96a Abs 4 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) ab 1. August 1979 nach Maßgabe der auf die geschiedene Ehefrau übertragenen Rentenanwartschaften, errechnete für die Zeit vom 1. August 1979 bis zum 30. Juni 1980 eine Überzahlung von 9.446,10 DM, forderte diese vom Kläger gemäß § 93 Abs 2 RKG zurück und nahm zur Abzahlung der Rückforderung eine Rentenkürzung um 100,- DM pro Monat vor. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 1980).
Das Sozialgericht (SG) Dortmund hat die angefochtenen Bescheide mit Urteil vom 19. Februar 1981 hinsichtlich der Rückforderung aufgehoben. Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG) durch Urteil vom 15. November 1983 zurückgewiesen. Die Beklagte sei auch bei Zubilligung einer angemessenen Bearbeitungszeit spätestens Anfang Oktober 1979 zur Minderung der Rente des Klägers in der Lage gewesen. Für die davor liegenden Monate August und September 1979 habe die Beklagte zwar die Überzahlung nicht verschuldet, aber auch dem Kläger könne eine Kenntnis der Überzahlung nicht vorgeworfen werden, weil er zu dieser Zeit von der Rentenantragstellung der geschiedenen Frau noch nichts gewußt habe.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 93 Abs 2 RKG. Sie macht geltend, ein Verschulden an der Überzahlung treffe sie nicht, weil sie den angefochtenen Bescheid binnen angemessener Bearbeitungszeit nach Eingang der Rentenmitteilung der Beigeladenen erlassen habe. Der Kläger habe mit einer Rentenzahlung an seine geschiedene Ehefrau und mit der daraus folgenden Minderung seiner Rente rechnen müssen.
Die Beklagte beantragt, die Urteile des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. November 1983 und des Sozialgerichts Dortmund vom 19. Februar 1981 aufzuheben und die Klage abzuweisen;
hilfsweise, den Rechtsstreit unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen, weil die Voraussetzungen der Rückforderung nicht gegeben sind.
Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß Rechtsgrundlage des Bescheides vom 17. April 1980 § 93 Abs 2 RKG und nicht § 50 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB 10) war (vgl hierzu SozR 2200 § 1301 Nr 14 und das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des erkennenden Senats vom 27. März 1984 - 5a RKn 2/83 -). Nach § 93 Abs 2 Satz 2 RKG in der bis zum 1. Januar 1981 gültigen Fassung durfte die Beklagte eine Leistung nur zurückfordern, wenn sie für die Überzahlung kein Verschulden traf und nur, soweit der Leistungsempfänger bei Empfang wußte oder wissen mußte, daß ihm die Leistung nicht oder nicht in der gewährten Höhe zustand, und soweit die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers vertretbar war. Voraussetzung jeder Rückforderung ist außerdem, daß dem Leistungsempfänger die gewährte Leistung nicht zustand, sie also zu Unrecht gewährt wurde.
Nach § 96a Abs 4 Satz 2 RKG erfolgt dann, wenn bei Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung des Familiengerichts über den Versorgungsausgleich ein Anspruch auf Rente besteht, eine Minderung der Rente des Verpflichteten erst, wenn aus der Versicherung des Berechtigten eine Rente zu gewähren ist. Diese Regelung stellt eine Ausnahme von dem Grundsatz dar, daß sich mit der Übertragung von Rentenanwartschaften die Berechnungsgrundlagen der Rente und damit auch der Rentenanspruch des Verpflichteten mindert. Ihr liegt erkennbar der Gedanke zu Grunde, daß der Versicherungsträger des Berechtigten, der mit demjenigen des Verpflichteten identisch sein kann, bei Minderung einer laufenden Rente ab Übertragung der Rentenanwartschaften solange einen finanziellen Vorteil haben würde, als an den Berechtigten eine Rente noch nicht gezahlt wird. Diesen Vorteil hat der Gesetzgeber in § 96a Abs 4 Satz 2 RKG dem Versicherungsträger des Verpflichteten nicht belassen, sondern in Gestalt eines vorläufigen Rentenbetragsschutzes dem Verpflichteten zugewendet. Da der Gesetzgeber nicht übersehen haben kann, daß beim Berechtigten regelmäßig eine Rückwirkung der Rentengewährung auf den Antragszeitpunkt in Betracht kommen wird, eine doppelte Rentengewährung aus der gleichen Rentenanwartschaft aber nicht gewollt sein kann, muß die dem Verpflichteten mit § 96a Abs 4 Satz 2 RKG erwiesene Rechtswohltat sinnvollerweise in dem Zeitpunkt enden, von dem an dem Berechtigten eine Rente zu gewähren ist. Von diesem Zeitpunkt an kommt indes eine Überzahlung der Rente des Verpflichteten nur dann in Betracht, wenn - trotz der Bindungswirkung des dem Verpflichteten erteilten Bescheides - der seine Rente mindernde Bescheid die Rente rechtswirksam mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Rentengewährung an den Berechtigten oder von einem späteren Zeitpunkt an zu mindern vermag. Ob dies trotz einer insoweit fehlenden ausdrücklichen gesetzlichen Regelung zulässig ist, kann hier für die Zeit ab 1. August 1979 dahingestellt bleiben, weil jedenfalls die Voraussetzungen einer Rückforderung nach § 93 Abs 2 Satz 2 RKG selbst dann fehlen, wenn man davon ausgehen wollte, die Rente des Klägers sei ab dem genannten Zeitpunkt in der bisherigen Höhe zu Unrecht gezahlt worden.
Die weitere Rückforderungsvoraussetzung, daß die Beklagte an der - insoweit unterstellten - Überzahlung der Rente des Klägers kein Verschulden trifft, ist dann zwar bis zum 12. Februar 1980 erfüllt. Denn erst an diesem Tag erfuhr die Beklagte von der Beigeladenen, daß und von welchem Zeitpunkt an der geschiedenen Ehefrau des Klägers eine Rente gewährt wird. Die Beklagte wußte zwar von der Beigeladenen seit Juli 1979, daß die geschiedene Ehefrau des Klägers durch Übertragung der Rentenanwartschaften einen Rentenanspruch erworben hatte; von der Gewährung des Altersruhegeldes an die geschiedene Ehefrau des Klägers erfuhr sie aber erst am 12. Februar 1980. Die Beklagte würde nach der Auffassung des erkennenden Senats überfordert, wenn man von ihr verlangen wollte, daß sie bereits aufgrund ihrer Kenntnis von der Rechtskraft der Übertragung von Rentenanwartschaften des Klägers auf die geschiedene Ehefrau und im Vertrauen auf die Richtigkeit der Mitteilung der Beigeladenen über das Entstehen eines Rentenanspruchs der Berechtigten die Minderung der Rente des Klägers hätte vornehmen müssen. Bei dieser vom LSG vertretenen Beurteilung würden zwar die Versicherungsträger der Verpflichteten zu einer beschleunigten Minderung der Rente der Verpflichteten im Sinne von § 96a Abs 4 Satz 2 RKG angehalten. Die beabsichtigte Gleichzeitigkeit der Rentenminderung des Verpflichteten und der Rentengewährung an den Berechtigten könnte damit aber nicht erreicht werden. Die sich aus § 82 RKG ergebenden Rückwirkungen der Rentengewährung an die in Betracht kommenden Berechtigten auf Zeiten vor der Mitteilung der für den Rentenanspruch der Berechtigten wesentlichen Tatsachen und darauf beruhende Doppelzahlungen sind nämlich auch auf diese Weise nicht zu vermeiden. Die Rente des Verpflichteten würde dann möglicherweise auch schon zu einem Zeitpunkt gemindert, in dem er - wie im vorliegenden Fall - noch aufgrund eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses von seiner Rente unmittelbar Teile als Unterhalt an die geschiedene Ehefrau abzuführen hätte. Es käme in solchen Fällen zu Doppelbelastungen der Verpflichteten sowie zu doppelten Unterhaltsleistungen an die Berechtigten und damit zu unnötigen Ausgleichsansprüchen. Der Senat legt deshalb § 96a Abs 4 Satz 2 RKG dahin aus, daß die Minderung der Rente des Verpflichteten von seinem Versicherungsträger erst dann durchzuführen ist, wenn er Kenntnis davon hat, daß dem Berechtigten von dem für ihn zuständigen Versicherungsträger aus der durch die Übertragung von Rentenanwartschaften entstandenen oder aufgestockten Versicherung eine bescheidmäßig festgelegte Rente zu gewähren ist. Dies erscheint namentlich auch deshalb geboten, weil andernfalls eine unterschiedliche Handhabung bei den in ihren Voraussetzungen vom Versicherungsträger des Verpflichteten kaum zu beurteilenden Renten wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit einerseits und den voraussetzungsmäßig besser erkennbaren Ansprüchen auf Altersrenten andererseits zu erwarten wäre.
Hat demnach die Beklagte bis zur Kenntnis von der Rentengewährung an die geschiedene Ehefrau des Klägers am 12. Februar 1980 kein Verschulden an einer - in diesem Zusammenhang unterstellten - Überzahlung getroffen, so kann sie gleichwohl die bis zum 1. März 1980 womöglich überzahlten Rententeilbeträge vom Kläger nicht zurückfordern, weil dieser weder wußte noch wissen mußte, daß ihm die monatliche Rente nicht in der gewährten Höhe zustand. Selbst wenn man nämlich davon ausgeht, daß der Kläger mit der Gewährung des Altersruhegeldes an seine geschiedene Frau rechnen mußte, so lebte er doch in dem Bewußtsein, daß ihm aufgrund des von ihr erwirkten Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses monatlich 600,- DM von seiner Rente abgetrennt und als Unterhalt an die geschiedene Ehefrau abgeführt wurden. Er konnte und mußte daher nicht damit rechnen, daß ihn neben dieser Rentenminderung noch eine weitere Rentenminderung in gleicher oder darüber hinausgehender Höhe zum Unterhalt für die geschiedene Ehefrau treffen würde. Zu rechnen hatte er lediglich mit einer Umstellung des bisherigen Verfahrens von der Unterhaltsleistung per Pfändungs- und Überweisungsbeschluß auf die durch den Rentenbezug der geschiedenen Ehefrau ausgelöste Minderung seiner Rente. Solange also dem Kläger von der Beklagten monatlich 600,- DM von seiner Rente abgezogen und an seine geschiedene Ehefrau abgeführt wurden, konnte und mußte der Kläger davon ausgehen, daß ihn eine weitere Minderung seiner Rente wegen des Unterhalts seiner Ehefrau nicht treffen würde. Mehr als diese natürliche wirtschaftliche Betrachtung des Rentenabzuges konnte von ihm nicht erwartet werden. Erst durch den Bescheid vom 21. März 1980 wurde ihm mitgeteilt, daß ab 1. Mai 1980 der aus der Rente bislang abgetrennte Betrag von 600,- DM nunmehr an ihn gezahlt werde. Erst ab 1. Mai 1980 konnte und mußte der Kläger somit davon ausgehen, daß ihm die um die bislang an seine geschiedene Ehefrau gezahlten 600,- DM erhöhte und noch nicht um die durch Übertragung von Rentenanwartschaften verminderte Rente in dieser Höhe nicht zustand.
Bis zum 1. Mai 1980 hatte die Beklagte aber wegen der ihr seit dem 12. Februar 1980 bekannten Rentengewährung an die geschiedene Frau des Klägers Anlaß und auch hinreichend Zeit, die sich aus § 96a Abs 4 Satz 2 RKG ergebende Rentenminderung bescheidmäßig durchzuführen. Es bot sich für sie geradezu an, dies im Zusammenhang mit dem Bescheid vom 21. März 1980 zu tun. Sie hätte dadurch jedenfalls die Überzahlung für Mai und Juni 1980 vermeiden können; insoweit trifft sie mithin an der Überzahlung ein Verschulden.
Wußte nach alledem der Kläger bis zum 1. Mai 1980 nicht, daß ihm seine Rente nicht in der gewährten Höhe zustand und mußte er dies bis dahin auch nicht wissen und trifft außerdem die Beklagte ab 1. Mai 1980 an einer etwaigen Überzahlung jedenfalls ein Verschulden, so scheitert hieran der Rückforderungsanspruch der Beklagten auch dann, wenn man die Frage, ob im Hinblick auf die - auch die Höhe der Leistung umfassende - Bindungswirkung des früheren Rentenbescheides der Kläger im streitigen Zeitraum seine Rente überhaupt zu Unrecht in der bisherigen Höhe erhalten hat, offen läßt. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1661904 |
BSGE, 59 |