Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 16.04.1991) |
SG Lübeck (Urteil vom 12.09.1989) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 16. April 1991 und des Sozialgerichts Lübeck vom 12. September 1989 aufgehoben.
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 22. Juni 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 1988 verpflichtet, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin, die seit Juli 1987 als Bezieherin von Arbeitslosengeld (Alg) Mitglied der Beklagten war, begehrt die Übernahme von Restkosten für zahntechnische Leistungen bei Zahnersatz in Höhe von 1.939,32 DM.
Die Klägerin bezog im Dezember 1987 (im Monat vor der Erstellung des ersten Heil- und Kostenplans) Alg in Höhe von 605,80 DM. Ihr Ehemann bezog zu dieser Zeit eine monatliche Rente aus der Angestelltenversicherung in Höhe von 2.068,97 DM sowie – ab Februar 1988 – aus einer Zusatzversorgung in Höhe von 614,12 DM.
Zu den Kosten für zahntechnische Leistungen bei Zahnersatz aus der Behandlungszeit vom 12. Januar bis 19. April 1988 zahlte die Beklagte – entsprechend ihrer Satzung – gemäß § 182c Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO aF) der Klägerin einen Zuschuß in Höhe von 60 vH der Kosten. Eine Übernahme des von der Klägerin zu zahlenden Restbetrages in Höhe von 1.939,32 DM lehnte sie mit der Begründung ab, daß bei den Einkommensverhältnissen der Klägerin und ihres Ehemannes ein Härtefall iS von § 182c Absatz 3 RVO aF iVm § 18 ihrer Versicherungsbedingungen (VB) und der dazu ergangenen Vorstandsrichtlinien nicht vorliege. Denn dieses Einkommen übersteige die maßgebende Einkommensgrenze von 2.160,– DM (Bescheid vom 22. Juni 1988; Widerspruchsbescheid vom 23. August 1988).
Die hiergegen erhobene Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Lübeck vom 12. September 1989; Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 16. April 1991). Das LSG hat die Berufung der Klägerin mit der Begründung zurückgewiesen, der Klägerin stehe die begehrte Übernahme der Restkosten aus Härtegesichtspunkten nicht zu. Die vom Vorstand der Beklagten beschlossenen Härterichtlinien vom 18. Juli 1983 seien mit § 182c Abs 3 RVO aF vereinbar. Sie hätten den Härtefall einkommensabhängig danach bestimmt, ob die monatlichen Einnahmen des Versicherten zum Lebensunterhalt einen bestimmten Prozentsatz der monatlichen Bezugsgröße iS von § 18 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV) nicht überstiegen. Diese Einkommensgenze liege im Falle der Klägerin für auch nur eine teilweise Kostenübernahme bei 70 vH der Bezugsgröße (1988: 2.160,– DM). Demgegenüber habe das im maßgeblichen Zeitraum – Dezember 1987 – zu berücksichtigende Einkommen der Klägerin und ihres Ehemannes 2.674,77 DM betragen (605,80 DM Alg der Klägerin und 2.068,97 DM Rente des Ehemannes). Nach Nr 1 Absatz 2 Satz 3 der Richtlinien seien „Einnahmen des Ehegatten sowie der Angehörigen, für die Anspruch auf Familienhilfe besteht, … den Einnahmen zum Lebensunterhalt des Versicherten hinzuzurechnen”. Danach sei eindeutig das Ehegatteneinkommen unabhängig von den Familienhilfevoraussetzungen erfaßt; denn der Relativsatz beziehe sich nur auf die (sonstigen) Angehörigen des Versicherten. Die Berücksichtigung von Ehegatteneinkommen sei im Hinblick auf die wechselseitige Unterhaltspflicht von Eheleuten systematisch und sachlich gerechtfertigt, um die wirtschaftliche Härte der Belastung des Versicherten zu ermitteln. Bedenken dagegen ergäben sich auch nicht daraus, daß die Klägerin und ihr Ehemann beide aufgrund eigener Versicherungspflicht Mitglieder der Beklagten seien und für beide Beiträge erhoben würden. Die Ausdehnung der Leistungspflicht der Krankenversicherung für den Fall der „Härte” dürfe und müsse die gesamte soziale Lage des Versicherten berücksichtigen. Im übrigen sei der für die Annahme eines Härtefalles zugrunde gelegte Grenzwert vertretbar. Umstände, die im Einzelfall nahelegten, die zumutbare Belastung des Versicherten niedriger anzusetzen, lägen nicht vor; denn der streitige Eigenanteil der Klägerin von 1.939,32 DM übersteige ein Familienmonatseinkommen nicht.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 182c Abs 3 RVO aF, des § 54 Abs 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und eine Verletzung des Art 3 des Grundgesetzes (GG). Die vom LSG gebilligte Auslegung des Abs 2 Satz 3 der Härterichtlinien sei weder zwingend noch sachgerecht. Sie sei vielmehr ohne weiteres auch dahin zu verstehen, daß nur das Einkommen desjenigen Ehegatten herangezogen werde, der einen Anspruch auf Familienhilfe habe. Nur so werde der Gleichbehandlung von Versicherten mit eigener Krankenversicherung und eigener Beitragspflicht Rechnung getragen. Werde hingegen das Einkommen des Ehegatten auch dann herangezogen, wenn er selbst versichert sei, so führe dies zu mit Art 3 GG nicht zu vereinbarenden Ergebnissen. Denn dann seien verheiratete Versicherte in ihrem Krankenversicherungsverhältnis schlechter gestellt als unverheiratete Versicherte und verheiratete Versicherte ohne eigenen Krankenversicherungsanspruch. Ehegatten, die beide selbst versichert seien, zahlten je nach der Höhe ihres Einkommens getrennte Beiträge, während sie bei der Prüfung des Härtefalles auf das Familieneinkommen verwiesen würden, das bei der Beitragseinstufung gerade nicht zusammengerechnet worden sei. Das lasse sich auch nicht mit der wechselseitigen Unterhaltspflicht der Ehegatten rechtfertigen. Denn ein Unterhaltsanspruch setze die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten voraus, wobei zu berücksichtigen sei, daß Zahnersatzkosten einen Sonderbedarf (§ 1613 Abs 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches ≪BGB≫) darstellten. Nach allgemeinen Regeln ergäbe sich für sie, die Klägerin, ein Aufstockungsunterhaltsanspruch von ca 650,– DM, aus dem neben dem laufenden Lebensunterhalt zusätzliche Kosten in Höhe von 1.939,32 DM kaum finanziert werden könnten. Derartigen Gesichtspunkten der Leistungsfähigkeit des anderen Ehegatten trügen die Härterichtlinien der Beklagten nicht Rechnung und führten so zu ungerechten Ergebnissen. Die Richtlinien seien darüber hinaus nicht geeignet, den vom Gesetz eingeräumten Beurteilungsspielraum hinsichtlich des Härtefalls und die sich daran anschließende Ermessensausübung, ob und in welcher Höhe weitere Leistungen zu übernehmen seien, angemessen zu gestalten. Denn die Beklagte habe für die Annahme eines Härtefalls allein auf Einkommensgrenzen abgestellt und es unterlassen, die Höhe des den Versicherten belastenden Kostenbetrages dazu in Beziehung zu setzen. Damit werde die Regelung der bei Härtefallprüfungen stets zugrundeliegenden Forderung, die Aspekte des Einzelfalles zu berücksichtigen, nicht gerecht.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 16. April 1991 und des Sozialgerichts Lübeck vom 12. September 1989 sowie den Bescheid vom 22. Juni 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 1988 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und weist ergänzend darauf hin, daß die Beitragserhebung einerseits und die Beurteilung eines Härtefalles andererseits zwei getrennte Sachverhalte seien, die nicht miteinander in Bezug gebracht werden könnten.
Entscheidungsgründe
II
Die vom LSG zugelassene Revision der Klägerin ist begründet.
Zu Recht hat das LSG die Berufung der Klägerin gegen das klagabweisende Urteil des SG als zulässig angesehen. Sie war insbesondere nicht nach § 144 Abs 1 Nr 1 SGG ausgeschlossen, weil sie keinen Anspruch auf eine einmalige Leistung betraf. Leistung in diesem Sinne ist zwar auch die Übernahme von Kostenanteilen, die sonst der Versicherte selbst zu tragen hätte. Jedoch ist die erstrebte Übernahme keine einmalige Leistung, obgleich sie in einem einmaligen Akt zu vollziehen ist. Maßgeblich ist vielmehr, daß die streitige Kostenübernahme eine Versorgung mit Zahnersatz im Rahmen einer zahnärztlichen Behandlung betrifft, die vorliegend im Zeitraum vom 12. Januar bis 19. April 1988 stattgefunden hat. Ist diese Behandlung selbst eine wiederkehrende Leistung, weil sie sich – bei einheitlichem Behandlungszweck – über einen längeren Zeitraum erstreckt (vgl BSGE 19, 270 = SozR Nr 2 zu § 368d RVO; SozR 1500 § 144 Nr 35), so ist auch die begehrte Kostenübernahme eine wiederkehrende Leistung (ähnlich zum Anspruch auf Kostenbefreiung bei fortlaufenden Zuzahlungen zu Arzneimittelverordnungen BSGE 51, 147 = SozR 2200 § 182a Nr 4). Dem steht nicht entgegen, daß das Gesetz zu den Kosten für zahntechnische Leistungen, auf die sich die begehrte Übernahme der Restkosten bezieht, lediglich Zuschüsse gewährt (§ 182c Abs 3 RVO aF). Denn bei diesen Zuschüssen handelt es sich nicht um einen Geldleistungsanspruch (Kostenerstattungsanspruch) des Versicherten; er hat vielmehr grundsätzlich nur einen Sachleistungsanspruch gegen die Krankenkasse, bei der der Zuschuß lediglich die Grenze für die Eigenbeteiligung des Versicherten an der Kostendeckung dieser Sachleistung festlegt (BSGE 66, 165 = SozR 3-2200 § 182c Nr 1; BSGE 66, 284 = SozR 3-2200 § 29 Nr 1). Da die zahnärztliche Behandlung der Klägerin länger als drei Monate angedauert hat, steht auch § 144 Abs 1 Nr 2 SGG der Zulässigkeit der Berufung nicht entgegen.
In der Sache sind die angefochtenen Bescheide rechtswidrig. Die Beklagte hat die Übernahme der Restkosten nicht allein mit der Begründung ablehnen dürfen, daß die Übernahme wegen der Überschreitung der in ihren Richtlinien festgesetzten Einkommensgrenzen ausgeschlossen sei. Rechtsgrundlage für die Übernahme der Restkosten ist § 507 Abs 4 iVm § 182c Abs 3 RVO (letzterer idF des Gesetzes zur Ergänzung und Verbesserung der Wirksamkeit kostendämpfender Maßnahmen in der Krankenversicherung ≪KVEG≫ vom 22. Dezember 1981, BGBl I 1578; gleichlautend: § 18 Abs 1 Satz 2 der VB der Beklagten), die auf den vorliegenden, im Januar 1988 eingetretenen Leistungsfall noch anzuwenden sind. Danach kann die Ersatzkasse „in Härtefällen” den vom Versicherten zu zahlenden Restbetrag ganz oder teilweise übernehmen. Ob ein „Härtefall” vorliegt, haben die Gerichte im allgemeinen in vollem Umfang zu prüfen (BSG SozR 3100 § 89 BVG Nr 10). Hier ist allerdings mit diesem unbestimmten Rechtsbegriff der Krankenkasse ein gewisser, innerhalb gerichtlich feststellbarer Toleranzgrenzen liegender Spielraum eingeräumt worden, der sowohl die Voraussetzungen des Härtefalles als auch seine graduellen Stufungen umfaßt, die eine Kostenübernahme „ganz oder teilweise” rechtfertigen. Wie die Entstehungsgeschichte der Vorschrift belegt, war mit § 183c Abs 3 RVO eine Regelung angestrebt, die in besonders begründeten Einzelfällen unzumutbare und unerwünschte finanzielle Belastungen des Versicherten vermeiden sollte. Dabei ist der Selbstverwaltung mit Vorbedacht ein größerer Entscheidungsspielraum belassen worden (vgl zur ursprünglichen Fassung des § 182c Abs 3 RVO durch das Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz ≪KVKG≫ vom 27. Juni 1977, BGBl I, 1069, BT-Drucks 8/338, S 51). Ob der damit eingeräumte Ermessensspielraum so weit reicht, daß die Krankenkasse auch bei Bejahung eines Härtefalles ermächtigt sein sollte, die Kostenübernahme – etwa unter Hinweis auf ihre eigene angespannte Haushaltslage -abzulehnen (so BSGE 52, 267 = SozR 2200 § 182c Nr 6), oder ob der Begriff „Härtefall” Inhalt und Grenzen des Ermessens bestimmt (so BSG SozR 2200 § 182c Nr 4 unter Bezugnahme auf BSGE 34, 269 = SozR Nr 1 zu § 602 RVO und den dieser Entscheidung zugrundeliegenden Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes ≪GmS≫ vom 19. Oktober 1971, BVerwGE 39, 355), kann hier offenbleiben; denn die Beklagte geht – wie sich aus den Richtlinien ihres Vorstandes ergibt und wie es im übrigen auch dem Verständnis des Gesetzgebers in dem neugefaßten § 61 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) entspricht – davon aus, daß bei Vorliegen eines Härtefalles die Restkosten im vorgesehenen Umfang zu übernehmen sind. Den ihr bei der Anwendung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs eingeräumten Spielraum „Einschätzungsvorrecht” vgl dazu Wolff/Bachof, VerwRecht Bd I, 9. Aufl, § 31 IIa, S 194) hat die Beklagte durch Richtlinien ihres Vorstandes (§ 35 Abs 2 SGB IV) in der Weise konkretisiert, daß sie ausschließlich eine an die monatliche Bezugsgröße anknüpfende Einkommensgrenze festgelegt und geregelt hat, welche Einnahmen als „Einnahmen zum Lebensunterhalt” des Versicherten hierbei zu berücksichtigen sind; ferner hat sie bezüglich einer Teilkostenübernahme eine gewisse Staffelung der Einkommensgrenzen vorgesehen. Im einzelnen enthalten die Richtlinien in Nr 1 folgende Regelungen:
Abs 1) Härtefall Ein Härtefall liegt vor, wenn die monatlichen Einnahmen zum Lebensunterhalt (§ 180 Abs 4 RVO) 40 vH der monatlichen Bezugsgröße (§ 18 SGB IV) nicht übersteigen.
Abs 2) Die Einkommensgrenze erhöht sich für den Ehegatten oder den ersten familienhilfeberechtigten Angehörigen des Versicherten um 15 vH, für weitere familienhilfeberechtigte Angehörige um je 10 vH der monatlichen Bezugsgröße. Die Einkommensgrenze wird auf volle 10,– DM nach oben gerundet. Einnahmen des Ehegatten sowie der Angehörigen, für die Anspruch auf Familienhilfe besteht, sind den Einnahmen zum Lebensunterhalt des Versicherten hinzuzurechnen.
Abs 3) Laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) gilt nicht als Einnahme im Sinne dieser Richtlinien.
Abs 4) Übersteigen die Einnahmen zum Lebensunterhalt die sich aus den Abs 1 und 2 ergebenden Einnahmegrenzen, werden die Kosten anteilig übernommen, und zwar bei Einnahmen zum Lebensunterhalt bis zu 45 % der Bezugsgröße 90 % der Vertragssätze,
bis zu 50 % der Bezugsgröße 80 % der Vertragssätze,
bis zu 55 % der Bezugsgröße 70 % der Vertragssätze.
Die Revision wendet sich vor allem gegen die Heranziehung des Ehegatteneinkommens nach Abs 2 Satz 3 der Richtlinien. Diese Regelung ist, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, schon nach ihrem Wortlaut nicht auf Ehegatten beschränkt, für die ein Anspruch auf Familienhilfe besteht. Die eigenen Einnahmen des Ehegatten sind vielmehr stets hinzuzurechnen, weil sich der Relativsatz nur auf die (weiteren) Angehörigen bezieht. Das ergibt sich nicht nur aus der korrespondierenden Regelung in Abs 2 Satz 1 der Richtlinien, sondern ist schon deshalb einleuchtend, weil der familienhilfeberechtigte Ehegatte iS von § 205 RVO aF im allgemeinen kein oder allenfalls ein geringes Einkommen hat (nicht mehr als 1/6 der monatlichen Bezugsgröße des § 18 SGB IV), so daß es unter den hier maßgeblichen Härtegesichtspunkten keinen Sinn ergäbe, nur das Einkommen des familienhilfeberechtigten Ehegatten heranzuziehen.
Diese Auslegung führt entgegen der Auffassung der Revision auch nicht dazu, daß Ehegatten, die beide versichert sind, in ihrem Krankenversicherungsverhältnis in verfassungswidriger Weise schlechter gestellt werden als Ehegatten, von denen nur der Leistungsbewerber versichert ist, oder als ledige Versicherte, bei denen nur das eigene Einkommen zu berücksichtigen ist. Die Heranziehung des Ehegatteneinkommens – unabhängig von einer Familienversicherung des Ehegatten – ist vielmehr mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar, jedenfalls wenn die Ehegatten in ehelicher Gemeinschaft zusammenleben.
Der Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl BVerfGE 55, 72, 88; 71, 146, 154 f mwN).
Zwar führt die Richtlinie der Beklagten dazu, daß Ehepartner, die beide versichert sind, anders behandelt werden als Ehepartner, von denen der eine bei dem anderen mitversichert ist. Während die erste Gruppe jeweils Beiträge nach ihrem Einkommen entrichtet, ohne daß diese zusammengerechnet werden, müssen sie sich bei der Frage der Restkostenübernahme nach § 183c Abs 3 RVO eine Zusammenrechnug ihres Einkommens gefallen lassen mit der Folge, daß eine Übernahme der Restkosten häufig an der Höhe des beiderseitigen Einkommens scheitert. Demgegenüber führt die Zusammenrechnung der Einkommen bei Ehegatten, von denen der eine bei dem anderen (Versicherten) beitragsfrei mitversichert ist, wegen dessen Einkommenslosigkeit im allgemeinen nicht dazu, daß aus diesem Grund die Übernahme der Restkosten entfällt. Die Einkommenslosigkeit des mitversicherten Ehegatten wirkt sich bei diesen Ehepaaren eher zum Vorteil aus, denn auch bei ihnen wird die Einkommensgrenze nach Abs 2 Satz 1 der Richtlinien – ebenso wie bei beiderseits versicherten Ehegatten -pauschal um 15 vH der Bezugsgröße erhöht.
Für diese Unterschiede bestehen jedoch hinreichende Gründe. Die Revision verkennt insoweit, daß Anknüpfungspunkt für die Heranziehung des Ehegatteneinkommens im Rahmen der Härteregelung nicht der Umstand ist, daß der andere Ehegatte beitragsfrei mitversichert ist. Maßgeblich ist vielmehr, ob ein „Härtefall” vorliegt, dh ob der Versicherte durch die Tragung der Restkosten wirtschaftlich unzumutbar belastet wird. Die unterschiedliche Behandlung der Vergleichspaare ist daher grundsätzlich schon daraus gerechtfertigt, daß sich die Frage der wirtschaftlichen Belastung bei Ehegatten, jedenfalls wenn sie – wie hier – in ehelicher Gemeinschaft zusammenleben, auch nach dem Einkommen des anderen Ehegatten richtet. Dessen Einkommen kann die Unzumutbarkeit der wirtschaftlichen Belastung des Versicherten mindern oder ausschließen (vgl BVerfGE 9, 20, 30; BVerfGE 75, 382 = SozR 4100 § 138 Nr 16 S 78). Denn die im Rahmen gemeinsamer Lebens- und Haushaltsführung zur Verfügung stehenden Einnahmen des Ehegatten sind geeignet, zum Lebensunterhalt des Versicherten beizutragen, zumal die Ehegatten gesteigerten bürgerlich-rechtlichen Unterhaltspflichten unterliegen (§§ 1360, 1360a BGB). Dementsprechend werden auch in anderen (gesetzlichen) Regelungen, die – den Härtefällen vergleichbar – auf die Bedürftigkeit des Leistungsbewerbers abstellen, die Einnahmen des nicht getrenntlebenden anderen Ehegatten im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung herangezogen (vgl § 138 Abs 1 Nr 2 des Arbeitsförderungsgesetzes ≪AFG≫; §§ 11 Abs 1, 79 Abs 1 des Bundessozialhilfegesetzes ≪BSHG≫). Auch § 61 SGB V, der nunmehr die Voraussetzungen des Härtefalls bzw der unzumutbaren Belastung des Versicherten hinsichtlich der Tragung des Eigenanteils bei der Versorgung mit Zahnersatz selbst regelt, sieht in Abs 3 vor, daß zu den Einnahmen zum Lebensunterhalt des Versicherten auch die Einnahmen des im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten gehören, und zwar unabhängig davon, ob der Ehegatte selbst versichert oder nur familienversichert ist. Damit hat der Gesetzgeber erkennen lassen, daß er der Versicherung im Bereich der Härteregelung keine Bedeutung beimißt.
Soweit die Revision meint, die Härterichtlinie benachteilige die Familie gegenüber Ledigen, ist der allgemeine Gleichheitssatz ebenfalls nicht verletzt. Auch hier ist vorrangiger Prüfungsmaßstab Art 3 Abs 1 GG, weil der spezifische Schutzgedanke des allgemeinen Gleichheitssatzes gegenüber dem des Art 6 Abs 1 GG zu der streitigen Regelung über die Einkommensanrechnung die stärkere sachliche Beziehung hat (vgl BVerfGE 13, 290, 296 f; 67, 186, 195 f). Allerdings schränkt Art 6 Abs 1 GG, welcher die Ehe unter den Schutz der staatlichen Ordnung stellt, die im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes bestehende Gestaltungsfreiheit dahin ein, daß Verheiratete jedenfalls nicht deswegen, weil sie verheiratet sind, benachteiligt werden dürfen, insbesondere auch nicht geringere staatliche Leistungen als Ledige erhalten dürfen (vgl BVerfGE 18, 257, 269). Auch hier rechtfertigt sich jedoch die unterschiedliche Behandlung von verheirateten Versicherten einerseits und ledigen Versicherten andererseits, bei denen hinsichtlich der Restkostenübernahme nur das eigene Einkommen berücksichtigt wird, schon daraus, daß die Übernahme der Restkosten nach § 183c Abs 3 RVO aF nur in Härtefällen in Betracht kommt, also nur dann, wenn die Kostentragung für den Versicherten eine unzumutbare wirtschaftliche Belastung bedeutet. Auch hier gilt, daß das Einkommen eines Ehegatten die Unzumutbarkeit der Belastung mindern oder ausschließen kann. Bedenken gegen die Anrechnung des Ehegatteneinkommens könnten unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Gleichheitssatzes bei diesen Vergleichsgruppen allenfalls dann bestehen, wenn die Einkommensanrechnung wegen des Fehlens eines Freibetrags für den anderen Ehegatten zur Folge hätte, daß ledigen Versicherten im Hinblick auf die vorgesehene Einkommensgrenze typischerweise höhere Geldmittel zuflössen als zusammenlebenden Ehegatten. Das wäre aber nur dann der Fall, wenn für beide Vergleichsgruppen die Einkommensgrenze gleich hoch wäre. Das trifft aber nicht zu; denn die Richtlinien differenzieren insoweit zwischen einer Einkommensgrenze für ledige Versicherte einerseits, die hinsichtlich der vollen Kostenübernahme 40 vH der Bezugsgröße (1988 – gerundet -1.240,– DM) beträgt, und der Einkommensgrenze für verheiratete Versicherte andererseits, die hinsichtlich der vollen Kostenübernahme bei 55 % der Bezugsgröße (1988 – gerundet – 1.700,– DM) liegt. Während also der ledige Versicherte Übernahme der vollen Restkosten bis zu einem Einkommen von 1.240,– DM erhalten kann, darf einem verheirateten Versicherten diese Leistung noch bis zu einem Einkommen von 1.700,– DM gewährt werden. Damit ist hinreichend berücksichtigt, daß die Zumutbarkeit der wirtschaftlichen Belastung des verheirateten Versicherten im Hinblick auf einen angemessenen Eigenbedarf des anderen Ehegatten (15 vH der Bezugsgröße = 470,– DM im Jahre 1988) erst bei einem entsprechend höheren Einkommen beginnt.
Diese Grenzwerte für die Annahme eines Härtefalles sind nach § 182c Abs 3 RVO aF vertretbar, wie sich auch aus der seit 1. Januar 1989 geltenden, den Härtefall selbst festlegenden Regelung in § 61 Abs 1 Nr 2 iVm Abs 2 Nr 1 und Abs 4 SGB V ergibt. Denn auch dort ist die (vollständige) Befreiung von Restkosten an die gleichen Voraussetzungen geknüpft, wie sie Abs 1 und Abs 2 der genannten Richtlinien der Beklagten zu § 182c Abs 3 RVO aF vorsehen. Im übrigen sind diese Grenzwerte nicht abschließend in dem Sinne, daß ihre Überschreitung auch eine teilweise Kostenübernahme ausschließt. Vielmehr sehen die Richtlinien der Beklagten in Abs 4 weitere – gestufte – Einkommensgrenzen vor, bis zu deren Höhe die Restkosten zu bestimmten Teilen übernommen werden. Danach kommt eine gestaffelt anteilige Kostenübernahme – wie sich aus der Zusammenschau des Abs 4 mit Abs 1 und 2 der Richtlinien ergibt – bei verheirateten Versicherten ohne sonstige familienhilfeberechtigte Angehörige dann in Betracht, wenn die ihnen zuzurechnenden Einnahmen zum Lebensunterhalt bis zu 60 vH, 65 vH oder – höchstens – 70 vH der Bezugsgröße betragen (1988 höchstens 2.160,– DM). Damit haben die Richtlinien – anders als das LSG dies gesehen hat – nicht Härtevoraussetzungen und Ermessensentscheidung vermengt. Vielmehr bildet die Höchsteinkommensgrenze des Abs 4 der Richtlinien (vorliegend 70 vH der Bezugsgröße) den eigentlichen Grenzwert für die Annahme einer Härte, deren Unterschreitung eine Kostenübernahme jedenfalls teilweise rechtfertigt. Das ist sachgerecht und entspricht dem Zweck des § 182c Abs 3 RVO aF, wonach sowohl die volle als auch die teilweise Kostenübernahme nur „in Härtefällen” erfolgt, dh auch die teilweise Kostenübernahme einen Härtefall voraussetzt. Da das der Klägerin zuzurechnende Einkommen die vorgenannte Einkommensgrenze auch für eine anteilige Kostenübernahme überschritten hat, kommt nach den Richtlinien der Beklagten eine Übernahme der Restkosten an sich nicht in Betracht.
Die Beklagte verkennt jedoch, daß mit der Festlegung allgemeiner Einkommensgrenzen die wirtschaftliche Situation des Versicherten – und damit der Härtefall – nicht immer genügend erfaßt wird. Wie das BSG bereits mehrfach entschieden hat, erwartet der Gesetzgeber vielmehr vom Krankenversicherungsträger grundsätzlich eine auf den Einzelfall abgestellte Prüfung, bei der außer der Höhe der Einkünfte auch der Umfang der Restkosten und ggf sonstige finanzielle Belastungen zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen sind (BSG SozR 2200 § 182c Nrn 3, 4, 6, 7, 11). Damit steht es zwar nicht in Widerspruch, wenn der Versicherungsträger aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung bei der Härteprüfung regelmäßig nur auf das Einkommen des Versicherten abstellt; es muß jedoch gewährleistet sein, daß neben der Anwendung der Einkommensgrenzen – die den Härtefall nur allgemein umreißen – Raum für eine Einzelfallentscheidung aufgrund besonderer Gegebenheiten des konkreten Sachverhaltes bleibt (BSG SozR 2200 § 182c Nr 4). Denn als alleiniges Abgrenzungskriterium für das der Beklagten eingeräumte Einschätzungsvorrecht könnten Einkommensgrenzen nur dann in Betracht kommen, wenn von ihnen alle denkbaren Fälle der unzumutbaren Belastung erfaßt wären, so daß die Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles überflüssig würde. Dann müßte die Belastungsgrenze so hoch angesetzt sein, daß in ihr bereits alle die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mindernden Belastungen berücksichtigt wären. Das ist bei den von der Beklagten festgelegten Einkommensgrenzen ersichtlich nicht der Fall; es sind durchaus Fälle denkbar, in denen auch oberhalb dieser Grenze eine unzumutbare Belastung vorliegen kann, etwa bei hohen Restkosten und/oder bei (nicht nur unerheblichen) finanziellen Belastungen des Versicherten. Der Beklagten war es deshalb nicht gestattet, ohne Prüfung der gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin und ohne Berücksichtigung der Höhe der Restkosten deren Tragung als zumutbar anzusehen.
Nach den Feststellungen des LSG hat die Beklagte die erforderliche Einzelfallprüfung nicht vorgenommen. Sie hat sich vielmehr, wie auch die Begründung der angefochtenen Bescheide ergibt, auf den Rechtsstandpunkt gestellt, daß eine Restkostenübernahme bei Überschreiten der in den Richtlinien festgesetzten Einkommensgrenze ausgeschlossen sei. Damit hat die Beklagte den unbestimmten Rechtsbegriff des Härtefalles verkannt. Die Klägerin kann deshalb wegen dieses Rechtsmangels die Aufhebung der angefochtenen Bescheide verlangen. Ob die Beklagte evtl zu einem anderen Ergebnis kommt, läßt sich wegen der vom Gericht innerhalb einer feststellbaren Toleranzgrenze als unwiderlegbar hinzunehmenden Einschätzung der Verwaltung bei der Anwendung des Härtebegriffs im konkreten Einzelfall nicht abschließend entscheiden; deshalb kann insoweit auch die Spruchreife vom Tatsachengericht nicht weiter hergestellt werden (vgl auch die Nachweise bei Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 4. Aufl, § 131 Rz 12), so daß die Beklagte antragsgemäß gemäß § 131 Abs 3 SGG zu verpflichten war, die Klägerin unter Beachtung der vorstehend dargelegten Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen