Leitsatz (amtlich)
Zahlungen, die der Arbeitslose aus einem (unberechtigten) Verkauf der auf die Bundesanstalt für Arbeit übergegangenen Arbeitsentgeltansprüche an Dritte von diesen erhält, sind keine Zahlungen mit befreiender Wirkung iS von § 117 Abs 4 S 2 AFG.
Normenkette
AFG § 117 Abs 4 S 2; SGB 10 § 115; BGB § 185 Abs 2
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 09.02.1989; Aktenzeichen L 9 Ar 40/87) |
SG Aachen (Entscheidung vom 25.02.1987; Aktenzeichen S 10 Ar 129/84) |
Tatbestand
Die Beklagte verlangt vom Kläger die Erstattung von 2.163,20 DM, weil sie für die Monate Mai und Juni 1974 Arbeitslosengeld (Alg) nach § 117 Abs 4 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) gezahlt hat, der Kläger dann aber später die nach dieser Vorschrift auf die Bundesanstalt für Arbeit (BA) übergegangenen Arbeitsentgeltansprüche in eigenem Namen einer dritten Person verkauft hat.
Der Kläger war bei der Bauunternehmung Gebrüder T. (Gebrüder T.) in B. beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde vom Arbeitgeber zum 30. April 1974 gekündigt. In einem anschließenden Arbeitsrechtsstreit wurde jedoch festgestellt, daß die Kündigung unwirksam war und das Arbeitsverhältnis erst am 30. Juni 1974 endete. Der Arbeitgeber wurde außerdem verurteilt, dem Kläger für April 1.609,64 DM netto sowie zweimal 2.500,-- DM brutto für die Folgemonate zu zahlen.
Der Kläger hatte sich bereits am 30. April 1974 arbeitslos gemeldet und Alg beantragt. Dies wurde ihm für die Zeit ab 1. Mai 1974 gemäß § 117 Abs 4 AFG zugebilligt. Insgesamt wurde für Mai und Juni 1974 Alg in Höhe von 2.163,20 DM gezahlt. Der Arbeitgeber wurde mit Schreiben vom 20. Mai 1974 hierüber informiert und darauf hingewiesen, daß der Anspruch auf Arbeitsentgelt in Höhe des gezahlten Alg gemäß § 117 Abs 4 AFG kraft Gesetzes auf die BA übergehe und Beiträge zur Krankenversicherung in Höhe der von der BA zu zahlenden Beiträge nicht mehr an die Krankenkasse zu entrichten, sondern gemäß § 160 AFG an die BA abzuführen seien. Der Kläger erhielt Durchschrift des Schreibens an seinen Arbeitgeber und wurde davon in Kenntnis gesetzt, daß er aufgrund des Übergangs in Höhe des Alg nicht über seine Arbeitsentgeltforderung verfügen dürfe. Der Rechtsanwalt des Klägers wurde ebenfalls (mit Schreiben vom 26. September 1974) von dem Übergang in Kenntnis gesetzt.
Die Beklagte versuchte in der Folgezeit, die auf sie übergegangenen Arbeitsentgeltansprüche zu realisieren, jedoch ohne Erfolg. Im Rahmen eines gegen den Gesellschafter Helmut T. geführten Rechtsstreits vor dem Arbeitsgericht wurde schließlich im Termin vom 20. Oktober 1983 von dem ehemaligen Beklagten vorgetragen und durch Unterlagen bestätigt, daß die streitige Arbeitsentgeltforderung aufgrund einer Vereinbarung zwischen dem Arbeitnehmer G. und der Witwe Wilhelmine T. (Witwe T.) von dieser erworben worden sei. Die Vereinbarung hatte folgenden Wortlaut:
"Forderungskauf und Vollstreckungsverzicht zur Durchführung eines außergerichtlichen Vergleichs der Brüder T. in B. Frau Witwe Wilhelmine T. geb. E. , wohnhaft in B. , G. als Zessionarin und Herr Kurt G. , wohnhaft in H. , B. als Zedentin vereinbaren hiermit folgendes:
1)
Die Zedentin tritt hiermit Zug um Zug gegen Zahlung eines Betrages in Höhe von 2.392,16 DM (i.W. zweitausenddreihundertzweiundneunzig Deutsche Mark) ihre Forderungen gegen die Herren Helmut und Willi T. in B. sowie die handelsgerichtlich nicht eingetragene Firma Gebrüder T. , Betonwerk und Bauunternehmung an die dies annehmende Zessionarin, Wilhelmine T. ab, und zwar einschließlich aller Zinsen, Nebenansprüche, Sicherheiten und Nebenrechte, zu deren formrichtiger Übertragung auf die Zessionarin sie sich hiermit verpflichtet.
2) ...
3)
Mit dieser Vereinbarung sind alle Ansprüche der Zedentin gegen die Herren Helmut und Willi T. ... endgültig und unwiderruflich auf die Zessionarin übergegangen. Frau T. wird ihrerseits nur die Vergleichsquote gegen ihre Söhne geltend machen. B. , den 24.10.1977." - Unterschriften -
Die Beklagte forderte daraufhin vom Kläger mit Bescheid vom 12. Juni 1984 Alg in Höhe von 2.163,20 DM zurück und machte Vollstreckungskosten in Höhe von 46,-- DM geltend. Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 5. Juli 1984, Urteil des Sozialgerichts Aachen -SG- vom 4. Dezember 1986). Im Klageverfahren hat die Beklagte auf die Geltendmachung der Vollstreckungskosten verzichtet.
Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG) das Urteil des SG geändert und den Bescheid der Beklagten aufgehoben, soweit ein höherer Betrag als 1.594,77 DM zurückgefordert werde. Im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 9. Februar 1989).
Das SG hat die dem Kläger von der Witwe T. geleistete Zahlung als Arbeitsentgelt iS des § 117 Abs 1 AFG für den streitbefangenen Zeitraum betrachtet. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut der Vereinbarung. Dabei könne die Zahlung nach dem Text der Vereinbarung nicht in erster Linie als Zahlung für die älteste Forderung angesehen werden. Die Zahlung sei auch mit befreiender Wirkung erfolgt, obwohl der Anspruch in Höhe des Alg bereits auf die BA übergegangen gewesen sei, weil der Arbeitgeber zwar informiert gewesen sei, aber auf den Forderungskauf vom 24. Oktober 1977 keinen Einfluß gehabt habe. Der in dem Vertrag erklärte Verzicht des Klägers auf einen Teil seiner Vergütungsansprüche habe auf die Rechte der Beklagten keinen Einfluß, so daß diese berechtigt gewesen sei, das Alg wie im Falle einer mit befreiender Wirkung erfolgten Zahlung von dem Kläger zurückzuverlangen. Der Anspruch sei schließlich weder verjährt noch verwirkt.
Das LSG ist dem SG in der Frage der Verjährung dahin gefolgt, daß sich die Vereinbarung auf sämtliche offenen Gehaltsansprüche bezog. Übersehen worden sei aber, daß der Kläger hinsichtlich der Gehaltsforderung für April 1974 keiner Verfügungsbeschränkung unterlegen habe, weil ihm für diesen Monat Alg nicht gezahlt worden sei. Er habe deshalb gegen das ihm bekannte Verfügungsverbot nur in Höhe von zwei Dritteln der Arbeitgeberzahlung verstoßen und deshalb auch nur zwei Drittel an die Beklagte zu erstatten.
Mit der Revision macht der Kläger geltend, er sei berechtigt gewesen, sich auf Verjährung zu berufen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben, soweit es die Berufung zurückgewiesen habe und auch insoweit den Bescheid der Beklagten in der Fassung des Widerspruchsbescheides aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Die Beklagte war nicht berechtigt, gemäß § 117 Abs 4 Satz 2 AFG das für die Monate Mai und Juni 1974 gezahlte Alg vom Kläger zurückzufordern.
Die Rechtslage hat sich wie folgt entwickelt:
Dem Kläger wurde zunächst zum 30. April 1974 gekündigt. Für den April stand ihm - wie später vom Arbeitsgericht bestätigt wurde - der volle Lohn in Höhe von 1.609,64 DM netto zu. Dieser Anspruch ist ihm uneingeschränkt verblieben, da für den April kein Alg gezahlt wurde.
Nachdem das Arbeitsgericht festgestellt hatte, daß das Arbeitsverhältnis erst am 30. Juni 1974 endete und somit auch für die Monate Mai und Juni 1974 Arbeitsentgeltansprüche bestanden, stand fest, daß mit der Zahlung des Alg die für diese Monate bestehenden Arbeitsentgeltansprüche in gleicher Höhe auf die BA übergegangen waren (§ 117 Abs 4 Satz 2 AFG idF des SGB X - Verwaltungsverfahren - vom 18. August 1980; jetzt § 115 SGB X).
Als der Kläger im Oktober 1977 die gesamten noch ausstehenden Arbeitsentgeltansprüche an die Witwe T. verkaufte, hat er zugleich teilweise (in Höhe des auf die BA übergegangenen Teils) über ihm nicht zustehende Ansprüche verfügt. Dieser Vertrag war zwar nicht nichtig (BGH, 2. Dezember 1958 - VIII ZR 137/58 -) wohl aber insoweit der BA gegenüber unwirksam (§ 185 BGB), so daß deren Rechtsposition durch den Vertrag nicht beeinträchtigt worden ist. Ihr standen nach wie vor die übergegangenen Ansprüche auf Arbeitsentgelt gegen den Arbeitgeber zu.
Diese Arbeitsentgeltansprüche sind auch bis zur Entscheidung des LSG nicht erfüllt worden. Damit entfällt eine Anwendung von § 117 Abs 4 Satz 2 AFG.
Die von der Witwe T. geleisteten Zahlungen können eine Befugnis der Beklagten, Alg im Wege des Verwaltungsakts zurückzufordern, nicht begründen. Das Gesetz hat den Ausgleich der Gleichwohlgewährung von Alg grundsätzlich nicht über öffentlich-rechtliche Rückerstattungsforderungen vorgesehen, sondern die BA auf die zivilgerichtliche Geltendmachung übergegangener Arbeitsentgeltansprüche verwiesen. Lediglich für den einen Ausnahmefall, daß der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt mit befreiender Wirkung an den Arbeitslosen gezahlt hat und deshalb die Beklagte die auf sie übergegangenen Ansprüche nicht mehr geltend machen kann, erlaubt ihr § 117 Abs 4 Satz 2 AFG Alg zurückzufordern. Die Auffassung des LSG, daß die Zahlung der Witwe T. einer Zahlung durch die Arbeitgeberfirma gleichzusetzen sei, findet im Gesetz keine Stütze. Solange eine Zahlung durch Dritte dem Arbeitgeber nicht rechtswirksam zuzurechnen ist (zB Zahlung im Auftrag), bleibt der BA nur die zivilrechtliche Geltendmachung ihrer Ansprüche. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitslose durch unberechtigte Verfügung über die der BA zustehende Forderung einen Vorteil erlangt; denn erstens werden, wie dargelegt, die Rechte der BA gegenüber dem Arbeitgeber dadurch nicht beeinträchtigt und zweitens hat sie die Möglichkeit, durch Genehmigung des Vertrages zivilrechtliche Ansprüche gegen den Arbeitslosen zu erwerben (§§ 185, 677 ff BGB). Dies ist die Konsequenz der gesetzlichen Regelung, nach der die Handlungsmöglichkeiten der BA hinsichtlich des Ausgleichs für das im Wege der Gleichwohlgewährung gezahlte Alg - abgesehen vom Fall der Zahlung des Arbeitgebers mit befreiender Wirkung - auf die zivilrechtliche Ebene beschränkt sind. Die BA darf - solange der Arbeitgeber nicht mit befreiender Wirkung gezahlt hat - ihre Ansprüche nur mit den Mitteln und in den Grenzen des Arbeits- und Zivilrechts geltend machen. Wird über die auf die BA übergegangenen Arbeitsentgeltansprüche durch zivilrechtliches Geschäft unberechtigt verfügt, so können ihr daraus auch nur zivilrechtliche Ansprüche erwachsen.
Dies bestätigt die Rechtsentwicklung. Die bis zum 31. Dezember 1980 geltende Fassung des § 152 Abs 2 AFG (aF) sah vor, daß in allen Fällen, in denen der Arbeitslose Arbeitsentgelt trotz des Rechtsübergangs erhalten hatte, das gewährte Alg zurückzuzahlen war und - soweit der Arbeitgeber nicht mit befreiender Wirkung gezahlt hatte - Arbeitgeber und Arbeitsloser als Gesamtschuldner hafteten. Diese erweiterte Zugriffsmöglichkeit hat der Gesetzgeber mit dem am 1. Januar 1981 in Kraft getretenen Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (BGBl I 1980, 1469) (SGB X) beseitigt (Art 2 § 2 Nrn 11 und 18). Darin kommt deutlich zum Ausdruck, daß der Gesetzgeber den Arbeitslosen von Rückgriffsansprüchen bis auf den Fall freistellen will, in dem die auf die BA übergegangenen Ansprüche durch befreiende Zahlung des Arbeitgebers erloschen sind. Die BA kann auch nicht für zurückliegende Fälle auf die bis Ende 1980 geltende Regelung zurückgreifen. Zwar bleiben alle Ansprüche bestehen, die bereits durch Verwaltungsakt geltend gemacht worden sind (vgl BSGE 52, 47, 48 oben), weil sie in dem rechtmäßigen Verwaltungsakt eine Rechtsgrundlage haben. Im übrigen gilt aber der Grundsatz, daß sich die verfahrensrechtlichen Befugnisse im weitesten Sinne, also auch solche mit materiell-rechtlichem Inhalt, insbesondere Umfang und Art der Erstattungsforderungen und die Möglichkeit sie durch Verwaltungsakt durchzusetzen nach dem jeweils im Zeitpunkt der Entscheidung der Verwaltung - hier: 12. Juni 1984 - geltenden Recht richten (vgl BVerwGE 66, 312, 314 BVerwG, DVBl 1989, 1211; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23. September 1984 - L 3 Ar 1487/82 - DBlR SGB X § 20 Nr 2992a). Deshalb kann dahinstehen, ob nicht auch schon nach § 152 Abs 2 AFG aF ein Rückerstattungsanspruch ausschied, wenn der Arbeitslose das Arbeitsentgelt nicht vom Arbeitgeber, sondern aufgrund eines unberechtigt mit einem Dritten abgeschlossenen Geschäftes von diesem erhielt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen