Leitsatz (amtlich)
Macht der Sozialhilfeträger klageweise Teile eines nach § 90 BSHG auf sich übergeleiteten Anspruchs eines Behinderten auf Förderung der beruflichen Rehabilitation geltend, so ist der Behinderte dem Rechtsstreit nach § 75 Abs 2 SGG notwendig beizuladen, wenn gleichzeitig über Bestand und Verbleib des Anspruchs - Stammrechts bei dem Behinderten entschieden werden muß.
Normenkette
SGG § 75 Abs 2 Fassung: 1953-09-03; BSHG § 90; RehaAnglG § 20 Fassung: 1974-08-07; AFG § 56 Abs 3 Nr 6
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 11.10.1979; Aktenzeichen L 9 Al 54/78) |
SG Landshut (Entscheidung vom 15.02.1978; Aktenzeichen S 8 Al 34/77) |
Tatbestand
Der Kläger macht gegen die Beklagte einen gemäß § 90 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) übergeleiteten behaupteten Anspruch der Gerlinde Z. geltend.
Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) besteht bei der 1956 geborenen Z. wegen eines erheblichen körperlichen und geistigen Entwicklungsrückstandes eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 vH. Pflegebedürftigkeit liegt zwar nicht vor, eine Erwerbstätigkeit ist jedoch nur in einer beschützenden Werkstätte möglich.
Vom 1. Oktober 1973 bis 31. Dezember 1975 nahm Z. in den L Werkstätten - Einrichtung der L eV - in A an einem Lehrgang zur Verbesserung der Eingliederungsmöglichkeiten für Behinderte teil; sie erreichte das Ausbildungsziel mit qualitativ befriedigenden Leistungen und einer quantitativen Leistung von durchschnittlich 40 bis 60 vH einer Gesunden. Die Beklagte gewährte Gerlinde Z. während der Lehrgangsteilnahme Berufsausbildungsbeihilfe (BAB). Am 1. Januar 1976 erhielt Z. in den L Werkstätten einen festen Arbeitsplatz. Diese Arbeitsaufnahme förderte die Beklagte durch Bewilligung eines Zuschusses für den Umbau einer Nähmaschine.
Der Kläger gewährte der Behinderten ab Arbeitsaufnahme (1. Januar 1976) gemäß §§ 39, 40 BSHG die ungedeckten Kosten des Arbeitsplatzes in den L Werkstätten abzüglich einer evtl Gewinnbeteiligung der Werkstätte, da durch die Minderleistungsfähigkeit der Behinderten die Kosten des Arbeitsplatzes aus ihrer Beschäftigung nicht gedeckt werden konnten. In den Bewilligungsbescheiden vom 9. März 1976 (für die Zeit bis zunächst 30. Juni 1976) und vom 5. Juli 1976 (für die Zeit bis zunächst 30. Juni 1979) heißt es dazu, daß die durch die Gewinnbeteiligung der Werkstätte nicht gedeckten "Kosten des Arbeitsplatzes ... zu den für die Träger der Sozialhilfe maßgebenden Pflegesätzen ..." übernommen werden. Beide Bescheide wurden in Durchschrift dem Arbeitsamt L übersandt und dazu ausgeführt, daß die Ansprüche der Behinderten Gerlinde Z. gegen die Beklagte auf Übernahme der nicht gedeckten Arbeitsplatzkosten nach den Bestimmungen des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) iVm § 20 Rehabilitations- Angleichungsgesetz (RehaAnglG) gemäß § 90 BSHG auf die Sozialhilfeverwaltung des Bezirks N übergeleitet werden.
Am 20. September 1976 ging beim Arbeitsamt L ein Schreiben des Klägers vom 14. September 1976 ein, mit dem er einen Antrag der Gerlinde Z. vom gleichen Tage auf Übernahme der Arbeitsplatz-Defizitkosten durch die Beklagte übersandte. Die Beklagte lehnte diesen Antrag durch an Gerlinde Z. gerichteten Bescheid vom 14. Oktober 1976 ab, weil sie die ihr nach § 56 AFG obliegenden Leistungen zur Erreichung des Berufszieles erbracht habe und sie zu weitergehenden Leistungen der beantragten Art nicht verpflichtet sei. Der Bescheid wurde in Durchschrift auch dem Kläger übersandt. Nur dieser legte Widerspruch ein, den die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 25. Januar 1977 zurückwies.
Das Sozialgericht (SG) Landshut hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 15. Februar 1978). Das Bayerische LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 11. Oktober 1979). Es ist der Auffassung der Beklagten gefolgt, daß diese weder nach Bestimmungen des AFG noch des RehaAnglG verpflichtet sei, die ungedeckten Arbeitsplatzkosten aus der Beschäftigung der Gerlinde Z. in den L Werkstätten zu tragen.
Mit der Revision macht der Kläger weiterhin geltend, daß Gerlinde Z. gegen die Beklagte einen auf den Kläger in Höhe seiner Aufwendungen übergegangenen Anspruch auf Übernahme der ungedeckten Arbeitsplatzkosten habe. Die Ermöglichung der Arbeit in einer Werkstatt für Behinderte stelle eine fortwährende Aufgabe notwendiger beruflicher Rehabilitation dar, die erst dann enden könne, wenn der Behinderte der Werkstatt zu seiner Eingliederung nicht mehr bedürfe. Der Verbleib der Gerlinde Z. in den L Werkstätten sei notwendig; infolgedessen habe ihre berufliche Eingliederung nicht mit dem Abschluß des Lehrganges geendet. Die Beklagte bleibe für die weiterhin stattfindende berufliche Rehabilitation zuständig und habe alle hierfür erforderlichen Leistungen zu erbringen. Der Kläger beruft sich insbesondere auf § 20 RehaAnglG und auf § 56 Abs 3 Nr 6 AFG.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11. Oktober 1979 und das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 15. Februar 1978 aufzuheben,
unter Aufhebung des Bescheides des Arbeitsamtes L vom 14. Oktober 1976 und des Widerspruchsbescheides des Arbeitsamtes L vom 25. Januar 1977 die Beklagte zu verpflichten, für Gerlinde Z. ab 1. Januar 1976 die ungedeckten Kosten des Arbeitsplatzes in den L Werkstätten A zu übernehmen,
hilfsweise,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11. Oktober 1979 mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zu erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Beide Beteiligte sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG.
Die Entscheidung des LSG leidet an einem Verfahrensmangel, der von Amts wegen zu beachten ist und dessen Vorliegen dem Senat eine Entscheidung in der Sache verwehrt. Nach der Sachlage des vorliegenden Falles ist an dem streitigen Rechtsverhältnis nämlich die Behinderte Gerlinde Z. derart beteiligt, daß die Entscheidung auch ihr gegenüber nur einheitlich ergehen kann, so daß sie gemäß § 75 Abs 2 SGG notwendig beizuladen ist.
Der Kläger macht geltend, daß ihm ein Anspruch der Behinderten Z. gegen die Beklagte zustehe, weil und soweit er diesen gemäß § 90 BSHG auf sich übergeleitet habe. Gegenstand des Rechtsstreits ist somit einmal die Frage, ob und in welchem Umfange der Behinderten Z. ein Anspruch auf Übernahme von Arbeitsplatz-Defizitkosten gegen die Beklagte zusteht, aber auch, ob und in welchem Umfange der Kläger wirksam von seinem Überleitungsrecht Gebrauch gemacht hat. Das ergibt sich schon daraus, daß der Überleitungsakt nichts über Bestand, Höhe und Inhalt des übergeleiteten Anspruchs aussagt, sondern nur einen Gläubigerwechsel bewirkt, wenn und soweit ein Anspruch besteht (vgl Knopp/Fichtner, Kommentar zum BSHG, 4. Aufl, RdNr 24 zu § 90 mwN; insbesondere BVerwGE 34, 219), und daß folglich dem Schuldner alle Rechtseinwendungen auch gegenüber dem Sozialhilfeträger verbleiben, wie sie ihm gegen den früheren Anspruchsinhaber zustanden.
Bei dieser Sachlage ist eine Beiladung der Behinderten Z. iS von § 75 Abs 2 SGG notwendig geboten. Diese setzt die Beteiligung eines Dritten an dem streitigen Rechtsverhältnis derart voraus, daß nach dem sachlich- rechtlichen Inhalt des - zunächst als begründet unterstellten - Klagebegehrens eine Entscheidung des Rechtsstreits möglich ist, die auch dem Dritten gegenüber nur einheitlich ergehen kann (BVerwG in Buchholz 310 Nr 10 zu § 65 VwGO mwN). Zwar genügt insoweit nicht nur eine nur tatsächlich oder logisch einheitliche Entscheidung (vgl Hennig/Danckwerts/König, Kommentar zum SGG, 25. ErgLfg, Erl 4 zu § 75).
Erforderlich ist, daß die in dem Rechtsstreit zu erwartende Entscheidung über das streitige Rechtsverhältnis zugleich in die Rechtssphäre des Dritten unmittelbar eingreift (vgl BSGE 11, 262, 265; 46, 232, 233). So ist es hier.
Die Überleitung eines Anspruchs auf Leistungen zur beruflichen Rehabilitation berührt, solange die zu fördernde Maßnahme nicht beendet ist, wie das nach der Klagebehauptung hier der Fall ist, nicht das "Stammrecht" des Leistungsanspruchs; so wie der Unterhaltspflichtige auch nach der Überleitung der gegen ihn gerichteten Unterhaltsansprüche seine Unterhaltspflicht künftig unmittelbar erfüllen kann (BVerwGE 29, 229, 231; 34, 219, 225; 42, 198, 200; 50, 64, 66) und insoweit die Weitergewährung der Sozialhilfe entbehrlich wird, ist auch der Rehabilitationsträger nicht gehindert, die von ihm - sollte seine Leistungspflicht bestätigt werden - für die Zukunft geschuldeten Leistungen unmittelbar dem eigentlichen Anspruchsinhaber zu erbringen; denn die Überleitung dient nur dazu, den Nachrang der Sozialhilfe (§ 2 Abs 2 Satz 2 BSHG) wiederherzustellen, und zwar in dem Umfange, in dem Sozialhilfe gewährt wurde.
Im übrigen verbleibt der Anspruch beim originären Anspruchsinhaber. In diesem Zusammenhang könnte es im vorliegenden Falle auch bei Stattgabe der Klage den (teilweisen) Bestand (Verbleib) des Stammrechts bei der Behinderten Z. für die Zeit der vom Kläger erbrachten Sozialhilfe zur Folge haben, daß der Kläger den behaupteten Anspruch der Behinderten Z. gegen die Beklagte nur insoweit belegt, als er Leistungen erbracht hat, die wiederum der Höhe nach von den für ihn gültigen Pflegesätzen abhängen.
Eine der Klage stattgebende Entscheidung beinhaltet deshalb notwendig die Feststellung, daß der Behinderten Z. der ihr im Grunde verbliebene Anspruch auf Gewährung von Arbeitsplatz-Defizitkosten zusteht; sie betrifft damit unmittelbar die Rechtssphäre der Behinderten Z. Ob eine Beiladung auch dann notwendig ist, wenn der übergeleitete Anspruch kein Daueranspruch ist, kann offenbleiben.
Dem entspricht die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), daß in dem Rechtsstreit zwischen einem Sozialhilfeträger und einem Rentenversicherungsträger auf Ersatz von Aufwendungen gemäß § 1531 der Reichsversicherungsordnung (RVO) der Versicherte notwendig beizuladen ist, obwohl der Sozialhilfeträger damit einen eigenen, selbständigen Anspruch geltend macht; denn der Versicherte verliert die Verfügungsbefugnis über seinen Anspruch, soweit daraus der Ersatzanspruch zu befriedigen ist (BSG vom 30. August 1979 - 4 RJ 65/77 -). Nach dem Urteil des 8. Senats des BSG vom 30. August 1979 - 8b/3 RK 46/78 - ist bei der Entscheidung, ob ein Rechtsübergang stattgefunden hat - ggf in welchem Umfange - oder nicht, derjenige, dessen Rechte übergegangen sein sollen, in einer seine notwendige Beiladung auslösenden Weise betroffen. Der 8. Senat des BSG hält eine Beiladung nach § 75 Abs 2 SGG sogar dann für erforderlich, wenn ein nach § 1735 RVO vorläufig mit Leistungen eingetretener Träger der Unfallversicherung gegen den von ihm für zuständig gehaltenen Träger auf Feststellung von dessen Leistungspflicht klagt und jener seine Entschädigungspflicht gegenüber dem Entschädigungsberechtigten bereits bindend abgelehnt hat (BSG SozR 1500 § 55 Nr 4; ähnlich auch BSG SozR 1500 § 75 Nr 29). Einen für die Beiladung nach § 75 Abs 2 SGG ausreichenden unmittelbaren Eingriff in die Rechtssphäre des Dritten sieht der 12. Senat des BSG, wenn durch einen Streit zwischen einem Unfallversicherungsträger, der als Rehabilitationsträger Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung eines Versicherten aufgrund von Übergangsgeldzahlungen getragen hat, und einer Krankenkasse als Einzugsstelle über die Erstattung dieser Beiträge auch der Fortbestand des Kranken- und Rentenversicherungsverhältnisses des Versicherten während der Zeit der Übergangsgeldzahlungen berührt wird (BSG SozR 1500 § 75 Nr 15).
Es kann dahinstehen, ob man dieser weiten Auslegung des § 75 Abs 2 SGG folgen will. Jedenfalls ist in einem Falle wie dem vorliegenden, in dem im Rahmen der Entscheidung über die Wirksamkeit des Rechtsüberganges nach § 90 BSHG, dessen Umfang und Reichweite zugleich über den Bestand des Anspruchs als solchen entschieden werden muß, mithin über Bestand und Verbleib des Stammrechts beim originären Anspruchsinhaber, dieser nach § 75 Abs 2 SGG beizuladen.
Das Unterlassen der notwendigen Beiladung der Behinderten Z. nach § 75 Abs 2 SGG ist ein Verfahrensmangel, der auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachten ist und der es dem Senat verwehrt, zur Sachentscheidung des LSG Stellung zu nehmen, vielmehr ohne weiteres zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG führt (ständige Rechtsprechung seit BSG vom 12. März 1974 - 2 S 1/74 = SozR 1500 § 75 Nr 1; vgl BSG SozR 1500 § 75 Nrn 4, 7, 8, 10, 12, 13, 15, 20, 21, 29). Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen