Leitsatz (amtlich)
1. Hat das Berufsgericht in einem Urteil über mehrere selbständige prozessuale Ansprüche entschieden, so sind die Voraussetzungen für die Statthaftigkeit der Revision nach SGG § 162 Abs 1 Nr 2 für jeden Anspruch gesondert zu prüfen. Die Revision ist nur hinsichtlich des selbständigen prozessualen Anspruches statthaft, auf den sich ein vorliegender Verfahrensmangel bezieht.
2. Ein Urteil beruht auf der Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften, wenn die Möglichkeit besteht, daß das Berufungsgericht bei richtiger Anwendung dieser Vorschriften anders entschieden hätte (Vergleiche BSG 1956-02-09 1 RA 57/55=BSGE 2, 197). Eine solche Möglichkeit ist in den Fällen, in denen statt eines Sachurteils zu Unrecht ein Prozeßurteil ergangen ist, nur dann gegeben, wenn das Berufungsgericht ohne den Rechtsverstoß zu einem für den Revisionskläger sachlich günstigeren Ergebnis hätte gelangen können. Ist dies nach der Sach- und Rechtslage nicht der Fall, kann die Revision ohne Änderung des Ausspruches in dem angefochtenen Urteil als unbegründet zurückgewiesen werden.
Normenkette
SGG § 162 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03, § 170 Fassung: 1953-09-03, § 162 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 8. Dezember 1955 wird, soweit sie den Bescheid der Landesversicherungsanstalt Württemberg vom 22. Oktober 1949 betrifft, als unzulässig verworfen. Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kläger wurde am 28. August 1939 zu einer Krankentransportabteilung eingezogen und auf Grund eines allgemeinen Befehls des Oberkommandos des Heeres am 13. November 1939 wieder entlassen.
Vom 1. Januar 1940 an bezog er auf Grund des Bescheides vom 24. Januar 1941 wegen "Blutgefäßerkrankung an den Händen und im geringen Grade an den Füßen (Endarteriitis obliterans)" Rente nach dem Wehrmachtfürsorge- und Versorgungsgesetz. Diese Gesundheitsstörung wurde auf seinen Antrag nach ärztlicher Untersuchung mit Bescheid der Landesversicherungsanstalt (LVA.) Württemberg vom 22. September 1948 auch nach dem Körperbeschädigten-Leistungsgesetz (KBLG) anerkannt und Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 70 v.H. gewährt. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Berufung mit der Begründung ein, er sei völlig erwerbsunfähig; außerdem beanspruche er ein Pflegegeld. Während des Berufungsverfahrens erteilte die LVA. Württemberg am 22. Oktober 1949 einen Bescheid, durch den sie nach § 30 Abs. 4 KBLG die Rente mit Ablauf des Monats November 1949 entzog. Aus den erhobenen Gutachten habe sich ergeben, daß das in dem Bescheid vom 24. Januar 1941 anerkannte Leiden nicht vorhanden gewesen sei, der Kläger vielmehr an einer Sklerodermie (chronische Hautkrankheit, die zu Verhärtung und starker Verdickung der Haut führt) leide, die anlagebedingt sei und schon vor dem Wehrdienst bestanden habe. Auch eine Verschlimmerung sei durch den Wehrdienst nicht eingetreten. Der Kläger legte gegen diesen Bescheid ebenfalls Berufung ein. Das Oberversicherungsamt (OVA.) Württemberg in Stuttgart hat die Berufung gegen beide Bescheide als unbegründet zurückgewiesen: Die Entziehung der Rente sei zu Recht erfolgt, da die Voraussetzungen für die Erteilung des Bescheides vom 22. September 1948 sich als unzutreffend erwiesen hätten. Nach dem nunmehr erhobenen objektiven Befund könne der Zusammenhang des Leidens mit dem Wehrdienst nicht mehr bejaht werden. Da die Zunahme der körperlichen Beschwerden nicht Folge der als Leistungsgrund anerkannten Endarteriitis obliterans sei, könne weder Vollrente noch Pflegegeld gewährt werden.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Rekurs eingelegt, der gemäß § 215 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Berufung auf das Landessozialgericht (LSG.) Baden-Württemberg übergegangen ist. Durch Urteil vom 8. Dezember 1955 hat das LSG. die Berufung, soweit es sich um den Grad der MdE. für die Zeit bis zum 30. November 1949 handelt, als unzulässig verworfen und sie im übrigen zurückgewiesen: Die Berufung sei, soweit sie den Anspruch des Klägers auf Vollrente betreffe, nicht zulässig, da es sich insoweit nur um einen Streit über die Höhe der MdE. im Sinne des § 148 Nr. 3 SGG handele. Daran ändere auch nichts, daß das OVA. in seiner Entscheidung noch über andere Ansprüche entschieden habe; denn die Zulässigkeit der Berufung sei für jeden Anspruch gesondert zu beurteilen. Der Bescheid vom 22. Oktober 1949 sei zu Recht ergangen, weil der Kläger nicht an einer Blutgefäßerkrankung - wie anerkannt gewesen - leide, sondern an einer Sklerodermie, die nicht auf dem Wehrdienst beruhe. Voraussetzung der Anerkennung sei aber gewesen, daß der Kläger an einer Endarteriitis obliterans leide. Da sich diese Voraussetzung als unzutreffend erwiesen habe,. wie sich insbesondere aus dem Gutachten des Prof. Dr. v.H... ergebe, habe der Beklagte den Bescheid vom 22. September 1948 aufheben dürfen. Wegen des Anspruchs auf Pflegegeld sei die Berufung deshalb nicht begründet, weil die Pflegebedürftigkeit nicht durch eine Schädigungsfolge verursacht werde.
Der Kläger hat gegen dieses ihm am 20. Januar 1956 zugestellte Urteil mit einem beim Bundessozialgericht (BSG.) am 20. Februar 1956 eingegangenen Schriftsatz Revision eingelegt und beantragt,
1.) das angefochtene sowie das erstinstanzliche Urteil und den Bescheid vom 22. Oktober 1949 aufzuheben, den Bescheid vom 22. September 1948 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und Pflegezulage vom 1. Februar 1947 ab zu gewähren;
2.) hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
In der - nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist - am 20. April 1956 eingegangenen Revisionsbegründung macht der Kläger wesentliche Verfahrensmängel geltend. Das LSG. habe die Berufung zu Unrecht teilweise als unzulässig verworfen. Durch das erstinstanzliche Urteil sei eine Erhöhung des Grades der MdE. mit der Begründung abgelehnt worden, daß das bei dem Kläger bestehende Leiden (Sklerodermie) nicht in ursächlichem Zusammenhang mit dem Wehrdienst stehe. Dieses Urteil betreffe daher einen Streit über den ursächlichen Zusammenhang im Sinne des § 150 Nr. 3 SGG, so daß die Berufung nicht nach § 148 Nr. 3 SGG ausgeschlossen sei. Hinsichtlich des Zuungunstenbescheides nach § 30 Abs. 4 KBLG vom 22. Oktober 1949 leide das Verfahren des LSG. an einem wesentlichen Mangel, weil die dem Sachverständigen Prof. Dr. v.H... gestellte Beweisfrage falsch formuliert worden sei. Die Anwendung dieser Vorschrift setze voraus, daß die Anerkennung einer "Blutgefäßerkrankung an den Händen und im geringen Grade an den Füßen" im Zeitpunkt der Anerkennung unzweifelhaft falsch gewesen sei. Die Fragestellung des Berufungsgerichts hätte daher lauten müssen, ob im Jahre 1941 nach dem Stande der ärztlichen Wissenschaft zweifelsfrei hätte festgestellt werden können, an welchem Leiden der Kläger erkrankt sei. Das Berufungsgericht habe den Sachverständigen jedoch um Äußerung gebeten, ob nach heutiger ärztlicher Erkenntnis die Endarteriitis obliterans als Leiden des Klägers zur Zeit der Bescheiderteilung am 24. Januar 1941 unzweifelhaft auszuschließen sei.
Der Beklagte beantragt,
die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 8. Dezember 1955 als unzulässig zu verwerfen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Das LSG. hat die Revision nicht zugelassen. Sie ist daher im vorliegenden Falle nur statthaft, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird und auch tatsächlich vorliegt (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG; vgl. BSG. 1 S. 150).
Das Berufungsgericht hat in dem angefochtenen Urteil über zwei Bescheide entschieden. Die Revision rügt hinsichtlich des Teiles der Entscheidung, der sich mit dem Bescheid vom 22. September 1948 befaßt, eine Verletzung der §§ 148 Nr. 3, 150 Nr. 3, 215 Abs. 3 SGG, weil das LSG. die Berufung des Klägers, soweit er Rente nach einer MdE. um 100 v.H. begehrt, zu Unrecht als unzulässig verworfen habe. Diese Rüge ist zutreffend erhoben; denn das LSG. hätte auch über den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Vollrente sachlich entscheiden müssen. Es hat verkannt, daß die Berufung hinsichtlich der Höhe der MdE. ungeachtet des § 148 Nr. 3 SGG statthaft ist, weil im Verfahren vor dem OVA. der ursächliche Zusammenhang einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) oder des KBLG streitig war (§ 150 Nr. 3 SGG; vgl. über die Anwendbarkeit dieser Vorschrift bei Streit über Ansprüche nach dem KBLG BSG. 1 S. 41). Maßgebend für das OVA. war hierbei nicht, welche MdE. durch einen bestimmten Leidenszustand bedingt wird - dann wäre die Berufung nicht statthaft -, sondern die Frage, ob der Leidenszustand, auf dem die Erwerbsunfähigkeit des Klägers beruht, Schädigungsfolge im Sinne des KBLG ist. Somit war der ursächliche Zusammenhang im Sinne des § 150 Nr. 3 SGG im Streit und die Berufung nach dieser Vorschrift statthaft. Ist aber die Berufung verworfen worden, obwohl das Berufungsgericht eine Sachentscheidung hätte treffen müssen, so leidet das Verfahren an einem wesentlichen Mangel (vgl. BSG. 1 S. 283).
Soweit das angefochtene Urteil den Bescheid vom 22. Oktober 1949 betrifft, macht der Kläger eine Verletzung der §§ 103, 153 Abs. 1 SGG und des § 30 Abs. 4 KBLG geltend, weil das LSG. die dem Sachverständigen Prof. Dr. v.H... gestellte Beweisfrage im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 KBLG unzutreffend formuliert und damit den Sachverhalt mangelhaft aufgeklärt habe. Die Frage, ob das Verfahren des Berufungsgerichts an einem wesentlichen Mangel leidet, ist vom sachlich-rechtlichen Standpunkt dieses Gerichts aus zu beurteilen (vgl. BSG. 2 S. 84 [87]). Nach Auffassung des LSG. durfte ein Zuungunstenbescheid nach § 30 Abs. 4 KBLG dann ergehen, wenn die Voraussetzungen des Bescheides - hier: Vorliegen einer Blutgefäßerkrankung (Endarteriitis obliterans) - sich deswegen als unzutreffend erwiesen hatten, weil sich inzwischen herausgestellt hat, daß das tatsächlich vorhandene Leiden keine Schädigungsfolge ist. Dementsprechend hat es auf Grund der vorliegenden Gutachten - insbesondere des Gutachtens des Prof. Dr. v.H... - die Feststellung getroffen, daß der Kläger unzweifelhaft an einer Blutgefäßerkrankung weder gelitten hat noch jetzt leidet, sondern an einer Sklerodermie, die aber keine Schädigungsfolge ist. Nach der Rechtsauffassung des LSG. genügte diese Feststellung, um über den Berichtigungsbescheid zu entscheiden. Für eine Klärung der Frage, ob die mit Bescheid vom 24. Januar 1941 erfolgte Anerkennung schon damals unzweifelhaft falsch war, bestand daher für das LSG. kein Anlaß. Das Berufungsgericht hat somit von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus den Sachverhalt hinsichtlich des Zuungunstenbescheides nach § 30 Abs. 4 KBLG nicht mangelhaft aufgeklärt. § 103 SGG ist hiernach nicht verletzt.
Es ist somit festzustellen, daß ein wesentlicher Mangel des Verfahrens (Verletzung des § 148 Nr. 3 in Verbindung mit § 150 Nr. 3 SGG) hinsichtlich der Entscheidung des LSG. über den Bescheid vom 22. September 1948 vorliegt. Dieser Verfahrensmangel macht nach Auffassung des Senats die Revision jedoch nur insoweit statthaft, als das Berufungsgericht über den Antrag des Klägers entschieden hat, ihm unter Abänderung des Bescheides vom 22. September 1948 eine höhere Versorgung zu gewähren. In dem angefochtenen Urteil ist nicht nur über einen prozessualen Anspruch allein entschieden worden (vgl. BSG. 3 S. 234 [237]). Das Urteil des Berufungsgerichts betrifft vielmehr zwei selbständige prozessuale Ansprüche - das Begehren des Klägers, den Bescheid vom 22. September 1948 abzuändern und Vollrente sowie Pflegegeld zu gewähren, ferner das Begehren, den Zuungunstenbescheid vom 22. Oktober 1949 aufzuheben. Wird aber in einem Urteil über mehrere selbständige Ansprüche entschieden (objektive Klagehäufung), so stellt es sich der Sache nach als eine Mehrheit an sich selbständiger Entscheidungen dar (vgl. RGZ. 66 S. 178). In einem solchen Falle sind die Voraussetzungen der Zulässigkeit des Rechtsmittels für jeden selbständigen Anspruch gesondert zu prüfen (vgl. Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 7. Auflage, S. 443 und 682; Stein-Jonas Schönke, 18. Auflage, § 554 III A 2 und § 554 a II 3; RG. a.a.O.; BSG. 3 S. 135 [139]; BSG. 7 S. 35 [39] = SozR. SGG § 164 Bl. Da 12 Nr. 35; BGHZ. 1 S. 369 [380]). Die vorstehend angeführten Entscheidungen und Literaturhinweise betreffen die Frage, ob bei mehreren selbständigen Ansprüchen die Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels für jeden Anspruch gesondert zu prüfen sind, ob die Zulässigkeit der Revision hinsichtlich eines Anspruchs nach § 547 Nr. 1 Zivilprozeßordnung auch die Zulässigkeit hinsichtlich anderer Ansprüche, über die im Urteil entschieden worden ist, zur Folge hat und ob die Revision für jeden Anspruch besonders zu begründen ist. Der Senat hatte keine Bedenken, den in diesen Entscheidungen entwickelten Grundsatz, daß die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Revision bei mehreren selbständigen prozessualen Ansprüchen für jeden Anspruch gesondert zu prüfen sind, auch auf die Prüfung der Statthaftigkeit der Revision anzuwenden, die eine Voraussetzung für ihre Zulässigkeit ist. Das BSG. hat zwar bereits entschieden, daß bei Statthaftigkeit der Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG das angefochtene Urteil in vollem Umfange materiell-rechtlich nachzuprüfen ist (BSG. 3 S. 180 [186]). in jenem Falle hatte der Kläger jedoch nur einen prozessualen Anspruch geltend gemacht, während es sich vorliegend um zwei selbständige prozessuale Ansprüche handelt. Die Entscheidung in BSG. 3 S. 180 steht daher der Rechtsauffassung des Senats nicht entgegen. Wie bereits oben dargelegt, ist ein wesentlicher Mangel des Verfahrens darin zu erblicken, daß das LSG. die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen hat. Die Revision ist daher hinsichtlich des Begehrens des Klägers auf Vollrente (Bescheid vom 22. September 1948) statthaft. Dagegen hat die Prüfung der Statthaftigkeit der Revision, soweit der Kläger die Aufhebung des Zuungunstenbescheides vom 22. Oktober 1949 begehrt, ergeben, daß in bezug auf die Entscheidung des LSG. über diesen Bescheid kein wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG vorliegt. Da es sich in der hier zu entscheidenden Streitsache um zwei selbständige prozessuale Ansprüche handelt, bleibt die Statthaftigkeit der Revision auf den prozessual selbständigen Anspruch beschränkt, auf den sich der vorliegende Verfahrensmangel bezieht. Die Revision mußte daher hinsichtlich des Zuungunstenbescheides vom 22. Oktober 1949 als unzulässig verworfen werden.
Im übrigen ist die Revision statthaft und - da form- und fristgerecht eingelegt und begründet - auch zulässig.
Die Revision ist aber nicht begründet, da das angefochtene Urteil im Ergebnis nicht auf dem Verfahrensverstoß beruht (§ 162 Abs. 2 SGG).
Über den Anspruch auf Pflegegeld nach dem KBLG hat das Berufungsgericht sachlich entschieden, so daß in dieser Hinsicht das Urteil von dem Verfahrensmangel nicht berührt wird. aber auch die Entscheidung über den Anspruch auf Vollrente beruht im Ergebnis nicht auf dem Verfahrensverstoß. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften und der angefochtenen Entscheidung ist zwar schon dann gegeben, wenn die Möglichkeit besteht, daß das LSG. anders entschieden hätte, wenn es diese Vorschriften richtig angewandt hätte (vgl. BSG. 2 S. 197 = SozR. SGG § 162 31. Da 7 Nr. 29). Diese Möglichkeit kommt aber nur dann in Betracht, wenn das Berufungsgericht ohne den Rechtsverstoß zu einem für den Kläger sachlich günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (vgl. BGHZ. 4 S. 58). Dies war aber im vorliegenden Falle ausgeschlossen. Das Berufungsgericht hat, soweit der Anspruch auf Vollrente streitig ist, aus prozessualen Gründen das erstinstanzliche Urteil nicht dem Antrag des Klägers entsprechend abgeändert. Die tatsächlichen Feststellungen und die Entscheidungsgründe des Berufungsurteils lassen aber erkennen, daß das Berufungsgericht bei einer sachlichen Überprüfung dieses Anspruchs mit Sicherheit zu einer ablehnenden Entscheidung gelangt wäre. Denn soweit das LSG. über den Anspruch auf Pflegegeld und über den Berichtigungsbescheid vom 22. Oktober 1949 sachlich entschieden hat, ist Grundlage der Entscheidung die Feststellung, daß der Kläger nicht an einer Blutgefäßerkrankung leidet oder gelitten hat, sondern an einer Sklerodermie, die keine Schädigungsfolge ist. Bei einer sachlichen Entscheidung des LSG. über den geltend gemachten Anspruch auf Vollrente wäre die maßgebende Frage ebenfalls gewesen, ob das Leiden des Klägers Schädigungsfolge ist oder nicht.
Diese Frage hatte aber das LSG. schon verneint; es wäre daher mit Sicherheit zu einer Zurückweisung der Berufung gekommen, da es nur die rechtliche Folgerung aus den bereits hinsichtlich des Berichtigungsbescheides und des Pflegegeldes getroffenen tatsächlichen Feststellungen zu ziehen brauchte. Der Kläger steht sich daher durch die Verwerfung der Berufung im Ergebnis nicht anders und nicht schlechter, als wenn über die Berufung auch insoweit sachlich erkannt worden wäre. Die angeführte Entscheidung des BGH., die zu demselben Ergebnis kommt, betrifft eine Streitsache, in der die Anschlußberufung des Beklagten als unzulässig verworfen worden war. Der BGH. hat die Revision des Beklagten mit der Begründung zurückgewiesen, das Berufungsgericht habe dadurch, daß es der Berufung der Kläger stattgegeben habe, sachlich über den gesamten Anspruch entschieden und hätte deshalb bei einer sachlichen Entscheidung über die Anschlußberufung nur zu einer Zurückweisung kommen können. Der Beklagte sei daher durch die Verwerfung sachlich nicht benachteiligt worden. Dieser Gesichtspunkt trifft nach Auffassung des Senats auch auf den vorliegenden Fall zu, da das LSG. bei einer Sachentscheidung über den Anspruch auf Vollrente im Hinblick darauf, daß es den Zuungunstenbescheid vom 22. Oktober 1949 für rechtsgültig angesehen und deswegen ein Pflegegeld nicht gewährt hat, ebenfalls nur zu einer Zurückweisung der Berufung hätte gelangen können.
Im übrigen müßte auch das Revisionsgericht die Berufung, soweit sie den Bescheid vom 22. September 1948 betrifft, schon aus Rechtsgründen als unbegründet zurückweisen. Der Berichtigungsbescheid vom 22. Oktober 1949 ist, da die Revision insoweit unstatthaft ist, rechtsverbindlich geworden. Dieser Bescheid, der den Bescheid vom 22. September 1948 aufhebt, stellt sowohl für die Zukunft als auch rückwirkend (vgl. BSG. 6 S. 288 [291]) rechtsverbindlich fest, daß die Krankheit, an welcher der Kläger leidet (Sklerodermie) keine Schädigungsfolge ist. Diese bindende Feststellung steht der Entscheidung, die der Kläger begehrt - Festsetzung der MdE. auf 100 v.H. und Gewährung eines Pflegegeldes- und die eine Anerkennung des Leidens als Schädigungsfolge voraussetzen würde, entgegen, so daß auch aus diesem Grunde dem Begehren des Klägers nicht entsprochen werden könnte.
Die Revision war daher, soweit sie statthaft und zulässig ist, als unbegründet zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2324497 |
BSGE, 228 |
NJW 1959, 910 |
MDR 1959, 158 |