Leitsatz (redaktionell)
1. Eine zweifellos unrichtige Einordnung eines vom Antragsteller richtig mitgeteilten und von der Versorgungsbehörde richtig aufgefaßten Sachverhalts unter die Vorschriften eines Gesetzes kann lediglich eine rechtliche, nicht auch eine tatsächliche Unrichtigkeit darstellen.
2. SGG § 78 bestimmt zwar, das "vor" der Erhebung der Klage Verwaltungsakten in den gesetzlich vorgesehen Fällen in einem Vorverfahren nachzuprüfen sind; aus dem alle gerichtlichen und insbesondere das sozialgerichtliche Verfahren beherrschenden Grundsatz der Prozeßwirtschaftlichkeit ergibt sich jedoch, daß ein nach Erhebung der Klage erlassener Widerspruchsbescheid den Mangel des bei Klageerhebung nicht vorliegenden Widerspruchsbescheides heilt, es also jedenfalls genügt, wenn der Widerspruchsbescheid vor der letzten mündlichen Verhandlung der 1. Instanz vorgelegt wird.
Normenkette
KOVVfG § 41 Fassung: 1955-05-02; SGG § 78 Fassung: 1955-05-02
Tenor
Auf die Revision der Klägerinnen wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 7. Mai 1958 dahin abgeändert, daß das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 11. April 1957 sowie der Bescheid des Versorgungsamts H... vom 16. Oktober 1954 und der Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 1957 in vollem Umfange aufgehoben werden.
Die Revision der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat den Klägerinnen die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Das Versorgungsamt (VersorgA) H... hatte den Klägerinnen durch Bescheid vom 30. November 1951 vom 1. Oktober 1950 an Versorgungs-Hinterbliebenenrente nach ihrem geschiedenen Ehemann und Vater P... R... M... gewährt. In ihrem im April 1950 gestellten Versorgungsantrag hatte die Klägerin zu 1) wahrheitsgemäß angegeben, daß ihr geschiedener Ehemann am 20. August 1943 wegen Fahnenflucht zum Tode verurteilt und am 2. Oktober 1943 durch Erschießen hingerichtet worden ist; die Antragsformulare tragen den Vermerk des aufnehmenden Beamten des Versicherungsamts, daß die Klägerin zu 1) auf der Aufnahme des Antrags bestanden habe; Versuche, die Kriegsgerichtsakten beizuziehen, waren erfolglos geblieben. Unter Zustimmung der Arbeitsbehörde und des Landesversorgungsamts (LVAmt) hob das VersorgA durch Bescheid vom 16. Oktober 1954 den Rentenbewilligungsbescheid auf und entzog den Klägerinnen die Hinterbliebenenrente mit Ablauf des Monats November 1954.
Zur Begründung führte es aus, die Voraussetzungen des Bewilligungsbescheides hätten sich als unzutreffend erwiesen, weil der Tod des geschiedenen Ehemannes und Vaters der Klägerinnen nicht Folge einer Schädigung im Sinne des § 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) sei. Nach Ziffer 26 der Sozialversicherungsanordnung (SVA) Nr. 11 könne daher der rechtskräftige Bewilligungsbescheid aufgehoben werden.
Entsprechend der erteilten Rechtsmittelbelehrung ist gegen diesen Bescheid Klage beim Sozialgericht (SG) Hamburg erhoben worden, mit der die Aufhebung des Berichtigungs- und Entziehungsbescheides vom 16. Oktober 1954 und die Weitergewährung der Hinterbliebenenrente erstrebt wurden. Im Verlaufe des Verfahrens vor dem SG haben die Versorgungsbehörden die Klage auch als Widerspruch aufgefaßt und haben diesen Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 1957 als unbegründet zurückgewiesen. Im Verlaufe des weiteren vor dem SG durchgeführten Verfahrens hat die Beklagte den angefochtenen Berichtigungs- und Entziehungsbescheid zusätzlich damit begründet, daß zumindest § 41 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung vom 2. Mai 1955 (VerwVG) die Aufhebung des Bewilligungsbescheides ermögliche. Durch Urteil vom 11. April 1957 hat das SG die Klage als unbegründet abgewiesen. Auf die von den Klägerinnen eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) die Beklagte am 7. Mai 1958 unter teilweiser Aufhebung des Urteils des SG verurteilt, den Klägerinnen noch für die Zeit vom 1. Dezember 1954 bis zum 31. März 1957 Witwen- und Waisenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren; wegen des weitergehenden Anspruchs hat es die Berufung zurückgewiesen.
Bei seiner Entscheidung ist das LSG davon ausgegangen, daß den Klägerinnen Hinterbliebenenrenten nach den Vorschriften des BVG deshalb nicht zugestanden hätten, weil die Hinrichtung ihres geschiedenen Ehemannes und Vaters kein offenbares Unrecht darstelle. Dieser sei, wie aus den im Verlaufe des sozialgerichtlichen Verfahrens beigezogenen Sachverständigengutachten hervorgehe, zwar vermindert zurechnungsfähig, nicht aber völlig unzurechnungsfähig im Sinne des Strafrechts gewesen. Bei Fahnenflucht und Wehrkraftzersetzung stelle die Todesstrafe auch für einen nur vermindert Zurechnungsfähigen kein offenbares Unrecht dar. Da den Klägerinnen mithin Hinterbliebenenrenten nicht zugestanden hätten, sei der Rentenbewilligungsbescheid vom 30. November 1951 schon im Zeitpunkt seines Erlasses zweifellos unrichtig gewesen. Eine Berichtigung dieses zweifellos unrichtigen Bescheides sei am 16. Oktober 1954, als das VersorgA den Berichtigungsbescheid erließ, nicht möglich gewesen, weil in diesem Zeitpunkt keine Vorschriften bestanden hätten, die den Versorgungsbehörden die Berichtigung und Aufhebung unrichtiger Bescheide ermöglichten. Die frühere Berichtigungsbefugnis nach SVA 11 Ziffer 26 sei mit Ablauf des 31. Dezember 1952 außer Kraft getreten, die jetzt gültige Berichtigungsbefugnis des § 41 VerwVG habe erst vom 1. April 1955 an angewendet werden können. Zur Berichtigung nach dieser Vorschrift habe es eines neuen, nach Inkrafttreten des VerwVG ergangenen Verwaltungsaktes bedurft. Einen derartigen Verwaltungsakt stelle der Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 1957 dar. Die Berichtigung und Aufhebung des Bewilligungsbescheides sei daher erst im Februar 1957 eingetreten, die damit verbundene Rentenentziehung erst mit Ablauf des Monats März 1957 wirksam geworden. Bis zu diesem Zeitpunkt hätten daher den Klägerinnen noch die Hinterbliebenenrenten zugestanden.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen das der Beklagten am 31. Mai, den Klägerinnen am 2. Juni 1958 zugestellte Urteil haben alle Beteiligten unter Stellung von Anträgen Revision beim Bundessozialgericht (BSG) eingelegt, und zwar die Beklagte am 16., die Klägerinnen am 23./30. Juni 1958. Die Klägerinnen haben ihre Revision durch einen am 16. Juli 1958 beim BSG eingegangenen Schriftsatz begründet; die Revisionsbegründung der Beklagten ist nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 30. August 1958 am 26. August 1958 beim BSG eingegangen. Die Begründungen sind durch weitere Schriftsätze ergänzt und erläutert worden.
Die Klägerinnen sind der Ansicht, der Rentenbewilligungsbescheid sei nicht zweifellos unrichtig gewesen. Für die in den Vorinstanzen gehörten, lediglich auf nervenärztlichem Gebiet bewanderten Sachverständigen sei es wegen fehlender graphologischer Kenntnisse sehr schwierig, wenn nicht unmöglich gewesen, die Frage zu beantworten, ob ihr geschiedener Ehemann und Vater unzurechnungsfähig gewesen sei, weil eine ärztliche Untersuchung nicht mehr möglich gewesen sei. Aus einem von ihnen selbst eingeholten Gutachten der Ärztin, Graphologin und Psychologin Dr. W..., welche die vom Verstorbenen stammenden Schriftsätze habe auswerten können, ergebe sich, daß eine völlige Unzurechnungsfähigkeit und damit Schuldunfähigkeit des Verstorbenen nicht auszuschließen sei. Seine Hinrichtung sei daher jedenfalls als offenbares Unrecht anzusehen, so daß ihnen die gewährten Hinterbliebenenrenten zugestanden hätten. Das LSG hätte zudem das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. L... nicht verwerten dürfen, weil Inhalt und Form des Gutachtens zu erheblichen Zweifeln an der Unvoreingenommenheit des Sachverständigen berechtigten und dieses Gutachten deshalb kein geeignetes Beweismittel gewesen sei.
Die Klägerinnen beantragen,
den Berichtigungs- und Entziehungsbescheid des VersorgA Hamburg vom 16. Oktober 1954 und den Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamts vom 25. Februar 1957 sowie das Urteil des SG Hamburg vom 11. April 1957 und das Urteil des LSG Hamburg vom 7. Mai 1958 aufzuheben.
hilfsweise,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt dem Sinne nach,
das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben, die Berufung der Klägerinnen gegen das Urteil des SG Hamburg vom 11. April 1957 zurückzuweisen.
Sie hält die Revision der Klägerinnen für unstatthaft und damit für unzulässig. Das LSG habe die Revision nur zur Prüfung der Zulässigkeit von Berichtigungsbescheiden in der Zeit vom 1. Januar 1953 bis zum 31. März 1955, der Rückwirkung von Berichtigungsbescheiden sowie der Wirkung von Widerspruchsbescheiden zugelassen. Da die Revision der Klägerinnen keine dieser Fragen betrifft, könne sich die Zulassung nicht auf ihre Revision, die im übrigen auch nicht durch die Rüge von Verfahrensmängeln statthaft geworden sei, beziehen. In der Sache selbst rügt die Beklagte die Verletzung des § 41 VerwVG durch das LSG. Da die Versorgungsbehörden auch in der Zeit zwischen dem 31. Dezember 1952 und dem 1. April 1955 die Möglichkeit hätten haben müssen, unzweifelhaft unrichtige Bescheide zu berichtigen und aufzuheben, sei § 41 VerwVG bereits vom 1. Januar 1953 an in Kraft getreten, zumal ja auch § 47 VerwVG auf alle rechtshängigen Sachen rückwirkend anzuwenden sei. Der von den Klägerinnen angefochtene Berichtigungs- und Entziehungsbescheid sei daher unter keinen Umständen rechtswidrig, so daß die Klage keinen Erfolg haben könne.
Die von den Beteiligten form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Revisionen (§§ 164, 166 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) sind durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) und damit zulässig. Das gilt auch für die von den Klägerinnen eingelegte Revision. Entgegen der von der Beklagten vertretenen Rechtsansicht ist die Zulassung der Revision vom LSG nicht auf bestimmte Rechtsfragen beschränkt worden und damit für den gesamten in diesem Verfahren geltend gemachten Anspruch auf Aufhebung des Berichtigungs- und Entziehungsbescheides vom 16. Oktober 1954 und des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 1957 wirksam. Das Vorhandensein von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung ist zwar Voraussetzung für die Revisionszulassung, jedoch nicht bestimmend für den Umfang der Zulassung. In der Sozialgerichtsbarkeit, auch vor dem BSG, sind ebenso wie in der Zivilgerichtsbarkeit und in der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit Ansprüche, nicht aber Rechtsfragen, Gegenstand des Verfahrens. Daraus folgt, daß die Zulassung der Revision zwar auf bestimmte Ansprüche, nicht aber auf bestimmte Rechtsfragen beschränkt werden kann (BSG 3, 135, 138 f). Unter diesen Umständen kann dahingestellt bleiben, ob die Revision der Klägerinnen nicht auch die für die Zulassung maßgebenden Rechtsfragen betrifft, denen das LSG grundsätzliche Bedeutung beigemessen hat.
Bei den hiernach zulässigen Revisionen hatte der Senat vor der sachlich-rechtlichen Würdigung des Streits zu prüfen, ob die Klage zulässig ist. Das gehört zu der stets von Amts wegen vorzunehmenden Prüfung, ob die unverzichtbaren allgemeinen Prozeßvoraussetzungen erfüllt sind (vgl. BSG 1, 225; BSG 3, 124, 126; BSG 4, 70, 72; 4, 281, 284; BSG 8, 3, 9). Mit Recht haben die Vorinstanzen angenommen, daß gegen die Zulässigkeit der Klage keine durchgreifenden Bedenken bestehen. Die Unzulässigkeit der Klage ergibt sich nicht daraus, daß ein Vorverfahren noch nicht stattgefunden hatte, als die Klägerinnen den Rechtsweg vor den Sozialgerichten beschritten. Zwar schreibt § 78 SGG vor, daß "vor" der Erhebung der Klage die Verwaltungsakte in den gesetzlich vorgesehenen Fällen, von denen hier einer vorliegt, in einem Vorverfahren nachzuprüfen sind. Aus dem alle gerichtlichen und insbesondere das sozialgerichtliche Verfahren beherrschenden Grundsatz der Prozeßwirtschaftlichkeit ergibt sich jedoch, daß ein nach Erhebung der Klage erlassener Widerspruchsbescheid den Mangel des bei Klageerhebung nicht vorliegenden Widerspruchsbescheides heilt, daß es also jedenfalls genügt, wenn der Widerspruchsbescheid vor der letzten mündlichen Verhandlung der ersten Instanz vorgelegt wird, wie es hier geschehen ist (so schon BSG 8, 3, 10; vgl. auch Bettermann in DVBl 59, 508; Peters/Sautter/Wolff, Komm. zur SGb, Stand: November 1960, SGG § 78, Anm. 3 mit weiteren Nachweisen).
Die demnach zulässige Klage mußte auch in vollem Umfang Erfolg haben, so daß die Revision der Klägerinnen gegen das der Klage nur teilweise stattgebende Urteil des LSG begründet, die Revision der Beklagten dagegen unbegründet ist.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt war, durch den Berichtigungs- und Entziehungsbescheid vom 16. Oktober 1954 den Rentenbewilligungsbescheid vom 30. November 1951 aufzuheben und die gewährten Renten mit Ablauf des Monats November 1954 zu entziehen. Die Beklagte glaubt, die Berichtigung und Rücknahme des Bescheides vom 30. November 1951 auf § 41 VerwVG stützen zu können. Diese Vorschrift ist jedoch ebensowenig eine geeignete Rechtsgrundlage für den mit diesem Verfahren angefochtenen Berichtigungsbescheid wie die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts zur Berichtigung unrichtiger begünstigender Verwaltungsakte.
Wie das BSG in nunmehr bereits ständiger Rechtsprechung entschieden hat, ist die Ziffer 26 SVA 11, auf welche die Beklagte die Berichtigung zunächst gestützt hatte, nach der in dieser Vorschrift enthaltenen Befristung mit Ablauf des 31. Dezember 1952 außer Kraft getreten (BSG 3, 251; 7, 51; 8, 11; 10, 72; ferner nicht veröffentlichtes Urteil des erkennenden Senats vom 4. September 1956 - 10 RV 395/55 -). Zwar ist diese Vorschrift nicht durch das mit Wirkung vom 1. Oktober 1950 in Kraft getretene BVG berührt worden, wie sich aus dem vom Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts (Erstes Neuordnungsgesetz) vom 27. Juni 1960 -BGBl I. 453- nicht mehr übernommenen § 84 Abs. 3 BVG der ursprünglichen Fassungen dieses Gesetzes ergab. Weder aus dem Sinn noch aus dem Wortlaut dieser Vorschrift, daß es hinsichtlich des Verwaltungs- und Spruchverfahrens bis zu einer anderweitigen gesetzlichen Regelung bei den bisherigen Vorschriften verbleibe, kann jedoch gefolgert werden, daß diese "bisherigen" Vorschriften in irgendeiner Form geändert werden sollten und daß die in Ziffer 26 SVA 11 enthaltene Befristung entfallen sollte.
Wie das BSG ebenfalls bereits mehrfach entschieden hat (vgl. BSG 8, 11, 14; 10, 72, 74) war in der ehemaligen britischen Besatzungszone in der Zeit vom 1. Januar 1953 (Außerkrafttreten der Ziffer 26 SVA 11) und dem 31. März 1955 (Inkrafttreten der Berichtigungsvorschriften des VerwVG) die Rücknahme rechtswidriger, jedoch für die Verwaltung unanfechtbar gewordener Bescheide nicht nach § 41 VerwVG, sondern nach den hierzu aufgestellten Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts möglich. Nach diesen, insbesondere vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) herausgearbeiteten Grundsätzen sind die das gesamte geltende Recht beherrschenden Prinzipien der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Rechtssicherheit sowie des Rechtsfriedens gegeneinander abzuwägen. Die Rücknahme (Berichtigung) eines rechtswidrigen Verwaltungsakts (Bescheides) ist nach diesen Grundsätzen dann rechtmäßig, wenn das öffentliche Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, d.h. an der gleichmäßigen Gewährleistung eines dem Gesetz entsprechenden Zustandes, das Interesse des Begünstigten am Schutz seines Vertrauens auf den Bestand behördlicher Maßnahmen überwiegt (vgl. Urt. des BVerwG vom 29. Mai 1958, DVBl. 1958, 652; vom 29. September 1960, DÖV 1961, 30 mit weiteren Hinweisen). Die Rechtmäßigkeit eines Berichtigungsbescheides ist also von zwei Voraussetzungen abhängig, die nebeneinander erfüllt sein müssen, nämlich davon, daß der zu berichtigende Bescheid rechtswidrig gewesen ist, und davon, daß das öffentliche Interesse an der Beseitigung dieses rechtswidrigen Bescheides größer ist als das private Interesse des Begünstigten am Bestand dieses Bescheides.
Ob hier die erste dieser Voraussetzungen, die von den Klägerinnen noch im Revisionsverfahren bestrittene Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides vorliegt, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist die zweite dieser Voraussetzungen nicht erfüllt. Selbst wenn der Bewilligungsbescheid vom 30. November 1951 rechtswidrig sein sollte, würde das öffentliche Interesse an der Beseitigung nicht das Interesse der Klägerinnen am Bestand dieses Bescheides überwiegen. Zwar wird ein Überwiegen des öffentlichen Interesses wenigstens für die Zukunft die Leistung von Bezügen ohne Rechtsgrundlage zu verhindern, regelmäßig dann anzunehmen sein, wenn nicht besondere Umstände dagegen sprechen (vgl. BSG 10, 72, 76 mit weiteren Nachweisen). Derartige besondere Umstände, die gegen ein Überwiegen des öffentlichen Interesses sprechen, liegen jedoch regelmäßig dann vor, wenn die Rechtswidrigkeit des Bescheides, dessen Berichtigung erstrebt wird, ausschließlich durch die Versorgungsbehörden verursacht ist (BSG 8, 11, 14 f; 10, 72, 76; BVerwG 6, 1, 5 f). Da die Klägerinnen in ihrem Versorgungsantrag wahrheitsgemäß angegeben hatten, daß ihr geschiedener Ehemann und Vater auf Grund eines kriegsgerichtlichen Urteils hingerichtet worden ist, kann die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides, falls sie vorliegen sollte, nur durch Umstände verursacht sein, die in den Verantwortungsbereich der Beklagten fallen. Das geht besonders deutlich daraus hervor, daß den Klägerinnen Hinterbliebenenrenten gewährt worden sind, obgleich in den Antragsformularen zweimal der Vermerk des aufnehmenden Beamten deutlich sichtbar vorhanden ist, die Klägerin zu 1) habe auf Aufnahme des Antrags bestanden. Aus diesem Vermerk mußte die Beklagte entnehmen, daß der Antrag nach der Meinung eines Außenstehenden kaum Aussicht auf Erfolg hatte, und konnte ihr Verhalten entsprechend einrichten. Da aus diesem Vermerk auf der anderen Seite zu entnehmen ist, daß die Klägerinnen der festen Überzeugung waren, Ihnen stünde Hinterbliebenenversorgung zu, weil ihrem geschiedenen Ehemann durch die Verurteilung und Hinrichtung Unrecht geschehen sei, werden die Klägerinnen auch nicht durch die Weitergewährung der Renten gegenüber vergleichbaren Fällen über ein für die Verwaltung in Anbetracht ihres Verhaltens noch tragbares Maß hinaus begünstigt. Der Berichtigungs- und Entziehungsbescheid kann daher nicht mit Erfolg auf die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts über die Zurücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte gestützt werden.
Die vom LSG erörterte Frage, ob es überhaupt möglich ist, § 41 VerwVG auf den vorliegenden Fall anzuwenden, kann dahingestellt bleiben. Selbst wenn rein zeitlich gesehen die Möglichkeit bestehen sollte, den Berichtigungs- und Entziehungsbescheid vom 16. Oktober 1954 nach den Vorschriften des am 1. April 1955 in Kraft getretenen VerwVG zu beurteilen, würde er, entgegen der vom LSG vertretenen Ansicht nach dem hier allein in Betracht kommenden § 41 dieses Gesetzes nicht rechtmäßig sein. Nach der ursprünglichen, bis zum Ersten Neuordnungsgesetz geltenden Fassung dieser Vorschrift konnten die Versorgungsbehörden Bescheide über Rechtsansprüche zu Ungunsten des Versorgungsberechtigten durch einen neuen Bescheid nur dann ändern oder aufheben, wenn ihre tatsächliche und rechtliche Unrichtigkeit im Zeitpunkt ihres Erlasses außer Zweifel stand. Das LSG ist offenbar der Ansicht, die von ihm getroffene, von den Klägerinnen allerdings in der Revision angegriffene Feststellung, der Bewilligungsbescheid sei "zweifellos unrichtig", erfülle die Voraussetzungen, die nach dieser Vorschrift an die Berechtigung zu einer Änderung oder Aufhebung eines Bewilligungsbescheides gestellt wurden. Diese Ansicht ist irrig. Die vom LSG getroffene Feststellung würde, selbst wenn sie für das BSG nach § 163 SGG verbindlich sein sollte, nur eine der vom Gesetz an die Berechtigung zur Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbar gewordenen Bescheides gestellten Voraussetzungen erfüllen, daß nämlich die rechtliche Unrichtigkeit des Bewilligungsbescheides vom 30. November 1951 im Zeitpunkt seines Erlasses außer Zweifel steht, weil die Versorgungsbehörden zu Unrecht angenommen haben, der ihnen bekannte und mit der Wirklichkeit übereinstimmende Sachverhalt gebe den Klägerinnen einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung. Ein auf § 41 VerwVG gestützter Berichtigungsbescheid ist jedoch nur dann rechtmäßig, wenn zusätzlich auch noch die tatsächliche Unrichtigkeit des Bescheides, der berichtigt werden soll, außer Zweifel steht (BSG 8, 198). Da eine zweifellos unrichtige Einordnung eines richtig mitgeteilten und richtig aufgefaßten Sachverhalts unter die Vorschriften eines Gesetzes lediglich eine rechtliche, nicht auch eine tatsächliche Unrichtigkeit darstellen kann, waren die nach der alten Fassung des § 41 VerwVG an eine Berichtigung gestellten Voraussetzungen nicht erfüllt.
Der Wortlaut des § 41 VerwVG ist durch Art. II Nr. 5 des Ersten Neuordnungsgesetzes geringfügig geändert worden. Der weiterhin eindeutige Wortlaut der Vorschrift, daß Bescheide zu Ungunsten des Berechtigten von der zuständigen Verwaltungsbehörde geändert oder aufgehoben werden können, "wenn außer Zweifel steht, daß sie im Zeitpunkt ihres Erlasses tatsächlich und rechtlich unrichtig gewesen sind", erlaubt nicht die auch früher schon vertretene Auslegung (vgl. BSG 8, 198), daß es nunmehr zur Berichtigung ausreiche, wenn lediglich die rechtliche oder tatsächliche Unrichtigkeit außer Zweifel steht (aA Heuer in KOV 1961, 25). Zur Begründung der gegenteiligen Ansicht wird ausgeführt, daß der Gesetzgeber eine dieser Ansicht entsprechende Regelung, die im allgemeinen Verwaltungsrecht bereits bestehe, habe herbeiführen wollen, jedoch bei einem Wortlaut verblieben sei, dem sein wirklicher, aber gegen den Wortlaut des Gesetzes anzuwendender Wille auch nicht andeutungsweise zu entnehmen sei. Der wirkliche Wille des Gesetzgebers gehe daraus hervor, daß im Entwurf der Neufassung das "und" zwischen tatsächlich und rechtlich durch ein "oder" ersetzt gewesen sei und daß der Berichterstatter des 22. Ausschusses bei der zweiten und dritten Beratung des Neuordnungsgesetzes im Bundestag vorgetragen habe, der schriftliche Bericht des Ausschusses bedürfe noch einiger redaktioneller Änderungen und Ergänzungen, so sei in Art. II Nr. 5 zwischen tatsächlich und rechtlich das Wort "oder" durch das Wort "und" zu ersetzen. Diese Hinweise vermögen nicht dazutun, daß es tatsächlich der Wille des Gesetzgebers war, diese Berichtigung nur davon abhängig zu machen, daß entweder die tatsächliche oder die rechtliche Unrichtigkeit außer Zweifel steht. Auch im allgemeinen Verwaltungsrecht reicht es für eine Berichtigung eines Verwaltungsakts nicht aus, daß seine tatsächliche oder rechtliche Unrichtigkeit festgestellt wird; es muß vielmehr, wie bereits dargestellt wurde, noch eine Interessenabwägung stattfinden. Daß der Gesetzgeber in Versorgungsangelegenheiten weniger scharfe Anforderungen an die Rechtmäßigkeit einer Berichtigung stellen wollte als im allgemeinen Verwaltungsrecht, kann nicht angenommen werden. Die Ausführungen des Berichterstatters des (22.) Ausschusses für Kriegsopfer und Heimkehrerfragen in der 114. Sitzung der 3. Wahlperiode des Bundestages (Verhandlungen des Deutschen Bundestages S. 6492 C) reichen hierzu nicht aus. Er führte lediglich aus, daß der Bericht des Ausschusses (Drucksache 1825) noch einiger redaktioneller Änderungen bedürfe. Das schließt nicht aus, daß der Ausschuß in dem Bericht seinen wahren Willen unrichtig wiedergegeben hatte, daß es also in Wirklichkeit sein Wille war, eine materielle, nicht nur redaktionelle Änderung des Gesetzentwurfes durchzuführen, und daß es, um diesen wirklichen Willen auszudrücken, einer nur noch redaktionellen Änderung des Berichts bedurfte. Im übrigen hat der Bundestag als Organ der Gesetzgebung den abgeänderten und eindeutig als materielle Änderung erkennbaren Entwurf als Gesetz angenommen und damit zu erkennen gegeben, daß es für eine Berichtigung weiterhin erforderlich ist, daß die tatsächliche und rechtliche Unrichtigkeit eines Bescheides außer Zweifel stehen muß. Unter diesen Umständen kann die Frage, ob Gesetzesvorschriften gegen ihren eindeutigen Wortlaut entsprechend dem wahren Willen des Gesetzgebers ausgelegt werden dürfen, dahingestellt bleiben.
Das LSG hat daher zu Unrecht angenommen, daß die Zurücknahme des Bescheides vom 30. November 1951 vom Wirksamwerden des Widerspruchsbescheides an nach § 41 VerwVG rechtmäßig gewesen sei, und hat zu Unrecht den Bescheid vom 16. Oktober 1954, den Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 1957 und das Urteil des SG vom 11. April 1957 nicht vollständig aufgehoben. Sein Urteil war daher auf die Revision der Klägerinnen gemäß § 170 Abs. 2 SGG entsprechend abzuändern, während die Revision der Beklagten nach § 170 Abs. 1 SGG als unbegründet zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen