Leitsatz (amtlich)
1. Durch den "Hausfrauen-Berufsschadensausgleich" wird der Anspruch auf Hilfsgeräte des täglichen Lebens und für die Haushaltsführung ebensowenig abgegolten wie durch den Ausgleich des Schadens in einem Erwerbsberuf.
2. Der Schaden, der mit dem "Hausfrauen-Berufsschadensausgleich" ausgeglichen werden soll, besteht in der schädigungsbedingten Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit im Beruf der Hausfrau, nicht nur in den schädigungsbedingten Mehraufwendungen (Aufgabe von BSG vom 27.1.1982 9a/9 RV 27/81 und vom 25.6.1986 9a RV 19/84 = SozR 3614 § 1 Nr 4 und 6; BSG vom 24.8.1982 - 9a/9 RV 48/81 = USK 82199).
Normenkette
BVG § 11 Abs 3 § 13 DV § 1 S. 1 Nr. 18, § 11 Abs 3 § 13 DV § 4 Abs. 12 S. 1, § 13 Abs. 1, § 30 Abs. 7
Verfahrensgang
SG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 22.01.1987; Aktenzeichen S 19 V 175/80) |
Tatbestand
Die Klägerin, die als Blinde Beschädigtenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) bezieht, beantragte im Januar 1979 als Hilfsmittel der orthopädischen Versorgung jeweils in blindengerechter Ausführung ein Bügeleisen, einen Kurzzeitwecker, ein Bandmaß und ein Fieberthermometer sowie zehn Meter Kunststoffstreifen zur Beschriftung in Blindenschrift mit einem dazu gehörenden Gerät. Nachdem der Antrag abgelehnt worden war (Bescheid vom 6. Mai 1980), hat die Klägerin ihre Klage auf die Gewährung blindengerechter Hilfsgeräte und Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens gerichtet und auf die Zeit ab 1. Juli 1983 beschränkt. Seit diesem Zeitpunkt bezog sie neun Monate lang einen Berufsschadensausgleich entsprechend dem Vergleichseinkommen einer Krankenschwester. Seit der Vollendung des 65. Lebensjahres (März 1984) wird der günstigere Berufsschadensausgleich nach dem Beruf einer Hausfrau bemessen. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 22. Januar 1987). Das Gericht hält einen Anspruch auf die verlangten Hilfsmittel, die, abgesehen vom Schriftmaterial, langlebiger Art seien, nicht allein für die Zeit, in der der Berufsschadensausgleich nach dem Vergleichseinkommen einer Krankenschwester bemessen wurde, für gerechtfertigt. Da diese Leistung schon nach neun Monaten wieder gemäß der Haushaltsführung bemessen worden sei, was nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) die Gewährung der genannten Hilfsmittel ausschließe, könnten die Geräte auch nicht für die vorhergehende Zeit begehrt werden.
Die Klägerin beanstandet mit ihrer - vom SG zugelassenen - Sprungrevision die angefochtene Entscheidung als dem Urteil des BSG vom 25. Juni 1986 - 9a RV 19/84 - widersprechend. Der Anspruch auf Hilfsmittel hätte unmittelbar ab 1. Juli 1983 erfüllt werden müssen, als ihm ein Berufsschadensausgleich für eine Hausfrau nicht entgegengestanden habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG und den Bescheid des Beklagten aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr ab 1. Juli 1983 blindengerechte Hilfsgeräte und Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er äußert weiterreichende Bedenken gegen die zitierte Rechtsprechung des BSG und zweifelt an, daß ab 1. Juli 1983 die einzelnen Voraussetzungen für die begehrten Hilfsmittel der Klägerin erfüllt gewesen seien.
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung betont die Voraussehbarkeit der Bemessung des Berufsschadensausgleichs für eine Hausfrau ab 1. Juli 1984.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin hat insoweit Erfolg, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das SG zur neuen Entscheidung zurückzuverweisen ist.
Für die Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch fehlen ausreichende Tatsachenfeststellungen, die das SG von seinem Rechtsstandpunkt nicht zu treffen brauchte. Die Klägerin kann allerdings nicht allgemein blindengerechte Hilfsgeräte für Behinderte und Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens als Hilfsmittel im Rahmen der orthopädischen Versorgung für die Zeit ab 1. Juli 1983 verlangen (§ 9 Nr 1, § 10 Abs 1 Satz 1, § 11 Abs 1 Satz 1 Nr 8, § 13 Abs 1 und 2, § 24a Buchstaben a und b BVG idF vom 22. Januar 1982 -BGBl I 21-/20. Dezember 1982 -BGBl I 1857-; § 1 Satz 1 Nr 18, § 4 Abs 12 der Verordnung zur Durchführung des § 11 Abs 3 und des § 13 BVG -DV- vom 23. Juli 1976 -BGBl I 2422-; BSGE 54, 140, 141 f = SozR 3100 § 13 Nr 6; 3100 § 13 Nr 1 S 3 f; vgl dazu Neumann, Versorgungsbeamter 1987, 113 ff; Wilke/Fehl, Soziales Entschädigungsrecht, 6. Aufl 1987, § 13 BVG Rz 29 S 247, 249 f). Vielmehr müßte sie, wie anfangs im Verfahren, bestimmte Gegenstände benennen, für die gesondert die Anspruchsvoraussetzungen nach § 4 Abs 12 DV im einzelnen ab 1. Juli 1983 zu prüfen sind. Eine vorbeugende Feststellungsklage (§ 55 Abs 1 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz; BSGE 25, 243, 244 f; SozR 2200 § 381 Nr 24) neben der Anfechtungsklage (BSG SozR 3850 § 51 Nr 3) und der Leistungsklage dürfte sich erübrigen, nachdem nun rechtskräftig entschieden ist, daß die begehrte orthopädische Leistung nicht durch den Berufsschadensausgleich ausgeschlossen wird.
Entgegen der Rechtsansicht des SG, das sich auf die bisherige Rechtsprechung des Senats gestützt hat, steht der begehrten Leistung nicht der ab April 1984 gemäß § 30 Abs 7 BVG (idF des Art 25 Nr 14 Buchstabe b Haushaltsbegleitgesetz 1983 vom 20. Dezember 1982 -BGBl I 1857-) nach der Hausfrauentätigkeit bemessene Berufsschadensausgleich für die Zukunft und infolgedessen auch nicht für die vorhergehenden neun Monate entgegen, in denen die Klägerin einen Berufsschadensausgleich nach dem Vergleichseinkommen einer Krankenschwester erhielt. An der Judikatur, nach der die den Hausfrauen-Berufsschadensausgleich bestimmenden Mehraufwendungen die begehrten Geräte umfassen und deshalb ein solcher Berufsschadensausgleich die Gewährung der Hilfsmittel ausschließt (SozR 3614 § 1 Nrn 4 und 6; Urteil vom 24. August 1982 - 9/9a RV 48/81 = USK 82199), hält der Senat nach erneuter Überprüfung nicht mehr fest.
Für die Beschädigte, die als "Hausfrau" einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehemann oder sonstigen Familienangehörigen führt oder ohne die Schädigung zu führen hätte (§ 30 Abs 7 BVG; dazu BSGE 30, 48 = SozR Nr 40 zu § 30 BVG), gelten als Einkommensverlust, der den Berufsschadensausgleich begründet und bestimmt (§ 30 Abs 3 BVG), die durch die Schädigungsfolgen notwendigen "Mehraufwendungen" (§ 30 Abs 7 Satz 1 Halbsatz 1 BVG). Es ist schon in tatsächlicher Hinsicht fraglich, ob diese "Mehraufwendungen" durch die Benutzung der von der Klägerin begehrten Gegenstände des täglichen Lebens (§ 1 Satz 1 Nr 18 DV) gemindert werden. Jedenfalls ist aber eine Anrechnung auf den Berufsschadensausgleich aus Rechtsgründen nicht zulässig. Allgemein werden im sozialen Entschädigungsrecht die Leistungen nicht durch andere ausgeschlossen, es sei denn, daß dies ausdrücklich vorgeschrieben oder zwingend wegen eines gemeinsamen, sich deckenden Zweckes geboten ist. An solchen Ausnahmen fehlt es in diesem Fall.
Die begehrten Hilfsmittel, deren Gewährung zur Heilbehandlung (§ 9 Nr 1, § 10 Abs 1 Satz 1 BVG) gehört (§ 11 Abs 1 Satz 1 Nr 8, § 13 Abs 1 BVG), sind eine andersartige Versorgungsleistung als der Berufsschadensausgleich, der ein Teil der Beschädigtenrente ist (§ 9 Nr 3, § 30 Abs 3 ff BVG). Jene Hilfsmittelleistungen beruhen auf anderen Voraussetzungen, dienen einem anderen Zweck und können daher unabhängig vom Berufsschadensausgleich beansprucht werden. Wie allgemein die Heilbehandlung nach § 10 Abs 1 Satz 1 BVG ist die Versorgung mit anderen Hilfsmitteln als orthopädischen dazu bestimmt, bestimmte Gesundheitsstörungen oder die durch sie bewirkte Beeinträchtigung der Berufs- oder Erwerbsfähigkeit zu beseitigen oder zu bessern, eine Zunahme des Leidens zu verhüten, körperliche Beschwerden zu beheben, die Folgen der Schädigung zu erleichtern oder den Beschädigten möglichst auf Dauer in Arbeit, Beruf und Gesellschaft einzugliedern. Diese Hilfsmittel sind nach § 13 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 2 BVG den persönlichen und beruflichen Bedürfnissen anzupassen. Gerade Gegenstände wie die von der Klägerin begehrten, die nichtberufliche Verrichtungen des täglichen Lebens erleichtern sollen (§ 1 Satz 1 Nr 18 iVm § 4 Abs 12 Satz 1 DV), also nicht auf die genannten Berufszwecke der Heilbehandlung ausgerichtet sind, dürfen wegen der aufgezeigten Unterschiede nicht deshalb versagt werden, weil bereits ein Berufsschadensausgleich gewährt wird.
Das gilt - entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Senats - einheitlich sowohl für den Berufsschadensausgleich für eine Hausfrau als für den üblichen, der für die Klägerin entsprechend dem Einkommen in ihrem Beruf einer Krankenschwester bemessen worden ist (§ 30 Abs 3 und 4 Satz 1 und Abs 5 BVG), wenn die Beschädigte allein für sich selbst einen Haushalt führt (vgl dazu BSGE 33, 151 = SozR Nr 49 zu § 30 BVG). Die beiden Fallgruppen sind insoweit nach dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 Grundgesetz) nicht unterschiedlich zu behandeln. Der Berufsschadensausgleich soll in beiden Fällen die besondere Beeinträchtigung der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit in einem bestimmten Beruf und den sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Schaden ausgleichen. Wenn diesem Schadensausgleich jene Schadensminderung durch eine Maßnahme der orthopädischen Versorgung gegenübersteht, darf das Hilfsmittel, das dem Zweck der Heilbehandlung dient, nicht den Schadensausgleich nach dem Grundsatz beeinträchtigen, daß Rehabilitation möglichst der Rente vorgeht (§ 7 Rehabilitations-Angleichungsgesetz, § 29 BVG); denn der berufliche Schaden im Sinn des § 30 Abs 3 BVG besteht unabhängig von dem Bedürfnis nach orthopädischer Versorgung und wird durch sie nicht gemindert. Das gilt abweichend von der früheren Rechtsprechung auch im Verhältnis zum Berufsschadensausgleich einer Hausfrau. Das Hilfsmittel soll den Beschädigten oder die Beschädigte in jedem Fall, unabhängig vom Berufsschadensausgleich, bei den Verrichtungen des täglichen Lebens entlasten oder überhaupt befähigen, sie vorzunehmen. Auch der Beschädigten, der ein Berufsschadensausgleich entsprechend ihrem Schaden im Beruf einer Hausfrau gewährt wird, sind die Hilfsmittel, die sie bei ihren täglichen Verrichtungen wegen ihrer individuellen Behinderung benötigt, zu gewähren. Der Berufsschadensausgleich wird, ungeachtet dieser Erleichterung, wegen des verbleibenden Schadens gewährt.
Der Senat hat bei seiner bisherigen Rechtsprechung allein auf die Entschädigungsart, den Berufsschadensausgleich entsprechend pauschalierten "Mehraufwendungen" als Bemessungsgröße, die als Einkommensverlust gelten, abgestellt. Daran wird nicht festgehalten. Vielmehr ist einheitlich für beide Berufsschadensausgleichsarten maßgebend, wie sich die orthopädische Versorgung zum Schaden verhält. Das gilt auch für eine Hausfrau, selbst wenn und soweit sie die im Rahmen der orthopädischen Versorgung zu beanspruchenden Gegenstände zugleich für Tätigkeiten verwendet, die zu ihren Aufgaben als Hausfrau, dh zur Haushaltsführung für andere, gehören. Der auf diesen Tätigkeitsbereich beschränkte Verwendungszweck wird im übrigen tatsächlich kaum eindeutig von den allein für die Beschädigte notwendigen Haushaltsarbeiten abzugrenzen sein.
Der schädigungsbedingte Ausfall der Arbeitskraft wirkt sich allerdings bei der Hausfrau wirtschaftlich nicht wie in den üblichen Fällen als Einkommensminderung aus. Vielmehr kann eine solche Beschädigte infolge ihrer Beschädigung nicht ihren gesetzlichen Beitrag zum Familienunterhalt in vollem Umfang durch die üblichen Hausarbeiten (§ 1360 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-; BVerfGE 19, 268, 279) leisten. Das ist ihr eigener "Schaden", der im Zivilrecht nach § 845 BGB zu ersetzen ist (BGH GSZ BGHZ 50, 304, 305 f; Wanke in MünchKomm zum BGB, Band 5, 1978, § 1360 Rz 25). Aber der zugrundeliegende Schaden ist, körperlich betrachtet, bei beiden Fallgruppen gleich; die Beschädigte ist schädigungsbedingt in ihrer Arbeitskraft beeinträchtigt. Dieser körperliche Schaden wird wegen seiner wirtschaftlichen Auswirkung bei der Hausfrau - anders als beim Erwerbstätigen - nach den durch die Schädigungsfolgen notwendigen "Mehraufwendungen" bemessen (§ 30 Abs 7 Satz 1 Halbsatz 1 BVG). Von diesen schädigungsbedingten Belastungen ist allein der Anteil abzusetzen, der auf Hilfeleistungen iS des § 35 Abs 1 Satz 5 BVG entfällt (§ 30 Abs 7 Satz 1 Halbsatz 2 BVG). Was ohne einen Nachweis als "Mehraufwendungen" in jenem Sinn gilt, bestimmt sich pauschaliert nach abgestuften Beträgen, die vom Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit iS des §30 Abs 1 BVG abhängen (§ 30 Abs 7 Satz 2 BVG). Dieses abgestufte Bemessungsverfahren der Beweiserleichterung ändert nichts daran, daß der Berufsschadensausgleich ebenso wie in den üblichen Fällen die wirtschaftlichen Folgen einer Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit in einem bestimmten Beruf ausgleicht. Dieser Schadensausgleich bleibt in jedem Fall von Erleichterungen durch Hilfsmittel unberührt. Daran ändert die fingierte Bemessungsart nichts.
Die allgemeinen Behinderungen bei Verrichtungen des täglichen Lebens, die die Gewährung der umstrittenen Gegenstände gebieten, werden durch die Grundrente (§ 31 Abs 1 bis 3, § 30 Abs 1 BVG) entschädigt (BSGE 33, 151, 153 ff). Das bezieht sich auch auf die Selbstversorgung im eigenen Haushalt. Beschädigte, die daneben einen üblichen Berufsschadensausgleich erhalten, können ungeachtet dessen als Hilfe zur Bewältigung ihrer Hausarbeiten, bei denen sie schädigungsbedingt behindert sind, Gegenstände gemäß § 1 Satz 1 Nr 18 DV beanspruchen, falls die Voraussetzungen des § 4 Abs 12 DV erfüllt sind. Dies ist für Beschädigte mit einem Hausfrauen-Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs 7 BVG nicht anders. Ihrem Anspruch auf die bezeichneten Hilfsmittel steht nicht entgegen, daß sie diese außerdem für ihre berufsmäßige Hausarbeit verwenden können. Wenn schon - systemgerecht - der allgemeine, nicht berufsbezogene, Schadensausgleich durch die Grundrente die Gewährung der hier begehrten Gegenstände nicht ausschließt, bewirkt dies ebensowenig ein berufsspezifischer Schadensausgleich.
Das SG, das sich bei der neuen Entscheidung auch mit dem Revisionsvorbringen des Beklagten kritisch auseinandersetzen sollte, hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.
Fundstellen