Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. Oktober 1993 aufgehoben.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 3. Juli 1992 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger die vollen Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über die Berechnung des dem Kläger zustehenden Berufsschadensausgleichs (BSchA).
Bei dem 1926 geborenen Kläger ist seit 1. Januar 1964 – unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit als Landwirt – eine schädigungsbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit um 60 vH anerkannt. Seitdem erhält er BSchA unter Zugrundelegung eines Gehalts der Besoldungsgruppe A 7 als Vergleichseinkommen. Zur Ermittlung des schädigungsbedingten Einkommensverlustes setzte der Beklagte davon bis zum 31. Dezember 1986 als Bruttoeinkommen den Wert der eigenen Arbeitsleistung ab, den er wie folgt ermittelte: Der Bruttolohn eines geprüften Facharbeiters in der Landwirtschaft wurde (zur Bewertung der Betriebsführung) um 2,5% des Einheitswerts des bewirtschafteten Anwesens erhöht und von der so ermittelten Summe ein Drittel wegen geminderter Leistungsfähigkeit abgezogen.
Zum 1. Dezember 1986 ließ sich der Kläger die Leistungen aus einem Lebensversicherungsvertrag in Höhe von 40.106,64 DM auszahlen. Eine Berentung aus diesem Vertrag hätte ab diesem Zeitpunkt monatlich 313,06 DM erbracht. Zum 1. Januar 1987 gab der Kläger sein landwirtschaftliches Anwesen ab. Nachdem sein erster Antrag auf vorzeitiges Altersgeld erfolglos geblieben war, erhielt er diese Leistung ab 1. Dezember 1987.
Der Beklagte stellte mit streitbefangenem Bescheid vom 3. September 1989 fest, daß für die Aufgabe des landwirtschaftlichen Betriebes überwiegend nicht schädigungsbedingte Gesundheitsstörungen maßgeblich gewesen seien und berechnete den BSchA mit Wirkung vom 1. Dezember 1986 neu: Ab 1. Dezember 1986 legte er der Berechnung einen geringeren schädigungsbedingten Einkommensverlust zugrunde, indem er dem derzeitigen Bruttoeinkommen des Klägers die fiktive Rente aus der Lebensversicherung in Höhe von 313,06 DM zuschlug. Ab 1. Januar 1987 unterstellte der Beklagte außerdem für die Berechnung des BSchA, daß der Kläger noch über den 31. Dezember 1986 hinaus Einkünfte als selbständiger Landwirt erziele „Nachschadensregelung” iS des seinerzeitigen § 30 Abs 6 Bundesversorgungsgesetz ≪BVG≫, heute § 30 Abs 11 BVG). Als fiktives „Durchschnittseinkommen” iS des § 30 Abs 6 aF BVG rechnete der Beklagte dabei dem Kläger neben der fiktiven Rente aus der Lebensversicherung 50% eines Gehalts nach der Besoldungsgruppe A 7 zu. Da sich hierbei ein Anstieg gegenüber dem bis zum 30. November 1986 zugrundegelegten „Bruttoeinkommen” ergab, sank der BSchA ab 1. Januar 1987 gegenüber den bis zum 30. November 1986 ausgezahlten Beträgen von 487,– DM monatlich auf 386,– DM monatlich ab. Den gegen die neue Berechnung des BSchA gerichteten Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. März 1991 zurück.
Vor dem Sozialgericht (SG) beantragte der Kläger, den Beklagten zu verurteilen, den BSchA unter Berücksichtigung eines schädigungsbedingten Ausscheidens aus dem Erwerbsleben zu berechnen, hilfsweise, in Anlehnung an das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 3. Juni 1987 (9a RV 21/85 = SozR 3100 § 30 Nr 70), den BSchA wegen altersbedingten Ausscheidens aus dem Erwerbsleben, dh unter Nichtanwendung der Nachschadensregelung zu berechnen.
Mit Urteil vom 3. Juli 1992 gab das SG dem Hilfsantrag statt. Der Kläger sei unter Inanspruchnahme der Altersgrenze von 60 Jahren für das vorzeitige Altersgeld nach § 2 Abs 2 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) und damit altersbedingt aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Deshalb stehe ihm seitdem weiterhin BSchA zu, allerdings unter Anwendung der Kürzungsvorschrift des § 8 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Berufsschadensausgleichsverordnung (BSchAV). Es erscheine nicht glaubhaft, daß der Kläger ohne die anerkannten Schädigungsfolgen über den Zeitpunkt der Berechtigung zum Bezug von vorzeitigem Altersgeld nach dem GAL hinaus erwerbstätig geblieben wäre. Seit diesem Zeitpunkt sei somit zu Recht das Vergleichseinkommen um 25 vH gekürzt worden.
Auf die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG hinsichtlich der Verurteilung des Beklagten aufgehoben und die Klage in vollem Umfange abgewiesen (Urteil vom 15. Oktober 1993). Der Kläger sei aus dem Erwerbsleben weder schädigungs- noch altersbedingt ausgeschieden, so daß – entgegen der Auffassung des BSG – ein Nachschaden iS des § 30 Abs 6 BVG aF vorliege.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger insbesondere eine Verletzung von § 30 BVG und § 2 GAL. Der Gesetzgeber habe für die Erfüllung der beitragsrechtlichen Voraussetzungen des § 2 Abs 2 Buchst b GAL zwei Alternativen vorgesehen, von denen eine die Vollendung des 60. Lebensjahres voraussetze. Ein Berechtigter, der erst nach Vollendung des 60. Lebensjahres vorzeitiges Altersgeld in Anspruch nehme, sei daher altersbedingt aus dem Erwerbsleben ausgeschieden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. Oktober 1993 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 3. Juli 1992 zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist begründet. Der Kläger ist nicht wegen nichtschädigungsbedingter Erwerbsunfähigkeit aus dem Arbeitsleben ausgeschieden, wie der Beklagte und das LSG gemeint haben. Er ist auch nicht unter Inanspruchnahme einer Altersgrenze ausgeschieden, was das SG gemeint hat. Er ist vielmehr schädigungsbedingt ausgeschieden. Das folgt aus der ständigen Rechtsprechung des Senats zum BSchA der schädigungsbedingt schwerbehinderten Bezieher von vorzeitigem Altersruhegeld und zur Gleichstellung der selbständig Berufstätigen, die schädigungsbedingt schwerbehindert sind.
Entgegen der Meinung des Beklagten und des LSG hängen der BSchA und seine Höhe nicht von tatsächlichen Ermittlungen zu der Frage ab, welche Gesundheitsstörungen die wesentliche Ursache oder das entscheidende Motiv für das Ausscheiden aus dem Arbeitsleben waren. Insbesondere ist es nicht Aufgabe der ärztlichen Sachverständigen herauszufinden, inwieweit die Schädigungsfolgen, schädigungsfremde Gesundheitsstörungen oder gesundheitsunabhängige Motive dafür maßgebend waren, die vorzeitige Rente wegen Schwerbehinderung in Anspruch zu nehmen. Welche Rechte die schädigungsbedingt Schwerbehinderten im Recht des BSchA beim vorzeitigen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben mit 60 Jahren haben, ist eine Rechtsfrage, die der Senat dahin entschieden hat, daß die Schädigungsfolgen schon dann für das vorzeitige Ausscheiden aus dem Arbeitsleben und einen dadurch eingetretenen Einkommensverlust ursächlich sind, wenn sich der Beschädigte zur gleichzeitigen Erlangung einer Altersversorgung auf eine wesentlich durch Schädigungsfolgen bedingte Schwerbehinderung berufen muß (BSG SozR 3100 § 30 Nr 78; SozR 3642 § 8 Nr 7; SozR 3-3100 § 30 Nr 2; SozR 3-3642 § 8 Nrn 1, 3 und 5; BSGE 71, 68 = SozR 3-3100 § 48 Nr 4; diese Rechtsprechung bestätigt das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil des Senats vom 10. Mai 1994, 9 RV 14/93 unter Auseinandersetzung mit anderen Meinungen). Zutreffend hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, der sich dieser Rechtsprechung angeschlossen hat (vgl RdSchr vom 31. Oktober 1991, BABl 1992, Nr 2, 109), darauf hingewiesen, daß es danach den Beschädigten im allgemeinen, aber nicht immer gelingt, nach § 8 Abs 1 Satz 3 BSchAV glaubhaft zu machen, daß sie ohne die Schädigungsfolgen weitergearbeitet hätten. Das heißt aber nicht, daß die Verwaltung und die Gerichte von Amts wegen nach Umständen forschen müßten, die gegen die Glaubhaftigkeit der Behauptung des Beschädigten sprechen, er hätte ohne die Schädigungsfolgen weitergearbeitet. Liegt allerdings ein dokumentierter Umstand vor, der ausweist, daß der Beschädigte auch ohne die Schädigung sozial gesichert aus dem Arbeitsleben ausscheiden konnte, gelingt umgekehrt die Glaubhaftmachung in aller Regel nicht. Das hat der Senat bereits in einem Fall entschieden, in dem bei dem Beschädigten ein schädigungsunabhängiger GdB von 50 oder mehr anerkannt war (BSG SozR 3-3642 § 8 Nr 5). Das hat er ferner für den Fall entschieden, daß jemand wegen Arbeitslosigkeit und nicht nur wegen Schwerbehinderung vorzeitig aus dem Arbeitsleben ausscheiden konnte (vgl das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil des Senats vom 10. Mai 1994, 9 RV 29/93).
Der Senat hat ferner in ständiger Rechtsprechung klargestellt, daß auch selbständig Berufstätige, die keinen Anspruch auf vorzeitiges Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung haben, hinsichtlich des Anspruchs auf BSchA nicht schlechter gestellt werden dürfen (vgl SozR 3-3642 § 8 Nr 1; SozR 3-3100 § 48 Nr 2; SozR 3-3642 § 9 Nr 1; BSGE 64, 283 = SozR 3100 § 30 Nr 76; BSG SozR 3100 § 30 Nr 77). Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber durch die Fassung des § 9 Abs 8 BSchAV (idF vom 16. Januar 1991, BGBl I, 136) dem Grunde nach bestätigt (vgl die Motive des Verordnungsgebers in BR-Drucks 719/90 S 21 f). Daß die Selbständigen hinsichtlich des vorzeitigen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben nicht grundsätzlich anders behandelt werden dürfen als die Unselbständigen, hat der Senat bereits in dem von dem LSG kritisierten Urteil vom 3. Juni 1987 (SozR 3100 § 30 Nr 70) klargestellt. In jenem Fall ist die Gleichstellung allerdings nur in bezug auf das Bruttoeinkommen gelungen: Dem damaligen Kläger durfte entgegen der bisherigen Praxis der Verwaltung nicht mehr dasjenige angerechnet werden, was er ohne die Nichtschädigungsfolgen noch hätte verdienen können (Nichtanwendbarkeit der sog Nachschadensregelung). Der damalige Kläger war insoweit mit denjenigen unselbständigen Schwerbehinderten gleichzustellen, die das vorzeitige Altersruhegeld wegen Schwerbehinderung in Anspruch nehmen.
Nicht gelungen ist damals aber die Gleichstellung in bezug auf das Vergleichseinkommen, wie das in der späteren ständigen Rechtsprechung begründet worden ist. Die Absenkung des Vergleichseinkommens auf 75 vH hätte nur dann vermieden werden können, wenn der damalige Kläger glaubhaft gemacht hätte, daß er ohne die Schädigungsfolgen weitergearbeitet hätte (§ 8 Abs 1 Satz 3 BSchAV). Der Senat hat damals wohl angesichts entgegenstehender Feststellungen des LSG angenommen, der Kläger habe das nicht glaubhaft gemacht.
Der Senat hat, wie oben ausgeführt, später klargestellt, daß die hier geforderte Glaubhaftmachung nur in dokumentierten Ausnahmefällen nicht gelingt. Ob ein solcher Fall damals vorlag, kann nicht mehr geklärt werden; jedenfalls liegt ein solcher Ausnahmefall hier nicht vor. Ein im Sozialgerichtsverfahren gehörter Sachverständiger hat zwar gemeint, die schädigungsunabhängigen Krankheiten stünden „im Vordergrund”. Diese Feststellung reicht jedoch nach dem zuvor Gesagten nicht dafür aus, die Annahme zu begründen, der über 60-jährige schwerbeschädigte Kläger sei ausnahmsweise schädigungsunabhängig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Das BSG ist deshalb nicht gehindert, gemäß der ständigen Rechtsprechung des Senats klarzustellen, daß der Kläger schädigungsabhängig ausgeschieden ist.
Diese Klarstellung widerspricht zwar insofern dem Tenor des Urteils des SG, als dieses nur zur Weiterzahlung eines auf altersbedingtem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben beruhenden, also nach § 8 Abs 1 Satz 1 BSchAV gekürzten, Berufsschadensausgleichs über den 31. Dezember 1986 hinaus verurteilt hat. Mit der gegebenen anderen Begründung ist aber dieses Urteil gleichwohl zu bestätigen, weil der Senat dem Kläger nicht mehr zusprechen kann, als dieser beantragt hat (§§ 165, 153 Abs 1, 123 SGG).
Die Verwaltung wird allerdings zweckmäßigerweise nicht nur das Urteil des SG ausführen, sondern im Hinblick auf die Möglichkeit des Klägers, nach § 44 SGB X die Aufhebung eines auf den Inhalt des sozialgerichtlichen Urteils beschränkten Ausführungsbescheides zu beantragen, bereits in ihrem Ausführungsbescheid davon ausgehen, daß der Kläger schädigungsbedingt aus dem Arbeitsleben ausgeschieden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen