Leitsatz (amtlich)

1. Eine berufliche Hauterkrankung ist auch dann als "schwer" iS der 3. BKVO Anl Nr 19 Fassung: 1952-07-26 anzusehen, wenn sie zwar in einer medizinisch nicht schweren Erscheinungsform verlaufen ist, jedoch längere Zeit ununterbrochen bestanden hat (Anschluß BSG 1959-10-30 2 RU 5/58 = BSGE 10, 286).

2. Als Beginn einer derartigen "schweren" Hauterkrankung ist der Zeitpunkt anzusehen, zu dem der behandlungsbedürftige Krankheitszustand eingesetzt hat.

3. Die Frage, von wann ab eine derartige Erkrankung den Versicherten zur Aufgabe seiner beruflichen Beschäftigung gezwungen hat, ist nicht davon abhängig, ob und wie lange bei dem Versicherten bzw. seinem behandelnden Arzt die Vorstellung bestanden hat, der Versicherte könne nach Abheilung seine alte Arbeit wieder aufnehmen; sie ist vielmehr allein nach dem tatsächlichen Ablauf des Geschehens zu beurteilen.

 

Normenkette

BKVO 3 Anl 1 Nr. 19 Fassung: 1952-07-26; BKVO 5 § 1

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. August 1959 und das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 6. November 1956 aufgehoben.

Der Bescheid der Beklagten vom 13. Dezember 1952 wird insoweit abgeändert, als der Zeitpunkt des Beginns der Berufskrankheit auf den 26. März 1951 festgesetzt wird.

Die Beklagte hat dem Beigeladenen die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

Der Beigeladene K B erkrankte am 24. März 1951 an einem nässenden Hautekzem. Die Beklagte erkannte dieses Hautleiden durch Bescheid vom 13. Dezember 1952 als Berufskrankheit i. S. der Nr. 15 der Anlage zur 4. Verordnung über Ausdehnung der Unfallversicherung auf Berufskrankheiten (BKVO) an und setzte als Zeitpunkt des Beginns der Berufskrankheit den 26. September 1951, den Tag der Aussteuerung aus der Krankenkasse, fest. Sie stützte sich dabei auf zwei Gutachten der Städt. Hautklinik E vom 29. Mai 1952 und 4. Oktober 1952.

Gegen diesen Bescheid wandte sich die Klägerin mit der Berufung gemäß § 1590 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF, die nach § 215 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Klage auf das Sozialgericht (SG) überging. Sie begehrte, den Bescheid der Beklagten aufzuheben, den Beginn der entschädigungspflichtigen Hauterkrankung auf den 27. März 1951 festzusetzen und festzustellen, daß der Versicherte für die Zeit vom 27. März bis 27. September 1951 wegen der Hauterkrankung einen Anspruch auf Krankenbehandlung gemäß § 558 RVO gehabt habe. Da das Leiden des Beigeladenen nach dem Schreiben des behandelnden Arztes Dr. F vom 2. Dezember 1953 von Anfang an schwer gewesen sei und zum Wechsel des Berufs gezwungen habe, seien die Voraussetzungen der Nr. 15 der 4. BKVO vom Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 27. März 1951 an erfüllt gewesen. Die Beklagte, die Klageabweisung beantragte, vertrat dagegen die Ansicht, die Hautkrankheit sei erstmals im Gutachten vom 29. Mai 1952 als schwer festgestellt worden. Nur aus sozialen Erwägungen heraus sei die Entschädigungspflicht schon auf den Tag der Aussteuerung vorverlegt worden.

Das SG in Dortmund lud im Laufe des Verfahrens den Versicherten bei und wies, nachdem es ein Gutachten des staatlichen Gewerbearztes, Prof. Dr. H, eingeholt hatte, in dem dieser zu dem Ergebnis kam, daß der Tag der Aussteuerung als der Zeitpunkt anzusehen sei, von dem ab eine schwere, beruflich bedingte Hauterkrankung vorgelegen und den Beigeladenen zur Aufgabe seiner bisherigen Berufstätigkeit gezwungen habe, die Klage durch Urteil vom 6. November 1956 ab. Wann der in Nr. 19 der Anlage zur 5. BKVO (Nr. 15 der Anlage zur 4. BKVO) geforderte Krankheitsgrad erreicht ist, ist nach Ansicht des SG eine medizinische Frage; insoweit habe es daher dem Gutachten der Städt. Hautklinik E vom 29. Mai 1952 und von Prof. Dr. H folgen müssen. Die Bescheinigung von Dr. F vom 2. Dezember 1953, daß die Krankheit von Anfang an schwer gewesen sei, vermöge dagegen nicht zu überzeugen. Die wiederholte Krankenhausbehandlung sei ebenfalls noch kein Beweis für die Schwere der Krankheit. Dies lasse sich erst nach längerer Krankheitsdauer beurteilen. Zu Anfang habe auch noch nicht festgestanden, ob die Hautkrankheit berufsbedingt sei. Im übrigen habe Dr. F in einem Schreiben vom 5. Oktober 1953 ausgeführt, er habe gehofft, den Versicherten soweit wiederherstellen zu können, daß er arbeiten könne. Diese Hoffnung habe er heute aufgegeben. Daraus sei zu entnehmen, daß Dr. F den Berufswechsel wegen des Ekzems erst im Oktober 1951 für zwingend erforderlich gehalten habe.

Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen wies die Berufung der Klägerin durch Urteil vom 12. August 1959 zurück und ließ die Revision zu. Die Klage sei statthaft; es handele sich um ein Verfahren gemäß § 1511 RVO; diese Vorschrift sei noch geltendes Recht.

Sachlich sei die Berufung nicht begründet. Nach Nr. 19 der Anlage zur 5. BKVO gehöre eine berufliche Hauterkrankung erst dann zu den entschädigungspflichtigen Berufskrankheiten, wenn sie schwer oder wiederholt rückfällig sei und zu einem Wechsel des Berufs oder zur Aufgabe jeder Erwerbstätigkeit zwinge. Wiederholte Rückfälle schieden aus, da der Beigeladene ununterbrochen, wenn auch mit Schwankungen hinsichtlich der Stärke, an dem Ekzem gelitten habe. Die Hauterkrankung sei jedoch als schwer anzusehen. Wann dies der Fall sei, müsse nach dem Gesamtbild der Erkrankung beurteilt werden. In diesem Zusammenhang spiele nicht nur Umfang und Art der Ausbreitung sowie die Häufigkeit des ersten Auftretens, sondern auch die Dauer eine entscheidende Rolle. Die Auswirkungen einer Hauterkrankung auf den Erkrankten würden wesentlich von der Dauer ihres Auftretens bestimmt. Eine nach dem Erscheinungsbild leichte Hauterkrankung könne daher wegen ihrer Dauer als schwer angesehen werden. Das Ekzem des Beigeladenen sei trotz ständiger ambulanter und wiederholter stationärer Behandlung nicht abgeheilt und deshalb als schwer zu bezeichnen.

Daraus, daß sich eine Hautkrankheit über einen längeren Zeitraum erstrecke und deshalb als schwer angesehen werde, folge jedoch nicht, daß sie von Anfang an schwer sei. Wenn sie hauptsächlich wegen ihrer mangelnden Neigung zum Abheilen, also wegen ihrer zeitlichen Ausdehnung als schwer bezeichnet werden müsse, sei vielmehr das Kriterium der Schwere nicht schon zu Anfang gegeben, sondern erst später hinzugetreten. Dafür spreche auch, daß eine wiederholt rückfällige Hauterkrankung nicht schon von ihrem ersten Auftreten, sondern erst vom Tage des zweiten Rückfalls an zur entschädigungspflichtigen Berufskrankheit werde. Von wann ab eine Hauterkrankung mit mangelnder Neigung zum Abheilen als schwer angesehen werden müsse, sei eine medizinische Frage, die sich wiederum nach dem Gesamtbild der Erkrankung richte. Aus dem Schreiben von Dr. F vom 5. Oktober 1951 sei zu entnehmen, daß dieser erst im Oktober 1951 die Hoffnung auf Heilung aufgegeben und die Überzeugung gewonnen habe, die Erkrankung werde von langer Dauer sein. Es sei danach gerechtfertigt, die Hauterkrankung von diesem Zeitpunkt an als schwer zu bezeichnen. Es begegne keinen Bedenken, wenn die Beklagte diesen Zeitpunkt aus sozialen Erwägungen vorverlegt habe, da dies nicht mit einer Beschwer für die Klägerin verbunden gewesen sei. Im übrigen hätten auch die Gutachter der Städt. Hautklinik E und Prof. Dr. H im wesentlichen den gleichen Standpunkt vertreten. Erst in dem Zeitpunkt, als Dr. F die Hoffnung auf Heilung aufgegeben habe, sei es für den Beigeladenen zur Gewißheit geworden, daß er seine Tätigkeit als Umformer und Maschinenwärter nicht mehr werde ausüben können. Erst in diesem Augenblick sei er zum Berufswechsel gezwungen gewesen. Daß der Beigeladene keinen Beruf erlernt habe, sei unerheblich. Es genügt, daß er durch die Krankheit darin gehindert worden sei, die in seiner 22jährigen Tätigkeit als Umformer und Maschinenwärter erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten weiterzuverwerten. Entgegen der Auffassung der Klägerin könne die tatsächliche Aufgabe der Berufsarbeit rückschauend nicht als Berufswechsel bzw. als Aufgabe jeder Erwerbstätigkeit angesehen werden, da Voraussetzung sei, daß der Versicherte seinen Beruf wegen der Schwere der Erkrankung endgültig aufgebe. Dies tue er aber erst dann, wenn er wisse, daß er in seinen alten Beruf nicht mehr zurückkehren könne.

Die Klägerin legte gegen das ihr am 11. Dezember 1959 zugestellte Urteil am 31. Dezember 1959 unter Stellung eines bestimmten Antrags Revision ein und begründete diese am 6. Februar 1960. Sie rügt unrichtige Auslegung der Anlage 19 der 5. BKVO. Ein Anhaltspunkt dafür, von wann ab ein Hautleiden als schwer anzusehen sei, ergebe sich aus der teils alternativen und teils kumulativen Verknüpfung der Voraussetzungen schwer oder wiederholt rückfällig und Zwang zum Wechsel des Berufs. Eine Hauterkrankung sei als schwer zu bezeichnen, wenn entweder die verbliebenen Folgen jenen Zwang begründeten oder dem Versicherten nicht zugemutet werden könne, es auf einen nach den Umständen zu erwartenden Rückfall ankommen zu lassen. Eine medizinisch leichte Hauterkrankung, die unverhältnismäßig lange einer Behandlung trotze, müsse vom Beginn der Krankheit als schwer i. S. des Gesetzes angesehen werden. Eine rückschauende Betrachtung dürfe nicht dazu verführen, die Hautkrankheit als schwer erst vom Zeitpunkt der Betrachtung aus anzusehen. Vielmehr müsse man dann, wenn man eine Hautkrankheit rückschauend wegen ihrer Dauer als schwer erachte, dies von Anfang an gelten lassen. Das Dr. F den Beigeladenen behandelt habe und den Krankheitsverlauf daher besonders gut kenne, komme seinem Schreiben vom 2. Dezember 1953, in dem er mitteile, daß die Hautkrankheit seit März 1951 schwer gewesen sei, besondere Bedeutung zu. Das LSG habe diese Äußerung nicht ohne weiteres als eine nicht näher begründete Rechtsansicht abtun dürfen. Unter Berücksichtigung des Krankheitsbildes und des Alters des Beigeladenen sei auch bereits bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit objektiv ein Zwang zum Berufswechsel anzunehmen gewesen. Er habe in diesem Zeitpunkt tatsächlich seine Erwerbstätigkeit aufgeben müssen, zumal die zweimal vorgesehenen Arbeitsversuche wegen des Ekzems nicht verwirklicht werden konnten. Auf die Berufsaufgabe im arbeitsrechtlichen Sinne komme es in diesem Zusammenhang nicht an.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des LSG vom 12. August 1959 und das Urteil des SG vom 6. Januar 1956 aufzuheben und festzustellen, daß der Beigeladene schon für die Zeit vom 27. März 1951 an wegen der entschädigungspflichtigen Hauterkrankung einen Anspruch gemäß § 558 d RVO gegen die Beklagte gehabt habe.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Das LSG befinde sich mit seiner Auffassung, von wann ab eine medizinisch an sich leicht auftretende Hauterkrankung wegen ihrer Dauer als schwer zu bezeichnen sei, im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung. Das LSG sei auch nicht verpflichtet gewesen, Dr. F aufzufordern, seine im Schreiben vom 2. Dezember 1953 vertretene Auffassung, die Hauterkrankung sei von Anfang an schwer gewesen, näher zu begründen, denn es handele sich insoweit nur um eine Rechtsansicht. Der Versicherungsfall sei erst am 26. September 1951 eingetreten; erst in diesem Zeitpunkt seien sämtliche Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs gegeben gewesen.

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist frist- und formgerecht unter Antragstellung eingelegt und begründet; sie ist zugelassen und daher statthaft.

Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen nicht (vgl. BSG 16,1). In der Sache selbst ist, da das Vorliegen einer beruflichen entschädigungspflichtigen Hauterkrankung im Sinne der Nr. 15 der Anlage zur 3./4. Berufskrankheitenverordnung (BKVO) ebenso wie der Nr. 19 der 5. BKVO bzw. der Nr. 46 der 6. BKO unzweifelhaft zu bejahen ist, allein streitig, von wann ab diese Erkrankung als schwer oder wiederholt rückfällig anzusehen ist und ob sie den Beigeladenen bereits seit jener Zeit oder erst später zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung (oder jeder Erwerbsarbeit) gezwungen hat.

Der erkennende Senat ist mit dem 2. Senat des Bundessozialgerichts (vgl. BSG 10, 286) der Auffassung, daß eine berufliche Hauterkrankung auch dann als "schwer" anzusehen ist, wenn sie zwar in einer medizinisch nicht schweren Erscheinungsform verlaufen ist, jedoch längere Zeit ununterbrochen bestanden hat. Jede andere Auffassung würde, wie der 2. Senat in dem angegebenen Urteil eingehend dargelegt hat, zu dem unbefriedigenden Ergebnis führen, daß ein Versicherter, dessen Krankheit zwischendurch immer wieder abheilt und der deshalb im Ergebnis "rückfällig" krank ist, besser gestellt wäre als ein Versicherter, der vom Beginn seiner Erkrankung an fortlaufend erkrankt ist. Die - nicht völlig eindeutige - Fassung des Gesetzes will nicht etwa die beiden Gruppen einer medizinisch schweren und einer medizinisch leichten, aber wiederholt rückfälligen Erkrankung gegenüberstellen, sie geht vielmehr von der Vorstellung aus, daß eine lang anhaltende derartige Erkrankung - falls die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind - stets als schwer anzusehen ist, daß es jedoch bei wiederholtem Rückfall (also mindestens dreimaliger Wiederholung) der Krankheitserscheinungen nach krankheitsfreien Zwischenräumen nicht mehr darauf ankommt, ob der einzelne Krankheitsschub medizinisch schwer oder leicht gewesen ist.

Als Beginn der in diesem Sinne "schweren" Erkrankung kann nur der Zeitpunkt angesehen werden, zu dem der gleichbleibende behandlungsbedürftige Krankheitszustand objektiv eingesetzt hat. Es kann an dieser Hinsicht entgegen er Ansicht des LSG nicht etwa darauf ankommen, von wann ab die behandelnden Ärzte die Hoffnung auf eine alsbaldige Heilung aufgegeben haben. Es erscheint nicht zulässig, auf diesem Wege den Begriff der Schwere der Erkrankung doch einer rein medizinischen Augenblicksbeurteilung zu unterwerfen. Maßgeblich kann jedenfalls nur die Beurteilung sein, die sich bei nachträglicher Betrachtung als objektiv zutreffend erweist.

Aus im wesentlichen gleichartigen Überlegungen muß auch die Beantwortung der Frage, von wann ab die Erkrankung den Versicherten zur Aufgabe seiner beruflichen Beschäftigung (die Aufgabe jeder Erwerbstätigkeit kommt im vorliegenden Fall nicht in Frage) gezwungen hat, nur auf die objektive rückschauende Betrachtung des tatsächlichen Geschehens abgestellt werden. Noch weniger als bei der eben erörterten Frage des Beginns der schweren Erkrankung kann die Frage des Zwanges zur Aufgabe der beruflichen Tätigkeit von den subjektiven Vorstellungen des Versicherten abhängen. Ob der Versicherte bei der Aufgabe seiner Arbeit - wie dies wohl meist der Fall sein wird - die Vorstellung hatte, die gleich Arbeit nach Abheilung der Krankheit wiederaufnehmen zu können, und wie lange diese Auffassung bei ihm bzw. bei den behandelnden Ärzten bestanden hat, ändert in Fällen wie den vorliegenden nichts daran, daß tatsächlich die bisherige Tätigkeit endgültig bereits mit der Erkrankung aufgegeben wurde. Nur darauf jedoch kann es ankommen.

Wenn der Beigeladene demnach von diesem Zeitpunkt ab gegen die Beklagte einen Anspruch auf Krankenbehandlung hatte, rechtfertigt sich auch der Anspruch der Klägerin.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324248

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