Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuständigkeit der Versorgungsverwaltung für Entscheidung über Heilbehandlungsanspruch. Heilmittel. Arzneimittel. Lebensmittel. Ballaststoffe. Trinkwasser. Heilwasser. Zweck der Heilbehandlung. Verhältnis der Heilbehandlung nach dem BVG zur Krankenhilfe nach § 182 RVO
Leitsatz (amtlich)
Eine Maßnahme der gesunden Lebensführung ist nicht deshalb von der Versorgungsverwaltung zu finanzieren, weil sie das Einnehmen eines teueren und auf Dauer schädlichen Arzneimittels ersetzt.
Orientierungssatz
1. Will eine Krankenkasse eine bestimmte Leistung nicht "erbringen", hat die Versorgungsbehörde, die ebenfalls diese Leistung nicht zu der versorgungsrechtlichen Heilbehandlung rechnet, dies im Rahmen des "Durchführens" zu entscheiden (vgl BSG vom 9.7.1980 - 9 RV 72/78 = SozR 3100 § 18c Nr 14).
2. Fachinger, Teinacher oder Wernarzer Wasser sowie Weizenkleie, Leinsamen und ähnliche Ballaststoffe sind keine Heilmittel iS von § 10 Abs 1 BVG iVm § 11 Abs 1 S 1 Nr 3 BVG, für die die Versorgungsverwaltung die Kosten zu übernehmen hätte.
3. Zum Verhältnis der Heilbehandlung nach dem BVG zur Krankenhilfe nach § 182 RVO.
Normenkette
BVG § 10 Abs 1, § 11 Abs 1 S 1 Nr 3, § 11 Abs 1 S 1 Nr 2, § 18c Abs 1 S 1 Fassung: 1981-11-20, § 18c Abs 1 S 2, § 18c Abs 1 S 3, § 18c Abs 2; RVO § 182 Abs 1 Nr 1 Halbs 2 Buchst b
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 11.09.1986; Aktenzeichen L 5 V 248/81) |
SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 15.12.1980; Aktenzeichen S 12 V 794/80) |
Tatbestand
Der Kläger, der Versorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen der Folgen einer Querschnittslähmung, ua wegen Blasen- und Mastdarmlähmung bezieht, beantragte im Januar 1979 beim Versorgungsamt eine "Ausnahmegenehmigung" für die Belieferung mit verschiedenen Mitteln, die ihm die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) nicht mehr als Arzneimittel gewährte; ua begehrt er Fachinger, Wernarzer oder Teinacher oder ein ähnliches Wasser zur Vermeidung von Steinbildungen und Entzündungen im Bereich der Harnwege sowie Leinsamen und Weizenkleie als Ballaststoffe, um Darmverstopfungen zu verhindern. Von der Einnahme größerer Dosen eines Medikaments zum Abführen ist ihm ärztlich abgeraten worden. Der Antrag wurde abgelehnt (Bescheid vom 13. September 1979, Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 1980). Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten verurteilt, die Kosten für die Beschaffung von Fachinger, Teinacher oder Wernarzer Wasser sowie Weizenkleie, Leinsamen und ähnlichen Ballaststoffen zu übernehmen (Urteil vom 15. Dezember 1980). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung des Beklagten die Klage abgewiesen und auf die Berufung des Klägers die beigeladene AOK verurteilt, die Kosten für die Beschaffung von Ballaststoffen zu übernehmen (Urteil vom 11. September 1986). In den Gründen hat es die angefochtenen Verwaltungsakte für rechtswidrig erklärt, weil über die Heilbehandlungsmaßnahmen die AOK in eigener Zuständigkeit zu entscheiden habe. Diese habe die Ballaststoffe zum Vorbeugen gegen Verstopfungen als Mittel einer notwendigen, ausreichenden und zweckmäßigen Heilbehandlung zu gewähren; ein Ausschließungsgrund nach § 11 Abs 1 letzter Satz BVG iVm § 182f Reichsversicherungsordnung (RVO) liege beim Kläger nicht vor. Hingegen seien die begehrten Wässer objektiv keine Heilmittel; sie deckten nur den Flüssigkeitsbedarf bei der Gefahr von Entzündungen und Steinbildungen, wofür allein die Flüssigkeitsmenge entscheidend sei.
Der Kläger wendet sich mit seiner - vom LSG zugelassenen - Revision gegen die letztgenannte Entscheidung. Er rügt ein Überschreiten der Beweiswürdigungsgrenze; das Berufungsgericht habe die ärztlichen Beurteilungen, nach denen Heilwässer antibakteriell wirkten, nicht berücksichtigt. Eine weitere Sachaufklärung darüber hätte sich dem Gericht mangels eigener Sachkunde aufdrängen müssen. Außerdem habe das LSG zu Unrecht dem Beklagten die Entscheidungsbefugnis abgesprochen; diese folge aus der während des Rechtsstreits durch das 11. Anpassungsgesetz (AnpG)-KOV geschaffenen Neufassung des § 18c Abs 1 und 2 BVG. Entgegen der Ansicht des Vordergerichts sei das bezeichnete Brunnenwasser als Arzneimittel zu beurteilen. Andere Wirkungen als eine antibakterielle seien in diesem Zusammenhang unerheblich. Was das LSG zur Annahme einer Heilmitteleigenschaft der Ballaststoffe geführt habe, gelte auch für die genannten Wässer. Der Versorgungsträger müsse die begehrten Leistungen notfalls nach § 18c Abs 3 Satz 1 BVG oder wegen eines Härtefalls nach § 89 BVG erbringen.
Der Kläger beantragt
unter Änderung des Urteils des LSG den Beklagten, hilfsweise die beigeladene AOK zu verurteilen, auch die Kosten für die Beschaffung der fachärztlich verordneten Wässer zu übernehmen, und die Revisionen der anderen Beteiligten zurückzuweisen.
Der Beklagte und die beigeladene AOK beantragen
unter Änderung der Urteile der Vorinstanzen die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Sie wenden sich mit ihren Revisionen gegen die Verurteilung, Ballaststoffe als Heilmittel zu gewähren. Diätkost dieser Art gehöre nicht zur gesetzlichen Krankenhilfe und daher auch nicht zur Heilbehandlung als Teil der Versorgung nach dem BVG.
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung als Vertreter der beigeladenen Bundesrepublik tritt der Rechtsauffassung des Beklagten bei.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Dagegen sind die Revisionen des Beklagten und der beigeladenen AOK erfolgreich.
Dem Kläger steht die begehrte Versorgung durch Ballaststoffe und Heilwässer als Mittel der Heilbehandlung nicht zu. Die Versorgungsverwaltung hat deren Gewährung zu Recht abgelehnt.
Sie war entgegen der in der Urteilsbegründung vertretenen, der Entscheidungsformel über die Klageabweisung jedoch widersprechenden Ansicht des LSG für die angefochtene Entscheidung zuständig. Neuerdings hat sie nicht bloß - wie seit je (vgl Urteile des Senats in SozR 3100 § 10 Nr 8 und 3100 § 18c Nr 14; zustimmende Anmerkung von Bley, SGb 1982, 79 f) - über die Grundelemente des Versorgungsverhältnisses und bezüglich der Grundvoraussetzungen einer Heilbehandlung nach § 80 Satz 1 SVG (idF vom 18. Februar 1977 -BGBl I 337-, jetzt vom 5. März 1987 -BGBl I 842-) iVm § 9 Nr 1, § 10 Abs 1, § 11 BVG (idF vom 22. Juni 1976 - SozR 1633 -/27. Januar 1982 -BGBl I 21-) zu entscheiden, sondern im Streitfall auch über die Ablehnung einzelner Leistungen als solche der Heilbehandlung. Seit einer während des Berufungsverfahrens am 1. Januar 1982 in Kraft getretenen Neuregelung hat die Versorgungsverwaltung die gesamte Heilbehandlung "durchzuführen" (§ 18c Abs 1 Satz 1 BVG idF des Art 1 Nr 8 des 11. AnpG-KOV vom 20. November 1981 -BGBl I 1199-), während sie bloß einen Teil der Leistung selbst zu "erbringen" hat (§ 18c Abs 1 Satz 2 BVG), die übrigen, zu denen die hier umstrittenen gehören, dagegen die zuständige gesetzliche Krankenkasse für die Versorgungsverwaltung (§ 18c Abs 1 Satz 3 und Abs 2 BVG). Wenn eine Krankenkasse - wie hier - eine bestimmte Leistung nicht "erbringen" will, hat die Versorgungsbehörde, die ebenfalls diese Leistung nicht zu der versorgungsrechtlichen Heilbehandlung rechnet, dies im Rahmen des "Durchführens" zu entscheiden (BSG SozR 3100 § 18c Nr 14). Dies alles gilt ua bezüglich der Heilbehandlung für "Zugeteilte" wie den Kläger (§ 18c Abs 2 Satz 1 letzter Fall, § 20 BVG). Abgesehen davon, daß die Klage nicht allein wegen der früheren Unzuständigkeit der tätig gewordenen Versorgungsbehörden abzuweisen war (BSG SozR 3100 § 18c Nr 14; BSGE 42, 268, 271 = SozR 2200 § 368n Nr 9), ist die neue Zuständigkeitsregelung in diesem Rechtsstreit bei der endgültigen Entscheidung zu beachten; denn nachdem die neue Vorschrift in Kraft getreten war (Art 3 des 11. AnpG-KOV), hätte die Versorgungsverwaltung des beklagten Versorgungsträgers aufgrund dessen einen Ablehnungsbescheid erlassen können, der Gegenstand dieses Prozesses geworden wäre (§ 153 Abs 1, § 96 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Die Versorgungsbehörde war für die Ablehnung einer nach § 18c Abs 3 Satz 1 BVG in ihr Ermessen gestellten Übernahme dieser Heilbehandlung ohnedies zuständig.
Das LSG hat die beigeladene AOK zu Unrecht verurteilt, die Kosten für die Beschaffung von Ballaststoffen - Leinsamen und Weizenkleie - zu übernehmen. Die Versorgungsverwaltung hat diese Leistung zutreffend abgelehnt. Die Krankenkasse hat sie nicht im Rahmen der Auftragsverwaltung für den Versorgungsträger zu erbringen. Ob sie wegen einer besonderen Härte nach § 89 BVG als Ermessensleistung in Betracht kommt, ist in diesem Rechtsstreit nicht zu entscheiden; der Beklagte will darüber noch einen Bescheid erteilen.
Der Kläger kann nicht aus einer früheren Gewährung der begehrten Leistungen einen Rechtsanspruch auf erneute Zuerkennung herleiten. Über solche Heilbehandlungsmaßnahmen ist jeweils von Fall zu Fall zu entscheiden. Ein Vertrauensschutz besteht nicht in gleicher Weise, wie er durch einen Verwaltungsakt über eine Dauerleistung begründet wird (vgl §§ 45 und 48 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren -).
Die genannten Ballaststoffe kommen nicht als Heilmittel im Rahmen der Heilbehandlung nach § 10 Abs 1 Satz 1 iVm § 11 Abs 1 Satz 1 Nr 3 BVG in Betracht, weil sie nicht von außen auf den Körper einwirken (st Rspr, vgl Wilke/Fehl, Soziales Entschädigungsrecht, 6. Aufl 1987, § 11 Rz 18; für die Krankenversicherung: BSGE 46, 179, 182 = SozR 2200 § 182 Nr 32 = USK 7850 mwN).
Der Kläger kann sie auch nicht als Arzneimittel gemäß § 11 Abs 1 Satz 1 Nr 2 BVG beanspruchen. Sie dienen mindestens überwiegend der Ernährung, sind nach allgemeinem Sprachgebrauch in der Rechtssprache als Lebensmittel gemäß § 1 Abs 1 Lebensmittel- und Bedarfsgegenstände-Gesetz -LMBG- (idF vom 15. August 1974 -BGBl I 1945, 1946-) zu werten und können deshalb nach § 2 Abs 3 Nr 1 Arzneimittelgesetz -AMG- idF vom 24. August 1976 -BGBl I 2445-/24. Februar 1983 -BGBl I 169-) keine Arzneimittel iS des § 2 Abs 1 AMG sein (BGH, NJW 1976, 1154; Kloesel/Zyran, Arzneimittelrecht, 3. Aufl, Stand: Januar 1988, § 2 Anm 30, 31a, 31b, 31e, 32j; für das Sozialrecht: BSGE 28, 158, 161 f = SozR Nr 30 zu § 182 RVO; BSGE 46, 179, 182 ff; für das Beamten-Beihilferecht: OVG Nordrhein-Westfalen, Zeitschrift für Beamtenrecht 1985, 207; VGH Baden-Württemberg, Zeitschrift für Beamtenrecht 1985, 255). Nach § 1 Abs 1 LMBG sind Lebensmittel solche Stoffe, die dazu bestimmt sind, von Menschen verzehrt zu werden; ausgenommen sind solche, die überwiegend dazu bestimmt sind, zu anderen Zwecken als zur Ernährung und zum Genuß verzehrt zu werden. Diese rechtliche Zuordnung hat auch das LSG aufgrund von allgemeinen Tatsachenfeststellungen, auf die verwiesen wird, vorgenommen.
Nicht zu folgen ist seiner Rechtsauffassung, die Ballaststoffe seien gleichwohl nach § 182 Abs 1 Nr 1 Halbsatz 2 Buchstabe b RVO als nicht ausdrücklich im Gesetz genannte Krankenpflegeleistung zu gewähren, weil die zusätzliche Aufnahme solcher Ballaststoffe zur Vermeidung von schädigungsbedingten Verstopfungen nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen den Patienten davon befreie, Medikamente einzunehmen, die nach neuerdings bekanntgewordenen Einsichten schädliche Nebenwirkungen hätten (vgl Langbein ua, Bittere Pillen, Nutzen und Risiken von Arzneimitteln, 1983, 563 f). Lebensmittel verlieren ihre Eigenschaft, die durch die zuvor bezeichnete Zweckbestimmung festgelegt ist, und damit ihre Rechtsnatur nicht dadurch, daß jemand sie aufgrund gesundheitsbewußter Auswahl verzehrt, um Gesundheitsstörungen, die ihm infolge einer Körperschwäche drohen, zu verhindern und speziell die Anwendung von möglicherweise schädlich wirkenden Arzneimitteln zu vermeiden. Diätetische Lebensmittel dienen gerade einem solchen Ernährungszweck wegen Erfordernissen, die durch Krankheiten, Mangelerscheinungen oder Funktionsanomalien bedingt werden (§ 1 Abs 1 und 2 Nr 1, § 2, § 3 Abs 2 Nr 2 bis 4 Diätverordnung vom 24.Oktober 1975 -BGBl I 2687-/2. September 1981 -BGBl I 906-/21. Januar 1982 -BGBl I 71-). Entsprechend dieser Unterscheidung von Lebens- und Arzneimitteln wird im Sozialhilferecht ein erhöhter Bedarf für die allgemeine Lebenshaltung, der für Kranke und von Krankheit bedrohte Personen durch eine kostenaufwendigere Ernährung bedingt ist, durch einen Mehrbedarfszuschlag zur Hilfe für den Lebensunterhalt abgedeckt (§§ 21, 23 Abs 4 Nr 2 Bundessozialhilfegesetz -BSHG- vom 30. Juni 1961 -BGBl I 815-/24. Mai 1983 -BGBl I 613-); dies rechnet nicht zur Krankenhilfe (§ 27 Abs 1 Nr 4, § 37 BSHG; BVerwG Buchholz 427.3 § 276 LAG Nr 15). Versorgungsrechtliche Heilbehandlung dient nur als medizinische Maßnahme; sie umfaßt aber nicht sonstige Hilfen zur Lebensführung (BSG SozR 3100 § 11 Nr 13; 3100 § 18c Nr 17). Auch im Krankenversicherungsrecht sind grundsätzlich nicht die als Krankenkost geeigneten Lebensmittel zu gewähren (BSG SozR 2200 § 182 Nr 88; BSGE 46, 183; BSG USK 8324; für Kleidung im Rahmen der Eigenverantwortung: BSGE 42, 229, 230f = SozR 2200 § 182b Nr 2).
Maßnahmen wie das Essen von Ballaststoffen gehören zur verantwortungsbewußten Ernährung. Sie sind auch dann nicht als Mittel der Heilbehandlung nach dem BVG zu übernehmen, wenn sie das Einnehmen teurer Medikamente vermeiden. In diesem Fall braucht nicht entschieden zu werden, ob die Verwaltung die Gewährung von Arzneimitteln ablehnen kann, weil ein Beschädigter durch eine gesunde, selbstverantwortliche und die Belastungen der Gemeinschaft berücksichtigende Lebensführung denselben gesundheitlichen Erfolg wie durch Arznei erreichen könnte.
Aber auch dann, wenn § 182 Abs 1 Nr 1 Halbsatz 2 Buchstabe b RVO mit der Regelung, daß "insbesondere" Arzneimittel zu den Krankenpflegekosten gerechnet werden, für andere als die ausdrücklich aufgeführten Leistungsarten offen ist (BSG USK 79213), gilt dies nicht für die Versorgung nach dem BVG. Die entsprechende Bestimmung des § 11 Abs 1 Satz 1 BVG legt die Leistungsarten erschöpfend fest (Wilke/Fehl, aaO, § 11 Rz 1). Nach § 11 Abs 1 Satz 5 BVG decken sich aber "Art und Umfang der Heilbehandlung nach diesem Gesetz" (BVG) mit den krankenversicherungsrechtlich gebotenen Leistungen nur, "soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt". Damit ist im Versorgungsrecht insbesondere kein Raum für die Gewährung von Lebensmitteln, die Medikamente ersetzen (zum umgekehrten Verhältnis der beiden Rechtsgebiete: BSGE 54, 140, 144 = SozR 3100 § 13 Nr 6).
Das gilt auch für den Fall, daß die Beschaffung von Leinsamen und Weizenkleie den Kläger unzumutbar finanziell belasten sollte, was die AOK allerdings substantiiert bestreitet. Dieser besondere Umstand mag in der Krankenversicherung ausnahmsweise einen Leistungsanspruch begründen (BSG 23. März 1988 - 3/8 RK 11/85 -). Solche Mehraufwendungen werden aber, falls sie Kriegs- und Wehrdienstopfern schädigungsbedingt erwachsen, durch die Grundrente abgedeckt, die gerade ua einem solchen Zweck dient (Urteile des Senats vom 27. Oktober 1982 - 9a RV 14/82 - und vom 8. Oktober 1987 - 9a RVi 5/85 -). Etwas anderes gilt für versorgungsrechtliche Sonderleistungen kraft ausdrücklicher Regelungen (§ 15 BVG, § 1 Satz 1 Nr 6 und 19, § 2 Satz 1 Nr 9, § 10 Durchführungsverordnung zu § 11 Abs 3, § 13 BVG). Beschädigte, denen infolge von Kapitalabfindung die Rente nicht mehr laufend zur Verfügung steht, haben auf viele Jahre im voraus einen entsprechenden wirtschaftlichen Gegenwert erhalten (§ 72 ff BVG). Falls unzumutbare, durch die Grundrente nicht gedeckte Mehraufwendungen entstehen, können diese nach § 89 BVG wegen einer besonderen Härte übernommen werden.
Entgegen der Ansicht des Klägers hat das LSG zutreffend die Klage abgewiesen, soweit das SG den Beklagten verurteilt hatte, die Kosten für die Beschaffung von Fachinger, Teinacher und Wernarzer Wasser zu übernehmen. Handelsübliche Wässer dieser Art sind keine Arzneimittel, soweit sie zum Löschen des Durstes oder auch - wie im Fall des Klägers - zum Decken eines notwendigen, aber außergewöhnlichen Flüssigkeitsbedarfs getrunken werden sollen (SG Gießen, Leistungen 1980, 151; Stamm, aaO, 154). Ob diese Trinkwässer stets zu den diätetischen Lebensmitteln gehören oder ob Heilwässer zu den Arzneimitteln, auch sozialrechtlich, rechnen, kann dahingestellt bleiben. Der Kläger muß zum Vorbeugen gegen Steinbildungen und gegen bakterielle Entzündungen die Harnwege mit großen Flüssigkeitsmengen durchspülen. Die gleiche gesundheitsfördernde Wirkung könnte er durch das Trinken anderer Flüssigkeiten erreichen. Dies gehört jedenfalls zum Verzehren von Lebensmitteln zu Ernährungszwecken, was auch das Aufnehmen von Flüssigkeit umfaßt (§ 7 Abs 1 LMBG). Das LSG hat aufgrund von ärztlichen Beurteilungen die Arzneimitteleigenschaft der vom Kläger begehrten Heilwässer verneint. Das ist zutreffend nach dem objektiven und überwiegenden Verwendungszweck (BGH, NJW 1976, 1154; Kloesel/Zyran, aaO; §2 Anm 4, 31a, 31e; Rspr in Anm 4, 4a und 9; Peters/Mengert, Handbuch der Krankenversicherung, II/1, 18. Aufl 1985, Stand 1987, § 182, Anm 4b; allerdings undifferenziert bejaht für "Brunnenkuren"; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 10. Aufl 1987, II, 386g I).
Die Verfahrensrüge, die der Kläger gegen die tatsächlichen Feststellungen über die Wirkung und die Zweckbestimmung der Wässer erhoben hat, greift nicht durch.
Entgegen der Behauptung des Klägers hat das LSG nicht ausschließlich auf die Flüssigkeitsmenge abgestellt, sondern ergänzend eine besondere elektrolytische Wirkung bestimmter Wässer berücksichtigt, die einer Steinbildung entgegenwirken, und auch die von Dr. I. behauptete antibakterielle und ansäuernde Wirkung, die einer Harnwegsinfektion vorbeugt, beachtet. Daß das Gericht der Auswertung dieser ärztlichen Äußerungen durch den Kläger nicht gefolgt ist, kann keine Verletzung des Beweiswürdigungsrechts gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG darstellen. Ungeachtet dessen hat das LSG den genannten Wässern deshalb nicht die Eigenschaft eines Arzneimittels zuerkannt, weil sie objektiv jedenfalls nicht überwiegend zu Heil- und Linderungszwecken verwendet werden und für solche Zwecke nicht bestimmt sind. Der Kläger rügt mit seiner Revision nicht, daß sich aus bestimmten Beweismitteln, deren Ausschöpfung sich dem Berufungsgericht hätte aufdrängen müssen, eine medizinische Wirkung von Heilwässern zwingend ergebe. Er beanstandet im folgenden gerade die vorbezeichnete Rechtsauffassung des LSG über Anforderungen an Arzneimittel. Das ist aber im Rahmen der Verfahrensrüge unbeachtlich. Den Erfahrungssatz, daß bestimmte Arten von handelsmäßig als "Heilwässer" vertriebenen Getränken wegen ihrer Zusammensetzung Steinbildung verhindern und antibakteriell wirken, hat das Berufungsgericht beachtet. Es hat lediglich aus Rechtsgründen diese Wirkung als untergeordnet und nicht rechtserheblich gewertet. Das entspricht allgemeiner Erfahrung, wie sie sich aus dem medizinischen Schrifttum ergibt. Harnsteinbildungen kann ua durch große Flüssigkeitszufuhr vorgebeugt werden; entscheidend ist die Spül- und Auswaschwirkung; die Auswahl kann im allgemeinen dem Patienten überlassen bleiben (Terhorst in: Hautmann/Lutzeyer -Hg-, Harnsteinfibel, 2. Aufl 1986, 183, 186 f Vahlensiek, aaO, 188 f; Merrit/Opitz/Stöhrer in: Stöhrer ua -Hg-, Blasenlähmung, 1984, 128 f, 131). Allerdings ist je nach der Zusammensetzung der Steine alkalisierendes Wasser (zB Fachinger) oder ansäuerndes (zB Wernarzer-Quelle) vorzuziehen (Terhorst, aaO 187). Aber das ist nur zusätzlich zu beachten, um schädigende Wirkungen zu vermeiden. Die Ansäuerung des Urins, die Auftreten und Wachstum von Bakterien entgegenwirkt (Merrit ua, aaO, 132 f) und damit einem Steinbildungen begünstigenden Faktor (Terhorst, aaO, 184), kann auch mit geeigneter Kost gefördert werden (Terhorst, aaO, 186; Merrit ua, aaO, 132 f). Saurer Harn ist zudem weniger wichtig zum Vermeiden von Harnwegsinfektionen als mechanische Faktoren, vor allem als das Ausschwemmen von Bakterien und ausreichende Häufigkeit der Blasenentleerung (Merrit ua, aaO, 133 f). Diese allgemeine Erfahrung, von der das LSG ausgegangen ist und ausgehen durfte, mußten ihm keine weitere Sachaufklärung (§ 103 SGG) aufdrängen.
Allerdings gelten nach einer Übergangsvorschrift zum Arzneimittelgesetz in der neuesten Fassung (Art 3 § 7 Abs 1) die Arzneimittel, die bereits zugelassen sind, besonders die geringen, die als Fertigarzneimittel im Verkehr sind, weiterhin als zugelassene Heilwässer, auf die die Mineral- und Tafelwasserverordnung (vom 1. August 1984 -BGBl I 1036-) nicht anzuwenden ist (§ 1 Satz 2 der Verordnung), und damit als Arzneimittel (zur allgemeinen Abgrenzung von Mineral- und Heilwässern: Zipfel, Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht 1987, 100 ff; aA Schroeter, aaO, 521 ff). Dies hat indes nicht zur Folge, daß der Kläger sie als Arzneimittel gemäß § 11 Abs 1 Satz 1 Nr 2 BVG beanspruchen könnte (Hessisches LSG, MesoB 180/17).
Zum Arzneimittelbegriff iS des AMG, der zum Bereich der Gesundheitspolizei und -vorsorge rechnet (BVerwGE 58, 167, 174; Denninger, Arzneimittel-Richtlinien und Verschreibungsfähigkeit, 1981, 9, 18 ff), gehört ua eine Verhütungsfunktion. Versorgungsrechtliche Heilbehandlung ist jedoch nur wegen bereits bestehender Gesundheitsstörungen, die Schädigungsfolgen sind, zu gewähren. Vorbeugende Maßnahmen gehören nicht dazu; sie mögen im Rahmen der Kriegsopferfürsorge zu gewähren sein (§§ 25, 25b Abs 1 Satz 1 Nr 6, § 27d Abs 1 Nr 2 und Abs 3 BVG iVm § 36 BSHG; zu dieser Abgrenzung im Krankenversicherungsrecht: BSGE 35, 10, 12 f = SozR Nr 52 zu § 182 RVO; BSGE 35, 105 f = SozR Nr 55 zu § 182 RVO; BSGE 45, 211, 216 ff, 219 f = SozR Nr 56 zu § 182 Nr 29; SozR Nr 56 zu § 182 RVO). Sowohl Harnwegsinfektionen als Steinbildungen bestehen beim Kläger noch nicht.
Selbst wenn solche noch abzuwehrende Gesundheitsstörungen im Falle ihres Auftretens als unselbständige Folgeerkrankungen der bereits als Schädigungsfolge anerkannten Blasenlähmung zu werten und deshalb gegen sie gerichtete Maßnahmen als solche zum Verhindern einer Verschlimmerung der Schädigungsfolgen nach § 10 Abs 1 Satz 1 BVG anzusehen wären, fehlte eine unerläßliche Voraussetzung für einen Anspruch auf eine solche Leistung; insoweit bestünde keine Behandlungsbedürftigkeit. Das Trinken der genannten Wässer, die als Heilwässer gelten, müßte nicht um einer notwendigen und zweckmäßigen Heilbehandlung willen, die durch Arzneimittel zu gewähren wäre, ärztlich angeordnet werden (§ 11 Abs 1 letzter Satz BVG iVm § 182 Abs 2 RVO). Insoweit gilt, was zuvor über die Ballaststoffe als Teile einer diätetisch gezielten Lebensmittelversorgung ausgeführt worden ist (zur Krankenversicherung: BSGE 30, 151, 153 = SozR Nr 37 zu § 182 RVO; BSGE 35, 12).
Der Senat weicht mit dieser Beurteilung der Heilwässer nicht von seinem vom Kläger zitierten Urteil vom 16. Juli 1968 (BSGE 28, 158 = SozR Nr 30 zu § 182 RVO) ab. Soweit er darin etwas über Brunnenkuren vermerkt hat (BSGE 28, 161), handelt es sich nicht um einen die Entscheidung tragenden Rechtssatz.
Damit kann für diesen Fall dahingestellt bleiben, ob die nach § 368p Abs 1 RVO (idF des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes vom 27. Juni 1977 -BGBl I 1069-; vgl dazu BSGE 38, 35 = SozR § 368p Nr 1) für die Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Versorgung erlassenen Richtlinien, die das Verordnen von Heilwässern nicht zulassen (LSG Baden-Württemberg vom 31. März 1982 - L 1 Ka 306/81 -) auch Art und Umfang der versorgungsrechtlichen Heilbehandlung bestimmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1658087 |
BSGE, 1 |
NJW 1989, 1565 |