Leitsatz (amtlich)
1. § 76 Abs 2 Nr 3 SGB 4 gewährt dem Schuldner einen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Entscheidung über den Forderungserlaß. Dies gilt auch für Schadensersatzansprüche, die nach § 116 Abs 1 SGB 10 auf den Versicherungsträger übergegangen sind.
2. Für daraus resultierende Streitigkeiten ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben (§ 51 Abs 1 SGG).
Normenkette
SGB 4 § 76 Abs 2 Nr 3; SGB 10 § 116 Abs 1; SGG § 51 Abs 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger begehrt den Erlaß eines Schadensersatzanspruchs, der aufgrund eines von ihm verschuldeten Verkehrsunfalles entstanden und vom Verletzten auf die Beklagte übergegangen ist. Streitig ist insbesondere, ob der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben ist.
Am 24. Februar 1983 fuhr der Kläger ohne Fahrerlaubnis mit einem Pkw und verletzte dabei einen bei der Beklagten Versicherten. Diese anerkannte einen Arbeitsunfall und leistete die gesetzliche Entschädigung. Der Haftpflichtversicherer des Klägers verweigerte wegen dessen Obliegenheitsverletzung den Versicherungsschutz und forderte von ihm Regreß (§ 3 Nr 9 Pflichtversicherungsgesetz - PflVG -) in Höhe von DM 5.000,--. Gegenüber der Beklagten lehnte der Haftpflichtversicherer Leistungen ab.
Die Beklagte erwirkte gegen den Kläger am 9. Januar 1985 einen Vollstreckungsbescheid über einen Teilbetrag ihrer Regreßforderung in Höhe von DM 11.231,03 zuzüglich 4% Zinsen ab dem 8. November 1984, aus dem sie ohne Erfolg vollstreckte. Unter dem 11. Dezember 1985 forderte sie einen weiteren Teilbetrag von DM 9.890,78.
Mit Schreiben vom 16. Januar 1986 beantragte der Kläger bei der Beklagten, ihm den Schadensersatzanspruch zu erlassen. Die Einziehung bedeute für ihn eine besondere Härte.
Den Antrag auf Erlaß lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 22. Januar 1986 ab. Eine besondere Härte liege nicht vor, da der Kläger in absehbarer Zeit wieder zahlungsfähig werde. Sie erklärte sich bereit, den übergegangenen Anspruch befristet niederzuschlagen, wenn der Kläger darauf verzichte, die Verjährungseinrede zu erheben. Mit einem als "Widerspruch" bezeichneten Schreiben begehrte der Kläger weiterhin den Erlaß des Regreßanspruchs. Mit Widerspruchsbescheid vom 21. März 1986 wies die Beklagte den Widerspruch als unzulässig zurück. Der Regreßanspruch sei zivilrechtlicher Natur und die Ablehnung des Erlasses keine Maßnahme auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen, da der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nicht gegeben sei (Urteil vom 15. Oktober 1987). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung mit Urteil vom 9. Juni 1988 zurückgewiesen. Für den Anspruch auf Erlaß der Regreßforderung sei der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nicht gegeben. Einen Verweisungsantrag habe der Kläger nicht gestellt. Ob eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliege, richte sich nicht nach der Form der Ablehnung (Widerspruchsbescheid), sondern hänge vom Streitgegenstand ab. Der Sachverhalt, aus dem der Kläger seinen Anspruch herleite, sei nicht entscheidend durch öffentlich-rechtliche Normen geprägt, sondern durch das Zivilrecht. Bei der Regreßforderung handele es sich um einen auf die Beklagte übergegangenen bürgerlich-rechtlichen Anspruch aus unerlaubter Handlung. Dieser Anspruch begründe nicht ein Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen Beklagter und Kläger, das für das öffentliche Recht kennzeichnend sei. Die Rechtsnatur des bürgerlichen-rechtlichen Anspruchs habe sich nicht dadurch geändert, daß die Beklagte als Körperschaft des öffentlichen Rechts Inhaberin geworden sei. § 76 Abs 2 Sozialgesetzbuch - Viertes Buch - (SGB IV) gewähre weder gemäß seinem Wortlaut noch unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte einen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Beschränkung (Stundung, Niederschlagung oder Erlaß) eines bürgerlich-rechtlichen Anspruchs. Er regele lediglich die verwaltungsinternen haushaltsrechtlichen Voraussetzungen. Auf die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) könne sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen (vgl Urteile vom 5. Oktober 1983 - IVa ZR 190/81 - = BHGZ 88, 296 ff; vom 13. Januar 1988 - IVa ZR 152/86 - = NJW 1988, 1267). Soweit der BGH der Auffassung sei, ein Erlaß der Regreßforderung gemäß dem seit Inkrafttreten des § 116 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X) allein maßgeblichen § 76 Abs 2 SGB IV setze einen Verwaltungsakt voraus, werde dem nicht gefolgt. Die verwaltungsinterne Entschließung, Regreßforderungen gemäß § 76 Abs 2 SGB IV zu beschränken oder nicht, sei allenfalls durch die Aufsichtsbehörde zu überprüfen. Wäre hingegen ein Verwaltungsakt zu erlassen, dessen Rechtmäßigkeit die Sozialgerichte zu überprüfen hätten, dann müßte dies auch für die Beschränkung sonstiger privatrechtlicher Forderungen von Sozialversicherungsträgern gelten, zB für Ansprüche aus Kauf- oder Mietverträgen. Dies habe der Gesetzgeber nicht gewollt. Ebensowenig wie die Sozialversicherungsträger einen bürgerlich-rechtlichen Anspruch durch Verwaltungsakt durchsetzen könnten, habe der Schuldner ein subjektiv öffentliches Recht auf Beschränkung der Forderung gemäß § 76 Abs 2 SGB IV. Dagegen sprächen schließlich der Grundsatz der Prozeßökonomie und die sonst gegebene Gefahr einer Rechtszersplitterung. Mache der privatrechtliche Schuldner eines Sozialversicherungsträgers im Zivilprozeß seine wirtschaftliche Schwäche geltend, müßten zunächst die Sozialgerichte entscheiden, ob die Voraussetzungen des § 76 Abs 2 SGB IV erfüllt seien. Auf der anderen Seite könnten auch die Zivilgerichte prüfen, ob dem Regreß § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) entgegenstehe, insbesondere aus Billigkeitsgründen, die sich an § 76 Abs 2 SGB IV zu orientieren hätten.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 51 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit liege bereits deshalb vor, weil die Beklagte über den Anspruch aus § 76 Abs 2 SGB IV durch Verwaltungsakt entschieden habe. Im übrigen habe das LSG verkannt, daß mit dem Übergang der zivilrechtlichen Forderung auf die Beklagte als Körperschaft des öffentlichen Rechts diese anhand einer Rechtsnorm des öffentlichen Rechts (§ 76 Abs 2 SGB IV) zu entscheiden habe, ob die Forderung zu erlassen sei. Dem BGH sei darin zu folgen, daß dies durch Verwaltungsakt zu geschehen habe. Aufgrund dieser Rechtsprechung des BGH könne der Kläger einen Forderungserlaß vor den Zivilgerichten nicht mehr durchsetzen, weil diese die Sozialgerichtsbarkeit insoweit für zuständig hielten. Wenn nun die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit ebenfalls ihre Zuständigkeit verneinten, verstoße dies gegen Art 19 Abs 4 Grundgesetz (GG).
Der Kläger beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. Januar 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. März 1986 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Insbesondere sei zu bedenken, daß bei anderer Auffassung zur Durchsetzung des Regresses unter erheblichem Kostenaufwand unter Umständen zwei Prozesse zu führen seien. Zudem sei in einem solchen Sozialgerichtsverfahren nicht abzusehen, ob der Schuldner nicht doch in Zukunft zumindest einen Teil der Forderung werde erfüllen können. Schließlich liege beim Kläger eine "besondere Härte" iS des § 76 Abs 2 SGB IV nicht vor.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist insofern begründet, als das Urteil des LSG aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen ist (§ 170 Abs 2 SGG).
Die Klage ist zulässig. Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist gegeben (§ 51 SGG). Ob eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich oder bürgerlich-rechtlich ist, richtet sich, wenn - wie hier - eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (GmS OGB SozR 1500 § 51 Nrn 2 und 47, BSG SozR 1500 § 51 Nr 49). Das Revisionsgericht prüft die Voraussetzungen selbständig und ohne Bindung an die Auffassung des Berufungsgerichts (vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 187m).
Die Prüfung, ob das dem Klageanspruch zugrundeliegende Rechtsverhältnis öffentlich-rechtlicher Natur ist, kann im zu entscheidenden Fall nicht deshalb unterbleiben, weil die Beklagte einen Verwaltungsakt (Widerspruchsbescheid vom 21. März 1986) erlassen hat. Zwar betrifft eine Klage, mit der die Aufhebung eines Verwaltungsakts begehrt wird, insoweit immer eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, als die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts zu überprüfen ist. Selbst dann, wenn ein Sozialversicherungsträger hoheitlich regelnd in ein Privatrechtsverhältnis eingreift, liegt ein Verwaltungsakt vor, über dessen Rechtmäßigkeit die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit als die gemäß § 51 SGG zuständigen Gerichte zu entscheiden haben (vgl BSGE 15, 14, 15; 24, 190, 191; 25, 268, 269; 40, 96, 97; BSG SozR Nr 61 zu § 51 SGG, SozR 1500 § 51 Nr 49; Brackmann aaO S 187n mwN). Die Entscheidung hat sich jedoch in diesen Fällen auf die Aufhebung des rechtswidrigen Verwaltungsakts zu beschränken, und der Rechtsstreit ist ggf - wenn ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch im Streit ist - auf Antrag an das zuständige Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu verweisen (§ 52 SGG; vgl BSG SozR 1500 § 51 Nr 49; Brackmann aaO S 187n I). Mit dem Widerspruchsbescheid vom 21. März 1986 hat die Beklagte indes nicht ein zwischen ihr und dem Kläger bestehendes Privatrechtsverhältnis geregelt, sondern im Gegenteil den Widerspruch als unzulässig zurückgewiesen, weil nach ihrer Auffassung für den Erlaß der Schadensersatzforderung ausschließlich bürgerliches Recht maßgebend ist und die Entscheidung über einen Forderungserlaß keine hoheitliche Maßnahme (vgl § 31 SGB X) bedeute. Die Rechtmäßigkeit des Bescheides entscheidet sich deshalb zunächst danach, ob das Rechtsverhältnis, aus dem der Kläger seinen Klageanspruch herleitet, öffentlich-rechtlicher oder bürgerlich-rechtlicher Natur ist.
Nach dem allein maßgebenden tatsächlichen Vorbringen des Klägers (GmS-OGB SozR 1500 § 51 Nr 47 mwN) begehrt er von der Beklagten den Erlaß der gegen ihn gerichteten Schadensersatzforderung, soweit diese kraft Gesetzes (§ 116 Abs 1 SGB X) vom verletzten Versicherten auf die Beklagte übergegangen ist. Für die Annahme einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit ist nicht ausreichend, daß sich der Kläger auf eine dem öffentlichen Recht zugehörige Rechtsnorm (§ 76 Abs 2 SGB IV) als Anspruchsgrundlage beruft (vgl GmS-OGB aaO, Brackmann aaO S 187m II). Vielmehr kommt es regelmäßig darauf an, ob die Beteiligten zueinander in einem hoheitlichen Verhältnis der Über- und Unterordnung stehen und sich der Träger hoheitlicher Gewalt der besonderen Rechtssätze des öffentlichen Rechts bedient (GmS-OGB SozR 1500 § 51 Nr 39). Doch ist von einem Gleichordnungsverhältnis nicht ohne weiteres auf eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit zu schließen, denn auch dem öffentlichen Recht ist eine gleichgeordnete Beziehung zwischen Berechtigtem und Verpflichtetem nicht fremd (GmS-OGB aaO). Zu prüfen ist dann, durch welche Rechtssätze der Sachverhalt entscheidend geprägt wird und welche Rechtssätze für die Beurteilung des Klageanspruchs in Anspruch genommen werden können (BGHZ 49, 282, 285; BGH NJW 1985, 2756). Von einem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis ist auszugehen, wenn ein Träger öffentlicher Gewalt aufgrund eines nur ihm eingeräumten oder auferlegten Sonderrechts handelt. Hierzu gehören Rechtssätze, wenn und soweit sie einen Träger öffentlicher Gewalt als solchen berechtigen oder verpflichten (Brackmann aaO S 187m, 187m I mwN). Von Bedeutung ist schließlich der Gesichtspunkt, daß jeweils die Gerichte anzurufen sind und zu entscheiden haben, die durch besondere Sachnähe und Sachkunde dazu berufen sind (BGHZ 67, 81, 87; Brackmann aaO).
Kläger und Beklagte stehen mit Blick auf den Klageanspruch ebensowenig in einem Über- und Unterordnungsverhältnis zueinander wie der Kläger und der verletzte Versicherte. Dessen bürgerlich-rechtlicher Schadensersatzanspruch gegen den Kläger ging aufgrund der in § 116 Abs 1 SGB X angeordneten Legalzession auf die Beklagte über. Mit dem Übergang des Anspruchs änderte sich nicht seine Rechtsnatur (Brackmann aaO S 187u, 187u I). Auch als Regreßanspruch der Beklagten bleibt der Anspruch aus unerlaubter Handlung (§ 823 BGB, § 7 Straßenverkehrsgesetz - StVG -) ein bürgerlich-rechtlicher Schadensersatzanspruch, für dessen Durchsetzung der Rechtsweg zu den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit eröffnet ist (§ 13 Gerichtsverfassungsgesetz - GVG -). Dieser Schadensersatzanspruch ist jedoch nicht Gegenstand des anhängigen Rechtsstreits. Der Kläger greift die Forderung im sozialgerichtlichen Verfahren weder dem Grunde noch der Höhe nach an. Sein Klageanspruch ist auch nicht darauf gerichtet, die Vollstreckung aus dem von der Beklagten erwirkten Titel für unzulässig zu erklären (§ 767 Zivilprozeßordnung - ZPO -). Er wendet nicht ein, die Schadensersatzforderung sei durch Erlaßvertrag (§ 397 BGB) erloschen oder ihre Einziehung treuwidrig (§ 242 BGB). Vielmehr macht er einen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Entscheidung darüber geltend, ob der gegen ihn gerichtete bürgerlich-rechtliche Anspruch erlassen wird. Ob ein solcher öffentlich-rechtlicher Anspruch besteht, hängt im zu entscheidenden Fall allein von der Auslegung einer Rechtsnorm des öffentlichen Rechts (§ 76 Abs 2 Nr 3 SGB IV) ab. Streitig ist dabei, ob diese Vorschrift eine "außenrechtliche" Verpflichtung der Beklagten begründet, auf Antrag über eine Veränderung der Schadensersatzforderung zu entscheiden mit der Folge, daß diese Entscheidung sozialgerichtlich überprüfbar ist, oder ob § 76 Abs 2 Nr 3 SGB IV die öffentlich-rechtliche Befugnis zum Forderungserlaß nur "innenrechtlich", dh verwaltungsintern, regelt (so, jedoch speziell für das Verhältnis von § 59 Bundeshaushaltsordnung - BHO - zu § 227 Abgabenordnung - AO -, BVerwG Sammlung Buchholz 451.533 AFoG Nr 7) mit der Folge, daß ein Erlaß nur nach Maßgabe bürgerlich-rechtlicher Vorschriften begehrt werden könnte. Entgegen der Auffassung des LSG und im Ergebnis übereinstimmend mit der Rechtsmeinung des BGH (vgl BGHZ 88, 296, 301; NJW 1988, 1267) trifft ersteres zu.
Nicht entscheidend ist dabei, ob - wie das LSG mit Hinweis auf Nr 3.3 der Vorl VV zu § 59 BHO meint - der Erlaß möglicherweise durch Abschluß eines privatrechtlichen Vertrages (§ 397 BGB) durchgeführt werden kann oder ob der Erlaß selbst durch Verwaltungsakt zu regeln ist (so Schroeter in: SGB-SozVers- GesKomm § 76 SGB IV Anm 5). Denn daß ein angestrebter Vertrag dem bürgerlichen Recht angehört, schließt es nicht aus, daß sich aus öffentlichem Recht ein "Anspruch" auf den Abschluß eines solchen Vertrages ergeben kann (BSG SozR 1500 § 51 Nr 49).
§ 76 Abs 2 Nr 3 SGB IV gewährt dem einzelnen einen Anspruch auf Entscheidung über den Forderungserlaß (vgl auch Hauck/Haines, SGB IV, § 76 Rdnr 4; Meydam in GK SGB IV, § 76 Rdnr 4; Schroeter aaO § 76 SGB IV Anm 4; für § 76 Abs 2 Nr 1 SGB IV vgl BSG SozR 2100 § 76 Nr 1). Danach "darf" der Versicherungsträger Ansprüche, zu denen auch bürgerlich-rechtliche Ansprüche gehören (vgl Brandts/Wirth, Haushaltsrecht der Sozialversicherung, 210 § 76 Rdnr 4), "nur" erlassen, wenn die Einziehung nach Lage des einzelnen Falles für den Anspruchsgegner eine besondere Härte bedeuten würde. Gesetzessystematisch gehört § 76 SGB IV zu den Vorschriften des Haushalts- und Rechnungswesens der Sozialversicherungsträger. Die Entstehungsgeschichte ergibt (vgl die Begründung zum Regierungsentwurf eines SGB IV BT-Drucks 7/4122, S 37), daß mit dieser Vorschrift für die Träger der Sozialversicherung eine den §§ 19 Abs 1, 31 Abs 2 Haushaltsgrundsätzegesetz - HGrG -, § 59 Abs 1 BHO ähnliche haushaltsrechtliche Regelung geschaffen werden sollte. Hieraus ist nicht zu folgern, daß § 76 Abs 2 Nr 3 SGB IV den Sozialversicherungsträgern lediglich eine verwaltungsinterne, gerichtlich nicht überprüfbare Befugnis einräumt. Zum einen wird zu § 59 BHO vertreten, daß auch nach dieser Bestimmung ein subjektives öffentliches Recht auf fehlerfreie Verwaltungsentscheidung über die Veränderung von Forderungen besteht (vgl Patzig, Haushaltsrecht des Bundes und der Länder, C 59/5 und 9; Johannes, Recht im Amt 1980, S 71, 73). Zum anderen unterscheiden sich § 76 SGB IV und § 59 BHO im Wortlaut: Ein dem § 59 Abs 2 BHO vergleichbarer Einwilligungsvorbehalt und eine dem § 59 Abs 3 BHO entsprechende Subsidiaritätsklausel, durch die der Anwendungsbereich dieser Bestimmung wesentlich eingeengt wird (Patzig aaO C 59/4 Anm 2), fehlen in § 76 SGB IV.
Der vom LSG herangezogene Gesichtspunkt der Verfahrenswirtschaftlichkeit ist nicht geeignet, ein bestehendes subjektives öffentliches Recht auf eine fehlerfreie Verwaltungsentscheidung zu versagen. Zu verkennen ist nicht, daß es im Regreß des Sozialversicherungsträgers gegen den "deckungslosen" Kraftfahrzeugführer uU zu zwei Prozessen vor Gerichten unterschiedlicher Gerichtsbarkeit kommen kann (vgl im einzelnen Hüffner, Versicherungsrecht 1984, 197, 200). Dies folgt jedoch aus dem Gesetz und ist hinzunehmen. Im übrigen ist in Fällen wie dem zu entscheidenden ein Anspruch des Sozialversicherungsträgers gegen den "kranken" Haftpflichtversicherer künftig nicht mehr ausgeschlossen. Mit Wirkung vom 1. Juli 1988 wurde § 3 Nr 6 PflVG durch das Erste Gesetz zur Änderung des Pflichtversicherungsgesetzes (vom 22. März 1988 BGBl I S 358) geändert. Besitzt der ersatzpflichtige Versicherungsnehmer des Haftpflichtversicherers keine Fahrerlaubnis für das Fahrzeug, das er zum Unfallzeitpunkt geführt hat, kann der Versicherer, soweit er deshalb dem ersatzpflichtigen Versicherungsnehmer gegenüber von der Leistung frei ist, dem Geschädigten nicht mehr entgegenhalten, dieser könne Ersatz von einem anderen Schadensversicherer oder einem Sozialversicherer erlangen (anders noch die bis zum 1. Juli 1988 geltende sog Subsidiaritätsklausel des § 3 Nr 6 PflVG aF iVm § 158c Abs 4 VVG; BGHZ 88, 296, 298).
Die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen und damit einer Uneinheitlichkeit der Rechtsanwendung besteht ebenfalls nicht. Die Entscheidung im Rahmen des § 76 Abs 2 Nr 3 SGB IV, deren Kontrolle der Sozialgerichtsbarkeit auch aufgrund ihrer größeren Sachnähe obliegt, ist inhaltlich nicht identisch mit dem die übergegangene Forderung betreffenden Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB).
Das LSG hat - aufgrund seiner Rechtsauffassung folgerichtig - nicht geprüft, ob die Ablehnung des Forderungserlasses durch die Beklagte rechtmäßig ist. Das BSG kann dies nach den von der Rechtsauffassung des LSG geprägten tatsächlichen Feststellungen (§ 163 SGG) nicht entscheiden. Vielmehr muß das Berufungsgericht die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen noch treffen.
In der das Verfahren abschließenden Entscheidung wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen
BSGE, 133 |
NJW 1990, 342 |
JuS 1990, 590 |