Leitsatz (amtlich)
Auch Säumniszuschläge nach RVO § 397a sind "Rückstände" iS des RVO § 28 Abs 3 und haben das Konkursvorrecht des KO § 61 Nr 1 (Weiterentwicklung von BSG 1971-04-29 3 RK 55/67 = BSGE 32, 263, 266).
Normenkette
RVO § 397a Fassung: 1969-06-25, § 28 Abs. 1 Fassung: 1924-12-15, Abs. 3 Fassung: 1924-12-15; KO § 61 Nr. 1 Fassung: 1953-08-06, Nr. 6 Fassung: 1898-05-20
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 3. August 1973 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die von der Klägerin angemeldete Konkursforderung von 185,60 DM für Säumniszuschläge auf Beitragsrückstände der Gemeinschuldnerin für Mai 1970 wie die Beitragsforderung als solche nach § 61 Nr. 1 der Konkursordnung (KO) bevorrechtigt ist.
Die Klägerin meldete den Betrag von 22.781,79 DM zur Konkurstabelle an, wovon 22.596,19 DM auf rückständige Sozialversicherungsbeiträge der Gemeinschuldnerin, der Firma K Badische Füllhalterfabrik Friedrich G, für die Monate Mai und Juni 1970 und 185,60 DM für Säumniszuschläge nach § 397 a Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu den Mai-Beiträgen entfallen. Während der Beklagte als Konkursverwalter das Vorrecht der Beitragsforderung anerkannte und diese Forderung auch befriedigte, bestritt er es für die Säumniszuschläge. Die beiden Vorinstanzen haben demgegenüber festgestellt, daß die angemeldete Forderung von 185,60 DM nach §§ 28 Abs. 3 RVO, 61 Nr. 1 KO bevorrechtigt ist (Urteile vom 24. November 1971 und 3. August 1973). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Revision zugelassen.
Der Beklagte hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung der §§ 28 Abs. 1 und 3 RVO, 61 Nr. 1 KO.
Der Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 3. August 1973 und des Sozialgerichts Mannheim vom 24. November 1971 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) entscheidet.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen.
Das LSG hat mit Recht festgestellt, daß die Säumniszuschläge (§ 397 a Abs. 1 RVO) das Vorzugsrecht des § 61 Nr. 1 KO haben. Allerdings enthält weder die RVO noch ein anderes Gesetz eine ausdrückliche Vorschrift des Inhalts, daß Säumniszuschläge (§ 397 a RVO) das Konkursvorrecht des § 61 Nr. 1 KO haben. § 28 Abs. 3 RVO spricht dies aber allgemein für die "Rückstände" aus: "Rückstände haben das Vorzugsrecht des § 61 Nr. 1 der Konkursordnung". Das an dieser Stelle des § 28 RVO und im ersten Absatz derselben Vorschrift, der die Art der Beitreibung von Rückständen regelt, vorkommende Wort "Rückstände" wird vom Gesetz nicht umschrieben; eine Legaldefinition fehlt. Ersichtlich ist eine Sammelbezeichnung für solche Geldleistungen gemeint, die ein Arbeitgeber aufgrund eines Sozialversicherungsverhältnisses zu entrichten hatte, aber am Fälligkeitstag noch nicht entrichtet hat. In der Tat ist der Begriff "Rückstände" stets dahin verstanden worden, daß es sich um am Fälligkeitstag nicht berichtigte, den Versicherungsträgern für ihre Zwecke nach den gesetzlichen Vorschriften oder der Satzung geschuldete Zahlungen handelt (vgl. BSG 32, 263, 266; Casselmann in Koch/Hartmann, AVG, Bd. V, § 28 RVO I Bl. K 38 - Februar 1974 - mit weiteren Nachweisen; Eisel/Fangmeyer/Hausherr/Meck, Das Melde- und Beitragsrecht, 8. Aufl., Stand 1. März 1974, 28. Ersatzblattlieferung, § 28, S. 6; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil 1, 16. Aufl., § 28, Anm. 3 - 114 - mit weiteren Nachweisen; Spohr/Gunkel, Das Recht der Zwangsvollstreckung in der Sozialversicherung, 3. Aufl., S. 20). Zu den "Rückständen" gehören außer den in erster Reihe zu nennenden Sozialversicherungsbeiträgen neben anderen Zahlungsleistungen auch die Säumniszuschläge (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. I, S. 194 f - 19. Nachtrag August 1960; Casselmann, aaO; Eisel/Fangmeyer/Hausherr/Meck, aaO, § 28, S. 5).
Entgegen der Auffassung der Revision hat sich das Berufungsgericht mit Recht zur einheitlichen und unterschiedslosen Auslegung des Begriffs "Rückstände" in den Abs. 1 und 3 des § 28 RVO bekannt. Dazu hat es sich auch auf das Urteil des 3. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29. April 1971 - 3 RK 55/67 - (BSGE 32, 263, 266) berufen, in dem darüber zu entscheiden war, ob zu den "Rückständen" auch freiwillige Beiträge gehören und für sie ebenfalls das Konkursvorrecht der §§ 28 Abs. 3 RVO, 61 Nr. 1 KO gilt. Der 3. Senat des BSG hat das bejaht und dies u.a. damit begründet, beide Bestimmungen - § 28 Abs. 1 RVO ordnet an, daß Rückstände wie Gemeindeabgaben beigetrieben werden, also nicht vom Versicherungsträger eingeklagt werden müssen; § 28 Abs. 3 RVO gibt ihnen das Konkursvorrecht des § 61 Nr. 1 KO - verwendeten dasselbe Wort "Rückstände"; sie seien systematisch in einem Paragraphen zusammengefaßt und dienten insofern einem vergleichbaren Zweck, als der Versicherungsträger bei Säumigkeit des Beitragsschuldners möglichst schnell und ungehindert, im Konkursfall möglichst vollständig wegen seiner Forderung befriedigt werden solle. Der erkennende Senat stimmt dieser einheitlichen Auslegung des Begriffs "Rückstände" in den Abs. 1 und 3 des § 28 RVO zu. Damit umfaßt das Konkursvorrecht für "Rückstände" (§§ 28 Abs. 3 RVO, 61 Nr. 1 KO) auch die Säumniszuschläge des § 397 a RVO.
Die hiergegen vom Beklagten erhobenen Bedenken greifen nicht durch. Er räumt selbst ein und begrüßt es sogar, daß sich der 3. Senat des BSG in seinem Urteil vom 29. April 1971 (aaO) für eine einheitliche Auslegung des Begriffs "Rückstände" in den Abs. 1 und 3 des § 28 RVO ausgesprochen hat, wie er auch bereit ist zuzugeben, daß der Gesetzgeber den Begriff "Rückstände" in beiden Vorschriften habe einheitlich ausgelegt wissen wollen. Er möchte jedoch die einheitliche Auslegung beider Vorschriften auf eine andere Grundlage stellen. Bei § 28 Abs. 1 RVO hält er es für vertretbar, den Begriff "Rückstände" beliebig weit zu fassen, also auch Säumniszuschläge einzubeziehen, da dies, wie er meint, kostensparend sei und damit im Interesse der Allgemeinheit und der "Gesamtversicherten" liege. Bei § 28 Abs. 3 RVO glaubt er indes eine andere Interessenlage erkennen zu müssen: Je nachdem, ob der Begriff "Rückstände" eng oder weit verstanden werde, wirke sich dies über die Konkursquote unmittelbar auf die Befriedigungsmöglichkeit der gewöhnlichen Konkursgläubiger nach § 61 Nr. 6 KO und damit auf deren schutzwürdige Interessen aus. Das aber, so folgert der Beklagte, zwinge dazu, dem Begriff "Rückstände" eine enge Auslegung zu geben und deshalb die Säumniszuschläge nicht zu den "Rückständen" zu rechnen, so daß die Säumniszuschläge des § 397 a RVO kein Konkursvorrecht nach § 61 Nr. 1 KO haben könnten. Diese Auffassung des Beklagten versagt schon vom Ansatz her. Der Beklagte, der grundsätzlich eine einheitliche Auslegung des Begriffs "Rückstände" in den Abs. 1 und 3 des § 28 RVO bejaht, möchte dies auf möglichst kleinem gemeinsamen Nenner erreichen, indem er wegen der Besorgnis der Benachteiligung der Konkursgläubiger nach § 61 Nr. 6 KO unter den Begriff "Rückstände" nicht auch Säumniszuschläge nach § 397 a RVO fallen lassen möchte. Würde man, indem man dem Gedankengang des Beklagten folgen würde, dem Begriff "Rückstände" die Säumniszuschläge nicht zurechnen und so einen einheitlichen, freilich eingeschränkten Begriff "Rückstände" haben, könnten Säumniszuschläge auch nicht nach § 28 Abs. 1 RVO beigetrieben werden, was jedoch die Revision ausdrücklich für sachgerecht und wünschenswert erklärt.
Der Auffassung der Revision, der Begriff "Rückstände" sei wegen der schutzwürdigen Interessen der Konkursgläubiger nach § 61 Nr. 6 KO möglichst eng auszulegen, kann nicht zugestimmt werden. Es ist zwar richtig, daß durch das Konkursvorrecht des § 61 Nr. 1 KO die in der Rangfolge nachgeordneten Konkursgläubiger der Nrn. 2 bis 6 des § 61 KO wirtschaftlich nachteilig betroffen werden. Dies hat der Gesetzgeber aber ausdrücklich durch die Festlegung einer Reihenfolge gewollt, ohne daß damit etwas darüber ausgesagt ist, wie der Begriff "Rückstände" in § 28 Abs. 3 RVO auszulegen ist. Dem Beklagten könnte nur dann gefolgt werden, wenn das Gesetz die von ihm erstrebte einschränkende Auslegung ausdrücklich verfügt hätte, etwa durch Beschränkung der "Rückstände" auf reine Beitragsrückstände. Gerade dies ist aber nicht der Fall.
Entgegen der Auffassung des Beklagten läßt sich das von ihm erstrebte Ergebnis auch nicht aus dem Sinn und Zweck der Erhebung der Säumniszuschläge nach § 397 a Abs. 1 RVO gewinnen. Gewiß kann dem Beklagten zugegeben werden, daß der Säumniszuschlag eine neben den Beitrag tretende Ungehorsamsfolge ist, kein Verschulden voraussetzt und allein an dem objektiven Tatbestand der Säumnis des Beitragspflichtigen anknüpft und bewirken soll, daß die Träger der Sozialversicherung schneller zu ihren Beiträgen gelangen. Gerade weil der Säumniszuschlag so eng mit dem Beitrag verbunden ist, erscheint es wegen dieser Verknüpfung gerechtfertigt, ihn uneingeschränkt zu den "Rückständen" i.S. des Abs. 3 des § 28 RVO zu rechnen. Das führt auch nicht, wie dies der Beklagte meint, zu einer "Überprivilegierung" der Sozialversicherungsträger, sondern trägt dem Umstand Rechnung, daß der Sozialversicherungsträger zur Erfüllung seiner Aufgaben auf den pünktlichen Eingang der Beiträge angewiesen ist und ihm deshalb im Säumniszuschlag ein Mittel zur Verfügung steht, den ungesäumten Beitragseingang zu erreichen.
Das Berufungsgericht ist auch zutreffend den weiteren Ausführungen des Beklagten entgegengetreten, Steuer- und Sozialversicherungs-Säumniszuschläge müßten gleich behandelt werden, und zwar dahingehend, daß ihnen kein Konkursvorrecht eingeräumt werde, weil nach § 6 des Steuersäumnisgesetzes vom 13. Juli 1961 (BGBl I 993) den Steuersäumniszuschlägen kein Konkursvorrecht mehr zukomme. Das Steuersäumnisgesetz 1961 hat die Regelung des § 5 des Steuersäumnisgesetzes vom 24. Dezember 1934 (RGBl I 1271), wonach sich das Konkursvorrecht auch auf Steuersäumniszuschläge erstreckte, nicht übernommen. Nach § 6 Abs. 2 des Steuersäumnisgesetzes 1961 sind lediglich Zinsen Nebenleistungen der Steuer und auf sie die für Steuern geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden. Es kann offenbleiben, ob diese Gesetzesänderung die Folge hat, daß die Steuersäumniszuschläge kein Konkursvorrecht haben (vgl. z.B. Stier, NJW 1969, 783; LG München I BB 1968, 1308), oder ob sie "steuerartige Abgaben" sind und damit den Rang einer bevorrechtigten Konkursforderung nach § 61 Nr. 2 KO einnehmen (vgl. Rittmann, NJW 1964, 911). Jedenfalls ist diese Gesetzesänderung allein auf die Behandlung der Steuersäumniszuschläge im Konkurs des Steuerschuldners beschränkt. Sie wirkt sich nicht auf die Säumniszuschläge des Sozialversicherungsrechts aus. Wenn dies vom Gesetzgeber gewollt gewesen wäre, hätte es, wie dies das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, einer dahingehenden ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedurft.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1648722 |
BSGE, 213 |