Leitsatz (amtlich)
SGG § 193 Abs 4 gilt auch für Verfahren zwischen Behörden, Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts untereinander.
Normenkette
SGG § 193 Abs. 4 Fassung: 1957-07-26
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 22. November 1957 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Anordnung über die Erstattung außergerichtlicher Kosten für die beiden ersten Rechtszüge entfällt. Auch für das Revisionsverfahren sind keine Kosten zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Im September 1952 veranstaltete der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (BELF) eine Studienreise deutscher Sachverständiger nach den USA zum Studium der dortigen Markt- und Absatzeinrichtungen im Obst-, Gemüse und Gartenbau. Die Kosten der Reise wurden aus ERP-Mitteln getragen, die vom Bundesministerium für den Marshall-Plan verwaltet wurden. Die Teilnehmer wurden auf Grund von Vorschlägen der Länderministerien für Ernährung und Landwirtschaft vom BELF ausgewählt. Sie mußten sich ihm gegenüber verpflichten, einen schriftlichen Bericht über die auf der Reise gesammelten Erfahrungen zu erstatten. Ferner war vorgesehen, daß sie - zumindest einige von ihnen - auf Veranlassung des BELF vor Fachkreisen Vorträge über ihre Eindrücke von der Amerikareise halten sollten. Zu den Reiseteilnehmern gehörte auch C G aus B. Er war Leiter des Einkaufskontors der Großeinkaufs-Gesellschaft Deutscher Konsumgenossenschaften m. b. H., außerdem Mitglied der B Bürgerschaft und Sprecher der Deputation für Ernährung und Landwirtschaft. Maßgebend dafür, daß der Senator für die Wirtschaft - Ernährung und Landwirtschaft - in B ihn als Teilnehmer vorgeschlagen hatte, waren sowohl seine Sachkunde als auch seine vorerwähnte Tätigkeit im öffentlichen Leben der Stadt B. Für die Dauer der Studienfahrt wurde G von seiner Arbeitgeberin unter Weiterzahlung seiner Bezüge beurlaubt.
Am 15. September 1952 fiel G in den USA bei der Besichtigung eines Großmarktes einem Verkehrsunfall zum Opfer. Wegen der Entschädigungsansprüche der Hinterbliebenen aus der gesetzlichen Unfallversicherung kam es, nachdem die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung (BafU) als der für den BELF zuständige Versicherungsträger die Entschädigung abgelehnt hatte, zu einem Rechtsstreit vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit. An diesem Verfahren waren die Klägerin und die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft als Beigeladene beteiligt. Nachdem im ersten Rechtszuge die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft als der für die Großeinkaufs-Gesellschaft Deutscher Konsumgenossenschaften zuständige Versicherungsträger zur Entschädigung verurteilt worden war, kam es vor dem Landessozialgericht (LSG) Bremen am 22. März 1956 zu einem Vergleich. Die Witwe und der Sohn des C G verzichteten auf ihre Ansprüche aus dem Urteil des Sozialgerichts (SG) gegen die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft; die Klägerin erklärte sich bereit, die Hinterbliebenenbezüge in gesetzlicher Höhe zu gewähren. In dem Vergleich heißt es weiter: "Die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung wird sich mit der Eigenunfallversicherung des Landes Bremen darüber verständigen, ob und wie anteilsmäßig an die Kläger zu bewirkende Leistungen unter diesen beiden Versicherungsträgern aufgeteilt werden. Falls es hierüber zu keiner Verständigung kommt, soll insoweit eine gerichtliche Entscheidung herbeigeführt werden."
Eine Einigung über die Verteilung der Entschädigungslast kam nicht zustande. Deshalb hat die Klägerin Klage erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zur Gewährung der Entschädigungsleistungen zur Hälfte heranzuziehen. Zur Begründung der Klage hat sie vorgebracht, die Initiative zu der Studienfahrt sei nicht vom Lande Bremen, sondern vom BELF ausgegangen und die Fahrt habe sowohl in dessen Interesse als auch in dem des Landes Bremen gelegen.
Das SG hat die Beklagte verurteilt, sich an der Gewährung von Entschädigungsleistungen an die Hinterbliebenen des C G zur Hälfte zu beteiligen und der Klägerin die von ihr allein gewährten Leistungen in diesem Umfang zu erstatten. Zur Begründung der Entscheidung hat das SG ausgeführt: G sei auf der Studienreise nach § 537 Nr. 10 der Reichsversicherungsordnung (RVO) versichert gewesen. Seine Tätigkeit sei sowohl dem "Unternehmen" Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den BELF, als auch dem Lande Bremen zuzurechnen. Die zuständigen Versicherungsträger ständen daher in einem Gesamtschuldverhältnis im Sinne des § 421 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Im Verhältnis zueinander seien sie in entsprechender Anwendung des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB zu gleichen Teilen verpflichtet.
Die Berufung der Beklagten ist durch Urteil des LSG Bremen vom 22. November 1957 mit folgender Begründung zurückgewiesen worden: Die Klägerin habe mit Recht die Entschädigungspflicht gegenüber den Hinterbliebenen übernommen, weil G sich im Interesse des Landes Bremen an der Studienfahrt beteiligt habe und dabei nach § 537 Nr. 10 in Verbindung mit Nr. 1 RVO versichert gewesen sei. Er sei aber auch wie ein nach § 537 Nr. 1 RVO Beschäftigter für den BELF tätig geworden. Denn dieser habe im Zusammenwirken mit weiteren Bundesbehörden die Studienreise veranstaltet. Dabei hätten Erfahrungen gesammelt werden sollen, die dem Obst-, Gemüse- und Gartenbau in der Bundesrepublik zugute kommen sollten. Das Sammeln und Weitergeben solcher Erfahrungen seien Aufgabe des BELF gewesen. Somit seien zwei Versicherungsträger für die Entschädigung zuständig. Die Voraussetzungen des § 1739 RVO für die Verteilung der Entschädigungslast seien daher gegeben. Nach der Sachlage sei die Verteilung im Verhältnis 50:50 angemessen, da die Bundesrepublik Deutschland und das Land Bremen gleichermaßen, wenn auch vielleicht aus verschiedenen Motiven, an der unfallbringenden Tätigkeit des Christian G interessiert gewesen seien und die Tätigkeit ihnen beiden habe zugute kommen sollen.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Das Urteil ist der Beklagten am 18. März 1958 zugestellt worden. Sie hat hiergegen am 27. März 1958 Revision eingelegt und diese gleichzeitig begründet.
Die Revision führt aus: Das LSG habe zu Unrecht die Entschädigungspflicht der Beklagten aus § 537 Nr. 10 RVO hergeleitet. G habe im Verhältnis zum BELF nicht als Bediensteter an der Studienreise teilgenommen; er sei ein freier Mann gewesen. Er habe in der Art, wie ein Gelehrter selbständig Forschungen unternehme, für sich persönlich Erfahrungen sammeln wollen. Die Abfassung der vorgesehenen Berichte und das Halten von Vorträgen seien die typische Tätigkeit eines unabhängigen und deshalb nicht unter § 537 Nr. 10 RVO fallenden Forschers. Abgesehen hiervon sei die Tätigkeit, die G während der Reise ausgeübt habe und später noch habe ausüben sollen, keine Arbeit im Rechtssinne; sie sei der ehrenamtlichen Mitarbeit in einer Kirchengemeinde vergleichbar.
Die Beklagte beantragt,
die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf die Urteile der Vorinstanzen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden erklärt. Von der Möglichkeit, in dieser Weise zu verfahren, hat der Senat Gebrauch gemacht.
II
Die Revision ist zulässig, abgesehen vom Kostenpunkt jedoch unbegründet.
Die Klage ist auf eine Beteiligung an der Entschädigungslast gerichtet, welche die Klägerin aus Anlaß des Unfalls des C G zu tragen hat. Die Zulässigkeit einer solchen Klage ergibt sich, wie der erkennende Senat im Urteil vom 6. April 1960 (BSG 12 S. 65) näher ausgeführt hat, aus § 54 Abs. 5 bzw. § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Nach jener Entscheidung hat, wenn die Voraussetzungen des § 1739 RVO vorliegen und die Beteiligten sich über die Verteilung der Entschädigungslast nicht einigen, der für die Entschädigung des Verletzten zuständige Versicherungsträger einen vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit verfolgbaren Rechtsanspruch auf Mitbeteiligung an der Entschädigungslast.
Das LSG hat die Klage auch mit Recht als begründet angesehen. Voraussetzung für das Verteilungsverfahren nach § 1739 RVO ist, daß der Verletzte bei einer unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehenden Beschäftigung verunglückt ist, die mehreren, bei verschiedenen Versicherungsträgern versicherten Betrieben oder Tätigkeiten zuzurechnen ist. Das LSG hat die unfallbringende Tätigkeit einerseits der Klägerin zugerechnet. Diese Rechtsauffassung wird durch die vom Berufungsgericht getroffenen, von der Revision nicht angegriffenen und daher das Revisionsgericht bindenden Feststellungen getragen. Der Verunglückte G sollte in seiner Eigenschaft als Bürgerschaftsmitglied von Bremen und als Sprecher der Deputation für Ernährung und Landwirtschaft die Markt- und Absatzeinrichtungen im Obst-, Gemüse- und Gartenbau der USA studieren und die dort gesammelten Erfahrungen der Dienststelle des Bremischen Senators für die Wirtschaft - Ernährung und Landwirtschaft - zugute kommen lassen. Er ist dabei zwar nicht auf Grund eines Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnisses (§ 537 Nr. 1 RVO), aber "wie" ein solcher Beschäftigter vorübergehend tätig geworden (§ 537 Nr. 10 RVO). Er hat eine ernstliche, dem Willen des Senators für Wirtschaft entsprechende und nach ihrer Zielsetzung dem Lande Bremen förderliche Tätigkeit ausgeübt (vgl. hierzu BSG 5 S. 168 (171 ff.)). Der Verunglückte war somit nach § 537 Nr. 10 RVO bei der Eigenunfallversicherung des Landes Bremen versichert; dieser Versicherungsträger hat daher mit Recht gegenüber den Hinterbliebenen die Verpflichtung zur Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung übernommen. Dementsprechend hat die Beklagte jedenfalls in der Revisionsinstanz die Leistungspflicht der Klägerin auch nicht mehr in Zweifel gezogen.
Weiter hat das LSG zutreffend angenommen, daß die Beschäftigung, bei der C G verunglückt ist, nicht nur für das Land Bremen, sondern auch für den BELF stattgefunden hat und deshalb auch die BafU als leistungspflichtiger Versicherungsträger in Betracht kommt. Nach den getroffenen Feststellungen sollte Geis Erkenntnisse und Erfahrungen, die ihm die Studienreise vermittelte, auch für den BELF sammeln, sie in einem schriftlichen Bericht für ihn zusammenfassen und sich auf Anfordern zu Vorträgen hierüber zur Verfügung stellen. Auch insoweit fällt die Tätigkeit des Verunglückten unter § 537 Nr. 10 in Verbindung mit Nr. 1 RVO. Es war eine auch dem BELF dienende und dessen Willen entsprechende Tätigkeit, die in einem inneren Zusammenhang mit dem Aufgabenbereich des BELF stand. Diese Merkmale reichen allerdings für sich allein nicht aus, um die Anwendbarkeit des § 537 Nr. 10 RVO zu begründen. Es muß, wie der erkennende Senat in BSG 5 S. 174 ausgeführt hat, eine Tätigkeit vorliegen, die ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet werden könnte, die zu dem Unternehmer in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit stehen, also auf Grund eines Beschäftigungsverhältnisses tätig werden. Diese Voraussetzung hält die Revision offenbar nicht für gegeben, indem sie ausführt, der Verunglückte habe keine Arbeit im Rechtssinne geleistet. Darin ist der Revision jedoch nicht zu folgen. Der Erwerb der vom BELF für nützlich gehaltenen Erfahrungen und Kenntnisse sowie ihre Auswertung und Weitergabe an die zuständigen Behörden und interessierten Wirtschaftskreise sind Tätigkeiten, die üblicherweise von Bediensteten der veranstaltenden Stelle (Beamten oder Angestellten) oder von sonstigen auf Grund eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses tätig werdenden Personen ausgeübt wird. Daß der Verunglückte nicht als ein solcher Bediensteter, sondern als "freier Mann" - wie die Revision sich ausdrückt - an der Studienreise teilgenommen hat, steht zwar der Anwendung des § 537 Nr. 1, nicht aber des § 537 Nr. 10 RVO entgegen; denn Nr. 10 setzt, wie der erkennende Senat in BSG 5 S. 173 näher dargelegt hat, keine persönliche oder wirtschaftliche Abhängigkeit voraus. Für die Anwendung des § 537 Nr. 10 RVO ist allerdings kein Raum, wenn ein Unternehmer im Rahmen seines eigenen Unternehmens für ein anderes Unternehmen tätig wird (BSG 5 S. 174). Dies trifft aber nach dem festgestellten Sachverhalt auf den Verunglückten nicht zu. Er ist nicht als freier Wirtschaftsforscher nach den USA gereist, sondern hat an der vom BELF veranstalteten Reise mit bestimmten Weisungen teilgenommen, die eine Unternehmerstellung der Reiseteilnehmer von vornherein ausschlossen.
Hiernach sind die Voraussetzungen erfüllt, von denen das Gesetz die Verteilung der Entschädigungslast unter mehrere Versicherungsträger abhängig macht. Da es zwischen den Beteiligten zu keiner Einigung gekommen ist, haben die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit, wie der erkennende Senat a. a. O. ausgeführt hat, auf die Klage hin die Verteilung vorzunehmen. Maßstab hierfür ist - dies galt auch schon für den mit dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes aufgehobenen § 1740 RVO - die Billigkeit. Das LSG hat diesen sog. unbestimmten Rechtsbegriff zwar nicht ausdrücklich erwähnt, ihn aber offensichtlich im Auge gehabt, indem es ausgeführt hat, nach der Sachlage erscheine die Verteilung der Entschädigungslast im Verhältnis von 50:50 "angemessen". Daß das LSG hierbei zum Nachteil der Beklagten unbillig verfahren wäre und damit das Gesetz verletzt hätte, trifft nicht zu. An der Tätigkeit, die C G in den USA und nach seiner Rückkehr in der Heimat entfalten sollte, waren beide Beteiligte interessiert. Dem BELF standen allerdings außer G auch die übrigen Reiseteilnehmer als Berichterstatter und Vortragende zur Verfügung, während das Land Bremen nur auf den auf seinen Vorschlag entsandten Teilnehmer als unmittelbare Informationsquelle zurückgreifen konnte. Demgegenüber darf aber nicht übersehen werden, daß der Interessentenkreis der Wirtschaft, dem die Ergebnisse der Studienreise auf der Bundesebene zugeführt werden sollten, um ein Vielfaches größer war als derjenige, den der Senator für Wirtschaft in Bremen zu betreuen hatte. Deshalb hat der erkennende Senat das Interesse des BELF an der unfallbringenden Tätigkeit nicht niedriger bewertet als das des Landes Bremen. Die Belastung der Beklagten mit der Hälfte der Entschädigungslast war daher nicht zu beanstanden und die Revision insoweit als unbegründet zurückzuweisen.
Nur im Kostenpunkt bedurften die Urteile der Vorinstanzen einer Berichtigung. Da es sich bei der Klägerin um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts handelt, sind ihre zur Rechtsverfolgung gemachten Aufwendungen nach § 193 Abs. 4 SGG nicht erstattungsfähig. Diese Vorschrift gilt nicht nur für Verfahren gegen Versicherte und sonstige aus dem Versicherungsverhältnis Anspruchsberechtigte, sondern nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes auch für Verfahren zwischen Behörden, Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts untereinander. Gegenteiliges läßt sich auch den sonstigen Kostenvorschriften des SGG nicht entnehmen; es kann vielmehr davon ausgegangen werden, daß das Hin- und Herschieben verhältnismäßig geringfügiger Beträge - Gebühren von Rechtsanwälten oder Rechtsbeiständen können außer Betracht bleiben, weil die in § 193 Abs. 4 SGG genannten öffentlich-rechtlichen Institutionen sich nicht durch Prozeßbevollmächtigte vertreten lassen müssen (§ 166 Abs. 1 SGG) - von einer öffentlichen Hand in die andere vermieden werden sollte.
Es war daher wie geschehen zu erkennen.
Fundstellen