Entscheidungsstichwort (Thema)

Materielles Antragsprinzip. Förderung beruflicher Fortbildung. Altersgrenze

 

Orientierungssatz

1. Die Ermächtigung nach § 39 S 1 AFG schließt die Befugnis ein, die Gewährung von Leistungen davon abhängig zu machen, daß sie vor Eintritt des Ereignisses beantragt werden, das im übrigen den Leistungsanspruch begründet; denn eine solche Regelung entspricht dem Antragsprinzip, das allgemein im AFG verwirklicht ist (vgl BSG 1976-03-11 7 RAr 45/75 = FEVS 25, 379).

2. Anders als nach § 36 Nr 1 AFG idF des AFGHStruktG iVm § 169 Nr 2 AFG steht das Alter nach dem früher geltenden Recht der Förderung der beruflichen Bildung nicht entgegen, wenn der Antragsteller dennoch angemessene Zeit als Arbeitnehmer arbeiten darf, kann und will.

 

Normenkette

AFG § 36 Fassung: 1969-06-25, § 39 S 1 Fassung: 1969-06-25; AFuU § 8 Fassung: 1975-02-27, § 21 Abs 1 Fassung: 1975-02-27; AFG § 36 Nr 1 Fassung: 1975-12-18, § 169 Nr 2

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 09.01.1980; Aktenzeichen L 3 Ar 1262/79)

SG Konstanz (Entscheidung vom 24.01.1979; Aktenzeichen S 7 Ar 838/77)

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Leistungen zur Förderung der beruflichen Bildung.

Die am 15. Juni 1912 geborene Klägerin leitete vom 1. Oktober 1970 bis 31. Dezember 1975 einen Sonderkindergarten für Bildungsschwache; das Beschäftigungsverhältnis endete durch Kündigung des Arbeitgebers. Am 1. Oktober 1975 hatte sie begonnen, an einem vom Diakonischen Werk veranstalteten Lehrgang teilzunehmen, um sich auf die Schulfremdenprüfung für staatlich anerkannte Erzieher vorzubereiten. Der Unterricht fand einmal wöchentlich vier Stunden außerhalb ihres Wohnortes statt. Von Februar bis September 1976 absolvierte die Klägerin ein Kindergartenpraktikum. Eine schriftliche Prüfung bestand sie im Mai 1976, eine Prüfung im Werken im Juni 1976 und - nach einem erfolglosen Versuch im März 1976 - eine weitere fachpraktische Prüfung im September 1976. Am 15. Juni 1977 erhielt die Klägerin die staatliche Anerkennung für die Tätigkeit als Erzieherin. Im August 1978 fand sie erstmals wieder eine Arbeitsstelle, und zwar an einer staatlichen Sonderschule; das Arbeitsverhältnis wurde zum 5. September 1979 gekündigt, weil nunmehr die Voraussetzungen für den Bezug der Altersrente erfüllt seien. Seit dem 1. Oktober 1979 bezieht die Klägerin Altersruhegeld.

Ihren am 30. Dezember 1975 gestellten Antrag, die Teilnahme an dem Lehrgang zu fördern, lehnte die Beklagte ab, da die Klägerin für eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung dem Arbeitsmarkt nur noch auf beschränkte Zeit zur Verfügung stehe (Bescheid vom 24. Januar 1977). Widerspruch, Klage und Berufung, mit denen die Klägerin zusätzlich Arbeitslosengeld (Alg) und anfangs auch Arbeitslosenhilfe (Alhi) begehrte, hatten keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 8. Juli 1977; Urteil des Sozialgerichts -SG- vom 24. Januar 1979; Urteil des Landessozialgerichts -LSG- vom 9. Januar 1980).

Das LSG hat die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen, soweit die Klägerin Alg (für die Zeit vom 13. Januar bis 7. April 1976) und die Übernahme des Schulgeldes verlangte, und im übrigen, dh hinsichtlich der Übernahme von Fahrkosten, von Aufwendungen für Bücher, für auswärtige Unterkunft und Verpflegung als unbegründet zurückgewiesen. Das LSG hat in den Entscheidungsgründen ua ausgeführt, hinsichtlich des Anspruchs auf Übernahme des Schulgeldes sei die Berufung gemäß § 144 Abs 1 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht zulässig, da der prozessuale Anspruch eine einmalige Leistung betreffe. Wegen der Erstattung der übrigen Kosten der Bildungsmaßnahme sei die Berufung zulässig, aber unbegründet. Der Lehrgang sei für die Klägerin eine berufliche Fortbildungsmaßnahme gewesen; die Klägerin habe dabei ihre praktischen und in Eigeninitiative erworbenen theoretischen beruflichen Erfahrungen für den angestrebten beruflichen Aufstieg weitgehend verwerten und erweitern können. Für die Zeit vom 1. Oktober bis 29. Dezember 1975 komme eine Förderung schon deshalb nicht in Betracht, weil Leistungen frühestens vom Zeitpunkt des Antrags an zu gewähren seien (§ 21 Abs 1 Satz 3 der Anordnung über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung vom 9. September 1971 idF der 2. Änderungsanordnung vom 27. Februar 1975, ANBA 1975, 418 -AFuU 1971 nF-). Im übrigen scheitere die Förderung an § 36 Arbeitsförderungsgesetz, der in der Fassung vor dem Haushaltsstrukturgesetz (HStruktG-AFG) anzuwenden sei. Die Förderung sei unter Berücksichtigung der Lage und der Entwicklung des Arbeitsmarktes nicht zweckmäßig. Ihres Alters wegen gehöre die Klägerin zu einer Personengruppe, deren berufliche Fortbildung aus Mitteln der Beklagten nicht mehr zweckmäßig sei. Das AFG diene vornehmlich der Förderung und Sicherung der Arbeitnehmer im Arbeitsleben. Personen im Rentenalter könnten die Leistungen des AFG nicht in vollem Umfange beanspruchen; ihre Absicherung falle in den Risikobereich der Rentenversicherung und, sofern Rentenansprüche nicht bestünden, in den der Sozialhilfe. So hätten Arbeitslose ab Beginn des auf die Vollendung des 65. Lebensjahres folgenden Monats keinen Anspruch auf Alg bzw Alhi. Hieraus folge, daß eine Fortbildung dieses Personenkreises zur Verhinderung von Arbeitslosigkeit arbeitsmarktpolitisch nicht zweckmäßig sei, jedenfalls nicht, wenn bei Erreichen des Fortbildungszieles das 65. Lebensjahr vollendet sei. Diese Ansicht bestätige § 36 Nr 2 AFG idF HStrukt-AFG. Ein Anspruch auf Förderung ergebe sich schließlich nicht aus der von der Klägerin behaupteten Zusage; an rechtswidrige Zusagen sei die Beklagte nicht gebunden, da sie selbst gesetzwidrige Entscheidungen ohne Rücksicht auf Vertrauensschutz aufheben könne.

Die Klägerin rügt mit der vom LSG zugelassenen Revision die Verletzung materiellen Sozialrechts. Die Annahme des LSG, Lehrgangs- und Prüfungsgebühren müßten als einmalige Leistungen von der Beklagten nicht ersetzt werden, sei rechtlich unzutreffend. Wenn das Satzungsrecht der Beklagten vorsehe, daß Leistungen erst ab Antragstellung gewährt werden dürften, entspräche dies nicht dem Sinn der sozialen Gesetze. Die Klägerin habe den Lehrgang auf Veranlassung des Diakonischen Werkes absolviert, weil sie an dem Beruf interessiert gewesen sei und ihre Altersrente habe aufbessern müssen. Das Kultusministerium B-W habe sie in Kenntnis ihres Alters auf den Lehrgang hingewiesen, so daß sie mit der Zuweisung einer ausbildungsgerechten Stellung habe rechnen dürfen. Es gehe nicht an, die Zweckmäßigkeit einer Fortbildung zu bestreiten, die für eine ausgeübte Tätigkeit nach Vollendung des 65. Lebensjahres verlangt worden sei. Im übrigen könne der Arbeitsmarkt nicht von vornherein auf die Mitarbeit geeigneter und williger Fachkräfte verzichten, die im Rentenalter stünden.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Urteile des LSG und des SG teilweise

aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung

ihres Bescheides vom 24. Januar 1977 idF des

Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 1977 zu

verurteilen, ihr die für die Teilnahme an dem

Lehrgang in der Zeit vom 1. Oktober 1975 bis

7. Juni 1977 entstandenen notwendigen Kosten

zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf das Urteil des LSG.

Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist teils unzulässig, teils unbegründet und zu einem weiteren Teil im Sinne der Zurückverweisung begründet.

Unzulässig ist die Revision, soweit die Klägerin die Übernahme des Schulgeldes begehrt. Bezüglich dieses Anspruchs hat die Klägerin die Revision nicht so begründet, wie dies nach § 164 Abs 2 SGG erforderlich ist. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin mehrere prozessuale Ansprüche. Die Verpflichtung der Beklagten, gemäß § 45 AFG die notwendigen Kosten, die durch eine zu fördernde Bildungsmaßnahme unmittelbar entstehen, ganz oder teilweise zu tragen, betrifft keinen einheitlichen Anspruch, der von den einzelnen Kostengründen her nur der Höhe nach bestimmt wird; vielmehr sind in § 45 AFG eine Reihe einzelner Ansprüche zusammengefaßt geregelt, die sowohl gegenüber den jeweils anderen Ansprüchen im Rahmen des § 45 AFG als auch gegenüber sonstigen Ansprüchen im Rahmen der beruflichen Bildungsförderung (zB gegenüber dem Unterhaltsgeldanspruch) selbständigen Charakter haben und im Verfahren einen selbständigen Streitgegenstand bilden (BSG SozR 1500 § 162 Nr 4; BSGE 39, 119, 120 = SozR 4100 § 45 Nr 4). Verfolgt die Revision mehrere prozessuale Ansprüche, muß dem Begründungserfordernis für jeden Anspruch genügt sein (BSGE 7, 35, 38 f; vgl ferner die zur Veröffentlichung vorgesehenen Urteile vom 19. September 1979 - 11 RA 90/78 - und vom 12. November 1980 - 1 RA 105/79 -). Dem ist die Klägerin hinsichtlich des Anspruchs auf Schulgeld nicht nachgekommen.

Die Klägerin macht mit der Revision ausdrücklich die Verletzung materiellen Sozialrechts geltend; auf die Verletzung von Vorschriften des gerichtlichen Verfahrens wird die Revision mithin nicht gestützt. Hinsichtlich des Schulgeldes beschränkt sich die Revisionsbegründung auf den Satz, die Annahme des LSG gehe rechtlich fehl, Lehrgangs- und Prüfungsgebühren müßten als sogenannte einmalige Leistungen von der Beklagten nicht ersetzt werden. Damit fehlt es an jeglicher rechtlichen Auseinandersetzung mit dem Urteil des LSG, das einen Rechtssatz dieses Inhalts nicht aufgestellt, sondern insoweit die Berufung der Klägerin gemäß § 144 Abs 1 Nr 1 SGG als unzulässig angesehen hat, ohne zum materiellen Sozialrecht Stellung zu nehmen. Auf eine solche Auseinandersetzung kann nicht verzichtet werden. Das Erfordernis, die Revision von einem zugelassenen Prozeßbevollmächtigten verantwortlich zu begründen, soll aussichtslose Revisionen nach Möglichkeit von vornherein verhindern. Dieser Zweck des § 164 Abs 2 SGG verlangt eine Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil in der Revisionsbegründung; andernfalls läßt sich nicht feststellen, daß der Prozeßbevollmächtigte, der die Revisionsbegründung einreicht, das angefochtene Urteil im Hinblick auf die Aussichten der Revision überprüft hat (vgl BSG SozR 1500 § 164 Nr 5 und 12; BVerfG SozR 1500 § 164 Nr 17). Die Revision ist daher bezüglich des Schulgeldes gemäß § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.

Im übrigen bestehen gegen die Zulässigkeit der Revision keine Bedenken. Dem Tenor des angefochtenen Urteils zufolge hat das LSG die Revision uneingeschränkt zugelassen. Hieran ist der Senat gebunden (§ 160 Abs 3 SGG). Der Grund, den das LSG für die Revisionszulassung angegeben hat (vgl zu ihm BSG SozR 1500 § 160a Nr 19; Weyreuther, Revisionszulassung und Nichtzulassungsbeschwerde, München 1971, RdNr 85), trägt zwar nach der Begründung des LSG-Urteils nur die Revisionszulassung der Ansprüche auf Übernahme der Fahrkosten, die Aufwendungen für Bücher, auswärtige Unterkunft und Verpflegung, soweit sie die Zeit nach dem 29. Dezember 1975 betrifft. Eine entsprechende Einschränkung der Revisionszulassung, die möglich ist (vgl BSGE 3, 135; SozR 1500 § 144 Nr 2), kann dem jedoch nicht entnommen werden; es fehlt an der erforderlichen Eindeutigkeit der Beschränkung (vgl BVerwG MDR 1973, 251; Urteil des Senats vom 12. Februar 1980 - 7 RAr 107/78 -, insoweit in SozR 4100 § 119 Nr 12 nicht abgedruckt; Urteil des Senats vom 17. März 1981 - 7 RAr 20/80 -).

Die Zulässigkeit der Berufung, die das Revisionsgericht bei einer zulässigen Revision als eine von Amts wegen zu beachtende Verfahrensvoraussetzung zu prüfen hat (vgl für viele BSG SozR 1500 § 150 Nr 11 und 18 mwN), hat das LSG in diesem Umfange zu Recht bejaht. Die Klägerin macht insoweit nicht Ansprüche auf einmalige Leistungen, sondern solche auf wiederkehrende für einen Zeitraum von mehr als 13 Wochen (drei Monaten) geltend; § 144 Abs 1 SGG schließt die Berufung daher nicht aus. Streitig sind Ansprüche auf Leistungen nach § 45 AFG. Sie entstehen in dem Zeitpunkt, in dem die entsprechenden Kosten angefallen sind und die übrigen Voraussetzungen vorliegen (BSG SozR 4100 § 151 Nr 7). Fahrkosten sowie die Kosten der Übernachtung und Verpflegung fielen regelmäßig an, wenn die Klägerin wöchentlich nach Freiburg zu fahren hatte. Entsprechend betrifft die Berufung der Klägerin nicht mehrere einmalige Leistungen, sondern wiederkehrende Leistungen, die aus einem einheitlichen Rechtsverhältnis, dem Förderungsverhältnis, fließen und in Abständen wiederkehren. Da die Klägerin die Erstattung dieser Kosten ab Oktober 1975 begehrt, betrifft die Berufung nicht nur einen Anspruch auf wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu 13 Wochen (drei Monaten). Nichts anderes gilt hinsichtlich der Kosten für Lernmittel. Wie sich aus den der Beklagten vorgelegten Unterlagen ergibt, macht die Klägerin Kosten für Bücher und Materialien geltend, die ihr wiederkehrend mindestens innerhalb des Zeitraums vom 16. Januar bis 22. Mai 1976 durch den Lehrgang entstanden sein sollen; daß die Kosten nicht in regelmäßigen Abständen entstanden sind und zum Teil Bücher und zum Teil Material betrafen, macht keinen Unterschied. Wiederkehrende Leistungen müssen weder der Art noch der Höhe nach gleich sein; es ist ausreichend, daß sie in ihrer Grundstruktur gleich sind, dh hier Lernmittel betreffen und ihnen das Moment zeitlicher Dauer innewohnt (vgl BSGE 2, 135, 137f; 22, 181, 184).

Zu Recht hat das LSG die Klagabweisung durch das SG bestätigt, soweit es um Leistungen für die Zeit vor der Antragstellung, dh um Leistungen bis zum 29. Dezember 1975 geht. Nach § 21 Abs 1 AFuU 1971 nF werden die Leistungen auf Antrag gewährt; wird der Antrag erst nach dem Eintritt in eine Maßnahme gestellt, werden Leistungen frühestens vom Zeitpunkt der Antragstellung an gewährt. Diese Bestimmung der Anordnung ist wirksam. Zu § 21 AFuU vom 18. Dezember 1969 (ANBA 1970, 85) hat das Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung entschieden, die Anordnung habe den Leistungsantrag als materielle Anspruchsvoraussetzung ausgestaltet (BSGE 35, 262, 263f = SozR Nr 1 § 21 AFuU; SozR 4460 § 21 Nr 1; Urteil vom 25. November 1976 - 12 RAr 63/76 -, vgl AuB 1977, 219); für § 21 AFuU 1971 in der ursprünglichen Fassung hat der Senat hieran festgehalten (Urteil vom 1. Dezember 1976 - 7 RAr 66/75 -, vgl AuB 1977, 220). Durch Art 1 Nr 8 der 1. Änderungsanordnung vom 19. Dezember 1973 (ANBA 1973, 490) ist zwar die Bezugnahme auf § 21 AFuU in § 10 AFuU entfallen, auf die der Senat in BSGE 35, 262, 264 = SozR Nr 1 zu § 21 AFuU verwiesen hatte. Aus § 21 Abs 1 Satz 3 AFuU 1971 nF ergibt sich aber allein hinreichend deutlich, daß Leistungen für die Zeit vor der Antragstellung nicht gewährt werden, der Antrag daher weiterhin materiell-rechtliche Bedeutung hat.

Die Beklagte, die bei der Förderung der beruflichen Bildung nach § 39 Satz 1 AFG anders als in anderen Bereichen (wie zB der Winterbauförderung, § 82 AFG) zur Regelung des Verwaltungsverfahrens nicht ausdrücklich ermächtigt ist (vgl dazu das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil des Senats vom 14. August 1980 - 7 RAr 69/79 -), war befugt, den Leistungsantrag durch Anordnung als materielle Anspruchsvoraussetzung auszugestalten. Nach § 39 Satz 1 AFG bestimmt die Beklagte durch Anordnung, dh durch autonomes Satzungsrecht, das Nähere über Voraussetzungen, Art und Umfang der Förderung der beruflichen Bildung. Diese Ermächtigung schließt die Befugnis ein, die Gewährung von Leistungen davon abhängig zu machen, daß sie vor Eintritt des Ereignisses beantragt werden, das im übrigen den Leistungsanspruch begründet; denn eine solche Regelung entspricht dem Antragsprinzip, das allgemein im AFG verwirklicht ist (BSG SozR Nr 1 zu § 21 AFuU, insoweit in BSGE 35, 262 nicht abgedruckt; vgl BSG FEVS 25, 379, 391; anderer Ansicht Gagel/Jülicher, AFG, RdNr 22 vor § 33). Das LSG hat daher zu Recht einen Leistungsanspruch bis zur Antragstellung verneint.

Begründet ist die Revision dagegen, soweit es um die übrigen Leistungen ab 30. Dezember 1975 geht. Die geltend gemachten Ansprüche der Klägerin richten sich, wie das LSG nicht verkannt hat, gemäß Art 1 § 2 Abs 1 des HStruktG-AFG vom 18. Dezember 1975 (BGBl I 3113) auch nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes am 1. Januar 1976 nach den §§ 39 bis 43, 45 bis 49 AFG in der bisher geltenden Fassung, da die Klägerin an einer am 1. Januar 1976 laufenden Bildungsmaßnahme teilnahm und vor diesem Zeitpunkt Leistungen beantragt hatte. Die Maßnahme, an der die Klägerin teilnahm, stellte für sie eine Fortbildung dar; denn nach den den Senat bindenden Feststellungen des LSG konnte die Klägerin ihre praktischen und theoretischen Erfahrungen als Leiterin eines Sonderkindergartens für den angestrebten beruflichen Aufstieg weitgehend verwerten und erweitern. Daß die Klägerin wegen Vollendung des 63. Lebensjahres schon vor Beginn des Lehrgangs gemäß § 169 Nr 2 AFG beitragsfrei in der Arbeitslosenversicherung war und damit nicht mehr beabsichtigen konnte, eine die Beitragspflicht zur Arbeitslosenversicherung begründende Beschäftigung im Geltungsbereich des AFG aufzunehmen oder fortzusetzen, wie dies für jegliche Gewährung von Leistungen zur individuellen Förderung der beruflichen Bildung inzwischen § 36 Nr 1 AFG (idF des HStruktG-AFG) verlangt, steht ihrem Begehren nicht entgegen. Lediglich für die Förderung der beruflichen Fortbildung von Personen, die eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung bislang nicht ausgeübt hatten, verlangte § 42 AFG in der bis zum HStruktG-AFG geltenden ursprünglichen Fassung, daß diese Personen eine solche Beschäftigung ausüben wollten. Die Klägerin hat eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung ausgeübt; sie gehörte daher diesem Personenkreis nicht an. Die Förderung der beruflichen Fortbildung der Personen, die eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung ausgeübt hatten, setzte nach § 42 AFG aF nicht voraus, daß sie künftig eine solche Beschäftigung ausüben wollten; allerdings mußte die Förderung nach § 36 AFG aF unter Berücksichtigung der Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes zweckmäßig erscheinen (BSGE 38, 282 = SozR 4100 § 42 Nr 5; BSGE 38, 278 = SozR 4100 § 42 Nr 3; BSG SozR 4100 § 36 Nr 13; BSGE 40, 179 = SozR 4100 § 36 Nr 8; BSG 40, 234 = SozR 4100 § 47 Nr 14). Diese Voraussetzung ist nicht schon deshalb zu verneinen, weil die Klägerin bei Beginn der Maßnahme das 63. Lebensjahr und bei Erteilung der staatlichen Anerkennung das 65. Lebensjahr vollendet hatte.

Nach § 36 AFG aF dürfen Leistungen zur individuellen Förderung der beruflichen Bildung nur gewährt werden, wenn ua die Förderung unter Berücksichtigung der Lage und der Entwicklung des Arbeitsmarktes zweckmäßig erscheint. Nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes ist, wie die Beklagte in Ausübung der in § 39 AFG gegebenen Ermächtigung durch autonomes Satzungsrecht bindend angeordnet hat, die Förderung zweckmäßig, wenn der Erwerbstätige seine berufliche Beweglichkeit sichern und verbessern oder beruflich aufsteigen will und durch die Teilnahme an der Maßnahme arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Bedürfnissen besser entsprochen werden kann, als dies ohne eine berufliche Fortbildung oder Umschulung möglich wäre (§ 8 Satz 1 AFuU 1971 nF). Durch die Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme kann arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Bedürfnissen besser entsprochen werden, wenn die Teilnahme die Existenzsicherung des Bildungswilligen verbessert; denn die Förderung der beruflichen Bildung soll vor allem bezwecken, daß der Bildungswillige sich auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten vermag und vor Arbeitslosigkeit geschützt wird (BSGE 40, 179, 183 = SozR 4100 § 36 Nr 8). Es soll erreicht werden, daß der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt konkurrenzfähiger und beruflich beweglicher anbieten kann, damit er nicht arbeitslos wird, nicht arbeitslos bleibt bzw eine Arbeitslosigkeit leichter durch Vermittlung beendet werden kann (vgl BSGE 41, 171, 174 = SozR 4100 § 36 Nr 12). Der Bildungswillige muß daher, sofern die Förderung einer beruflichen Bildung nicht aus anderen Gründen unter Berücksichtigung von Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes zweckmäßig erscheint (vgl BSGE 38, 282, 287 = SozR 4100 § 42 Nr 5; BSGE 40, 179, 183 = SozR 4100 § 36 Nr 8; BSGE 40, 234, 241 = SozR 4100 § 47 Nr 14), in der Regel als Anbieter von Arbeitskraft am Arbeitsmarkt in Betracht kommen (BSGE 38, 278, 280 = SozR 4100 § 42 Nr 3; BSGE 38, 282, 287 = SozR 4100 § 42 Nr 5; BSGE 41, 171, 174 = SozR 4100 § 36 Nr 12); das richtet sich jeweils nach der persönlichen Situation des Bildungswilligen (vgl BSGE 40, 234, 242 = SozR 4100 § 47 Nr 14). Die Förderung einer Fortbildungsmaßnahme erscheint daher nach § 36 AFG aF unter Berücksichtigung der Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes als nicht zweckmäßig, wenn der Bildungswillige nach Abschluß der Maßnahme eine berufliche Tätigkeit bzw die berufliche Tätigkeit, der die Fortbildung dienen soll, nicht eine bestimmte angemessene Zeit lang ausüben darf (zB wegen einer gesetzlichen Altersgrenze), nicht ausüben kann (zB wegen faktischer Altersgrenzen oder einer Minderung der Leistungsfähigkeit) oder (zB wegen Erreichens des Rentenalters) nicht ausüben will.

Wo dies nicht der Fall ist, der Bildungswillige vielmehr auch nach der allgemeinen Altersgrenze über angemessene Zeit hinweg dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen will, darf und dies voraussichtlich auch wird, kann die Zweckmäßigkeit der Förderung einer vor Vollendung des 65. Lebensjahres laufenden Maßnahme nicht deshalb verneint werden, weil die Beklagte Lohnersatzleistungen an Personen, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, nicht zu leisten habe. Der Hauptzweck des im AFG verankerten Systems zum Schutz gegen Arbeitslosigkeit besteht vorrangig in der Vermittlung in Arbeit (vgl § 5 AFG); dieser Schutz durch Vermittlung endet nicht mit der Vollendung des 65. Lebensjahres. Der Vermittlung in Arbeit dient die Förderung der beruflichen Bildung. Da das AFG in der bis zum HStruktG-AFG geltenden Fassung für die Förderung der beruflichen Fortbildung von Personen, die eine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt haben, nicht voraussetzt, daß sie nach Abschluß der Maßnahme eine beitragspflichtige Beschäftigung ausüben werden, ist die Förderung der beruflichen Bildung grundsätzlich auf das ganze jeweilige Erwerbsleben auszurichten, dh im Einzelfall auch auf eine beabsichtigte Erwerbstätigkeit nach Vollendung des 65. Lebensjahres. Daher ist die Förderung einer beruflichen Bildungsmaßnahme, deren Ziel erst mit der Vollendung des 65. Lebensjahres erreicht wird, nach dem vor Inkrafttreten des HStruktG-AFG geltenden Recht nicht schlechthin ausgeschlossen. Für Arbeitnehmer, die noch nicht über eine ausreichende Altersversorgung verfügen und daher über das 65. Lebensjahr hinaus erwerbstätig sein müssen, ist eine Sicherung vor Arbeitslosigkeit für diese Zeit sozialpolitisch sogar von besonderer Bedeutung, weil mit der Vollendung des 65. Lebensjahres bei Arbeitslosigkeit der Schutz durch Alg und Alhi entfällt und der Arbeitnehmer mithin zumindest bis zum Entstehen von Rentenansprüchen der Sozialhilfe anheim zu fallen droht. Ob die Förderung einer Maßnahme nach Vollendung des 65. Lebensjahres, insbesondere eine Förderung durch die Gewährung von Unterhaltsgeld, nach dem bis zum HStruktG-AFG geltenden Recht möglich war, bedarf hier keiner Entscheidung.

Das LSG hat daher zu Unrecht die Zweckmäßigkeit der Förderung der Fortbildung der Klägerin verneint, weil sie nach Vollendung des 63. Lebensjahres den Lehrgang begonnen hat und erst mit Vollendung des 65. Lebensjahres die staatliche Anerkennung als Erzieherin erhielt. Dem Senat ist es verwehrt, eine abschließende Entscheidung zu treffen. Das LSG hat von seinem Rechtsstandpunkt aus nicht zu prüfen brauchen, ob die Zweckmäßigkeit der Förderung aus anderen Gründen zu verneinen ist. So könnte die Förderung im Falle der Klägerin unzweckmäßig sein, wenn sie angesichts der Arbeitsmarktsituation wegen ihres Alters mit einer Vermittlung in eine ihrem Beruf entsprechende Stellung für die Zeit, in der sie einer Erwerbstätigkeit nachzugehen noch beabsichtige, trotz der Fortbildungsmaßnahme nicht mehr rechnen konnte; in einem solchen Falle kann durch die Teilnahme an der Maßnahme arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Bedürfnissen nicht besser entsprochen werden, als dies ohne berufliche Fortbildung der Fall ist. Auch fehlen Feststellungen, ob die Zugangsvoraussetzungen des Lehrgangs bzw der Schulfremdenprüfung, der sich die Klägerin unterzog, den Anforderungen des § 41 AFG aF entsprochen haben.

Danach ist das Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird. Bei der erneuten Entscheidung wird das LSG davon ausgehen können, daß der für die Förderung einer beruflichen Fortbildung erforderliche Aufwand noch in einem die Zweckmäßigkeit nach § 36 AFG aF nicht ausschließenden Verhältnis zur erstrebten Sicherung eines Arbeitnehmers steht, wenn dieser voraussichtlich noch über zwei Jahre nach Abschluß der Maßnahme einer Beschäftigung nachgehen wird, die versicherungspflichtig ist oder ungeachtet des § 169 Nr 2 AFG versicherungspflichtig wäre (vgl § 7 Abs 1 Nr 1 AFuU 1971 nF).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1656932

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