Leitsatz (amtlich)
Der in der Leibstandarte SS Adolf Hitler im Jahre 1935 geleistete Dienst stellte nicht eine Dienstleistung im Verband oder für Zwecke der Wehrmacht dar; die Leibstandarte unterstand zu dieser Zeit auch nicht der Befehlsgewalt der Wehrmacht.
Der Dienst in der Leibstandarte SS Adolf Hitler war damals auch nicht militärischer oder militärähnlicher Dienst im Sinne des BVG.
Normenkette
KBLG BY Art. 1 Abs. 1-2; BVG § 2 Abs. 1 Buchst. a, § 3 Abs. 1, § 1 Abs. 1; KBLGDV BY § 8 Fassung: 1949-05-01
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts in München vom 24. Mai 1955 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kläger wurde am 1. August 1933 als Freiwilliger bei der Leibstandarte-SS A H eingestellt. Er erlitt am 5. April 1935 auf dem Kasernengelände dieser Einheit in B-West einen Motorradunfall und verletzte sich am linken Knie. Am 12. Juli 1935 wurde infolge dieser Verletzung sein linker Oberschenkel amputiert. Der Kläger bezog wegen dieses Gesundheitsschadens bis zur Kapitulation im Jahre 1945 Versorgungsleistungen, zuletzt vom Fürsorge- und Versorgungsamt der SS in B. Das Versorgungsamt L lehnte seinen Rentenantrag vom 29. Juli 1949 mit Bescheid vom 22. Februar 1951 nach dem Bayerischen Gesetz über Leistungen an Körperbeschädigte (KBLG) vom 26. März 1947 (GVBl. 1947 S. 107) und dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) vom 20. Dezember 1950 (BGBl. I S. 791) ab, weil der freiwillige Dienst des Klägers in der Leibstandarte nach diesen Gesetzen nicht als militärischer oder militärähnlicher Dienst anzusehen sei.
Das Oberversicherungsamt L hat die Berufung durch Urteil vom 10. April 1952 im wesentlichen aus denselben Gründen zurückgewiesen. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG.), auf das der vom Kläger zum Bayerischen Landesversicherungsamt eingelegte Rekurs am 1. Januar 1954 als Berufung übergegangen war, hat die Bundesrepublik Deutschland beigeladen und die Berufung durch Urteil vom 24. Mai 1955 zurückgewiesen. Es hat die Revision zugelassen und ausgeführt: Der Dienst des Klägers bei der Leibstandarte-SS A H sei kein militärischer oder militärähnlicher Dienst im Sinne des Art. 1 Abs. 1 KBLG in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Buchst. a, § 4 der DurchfVO zum KBLG vom 1. Mai 1949 (GVOBl. 1949 S. 113) gewesen. Zwischen den bewaffneten Einheiten der SS, insbesondere der Leibstandarte einerseits und der Reichswehr bzw. der späteren Wehrmacht andererseits habe jedenfalls in der Zeit vor dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges kein Zusammenhang bestanden. Diese Einheiten der SS seien als Organisationen der NSDAP hinsichtlich ihrer Zielsetzung, Zweckbestimmung und ihres Aufbaus von der Wehrmacht streng zu unterscheiden. Der Kläger könne auch daraus, daß er bis zur Kapitulation im Jahre 1945 Versorgung erhalten habe, keine Rechte herleiten. Art. 39 KBLG sei hier nicht anwendbar. Der Dienst des Klägers bei der Leibstandarte sei auch kein militärischer oder militärähnlicher Dienst im Sinne des BVG. Da er im Zeitpunkt des Unfalles der Waffen-SS nicht angehört habe, bedürfe es keiner abschließenden Erörterung der Frage, ob der Dienst in der Waffen-SS nach dem BVG als militärischer oder militärähnlicher Dienst anzusehen sei. Auch § 85 Satz 1 BVG könne einen Anspruch des Klägers nach diesem Gesetz nicht begründen, weil diese Vorschrift nur dann anwendbar sei, wenn der Tatbestand, der nach früheren gesetzlichen Vorschriften zur Gewährung von Versorgung geführt habe, auch nach den Vorschriften des BVG einen Versorgungsanspruch begründe.
Der Kläger hat in seiner Revisionsschrift ausgeführt, daß die Leibstandarte-SS A H im Zeitpunkt des Unfalles keine politische Organisation im üblichen Sinne, sondern die erste militärische Formation der Waffen-SS gewesen sei. Sie habe in versorgungsrechtlicher Hinsicht dem Wehrmachtfürsorge- und Versorgungsamt in B unterstanden. Da er den Unfall nach der Verkündung der allgemeinen Wehrpflicht erlitten habe, müsse er wegen der Unfallfolgen ebenso entschädigt werden wie die damals dienenden Wehrpflichtigen.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Bayerischen LSG. vom 24. Mai 1955 den Beklagten zu verurteilen, ihm für den am 5. April 1935 erlittenen Dienstunfallschaden (Amputation des linken Oberschenkels) vom August 1949 ab Rente nach einer MdE. um 70 v. H. zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zu verwerfen;
hilfsweise: sie als unbegründet zurückzuweisen.
Er bemängelt, daß der Kläger in der Revisionsbegründung weder eine verletzte Rechtsnorm bezeichnet noch Tatsachen und Beweismittel angegeben habe, aus denen sich ein wesentlicher Verfahrensmangel ergebe. Die Revision sei daher nicht in der durch § 164 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) vorgeschriebenen Form begründet worden. Im übrigen sei die Revision unbegründet; er schließe sich dem angefochtenen Urteil an.
Die Revision ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt (§ 164 Abs. 2 SGG). Entgegen der Auffassung des Beklagten entspricht die Revisionsbegründung der durch § 164 Abs. 2 SGG vorgeschriebenen Form. Obwohl darin "die" verletzte Rechtsnorm nicht bezeichnet ist, lassen die vorgetragenen Tatsachen in ausreichender Weise erkennen, daß Art. 1 Abs. 1 KBLG, §§ 3, 4 der DurchfVO vom 1. Mai 1949 zu diesem Gesetz sowie die §§ 1 Abs. 1, 2 BVG als verletzt angesehen werden. Damit ist der in § 164 Abs. 2 SGG vorgeschriebenen Rügepflicht genügt (BSG. 1 S. 227 (231)). Tatsachen und Beweismittel, die einen Verfahrensmangel ergeben, müssen in der Revisionsbegründung nur dann angegeben werden, wenn ein solcher Mangel gerügt wird. Eine Verfahrensrüge ist hier aber nicht erhoben. Die Revision ist daher zulässig.
Sie ist aber nicht begründet.
Nach Art. 1 Abs. 1 KBLG erhalten Personen, die durch unmittelbare Kriegseinwirkungen oder anläßlich militärischen oder militärähnlichen Dienstes Gesundheitsschädigungen erlitten haben, wegen der Folgen dieser Schädigung die im Gesetz näher geregelten Leistungen. Art. 1 Abs. 2 KBLG schreibt aber vor, daß Leistungen nicht gewährt werden für die Folgen einer gesundheitlichen Schädigung, die mit einer Dienstleistung für die NSDAP, deren Gliederungen oder angeschlossene Verbände in ursächlichem Zusammenhang stehen. Das gilt nach § 8 der DurchfVO vom 1. Mai 1949 nur dann nicht, wenn diese Gliederungen oder Verbände im Verband oder für Zwecke der Wehrmacht eingesetzt waren, deren Befehlsgewalt unterstanden oder die Schädigung durch unmittelbare Kriegseinwirkung entstanden ist. Dem Anspruch des Klägers steht schon Art. 1 Abs. 2 KBLG entgegen, weil die Leibstandarte im Zeitpunkt seines Unfalles (5. April 1935) eine Gliederung der NSDAP gewesen ist und diese weder im Verband der Wehrmacht oder für deren Zwecke eingesetzt war noch deren Befehlsgewalt unterstanden hat. Dies ergibt sich eindeutig aus der Entwicklung der Schutzstaffel (SS) der NSDAP. Diese entstand im Jahre 1923. Nachdem sie im November 1923 verboten und aufgelöst worden war, wurde sie im Jahre 1925 wieder gebildet. Himmler, der im Januar 1929 als Reichsführer der SS eingesetzt worden war, entwickelte die SS zu einem politischen Kampfbund. Nach der Übernahme der Regierung im Januar 1933 befahl Hitler die Bildung von bewaffneten Einheiten der SS, die ihm ausschließlich zur Verfügung stehen sollten. Die Anfänge dieser bewaffneten Verfügungstruppe gehen auf die Aufstellung einer "Stabswache" in Stärke von zunächst 120 Mann zurück. Aus dieser kleinen Gruppe entwickelten sich in der Folgezeit weitere Einheiten dieser Verfügungstruppe. Sie unterstanden dem Reichsführer der SS und bildeten einen Teil der gesamten Schutzstaffeln. Ihre Angehörigen wurden weltanschaulich und politisch nach den von Hitler für die NSDAP und die SS gegebenen Richtlinien ausgewählt und erzogen. Sie verpflichteten sich freiwillig für eine Dienstdauer von vier Jahren (vgl. Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg, Bd. XXIX S. 16, 17, 206; Bd. XXXI S. 49, 50; Bd. XXVI S. 191). Die erste größere Gruppe dieser SS-Verfügungstruppe war die Leistandarte-SS Adolf Hitler. Sie hatte ihren Standort in Berlin und bestand aus 3 Bataillonen und mehreren zusätzlichen Kompanien (a. a. O. Bd. XXIX S. 216). Mit der Wehrmacht stand diese Formation in keinem Zusammenhang. Sie war vielmehr ebenso wie die anderen Einheiten der SS-Verfügungstruppe eine Gliederung der NSDAP. Das ergibt sich aus einer Geheimen Kommandosache Hitlers vom 17. August 1938 über die Aufgaben der deutschen Polizei, der SS und der Wehrmacht, in der ausdrücklich festgestellt ist, daß die SS-Verfügungstruppe weder ein Teil der Wehrmacht noch ein Teil der Polizei, sondern eine Gliederung der NSDAP sei (vgl. a. a. O. Bd. XXVI S. 190, siehe auch Bd. XXXI S. 42). Eine Unterstellung der Leibstandarte unter die Befehlsgewalt der Wehrmacht oder für einen Einsatz im Verband oder für Zwecke der Wehrmacht hat im Unfallzeitpunkt (5. April 1935) keinesfalls bestanden. Damit entfällt eine Entscheidung der Frage, ob sich der Charakter der SS-Verfügungstruppe als Gliederung der NSDAP später geändert hat, als in den Jahren 1938/39 diese Truppe voll motorisiert und immer mehr vergrößert wurde und die gesetzliche aktive Dienstpflicht (§ 8 des Wehrgesetzes vom 21.5.1935 - RGBl. I S. 609) durch Dienst von gleicher Dauer in der SS-Verfügungstruppe als erfüllt galt (vgl. Geheimbefehl Hitlers vom 17.8.1938, a. a. O.). Entgegen der Ansicht des Klägers kommt dem Umstand, daß er den Unfall nach der Verkündung des Gesetzes für den Aufbau der Wehrmacht vom 16. März 1935 (RGBl. I S. 375) erlitten hat, keine Bedeutung zu. Dieses Gesetz bestimmte in seinem § 1, daß der Dienst in der Wehrmacht auf der Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht erfolgt. Es befaßte sich mit den Einheiten der SS-Verfügungstruppe ebensowenig wie das Wehrgesetz vom 21. Mai 1935 (RGBl. I S. 609).
Der Kläger hat daher keinen Anspruch auf Versorgung nach dem KBLG, weil seine Gesundheitsschädigung mit einer Dienstleistung für eine Gliederung der NSDAP, die nicht im Verband oder für Zwecke der Wehrmacht eingesetzt war, aber auch nicht deren Befehlsgewalt unterstand, in ursächlichem Zusammenhang steht (Art. 1 Abs. 2 KBLG in Verb. mit § 8 der DurchfVO vom 1.5.1949). Bei dieser Sach- und Rechtslage brauchte der Senat auf die Ausführungen des Berufungsgerichts hinsichtlich der Dienstleistung des Klägers nicht näher einzugehen.
Da der Kläger hiernach nach dem KBLG keinen Anspruch auf Versorgungsleistungen hat, kann er sich auch nicht darauf berufen, daß er wegen des Bezugs von Versorgung nach dem Wehrmachtfürsorge- und Versorgungsgesetz (WFVG) vom 26.8.1938 (RGBl. I S. 1077) auch Leistungen nach dem KBLG erhalten müsse. Denn Art. 39 KBLG, wonach bereits festgestellte Renten nach den Vorschriften dieses Gesetzes lediglich neu berechnet werden, kann in Fällen des Leistungsausschlusses nach Art. 1 Abs. 2 KBLG nicht angewendet werden.
Der Kläger hat, wie das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend festgestellt hat, auch nach dem mit Wirkung vom 1. Oktober 1950 ab in Kraft befindlichen BVG keinen Anspruch auf Versorgung. Nach § 1 Abs. 1 dieses Gesetzes erhält derjenige, welcher durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung. Militärischer Dienst im Sinne dieser Vorschrift ist nach § 2 Abs. 1 Buchst. a BVG jeder nach deutschem Wehrrecht geleistete Dienst als Soldat oder Wehrmachtsbeamter. Der vom Kläger im Zeitpunkt des Unfalles - 5. April 1935 - bei der Leibstandarte-SS A H geleistete Dienst war aber nicht mit dem von Soldaten nach deutschem Wehrrecht geleisteten Dienst zu vergleichen. Denn er hat sich freiwillig zur Dienstleistung bei dieser Einheit der SS-Verfügungstruppe verpflichtet. Die Angehörigen dieser Einheit waren zum mindesten im damaligen Zeitpunkt keine Soldaten, die deutschem Wehrrecht unterstanden. Sie waren vielmehr Angehörige einer bewaffneten Gliederung der NSDAP, die nach den Gesetzen der SS geführt wurde und die im Frieden Hitler für besondere Aufgaben zur Verfügung stand. Im vorliegenden Fall braucht nicht entschieden zu werden, ob die Angehörigen der Waffen-SS später, insbesondere während des Krieges, wenn sie wie Soldaten für Zwecke der Wehrmacht oder unter deren Befehlsgewalt eingesetzt waren, militärischen Dienst geleistet haben. Der Dienst des Klägers ist auch nicht als militärähnlicher Dienst im Sinne des § 1 Abs. 1 in Verb. mit § 3 Abs. 1 BVG anzusehen. Ein solcher Dienst liegt, unbeschadet der Fälle des § 6 BVG, nur dann vor, wenn einer der Tatbestände des § 3 Abs. 1 BVG verwirklicht ist (vgl. im Fall des § 5 BVG Urteil des 10. Senats vom 15.11.1955, BSG. 2 S. 29). Der vom Kläger bei der Leibstandarte-SS geleistete Dienst erfüllt keinen der Tatbestände dieser Vorschrift. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, daß die vom Kläger behauptete Versorgung durch das Wehrmachtfürsorge- und Versorgungsamt Berlin an dieser Beurteilung seines Dienstes nichts ändern kann. Die NSDAP hat sich öfter staatlicher Einrichtungen zur Durchführung von Parteiaufgaben bedient. Für die versorgungsrechtliche Beurteilung des Dienstes bei der Leibstandarte können hieraus keine Schlüsse gezogen werden.
Der Kläger kann seinen Versorgungsanspruch auch nicht mit Erfolg auf § 85 Satz 1 BVG stützen. Hiernach ist, soweit nach bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften über die Frage des ursächlichen Zusammenhanges einer Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang im Sinne des § 1 BVG entschieden worden ist, die Entscheidung auch nach diesem Gesetz rechtsverbindlich. Eine solche Bindung an die Entscheidung über den medizinischen Zusammenhang kommt aber nur dann in Frage, wenn die Voraussetzungen für den Versorgungsanspruch nach dem BVG gegeben sind, wenn also dem einer früheren Entscheidung zugrundeliegenden Versorgungstatbestand eine Vorschrift des BVG entspricht. Das ergibt sich daraus, daß vom Inkrafttreten des BVG an die in den §§ 1 - 5 BVG aufgezählten Tatbestände die alleinige Grundlage für die Versorgung nach diesem Gesetz bilden und daß ältere Entscheidungen durch die in § 84 BVG erfolgte Aufhebung der alten Versorgungsgesetze ihre Rechtswirkungen verloren haben (vgl. Urteile des erkennenden Senats vom 31.1.1957 - 8 RV 109/55 - und des 10. Senats vom 16.10.1956 - 10 RV 1050/55 - SozR. BVG § 85 Nr. 4 Bl. Ca 2). Somit ist auch nach § 85 BVG ein Anspruch des Klägers nicht begründet.
Die Revision ist daher als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen