Leitsatz (amtlich)
Hat der versicherte Ehemann bis zu seinem Tode eine Rente bezogen, bei der die Zeiten seines Aufenthalts im Königreich Dänemark nach Abk Dänemark SV vom 1953-08-14 Art 16 und 17 (BGBl 2 1954, 753) angerechnet worden sind, so ist AVG § 45 Abs 2 S 2 (= RVO § 1268 Abs 2 S 2) im Zusammenhang mit Art 25 und 26 des genannten Abkommens so anzuwenden, daß die Witwenrente sechs zehntel des Betrages nicht unterschreiten darf, der dem Versicherten ohne die Rentensteigerung durch die Aufenthaltszeiten in Dänemark als Rente ohne Kinderzuschuß zu zahlen gewesen wären.
Orientierungssatz
Zur Frage, ob ein zwischenstaatlicher Sozialversicherungsvertrag während seiner Wirksamkeit durch innerstaatliche Gesetze geändert oder aufgehoben werden kann.
Normenkette
RVO § 1268 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1965-06-09; AVG § 45 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1965-06-09; SVAbk DK Art. 25 Fassung: 1953-08-14, Art. 26 Fassung: 1953-08-14
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 25. Januar 1967 und das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 23. Februar 1966 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten über die Höhe der der Klägerin zustehenden Witwenrente, insbesondere über die Auslegung des § 45 Abs. 2 Satz 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG - (= § 1268 Abs. 2 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung - RVO -).
Die 1897 geborene Klägerin ist die Witwe des Versicherten Hans K. . Dieser hatte ein nach dem Recht des AVG in der Fassung des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) berechnetes Altersruhegeld von zuletzt 442,70 DM monatlich bezogen. Bei der Feststellung der Rente waren Aufenthaltszeiten des Versicherten im Königreich Dänemark bis zur Höchstdauer von 15 Jahren nach Art. 16 und 17 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark über Sozialversicherung vom 14. August 1953 (BGBl 1954 II 753; BArbBl 1954, 529) angerechnet worden.
Nach dem Tode des Versicherten im Dezember 1963 gewährte die Beklagte der Klägerin für die Monate Januar bis März 1964 Bezüge mit monatlich 442,70 DM (§ 45 Abs. 5 AVG) und vom 1. April 1964 an die Witwenrente mit monatlich 106,50 DM. Dabei führte sie aus, gemäß Art. 26 des deutsch-dänischen Sozialversicherungsabkommens könnten die vom Versicherten in Dänemark zurückgelegten Aufenthaltszeiten bei der Berechnung der Witwenrente nicht berücksichtigt werden, weshalb sich die anrechnungsfähigen Versicherungszeiten von 322 Monaten auf 142 Monate verringerten (Bescheid vom 14. April 1964).
Im Verlauf des Klageverfahrens berief sich die Klägerin (zuletzt) auf § 45 Abs. 2 Satz 2 AVG idF des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 (BGBl I 476) und beantragte, ihr ab 1. Juli 1965 sechs Zehntel der im Dezember 1963 an ihren Mann gezahlten Rente als Witwenrente zu gewähren. Sie vertrat die Auffassung, nach § 45 Abs. 2 letzter Satz AVG stünden der Witwe mindestens sechs Zehntel des Rentenzahlbetrages der vom Versicherten zuletzt bezogenen Rente zu. Dabei sei es unerheblich, wie diese errechnet und ob in ihr dänische Aufenthaltszeiten rentensteigernd berücksichtigt worden seien.
Die Beklagte dagegen war der Auffassung, bei der Berechnung der Witwenrente nach § 45 Abs. 2 AVG könnten nach der Regelung des Art. 26 des deutsch-dänischen Sozialversicherungsabkommens die dänischen Aufenthaltszeiten des Versicherten nicht berücksichtigt werden. Darin sei auch durch das RVÄndG vom 9. Juni 1965 keine Änderung eingetreten.
Das Sozialgericht (SG) Schleswig (Urteil vom 23. Februar 1966) und das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) (Urteil vom 25. Januar 1967) traten der Rechtsauffassung der Klägerin bei und gaben der Klage statt. Beide Gerichte waren der Auffassung, der Erhöhungsbetrag nach § 45 Abs. 2 Satz 2 AVG sei unabhängig von den Versicherungszeiten des Versicherten zu gewähren. Art. 26 Nr. 1 des deutsch-dänischen Sozialversicherungsabkommens berühre nicht das Recht der Witwen auf die nach innerstaatlichem Recht zu gewährenden Leistungen und damit auf den Erhöhungsbetrag. Diese Leistung sei unabhängig von der Berechnungsart der Versichertenrente zu gewähren und deshalb keine nach Art. 26 des Abkommens unzulässige Gewährung von Steigerungsbeträgen.
Das LSG hat in seinem Urteil die Revision zugelassen. Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt mit dem Antrag,
das angefochtene Urteil und das Urteil des SG dahin zu ändern, daß die Klage abgewiesen wird.
Sie macht zur Begründung geltend, Art. 26 des deutschdänischen Sozialversicherungsabkommens sei eine Spezialvorschrift, die durch die spätere, in § 45 Abs. 2 Satz 2 AVG getroffene Regelung nicht außer Kraft gesetzt werden könne. Änderungen des Vertragsrechts könnten nur durch entsprechende Vereinbarungen der Vertragsstaaten herbeigeführt werden. Wäre § 45 Abs. 2 Satz 2 AVG nF uneingeschränkt anwendbar mit der Folge, daß die Witwen mindestens sechs Zehntel der unter Einschluß der dänischen Aufenthaltszeiten berechneten Versichertenrente zu erhalten hätten, so würde dies eine unzulässige Änderung des Abkommensrechts bedeuten.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte beantragt,
Die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Nach Art. 25 und 26 des deutsch-dänischen Sozialversicherungsabkommens werden bei der Feststellung von Witwenrenten aus den deutschen Rentenversicherungen die Zeiten des Aufenthalts des Ehemanns im Königreich Dänemark nur für die Erfüllung der Wartezeit und die Erhaltung der Anwartschaft berücksichtigt, für sie jedoch keine Steigerungsbeträge gewährt. Hierzu hat der Senat in seinem Urteil 1 RA 297/61 vom 12. Januar 1966 (SozR Abk. mit Dänemark über SozVersAllg. Nr. 3) bereits entschieden, daß diese Artikel auch nach dem Inkrafttreten der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze weiterhin sinngemäß anzuwenden seien. Demzufolge können die Aufenthaltszeiten bei der Berechnung der Witwenrente nicht als Versicherungszeiten angerechnet werden. Offengelassen hat es der Senat, ob in solchen Fällen vom 1. Juli 1965 an die Regelung des - für alle seit dem 31. Dezember 1956 eingetretenen Versicherungsfälle geltenden - § 45 Abs. 2 Satz 2 AVG Platz greift, d. h. ob in solchen Fällen ua die über 45 Jahre alten Witwen - wie die Klägerin - mindestens sechs Zehntel der vom Versicherten bis zu seinem Tode bezogenen Rente bekommen müssen (vgl. Art. 5 §§ 6 und 10 RVÄndG). Diese Frage ist indes sowohl nach dem Sinn und Zweck der innerdeutschen Neuregelung als auch auf Grund der Besonderheiten des deutsch-dänischen Sozialversicherungsabkommens zu verneinen.
In der amtlichen Begründung zum Entwurf des § 1268 Abs. 2 Satz 2 RVO (= § 45 Abs. 2 Satz 2 AVG) - BR-Drucks. 319/64 S. 27 - heißt es, habe der Versicherte im Zeitpunkt seines Todes eine Besitzstands- oder Umstellungsrente bezogen, so könne nach der derzeitigen Regelung der Zahlbetrag der Witwenrente oder der anderen in § 1268 Abs. 1 genannten Renten unter Umständen niedriger als sechs Zehntel der Rente des Versicherten ohne Kinderzuschuß im Zeitpunkt seines Todes sein. Für Berechtigte nach § 1268 Abs. 2 RVO solle aus sozialpolitischen Gründen dieses Ergebnis vermieden werden. § 45 Abs. 2 Satz 2 AVG soll damit die Härte ausgleichen, die darin gesehen wurde, daß die Hinterbliebenenrente nach Abs. 2 Satz 1 (die sechs Zehntel der nach § 30 Abs. 2 AVG auf den Todeszeitpunkt berechneten Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit - ohne Kinderzuschuß - beträgt) in einer Anzahl von Fällen nicht sechs Zehntel der Rente - ohne Kinderzuschuß - erreicht, die der Versicherte bis zu seinem Tode bezogen hat. Das kann vor allem dann eintreten, wenn dieser zuletzt eine sogenannte Umstellungsrente (Art. 2 §§ 30 ff AnVNG) - also eine nach altem Recht berechnete und umgestellte bzw. um den Sonderzuschuß erhöhte Rente - bezogen hatte. Hier sollen die Hinterbliebenen, welche die persönlichen Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 1 AVG erfüllen, nach den Vorstellungen des Gesetzgebers nicht unter einer - für sie unerwarteten - Mißhelligkeit leiden, die sich daraus ergibt, daß Versichertenrente und Hinterbliebenenrente nach unterschiedlichen Berechnungsgrundlagen (einmal nach altem Recht und sodann nach neuem Recht) festgesetzt werden, was zur Folge haben kann, daß die Hinterbliebenenrente - anders als in den Fällen, in denen schon die Versichertenrente nach neuem Recht festgesetzt worden war - weit hinter dem Betrag von sechs Zehntel der vom Versicherten zuletzt bezogenen Rente zurückbleibt (vgl. BSG 13, 251). Das Vertrauen der Hinterbliebenen, nach dem Tode des Versicherten eine Rente in dieser Höhe zu erhalten, soll dadurch geschützt werden, daß ihre Rente auf den in Abs. 2 Satz 2 genannten Mindestbetrag angehoben wird.
Diese Gründe treffen aber auf die Klägerin nicht zu. Ihr Ehemann hat eine nach neuem Recht berechnete Versichertenrente bezogen. Der große Unterschied in der Höhe der Versicherten- und der Witwenrente bei der von der Beklagten vorgenommenen Berechnungsweise ist hier nicht auf den Wechsel vom alten zum neuen Recht, sondern allein darauf zurückzuführen, daß die Zeiten des Aufenthalts des Ehemanns in Dänemark nach dem Abkommen zwar bei dessen Rente, nicht aber auch bei der Rente der Klägerin rentensteigernd berücksichtigt werden dürfen. Für diesen Fall ist die Erhöhung der Witwenrente, wie sie § 45 Abs. 2 Satz 2 AVG vorsieht, nach dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift nicht gedacht. Zutreffend führt Pappai (BArbBl 1965, 602) aus, durch die Einfügung des Satzes 2 solle der in der Versichertenrente enthaltene Besitzstand auf die Witwe weiterübertragen werden. Von einem Besitzstand im üblichen Sinn kann aber beim Ehemann der Klägerin nicht gesprochen werden, weil die Zeiten seines Aufenthalts in Dänemark nach dem Abkommen von vornherein zwar auf seine Rente, nicht aber auch auf die seiner Witwe rentensteigernd angerechnet werden sollten.
Bei der von der Klägerin und den Vorinstanzen vertretenen Auslegung des § 45 Abs. 2 Satz 2 AVG würde überdies die in den Art. 25 und 26 des Abkommens getroffene Sonderregelung im Ergebnis entfallen, weil die Aufenthaltszeiten des Versicherten in Dänemark letztlich auch bei der Berechnung der Witwenrente berücksichtigt würden. Das wäre nicht gerechtfertigt. Wie es in Art. 1 Abs. 2 des deutsch-dänischen Sozialversicherungsabkommens heißt, bezieht sich das Abkommen nicht nur auf die Gesetzgebung zur Rentenversicherung, die zur Zeit des Vertragsabschlusses in Kraft war, sondern auch auf alle Gesetze und sonstigen Vorschriften, die diese Gesetzgebung ändern oder ergänzen. Dies entspricht einem allgemein gültigen Rechtsgedanken. Dem steht nicht entgegen, daß von der Bundesrepublik das Zustimmungsgesetz zum Abkommen vom 21. August 1954 erlassen worden ist. Zustimmungsgesetze, durch die der Inhalt völkerrechtlicher Verträge zu innerstaatlichem Recht transformiert wird, hängen in ihrer Geltungsdauer von der des Vertrages ab. Dieser aber kann während seiner völkerrechtlichen Wirksamkeit durch innerstaatliche Gesetze weder geändert noch aufgehoben werden. Vielmehr gilt er für die von ihm geregelten Sachverhalte auch gegenüber abweichendem späteren Recht weiter. Anderenfalls würden die Ausgangspunkte jeder zwischenstaatlichen Regelung, die Grundsätze der Gegenseitigkeit, Gleichwertigkeit und Gleichbehandlung in Frage gestellt, die Ausgangspositionen für Gegenseitigkeitsabkommen verändert und der Abschluß von Sozialversicherungsabkommen erschwert, weil das Interesse des anderen Staates an einer zusätzlichen vertraglichen Regelung entfallen könnte. Deshalb heißt es auch in Nr. 12 des Schlußprotokolls zum Abkommen, die Regierungen der beiden Vertragsstaaten behielten sich eine Anpassung oder Änderung des Abkommens vor, "wenn sich aus seiner Durchführung einseitige Belastungen eines der Vertragsstaaten oder unerwünschten Härten für die Berechtigten des einen oder anderen Vertragsstaates ergeben".
Die in Art. 26 und 27 des deutsch-dänischen Sozialversicherungsabkommens getroffene Regelung ist daher weder durch die Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze noch durch das Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz vom 25. Februar 1960 (BGBl I 93) noch durch das RVÄndG aufgehoben worden, sie hat vielmehr als Spezialvorschrift weiterhin Vorrang vor den allgemeinen Berechnungsvorschriften und bestimmt die Berechnung von Witwenrenten beim Vorliegen von Aufenthaltszeiten des Versicherten in Dänemark. § 45 Abs. 2 Satz 2 AVG kann somit, wie die Beklagte mit Recht ausführt, im Zusammenhang mit Aufenthaltszeiten im Königreich Dänemark nur dahin verstanden werden, daß die sogenannte große Witwenrente nicht sechs Zehntel des Betrages unterschreiten darf, der sich ergibt, wenn bei der Berechnung der vom Versicherten bis zu seinem Tode bezogenen Rente die dänischen Aufenthaltszeiten nicht rentensteigernd berücksichtigt worden wären.
Danach muß die Revision der Beklagten den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen