Leitsatz (redaktionell)
Kürzung der infolge Auflösung der 2. Ehe entstandenen Ansprüche? - Die infolge Auflösung der 2. Ehe entstandenen Ansprüche dürfen nicht zu Lasten der wiederaufgelebten Witwenrente gekürzt werden. Dies gilt auch für Ermessensleistungen.
Orientierungssatz
Der Ermessenscharakter, der einem "Unterhaltsbeitrag" (nach BBG §§ 123, 125 in der bis zum 1966-12-31 geltenden Fassung) innewohnt, steht der Annahme eines "neuen Versorgungsanspruchs" iS von RVO § 1291 Abs 2 S 1 Halbs 2 jedenfalls dann nicht entgegen, wenn die Verwaltung von ihrem Ermessen Gebrauch gemacht hat und der Witwe den Unterhaltsbeitrag in einem Bescheid bewilligt hat.
Normenkette
RVO § 1291 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 Fassung: 1957-02-23; BBG § 123 Fassung: 1965-10-22, § 125 Fassung: 1965-10-22
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. April 1967 wird zurückgewiesen.
Die Anschlußrevision der Beigeladenen wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin hatte nach dem Tod ihres ersten Ehemannes aus dessen Versicherung von der Beklagten eine Witwenrente bezogen. Die Rente fiel nach § 68 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) wieder weg, als die Klägerin im Jahre 1959 den schon seit 1955 im Ruhestand befindlichen Bundesbahnamtmann J J heiratete.
Im Februar 1964 ist auch der zweite Ehemann der Klägerin gestorben. Sie erhielt daraufhin durch Bescheid der Bundesbahndirektion K vom 17. April 1964 nach § 125 Abs. 1 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) aF einen Unterhaltsbeitrag in Höhe von 319,05 DM monatlich als sogenannte Kann-Leistung unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs.
Durch Bescheid vom 13. Juli 1964 und Ergänzungsbescheid vom 19. Februar 1965 erkannte die Beklagte an, daß die frühere Witwenrente der Klägerin nach § 68 Abs. 2 AVG wiederaufgelebt war; sie rechnete jedoch auf die Witwenrente die von der Deutschen Bundesbahn gezahlten Bezüge an.
Hiergegen erhob die Klägerin Klage; sie hielt die Anrechnung des Unterhaltsbeitrags auf die Witwenrente nicht für zulässig.
Im Verlauf des Rechtsstreits, zu dem die Deutsche Bundesbahn (Bundesbahndirektion K) nach § 75 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beigeladen wurde, stellte diese die Zahlung des Unterhaltsbeitrags vorübergehend ein (Bescheid vom 18. März 1965).
In der mündlichen Verhandlung vom 7. April 1965 entsprach das Sozialgericht (SG) den Anträgen der Klägerin und der Beigeladenen; es hob den Bescheid der Beklagten auf und verurteilte diese, der Klägerin die Witwenrente vom 1. Mai 1965 an ohne Anrechnung etwaiger Zahlungen nach § 125 BBG seitens der Beigeladenen zu zahlen (Urteil vom 7. April 1965). Dieses Urteil focht die Beklagte mit der Berufung an.
Im Laufe des Berufungsverfahrens bewilligte die Beigeladene der Klägerin durch Bescheid vom 29. Juli 1965 auf Grund neuer Richtlinien vom 1. April 1965 an wiederum einen Unterhaltsbeitrag; sie rechnete jedoch hierauf die Witwenrente aus der Angestelltenversicherung (AnV) an.
Das Landessozialgericht (LSG) änderte durch Urteil vom 19. April 1967 das Urteil des SG und wies - unter Zulassung der Revision - die Klage ab. Es hielt die Berufung für zulässig und für begründet. Hinsichtlich der Zeit vom 1. Januar 1967 an ergebe sich die Anrechenbarkeit der Zahlungen der Bundesbahn auf die Witwenrente bereits daraus, daß auf Grund der Neufassung des BBG durch das Dritte Gesetz zur Änderung beamtenrechtlicher und versorgungsrechtlicher Vorschriften vom 31. August 1965 (BGBl I 1007) gemäß § 125 Abs. 1 BBG nF iVm Art. 13 Ziff. 1 d des Haushaltssicherungsgesetzes vom 20. Dezember 1965 (BGBl I 2065) die Klägerin nunmehr einen Rechtsanspruch auf den Unterhaltsbeitrag im Sinne von § 68 Abs. 2 Satz 1 AVG habe. Für die vorhergehende Zeit könne im Ergebnis nichts anderes gelten. Nach dem Sinn und Zweck des § 68 AVG seien auch Kann-Leistungen auf eine wiederaufgelebte Witwenrente anzurechnen.
Gegen das ihr am 19. Mai 1967 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 31. Mai 1967 Revision eingelegt mit dem Antrage,
unter Änderung des angefochtenen Urteils die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 7. April 1965 als unzulässig zu verwerfen.
In der Begründung trägt sie vor, der Zeitraum vom 1. Januar 1967 an spiele jetzt keine Rolle mehr. Seitdem habe sie einen Rechtsanspruch auf einen Unterhaltsbeitrag. Jetzt sei klar, daß der Versorgungsanspruch auf ihre Witwenrente aus der AnV angerechnet werden müsse. Es gehe somit nur um die Zeit vom 1. Mai 1965 bis 31. Dezember 1966. Insoweit habe bereits im Zeitpunkt der Berufungseinlegung für die Beklagte keine Beschwer mehr bestanden, da diese von der Einstellung der Zahlung des Unterhaltsbeitrags an verpflichtet gewesen sei, die volle Witwenrente zu zahlen.
Die Beigeladene hat sich mit Schriftsatz vom 7. August 1967, eingegangen am 11. August 1967, der Revision der Klägerin angeschlossen und beantragt,
unter Änderung des angefochtenen Urteils die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG insoweit als unbegründet zurückzuweisen, als es um die vor dem 1. Januar 1967 liegende Zeit geht.
Die Beigeladene ist der Ansicht, daß sie in der streitigen Zeit auf ihre Leistung die Witwenrente aus der AnV hätte anrechnen dürfen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin und die Anschlußrevision der Beigeladenen zurückzuweisen.
Die Revision der Klägerin ist zulässig, die der Beigeladenen dagegen unzulässig. Die Revision der Beigeladenen ist als selbständige Revision nicht statthaft. Sie ist nicht innerhalb der Monatsfrist des § 164 Abs. 1 Satz 1 SGG eingelegt worden. Das Berufungsurteil war der Beigeladenen am 29. Mai 1967 zugestellt worden, ihre Revision ist aber erst am 11. August 1967 eingegangen. Die Revision der Beigeladenen ist aber auch nicht als Anschlußrevision statthaft. Zwar gilt § 556 der Zivilprozeßordnung über § 202 SGG auch im sozialgerichtlichen Verfahren (BSG 8, 24), und hiernach kann sich der Revisionsbeklagte bis zum Ablauf der Begründungsfrist der Revision anschließen. Die Beigeladene ist jedoch nicht Revisionsbeklagte, weil sich die Revision der Klägerin allein gegen die Beklagte richtet (BSG 19, 265). Die Revision der Beigeladenen muß daher als unzulässig verworfen werden.
Sachlich kann somit nur über die Revision der Klägerin entschieden werden. Dabei sind allerdings im Rahmen des § 75 Abs. 4 SGG auch das Vorbringen und der Antrag der Beigeladenen zu beachten. In der Sache können jedoch weder die Klägerin noch die Beigeladene Erfolg haben.
Die Auffassung der Klägerin, daß das LSG die Berufung der Beklagten wegen fehlender Beschwer als unzulässig hätte verwerfen müssen, ist irrig. Das Urteil des SG hat die Beklagte beschwert, obgleich die Beigeladene damals ihre Zahlungen an die Klägerin eingestellt hatte. Die Beklagte hatte vor dem SG die Abweisung der Klage beantragt; abweichend hiervon hat das SG die Beklagte zur Gewährung der Witwenrente "ohne Anrechnung etwaiger Zahlungen" der Beigeladenen verurteilt. Damit waren künftige Zahlungen gemeint, so daß die Beklagte vom 1. Mai 1965 an in Zukunft keine Zahlungen der Beigeladenen mehr hätte anrechnen dürfen. Infolgedessen war die Beklagte beschwert. Ob ihr Rechtsstandpunkt sachlich richtig war oder nicht, ist unerheblich, da es für das Vorliegen einer Beschwer nicht auf die Begründetheit ihres Antrags ankam.
Das Urteil des LSG ist auch in der Sache selbst zu billigen. Nach dem Inhalt der Urteile der Vorinstanzen und auf Grund der Erklärungen der Beteiligten im Revisionsverfahren ist die Höhe der wiederaufgelebten Witwenrente allein noch für die Zeit vom 1. Mai 1965 bis 31. Dezember 1966 streitig. Für diese Zeit hat die Klägerin, wie das LSG zutreffend angenommen hat, aus der zweiten Ehe gegenüber der Beigeladenen einen "neuen Versorgungsanspruch" im Sinne des § 68 Abs. 2 AVG erlangt. Zwar beruhte der Unterhaltsbeitrag, den die Klägerin für diese Zeit von der Beigeladenen nach §§ 123, 125 BBG in der bis 31. Dezember 1966 geltenden Fassung erhalten hat, auf einer Kann-Vorschrift. Dies bedeutet, daß die Beigeladene nicht in jedem Fall die Leistung bewilligen mußte, sondern von ihrem Ermessen nach Grund und Höhe Gebrauch machen konnte. Dieser Ermessenscharakter steht aber der Annahme eines neuen Versorgungsanspruchs im Sinne von § 68 Abs. 2 AVG jedenfalls dann nicht entgegen, wenn die Verwaltung - wie hier die Beigeladene - von ihrem Ermessen Gebrauch gemacht und der Witwe den Unterhaltsbeitrag in einem Bescheid bewilligt hat. In diesem Fall ist die Rechtsstellung der Witwe ihrem Dienstherrn gegenüber - abgesehen von etwaigen Widerrufsvorbehalten bei Änderung der Verhältnisse - nicht wesentlich anders als die einer Witwe, der ein Witwengeldanspruch zusteht. Der Senat folgt insoweit der Auffassung, zu der der 11. Senat in einem ähnlich liegenden Rechtsstreit in seinem Urteil vom 16. Januar 1968 - 11 RA 104/65 - gelangt ist.
Den gezahlten Unterhaltsbeitrag darf die Beklagte auf die wiederaufgelebte Witwenrente anrechnen. Die Anrechnung trägt dem Sinn der gesetzlichen Regelung über die wiederaufgelebte Witwenrente Rechnung, wonach die Versorgung der Witwe in erster Linie aus den Ansprüchen erfolgen soll, die sie aus der zweiten Ehe erworben hat. Diesen Ansprüchen gegenüber ist der Anspruch auf die wiederaufgelebte Witwenrente subsidiär und nicht umgekehrt der Unterhaltsbeitrag der Witwenrente gegenüber, wie die Klägerin und die Beigeladene meinen. Die Beklagte hat aus der Versicherung des ersten Ehemannes nach § 68 Abs. 2 AVG nur insoweit zu leisten, als die Versorgung nach der zweiten Ehe hinter derjenigen aus der ersten Ehe zurückbleibt. Der Anrechnung steht nicht entgegen, daß die Beigeladene bei der Feststellung des Unterhaltsbeitrags ihrerseits die wiederaufgelebte Witwenrente auf diesen angerechnet hat. Dazu war die Beigeladene nicht berechtigt. Die infolge Auflösung der zweiten Ehe entstandenen Ansprüche dürfen nicht zu Lasten der wiederaufgelebten Witwenrente gekürzt werden (vgl. BSG 19, 153; 24, 293). Dies gilt auch für Ermessensleistungen; insoweit darf die wiederaufgelebte Witwenrente weder bei der Entscheidung über die Gewährung der Ermessensleistung noch bei der Festsetzung der Höhe dieser Leistung berücksichtigt werden. Dies kam in den (früheren) Richtlinien zu § 125 BBG in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. September 1962, Bundesanzeiger Nr. 183 vom 26. September 1962, Beilage S. 36 zutreffend zum Ausdruck. Es hieß dort ausdrücklich, daß bei der Prüfung, ob ein Unterhaltsbeitrag zu zahlen ist, die wirtschaftlichen Verhältnisse der Witwe zu berücksichtigen seien, daß hierbei aber Leistungen außer Betracht zu lassen seien, die auf Grund anderer Gesetze und Verordnungen nur subsidiär gewährt werden. Wenn demgegenüber in einem Schreiben des Bundesministers des Innern an den Bundesminister für Verkehr vom 8. April 1965 (II B 4223150 - 1/3) unter III 2 Buchst. a gesagt wird, eine wiederaufgelebte Witwenrente sei (als anrechnungsfähiges Einkommen der Witwe) zu berücksichtigen, so trägt diese Auffassung weder dem Gesetz noch den vorgenannten Richtlinien Rechnung. Im übrigen ist der Senat an die Auffassung in diesem Schreiben auch nicht gebunden.
Die Beigeladene hat die Subsidiarität des Unterhaltsbeitrags gegenüber der wiederaufgelebten Witwenrente verkannt; bei Beachtung der Subsidiarität muß sie den Unterhaltsbeitrag ohne Rücksicht auf die wiederaufgelebte Witwenrente festsetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen