Leitsatz (amtlich)
1. Die für die Bemessung des Arbeitslosengeldes maßgebliche Vorschrift des § 111 Abs 2 S 2 Nr 1 AFG (Fassung: 1975-12-18) ist insoweit, als bei der Bestimmung der Leistungssätze von Lohnsteuertabellen auszugehen ist, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (ebenso: BSG 1980-11-13 7 RAr 14/80).
2. Die für die Höhe des Arbeitslosengeldes maßgebliche Zuweisung nichtverheirateter Arbeitnehmer (ohne Kind) zur Leistungsgruppe A (§ 111 Abs 2 S 2 Nr 1 Buchst a AFG) ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das gilt auch für Arbeitnehmer, die ihres Alters wegen zur Steuerklasse 2 gehören, und für geschiedene Arbeitnehmer, wenn sie im Jahr ihrer Scheidung der Steuerklasse 3 angehören oder wenn sie ihrem früheren Ehegatten Unterhalt schulden.
Leitsatz (redaktionell)
Soweit bei der Zuordnung zu den Leistungsgruppen der Familienstand zu berücksichtigen ist, sind die tatsächlichen Verhältnisse maßgebend.
Zum Steuerrecht geltende Besonderheiten sind unbeachtlich.
Orientierungssatz
Verfassungsmäßigkeit des AFG § 111:
Verstößt die in § 111 AFG getroffene Regelung, soweit sie die Leistungssätze für den nichtverheirateten Arbeitnehmer ohne Kind ausschließlich dem Steuerabzug nach der Lohnsteuertabelle für die Steuerklasse I zugrundelegen läßt, unter Berücksichtigung von Art 6 Abs 1 GG nicht gegen den Gleichheitssatz, ist für eine Verletzung des Art 20 Abs 1 GG kein Raum. Das Sozialstaatsgebot ist auch dann nicht verletzt, wenn das Arbeitslosengeld, gemessen an dem Nettogehalt vor der Arbeitslosigkeit, nicht unerheblich unter dem Richtsatz von 68 vH liegt.
Normenkette
AFG § 111 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Buchst. a Fassung: 1975-12-18; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 6 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 20 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23; AFG § 111 Abs. 1 Fassung: 1974-12-21; EStG
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger begehrt höheres Arbeitslosengeld (Alg).
Der 1925 geborene Kläger, dessen Ehe im Frühjahr 1977 rechtskräftig geschieden worden ist, meldete sich am 29. November 1977 arbeitslos und beantragte Alg. Auf seiner Lohnsteuerkarte 1977 war eingetragen: Steuerklasse III, keine Kinder, verheiratet. Die Lohnsteuerkarte für das Jahr 1978 enthielt die Eintragungen: Steuerklasse II, keine Kinder, geschieden.
Mit Bescheid vom 6. Dezember 1977 bewilligte die Beklagte Alg ab 1. Dezember 1977 nach der Leistungsgruppe A. Der Widerspruch, die Klage und die vom Sozialgericht (SG) zugelassene Berufung hatten keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 1978, Urteil des SG Gießen vom 22. Juni 1978, Urteil des Hessischen Landessozialgerichts -LSG- vom 30. August 1979). Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, das Alg sei zu Recht nach der Leistungsgruppe A bewilligt worden. Es sei nicht mehr von der auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Steuerklasse III auszugehen, da der Kläger inzwischen rechtskräftig geschieden worden sei. Änderungen der eingetragenen Lohnsteuerklasse seien mit Wirkung des Tages zu berücksichtigen, an dem erstmals die Voraussetzungen für die Änderung vorlägen (§ 113 Abs 1 Satz 2 Arbeitsförderungsgesetz -AFG-); der Kläger sei vielmehr der Lohnsteuerklasse II zuzuordnen. Eine Einstufung in die Leistungsgruppe B komme jedoch nicht in Frage, da kein Kind zu berücksichtigen gewesen sei. Die Einstufung des Klägers in die Leistungsgruppe A sei nicht verfassungswidrig. Die vorgenommene Differenzierung nach dem familienrechtlichen Status "verheiratet" und "nicht verheiratet" und der weiteren Aufteilung nach der jeweils zuzuordnenden Lohnsteuerklasse verstoße nicht gegen den Gleichheitssatz iVm dem Sozialstaatsprinzip.
Mit der Revision, die der Kläger innerhalb eines Monats nach Gewährung des Armenrechts eingelegt und begründet hat, rügt er die Verfassungswidrigkeit des § 111 Abs 2 Satz 2 AFG. Für die im Gesetz vorgesehene unterschiedliche Behandlung von geschiedenen unterhaltspflichtigen Arbeitnehmern und verheirateten unterhaltspflichtigen Arbeitnehmern bestehe keine Rechtfertigung. Die Lasten seien im wesentlichen die gleichen. So habe er 650,-- DM monatlich an seine frühere Ehefrau zu zahlen. Die Differenzierung widerspreche dem Zweck des AFG, den Arbeitslosen unter Berücksichtigung seiner Leistungspflichten und Bedürftigkeit wirtschaftlich abzusichern. Werde darauf abgestellt, ob eine Ehe bestehe oder geschieden sei, komme § 111 Abs 2 Satz 2 AFG Sanktionscharakter zu. Die Abhängigkeit der Unterhaltspflicht von dem Leistungsvermögen sei ohne Bedeutung. Ebenso könne die Verfassungswidrigkeit nicht deshalb geleugnet werden, weil das Steuerrecht keine ausreichende Differenzierung kenne.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
unter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
die Urteile des LSG und SG und den Widerspruchsbescheid
aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung
des Bescheides vom 6. Dezember 1977 zu verurteilen,
ihm Arbeitslosengeld ab 1. Dezember 1977 nach
der Leistungsgruppe C zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend. Ergänzend weist sie darauf hin, daß ein Nichtverheirateter, dem nach Steuerrecht ein Kind nicht zugeordnet ist, der aber gleichwohl Unterhalt gewährt, hinsichtlich des Alg nicht einem Verheirateten gleichzusetzen sei. Nicht jede Unterhaltsleistung, die aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung erbracht werde, müsse auch zu einem höheren Alg führen. Auch für den Arbeitslosen, der aufgrund gesetzlicher Verpflichtung seinen Eltern Unterhaltsleistung erbringe, sei kein höheres Alg vorgesehen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist zulässig. Der Kläger hat die Fristen für die Einlegung und Begründung der Revision (§ 164 SGG) versäumt. An ihrer Einhaltung war er jedoch schuldlos verhindert, weil er infolge Armut keinen beim Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Prozeßbevollmächtigten bestellen konnte. Auf seinen binnen eines Monats nach Wegfall dieses Hindernisses unter gleichzeitiger Einlegung und Begründung der Revision gestellten Antrag ist ihm daher gemäß § 67 SGG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumten Fristen zu gewähren.
In der Sache ist die Revision unbegründet. Dem Kläger steht, wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, kein höheres Alg zu.
Nach § 111 Abs 1 AFG in der seit dem 1. Januar 1975 geltenden Fassung des Art 27 Nr 8 des Einführungsgesetzes zum Einkommensteuerreformgesetz (EG-EStRG) vom 21. Dezember 1974 (BGBl I 3656) beträgt das Alg 68 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts. Nach diesem Maßstab hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung durch Rechtsverordnung jeweils für ein Kalenderjahr die Leistungssätze zu bestimmen (§ 111 Abs 2 Satz 1 AFG idF des EG-EStRG). Dabei ist gemäß § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1 Buchst a AFG in der seit dem 1. Januar 1976 geltenden Fassung des Art 1 § 1 Nr 27 des Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur im Geltungsbereich des Arbeitsförderungs- und des Bundesversorgungsgesetzes (HStruktG-AFG) vom 18. Dezember 1975 (BGBl I 3113) für nichtverheiratete Arbeitnehmer ohne Kinder iS des § 32 Abs 4, 6 und 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als Lohnsteuer die Steuer nach der Lohnsteuertabelle für die Steuerklasse I zugrunde zu legen (Leistungsgruppe A). Zutreffend hat die Beklagte das Alg des Klägers nach dieser Leistungsgruppe bestimmt.
Der Kläger war während der Alg-Bezugszeit geschieden, er war also iS des § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1 AFG nicht verheiratet; er hatte auch keine Kinder im Sinne dieser Vorschrift. Daß auf seiner Lohnsteuerkarte für 1977 noch die Steuerklasse III und "verheiratet" eingetragen war, ist ebenso ohne Bedeutung wie die Eintragung der Steuerklasse II in der Lohnsteuerkarte für 1978. Zwar bestimmt § 113 Abs 1 Satz 1 AFG (idF des Art 1 § 1 Nr 29 HStruktG-AFG), daß die Lohnsteuerklasse maßgebend ist, die zu Beginn des Kalenderjahres eingetragen war, in dem der Anspruch entstanden ist; auch sieht § 113 Abs 1 Satz 3 AFG vor, daß die Eintragung einer anderen Steuerklasse auf einer für spätere Kalenderjahre ausgestellten Lohnsteuerkarte berücksichtigt wird. Doch gilt dies nur, soweit die Höhe des Alg von der auf der Lohnsteuerkarte des Arbeitslosen eingetragenen Lohnsteuerklasse abhängt (§ 113 Abs 1 Satz 1 AFG). Dies ist, sofern auf der Lohnsteuerkarte nicht die Steuerklasse VI eingetragen ist, bei nichtverheirateten Arbeitnehmern grundsätzlich nicht der Fall. Nach § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1 AFG hängt die Leistungsgruppe nichtverheirateter Arbeitnehmer weder von der eingetragenen Lohnsteuerklasse, noch von dem auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Familienstand, sondern allein von dem tatsächlichen, dh während des Alg-Bezugs vorliegenden Familienstand ab (Schönefelder/Kranz/Wanka, AFG § 111 RdNr 9, Stand August 1976; Hennig/Kühl/Heuer, AFG, § 111 Anm 5, 10. Ergänzungslieferung; Eckert ua, GK-AFG, § 111 RdNr 7). Die hiervon abweichende steuerliche Behandlung nichtverheirateter Arbeitnehmer hat im Rahmen des § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1 AFG keine Berücksichtigung gefunden.
Diese gesetzliche Regelung, nach der die Höhe des Alg des Klägers der Leistungsgruppe A zu entnehmen ist, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Zu Unrecht macht der Kläger geltend, das Gesetz verletze den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG), indem es ihn, obwohl er seiner früheren Ehefrau Unterhalt schulde, wie einen Ledigen behandele und ihm ein geringeres Alg als einem vergleichbaren verheirateten Arbeitslosen gewähre.
Nach § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 2 AFG richtet sich die Lohnsteuer, die bei der Bestimmung der Leistungssätze zugrunde zu legen ist, dh die Leistungsgruppe, bei nichtverheirateten Arbeitnehmern, sofern nicht die Steuerklasse VI eingetragen ist, lediglich danach, ob der nichtverheiratete Arbeitnehmer ein Kind iS des § 32 Abs 4, 6 und 7 EStG hat. In diesem Falle ist die Steuer nach der Lohnsteuertabelle für die Steuerklasse II mit einem Kind (Leistungsgruppe B) zugrunde zu legen, in allen anderen Fällen die Steuer nach der Lohnsteuertabelle für die Steuerklasse I (Leistungsgruppe A); Belastungen des nichtverheirateten Arbeitnehmers mit Unterhaltsverpflichtungen für den früheren Ehegatten werden nicht berücksichtigt. Bei verheirateten Arbeitnehmern richtet sich die Leistungsgruppe nach der Steuerklasse, die auf der Lohnsteuerkarte eingetragen ist. Ist die Lohnsteuerklasse IV eingetragen, gehört der verheiratete Arbeitnehmer wie der nichtverheiratete Arbeitnehmer (ohne Kind) zur Leistungsgruppe A. Ist die Lohnsteuerklasse V eingetragen, so ist die Leistungsgruppe D maßgebend, deren Leistungssätze vereinzelt gleich hoch, im wesentlichen aber geringer sind als die der Leistungsgruppe A. In allen diesen Fällen erhält der verheiratete Arbeitnehmer kein höheres Alg als der nichtverheiratete. Höheres Alg erzielt der verheiratete Arbeitnehmer, wenn er zu den Leistungsgruppen B und C gehört; das ist der Fall, wenn für ihn die Steuerklasse I oder II bzw III eingetragen ist. Die Nichtberücksichtigung der Unterhaltsverpflichtung Geschiedener ist ebenso wie die Differenzierung zu Lasten der nichtverheirateten Arbeitnehmer sachgerecht. Die Bemessung des Alg nach Leistungsgruppen beruht nämlich auf der Anbindung der Leistungssätze an ein typisiertes und pauschales Nettoarbeitsentgelt. Somit liegt ein sachlich einleuchtender Grund für die Einteilung in Leistungsgruppen vor. Wie der Senat schon entschieden hat, ist die Zuweisung Verheirateter mit der Steuerklasse V in die Leistungsgruppe D verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl das gleichzeitig ergehende Urteil vom 13. November 1980 - 7 RAr 14/80 -). Auch hinsichtlich der Zuweisung geschiedener Arbeitnehmer in die Leistungsgruppe A hat der Gesetzgeber tatsächliche Gleichheiten oder Ungleichheiten, die so bedeutsam sind, daß sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen, nicht unberücksichtigt gelassen. Daher läßt sich weder eine Verletzung des Art 3 Abs 1 GG noch des Art 20 Abs 1 GG feststellen. Ob die getroffene gesetzliche Regelung die denkbar gerechteste Lösung ist, ist dabei nicht zu prüfen.
Nach dem früheren Recht der Arbeitslosenversicherung bestand das Alg aus der Hauptunterstützung bzw dem Hauptbetrag und den Familienzuschlägen für Angehörige des Arbeitslosen. Während sich die gesetzlich festgelegten Leistungssätze des Hauptbetrages nach dem durchschnittlichen Arbeitsentgelt berechneten, war der Familienzuschlag schließlich ein zusätzlicher fester Betrag, der für unterhaltsberechtigte Angehörige, und zwar für Kinder und den Ehegatten, aber auch für sonstige Verwandte, Verschwägerte und für den geschiedenen Ehegatten des Arbeitslosen gewährt wurde (vgl §§ 103 ff des Gesetzes über Arbeitslosenvermittlung und Arbeitslosenversicherung -AVAVG- idF vom 16. Juli 1927, RGBl I 187; ferner §§ 89 f AVAVG idF vom 3. April 1957, BGBl I 322). Seit dem 1. April 1967 wurden Familienzuschläge nur noch für den Ehegatten des Arbeitslosen und für Kinder gewährt (§ 89 AVAVG idF des 7. Änderungsgesetzes vom 10. März 1967, BGBl I 266). Da die Leistungssätze des Hauptbetrages nunmehr an dem Nettolohn eines Ledigen ausgerichtet waren, diente der Familienzuschlag seitdem als Ausgleich dafür, daß der Verheiratete je nach der Größe seiner Familie wegen geringerer Steuerbelastung bei gleichem Bruttoarbeitsentgelt ein höheres Nettoentgelt als der Ledige hatte, so daß sein Alg höher sein sollte (vgl Bericht des Abgeordneten Porten, zu BT-Drucks V/1420 S 2; ferner Begründung zum Regierungsentwurf des EG-EStRG, BT-Drucks 7/2722 S 31 zu Art 23); zum anderen sollte der Arbeitslose, der für eine Familie zu sorgen hatte, in die Lage versetzt werden, auch während der Arbeitslosigkeit seinen gegenüber einem Ledigen höheren Verpflichtungen nachzukommen (vgl BT-Drucks V/1420 S 2). Andere Verpflichtungen des Arbeitslosen, insbesondere Unterhaltsverpflichtungen geschiedener oder wiederverheirateter Arbeitsloser gegenüber einem früheren Ehegatten, wurden bei der Alg-Höhe nicht mehr berücksichtigt (vgl Schieckel, SGb 1967, 296, 297; Büsing, SGb 1968, 236, 237) zugunsten einer zügigen Bearbeitung der Leistungsanträge wurde die "gewisse Vergröberung" des komplizierten bisherigen Rechts der Familienzuschläge in Kauf genommen (vgl zu BT-Drucks V/1420 S 2 f). Das AFG in seiner ursprünglichen Fassung vom 25. Juni 1969 (BGBl I 582) hielt daran fest, daß Familienzuschläge nur für den Ehegatten und für Kinder gewährt wurden (vgl §§ 111, 113 AFG aF). Das bisherige Erfordernis einer familienrechtlichen Unterhaltsverpflichtung wurde fallen gelassen; einzige Voraussetzung für die Gewährung des Familienzuschlages für den Ehegatten war, daß die Ehegatten nicht dauernd getrennt lebten (§ 113 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG aF).
Das derzeitige System des § 111 AFG, wonach bei der Bemessung des Alg (68 % des "Nettolohnes") eine Pauschalierung der gesetzlichen Steuerabzüge in Anknüpfung an den Familienstand und Lohnsteuerklassen erfolgt, geht letztlich auf das EG-EStRG zurück. Nachdem durch das Gesetz zur Reform der Einkommensteuer, des Familienlastenausgleichs und der Sparförderung (EStRG) vom 5. August 1974 (BGBl I 1769) im Steuerrecht ab 1. Januar 1975 die Kinderfreibeträge entfallen waren und dafür - mit wesentlich höheren Beträgen - Kindergeld vom ersten Kind an gewährt wurde, wurde kein Anlaß mehr gesehen, Belastungen des Arbeitslosen durch Unterhaltsleistungen an Kinder bei der Alg-Höhe weiterhin zu berücksichtigen (vgl BT-Drucks 7/2722 zu Art 23 S 31). Die Höhe des Alg wurde je nach Familienstand (verheiratet/nichtverheiratet) nach dem ausfallenden Nettoarbeitsentgelt eines Verheirateten bzw eines Nichtverheirateten ausgerichtet. Damit bedurfte es des Familienzuschlags für den Ehegatten nicht mehr, um das im Vergleich mit dem Nichtverheirateten höhere Nettoentgelt des Verheirateten auszugleichen (vgl BT-Drucks 7/2722 S 31 f). Entsprechend sah § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1 AFG idF des EG-EStRG bei Nichtverheirateten einen Lohnsteuerabzug nach der Einkommensteuer-Grundtabelle, bei Verheirateten nach der Einkommensteuer-Splittingtabelle vor; Nichtverheiratete mit einem Kind iS von § 32 Abs 4 bis 7 EStG waren Verheirateten gleichgestellt. Die bloße Unterscheidung von Verheirateten und Nichtverheirateten berücksichtigte jedoch nicht, daß die steuerliche Belastung des Verheirateten, dessen Ehegatte auch erwerbstätig war, sich je nach der gewählten Steuerklasse wesentlich unterschied. Das HStruktG-AFG sah es deshalb als erforderlich an, die Alg-Sätze für Arbeitslose, deren Ehegatte ebenfalls erwerbstätig ist, neu festzusetzen (vgl BT-Drucks 7/4127 Begründung I 2 zu Art 20 S 48). Deshalb sollte künftig bei der Festsetzung der Leistungssätze grundsätzlich die im Einzelfall maßgebliche Lohnsteuerklasse des Arbeitslosen berücksichtigt werden (aaO Begründung II zu Art 20 § 1 Nr 25 S 52). Trotz dieser grundsätzlichen Anbindung der Leistungssätze an das Lohnsteuersystem hat der Gesetzgeber die Frage, welche Steuervergünstigungen bei den Leistungsgruppen des § 111 Abs 2 AFG zu berücksichtigen sind, in wesentlichen Punkten unabhängig vom Steuerrecht vorgenommen.
Die Anbindung des Alg an das Nettoarbeitsentgelt, dh ua die Berücksichtigung der steuerlichen Belastung, ist sinnvoll; sie entspricht der Funktion des Alg, den infolge der Arbeitslosigkeit ausfallenden Lohn zu ersetzen. Allerdings hat der Gesetzgeber das Alg nicht an die individuelle steuerliche Situation des Arbeitslosen angeknüpft, vielmehr sind lediglich die bei den Arbeitnehmern gewöhnlich anfallenden Steuerabzüge zu berücksichtigen. Damit werden bei der Bildung der Leistungssätze nur diejenigen steuerlichen Freibeträge und Kostenpauschalen zugrunde gelegt, die bereits in die der jeweiligen Lohnsteuerklasse zugeordneten Lohnsteuertabelle eingearbeitet sind und den laufenden Lohnsteuerabzug ohne weiteres vermindern (vgl §§ 38b, 38c Abs 1 Nr 1 bis 7 EStG). Hingegen bleiben alle sonstigen - individuellen - Freibeträge, die kraft besonderer Eintragung auf der Lohnsteuerkarte vom Arbeitslohn abgezogen werden können (§ 39a EStG) sowie sonstige Steuervergünstigungen, die erst im Lohnsteuerjahresausgleich bzw bei einer Veranlagung zur Einkommensteuer zu einer Steuerentlastung führen, grundsätzlich unberücksichtigt. Für eine derartige pauschalierende bzw typisierende Regelung bestehen sachlich einleuchtende Gründe: Nach der Zweckbestimmung des Alg, das ausfallenden Lohn ersetzen soll, besteht die Notwendigkeit zu schneller Berechnung und Auszahlung dieser Leistung. Für eine praktische Handhabung bieten sich daher von Bruttoentgelten abhängige Leistungssätze an, die in Anlehnung an die nach Lohnsteuerklassen aufgebauten Lohnsteuertabellen entwickelt werden können. Die Nichtberücksichtigung individueller Freibeträge verhindert zudem Manipulationen, die - anders als im Steuerrecht - sich nachträglich nur durch unangemessenen Verwaltungsaufwand ausgleichen ließen und schließlich den Zweck des Alg verfehlten. Die Zahlung von Alg erfüllt ihren Zweck nur während der - im Regelfall relativ kurzen - Arbeitslosigkeit; etwaige Ausgleichszahlungen zu einem späteren Zeitpunkt würden diesen Zweck verfehlen (vgl dazu BSG SozR 4100 § 112 Nr 1, 3, 5). Typisierende Regelungen dieser Art, die sich insbesondere bei der Ordnung von Massenerscheinungen als notwendig erweisen, bringen Härten mit sich, die verfassungsrechtlich grundsätzlich hinzunehmen sind. Insbesondere im Bereich des Sozialversicherungsrechts ist der Gesetzgeber nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) nicht gehindert, solche typisierende Regelungen unter Vernachlässigung der Besonderheiten einzelner Fälle zu erlassen (vgl BVerfGE 17, 1, 23f; 23, 135, 144; 36, 237, 245; 40, 121, 136).
Hieraus ergibt sich zwanglos, daß die Unterhaltsverpflichtung des geschiedenen Arbeitslosen gegenüber einem früheren Ehegatten bei der Alg-Höhe nicht berücksichtigt wird; denn Belastungen dieser Art, dh auch Unterhaltsverpflichtungen gegenüber anderen Personen, wie Eltern usw, sind in den Lohnsteuertabellen nicht berücksichtigt. Die Unterhaltsleistungen, die der geschiedene Arbeitnehmer zu zahlen verpflichtet ist, kann er gemäß § 33a Abs 1 EStG bis zur Höhe von 3.600,-- DM (bis 1978 3.000,-- DM) zwar als außergewöhnliche Belastung geltend machen, jedoch nur durch Eintragung eines entsprechenden Freibetrages im Lohnsteuerjahresausgleich oder bei der Veranlagung zur Einkommensteuer. Gleiches gilt, wenn der geschiedene Arbeitnehmer gemäß § 10 Abs 1 Nr 1 EStG idF des Steueränderungsgesetzes 1979 vom 30. November 1978 (BGBl I 1849) mit Zustimmung des unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Leistungsempfängers Unterhaltszahlungen bis zur Höhe von 9.000,-- DM im Kalenderjahr als Sonderausgaben abzieht. Die Nichtberücksichtigung von Unterhaltszahlungen an den früheren Ehegatten bei der Alg-Höhe trifft nicht nur den nichtverheirateten geschiedenen Arbeitnehmer, sondern auch den wiederverheirateten Arbeitnehmer. Mit Recht weist die Beklagte darauf hin, daß auch Unterhaltsverpflichtungen gegenüber anderen Personen, wie Eltern usw unberücksichtigt bleiben, so daß auch ledige Arbeitnehmer betroffen sind; eine Ungleichbehandlung liegt daher nicht vor.
Ebenso ist es wegen der gebotenen Typisierung bzw Schematisierung, die lediglich den bei den Arbeitnehmern gewöhnlich anfallenden Steuerabzug berücksichtigen will, nicht willkürlich, sondern aus Gründen der Vereinfachung sachgerecht, daß der Gesetzgeber bei nichtverheirateten Arbeitnehmern ohne Kind die Steuer nach der Lohnsteuertabelle für die Steuerklasse I (Leistungsgruppe A) auch dann zugrundelegt, wenn der Arbeitnehmer, weil er vor Beginn des Kalenderjahres das 49. Lebensjahr vollendet hat, nach § 38b EStG in die Steuerklasse II gehört. Zwar unterliegt der Arbeitnehmer in der Steuerklasse II, in der ihm ein in die Lohnsteuertabelle eingearbeiteter Haushaltsfreibetrag von 840,-- DM gewährt wird (§ 32 Abs 3 Nr 1, § 38c Abs 1 Nr 5 EStG), einem gegenüber der Steuerklasse I verminderten Steuerabzug. Doch wirkt sich die Verminderung des Abzugs nicht derart aus, daß der Gesetzgeber gehalten gewesen wäre, wegen der grundsätzlichen Anbindung der Alg-Höhe an das Nettoarbeitsentgelt eine besondere Leistungsgruppe für nichtverheiratete Arbeitnehmer mit der Steuerklasse II zu bilden. Auch andere in den Lohnsteuertabellen berücksichtigte Steuervergünstigungen führen nach § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1 AFG nicht zu erhöhten Leistungsstätten, so zB die um je 600,-- und je 300,-- DM bzw 300,-- und 150,-- DM je Kind erhöhten Höchstbeträge der Versorgepauschale verheirateter Arbeitnehmer mit den Steuerklassen III und IV (§ 10c Abs 3 Satz 2, § 10c Abs 5 Nr 1, § 38c Abs 1 Nr 4 Buchst b und c EStG) in den Leistungsgruppen A und C, sowie bei verheirateten und nichtverheirateten Arbeitnehmern mit der Steuerklasse II die gleichen Erhöhungen vom zweiten Kind an (§ 10c Abs 3 Satz 2, § 38c Abs 1 Nr 4 Buchst a EStG) in der Leistungsgruppe B.
Soll bei der Bestimmung der Leistungssätze der bei den Arbeitnehmern gewöhnlich anfallende Steuerabzug berücksichtigt werden, so erlaubt diese vom Gesetz vorgesehene Typisierung nach dem Gewöhnlichen, Üblichen und Regelmäßigen, steuerliche Ausnahme- und Übergangstatbestände unberücksichtigt zu lassen. Daher ist es nicht zu beanstanden, daß nach § 111 AFG bei den Leistungssätzen nicht berücksichtigt wird, daß dem nicht wiederverheirateten Arbeitnehmer nach Auflösung der Ehe für das laufende Kalenderjahr die Lohnsteuerklasse III verbleibt, bzw im Falle einer nachträglichen Ausstellung der Lohnsteuerkarte, sofern der andere Ehegatte mit einer neuen Ehe die Voraussetzung für eine Zusammenveranlagung erfüllt, ihm für das Kalenderjahr der Eheauflösung die Lohnsteuerklasse III zugebilligt wird (§ 38c Nr 3 Buchst c EStG). Es handelt sich insoweit lediglich um eine Vergünstigung für eine Übergangszeit, die zudem von Billigkeitserwägungen bestimmt ist (Blümich/Falk, EStG, § 38b Anm 2c, Ergänzungslieferung Februar 1979).
Gehören nichtverheiratete Arbeitnehmer grundsätzlich der Steuerklasse III nicht an, ist es sachgerecht, den Leistungssätzen für nichtverheiratete Arbeitnehmer nicht die Steuer nach der Lohnsteuertabelle für die Lohnsteuerklasse III ohne Kind (Leistungsgruppe C) zugrunde zu legen. Die Ansicht des Klägers, infolge seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber seiner früheren Ehefrau trage er die gleichen Lasten wie ein Verheirateter, verkennt, daß der geringere Lohnabzug in der Steuerklasse III nicht in typisierender Weise die Unterhaltsleistungen zwischen den Ehegatten berücksichtigt. In der Steuerklasse III erfolgt der Lohnsteuerabzug nach der Splittingtabelle. Durch das Splitting werden die Einkommen der Ehegatten keiner höheren Steuer unterworfen, als wenn jeder Ehegatte die Hälfte der Summe beider Einkommen erzielen würde. Diese Besteuerung bewirkt zwar in den Fällen, in denen die Einkünfte der Ehegatten unterschiedlich hoch sind, als zwangsläufige Folge des progressiven Steuertarifs regelmäßig eine steuerliche Entlastung, den sogenannten Splittingeffekt. Haben aber beide Ehegatten gleich hohe Einkünfte, bringt das Splitting trotz gegenseitiger Unterhaltspflicht keine steuerlichen Vorteile. Hieran zeigt sich, daß das Splitting nicht Unterhaltsansprüche unter den Ehegatten berücksichtigt, sondern lediglich dem Ausgleich von möglichen Nachteilen dient, die dadurch eintreten, daß die Besteuerung an die intakte Ehe als eine steuerlich nicht trennbare Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft anknüpft und die Ehegatteneinkünfte zusammenrechnet (vgl BFHE 128, 236, 241f; BFH Betrieb 1980, 2317). Mit der Rechtskraft der Scheidung ist aber die Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft beendet, so daß weder steuerrechtlich noch im Hinblick auf die Höhe des Alg der Geschiedene wie ein Verheirateter zu behandeln ist. Zum anderen verkennt der Kläger, daß der besondere Schutz der staatlichen Ordnung, unter dem Ehe und Familie stehen (Art 6 Abs 1 GG), den Gesetzgeber berechtigt, bei Lohnersatzleistungen verheiratete Arbeitnehmer mit Rücksicht auf die Unterhaltsverpflichtungen gegenüber nichtverheirateten Arbeitnehmern zu begünstigen, um die bestehende Ehe zu schützen. Der Unterhalt, den sich Ehegatten gegenseitig schulden, hat eine andere Bedeutung als der Unterhalt des schuldig Geschiedenen nach altem Recht (§§ 58, 61, Abs 1 Ehegesetz) oder der Unterhalt des Geschiedenen nach neuem Recht in Fällen, in denen ein Ehegatte nach der Scheidung nicht selbst für seinen Unterhalt sorgen kann (§§ 1569 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches -BGB- idF des 1. Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 14. Juni 1976, BGBl I 1421), bzw der Unterhalt aus Billigkeitsgründen nach der Scheidung (§ 61 Abs 2 EheG, § 1576 BGB). Daher liegt eine willkürliche Ungleichbehandlung weder des ledigen noch des geschiedenen Arbeitnehmers, der seinem früheren Ehegatten unterhaltsverpflichtet ist, darin, daß § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1 AFG die Leistungssätze für Unverheiratete, die kein Kind haben, nach dem höheren Steuerabzug nach der Lohnsteuertabelle für die Steuerklasse I (Leistungsgruppe A) bestimmen läßt, während für verheiratete Arbeitnehmer, sofern sie nicht in die Steuerklasse III, IV oder V gehören, auch wenn sie nicht ein Kind iS des § 32 Abs 4, 6 und 7 EStG haben, der günstigere Steuerabzug nach der Lohnsteuertabelle für die Steuerklasse II mit einem Kind (Leistungsgruppe B) vorgesehen ist.
Verstößt die in § 111 AFG getroffene Regelung, soweit sie die Leistungssätze für den nichtverheirateten Arbeitnehmer ohne Kind ausschließlich dem Steuerabzug nach der Lohnsteuertabelle für die Steuerklasse I zugrundelegen läßt, unter Berücksichtigung von Art 6 Abs 1 GG nicht gegen den Gleichheitssatz, ist für eine Verletzung des Art 20 Abs 1 GG kein Raum. Das Sozialstaatsgebot ist auch dann nicht verletzt, wenn das Alg, gemessen an dem Nettogehalt vor der Arbeitslosigkeit, nicht unerheblich unter dem Richtsatz von 68 vH liegt. Die Ausgestaltung des Sozialstaatsprinzips obliegt im wesentlichen dem Gesetzgeber (BVerfGE 1, 97, 105; 8, 274, 329; 36, 73, 84), dessen Entscheidungsfreiheit lediglich insoweit eingeschränkt ist, als die einzelne Entscheidung den Anforderungen sozialer Gerechtigkeit genügen muß (BVerfGE 40, 121, 193 f; BSGE 43, 128, 133 f mwN); ein Anspruch auf eine bestimmte Regelung besteht nicht. Der Kläger hat einen angemessenen Ersatz für den Ausfall erhalten, den er dadurch erlitten hat, daß er keinen Arbeitsplatz innehatte; damit ist dem Sozialstaatsprinzip Genüge getan (BVerfG SozR 4100 § 112 Nr 10).
Ist nach allem das Alg des Klägers richtig berechnet worden, bleibt die Revision ohne Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
BSGE, 10 |
Breith. 1981, 724 |