Entscheidungsstichwort (Thema)

Schulausbildung bei Statuswechsel der Bildungsstätte

 

Orientierungssatz

Wird ein Studium an einer Fachschule begonnen und nach deren Umwandlung in eine Fachhochschule abgeschlossen, so ist die Studienzeit bis zur Umwandlung als eine abgeschlossene Fachschulausbildung iS von § 36 Abs 1 S 1 Nr 4 Buchst b AVG (= § 1259 Abs 1 S 1 Nr 4 Buchst b RVO) anzusehen.

 

Normenkette

AVG § 36 Abs 1 S 1 Nr 4 Buchst b Fassung: 1972-10-16; RVO § 1259 Abs 1 S 1 Nr 4 Buchst b Fassung: 1972-10-16

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Entscheidung vom 14.01.1981; Aktenzeichen L 9 An 38/80)

SG Berlin (Entscheidung vom 22.04.1980; Aktenzeichen S 13 An 1622/79)

 

Tatbestand

Streitig ist die Vormerkung einer Ausfallzeit.

Der 1946 geborene Kläger hat am 1. April 1970 das Studium an der Wirtschaftsakademie B aufgenommen; diese wurde durch das Fachhochschulgesetz des Landes B vom 27. November 1970 (FHSchulGBE) zum 1. April 1971 in die Fachhochschule für Wirtschaft B (FHW) übergeleitet. Der Kläger hat am 12. Februar 1973 die Abschlußprüfung als Betriebswirt (grad) bestanden. Ein anschließendes Studium an der Technischen Universität B schloß er am 3. Mai 1977 mit der Prüfung zum Diplomkaufmann ab.

Die Beklagte merkte die gesamte Zeit des Studiums als Hochschulausbildung vor mit dem Zusatz, Zeiten einer Hochschulausbildung könnten nur bis zu fünf Jahren Ausfallzeiten sein, anrechnungsfähige Ausfallzeit sei daher die Zeit vom 1. April 1970 bis zum 30. September 1974 und vom 1. Juni 1975 bis zum 30. November 1971 (Bescheid vom 20. Februar 1970; Widerspruchsbescheid vom 15. Mai 1979).

Mit der hiergegen erhobenen Klage beantragte der Kläger, die Beklagte zu verurteilen, die Zeit vom 1. April 1970 bis zum 12. Februar 1973 als Fachschulausbildung und die Zeit vom 15. März 1973 bis zum 30. September 1974 sowie vom 1. Juni 1975 bis 3. Mai 1977 als Hochschulausbildung vorzumerken. Das Sozialgericht (SG) verurteilte die Beklagte unter Abweisung der Klage im übrigen, die Studienzeit an der Wirtschaftsakademie bis zu deren Überleitung in die FHW (vom 1. April 1970 bis 31. März 1971) als Fachschulausbildung vorzumerken (Urteil vom 22. April 1980). Die Berufung der Beklagten wurde vom Landessozialgericht (LSG) Berlin zurückgewiesen (Urteil vom 14. Januar 1981). Zur Begründung führt das LSG aus, der Ausfallzeittatbestand der Fachschulausbildung umfasse nach allgemeinem Sprachgebrauch, wie er insbesondere im Fachschulverzeichnis seinen Niederschlag gefunden habe, die berufsbildenden Schulen, die nicht als Hochschulen anerkannt seien. Höhere Fachschulen seien nur eine besondere Stufe innerhalb des Fachschulwesens. Die Wirtschaftsakademie sei erst mit ihrer Eingliederung in die FHW zum 1. April 1971 in den Hochschulbereich einbezogen worden, wie sich aus § 43 FHSchulGBE ergebe. Für das gesamte Studium auf die Qualität der Schule im letzten Studienabschnitt oder auf die Qualität der Abschlußprüfung abzustellen, würde zu einer im Gesetz nicht vorgesehenen Rückwirkung der Eingliederung führen.

Die Beklagte beantragt mit der hiergegen eingelegten Revision,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben

und die Klage abzuweisen.

Sie rügt Verletzung des § 36 Abs 1 Nr 4 Buchst b Angestelltenversicherungsgesetz (AVG); nach ihrer Auffassung ist in Übergangsfällen eine an einer Fachschule begonnene und nach deren Umwandlung in eine Fachhochschule abgeschlossene Ausbildung insgesamt Fachschulausbildung, wenn die Abschlußprüfung noch nach der Prüfungsordnung der Fachschule abgelegt wurde, aber insgesamt Hochschulausbildung, wenn die Prüfung nach der neuen Fachhochschulprüfungsordnung abgelegt wurde.

Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Beide Beteiligte haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten war zurückzuweisen. Die Vorinstanzen haben die Beklagte zu Recht verurteilt, die vom Kläger an der Wirtschaftsakademie vor deren Überleitung in die FHW verbrachte Zeit vom 1. April 1970 bis zum 31. März 1971 als Zeit einer Fachschulausbildung und nicht, wie geschehen, als Zeit einer Hochschulausbildung vorzumerken.

Hierbei ist zunächst zu beachten, daß der Gesetzgeber die Ausfallzeiten (wie auch die Ersatzzeiten) grundsätzlich nach Merkmalen abgrenzt, die in der betreffenden Zeit vorgelegen haben (zB Arbeitsunfähigkeit, Schwangerschaft, Arbeitslosigkeit, Rentenbezug usw). Wenn demnach gem § 36 Abs 1 Nr 4 Buchst b AVG Zeiten einer nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden weiteren Schulausbildung oder abgeschlossenen Fachschul- oder Hochschulausbildung Ausfallzeiten sind, so muß in der fraglichen Zeit eine solche Ausbildung stattgefunden haben. Hierfür maßgebend ist der Status der Bildungsstätte (Schule, Fachschule oder Hochschule) während der jeweiligen Ausbildungszeit, wie der Senat in seinem Urteil vom 13. August 1981 - 11 RA 49/80 - (zur Veröffentlichung vorgesehen) näher begründet hat.

In der streitigen Zeit hatte die Wirtschaftsakademie, an der die Ausbildung stattfand, den Status einer (höheren) Fachschule, so daß der Kläger die damalige Ausbildungszeit noch an einer Fachschule verbracht hat. Hieran hat sich durch die Überleitung der Wirtschaftsakademie in die FHW zum 1. April 1971 nichts geändert; der Status als Fachschule vor diesem Zeitpunkt blieb davon unberührt. Dementsprechend ist die Ausbildung bis zum 31. März 1971 eine Fachschulausbildung gewesen. Daß von da an die Ausbildung an einer Fachhochschule fortgesetzt und nach der neuen Prüfungsordnung die Abschlußprüfung abgelegt worden ist, hat die vorherige Fachschulausbildung nicht rückwirkend zur Hochschulausbildung umgestalten können. Somit entfällt in solchen Übergangsfällen jede Differenzierung danach, ob die frühere Prüfungsordnung bzw die Studienordnung beibehalten, modifiziert oder ersetzt worden ist.

Daß die Ausbildung zunächst an einer Fachschule und dann an einer Hochschule stattfand, hindert nicht, sie gleichwohl als eine einheitliche Ausbildung anzusehen, die insgesamt durch die bestandene Prüfung iS des § 36 Abs 1 Nr 4 Buchst b AVG sowohl in dem ersten Teil der Fachschulausbildung als auch in dem zweiten Teil der Hochschulausbildung "abgeschlossen" worden ist. In BSGE 20, 35, 36 ist bereits ausgeführt worden, daß das Wort "abgeschlossen" qualitativ zu verstehen ist; qualitativ hat jedoch die an der FHW bestandene Prüfung bekundet, daß auch die anfängliche Fachschulausbildung von Erfolg gewesen ist. Die Revision der Beklagten war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1659127

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