Leitsatz (amtlich)
Ist für einen Kalendermonat ein Beitrag für die Weiterversicherung wirksam entrichtet worden, so ist damit das Recht zur Wahl der Beitragsklasse verbrauch; der Beitrag kann später nicht mehr geändert werden, auch nicht innerhalb der Frist des AVG § 140 Abs 1 (= RVO § 1418 Abs 1).
Normenkette
RVO § 1407 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 129 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1957-02-23, § 140 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1418 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 2. November 1971 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Kläger, der als höherer Angestellter zeitweilig wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze nicht angestelltenversicherungspflichtig war, hat ua in seiner am 14. Dezember 1966 ausgestellten und am 3. August 1967 aufgerechneten Versicherungskarte Nr. 11 sowie in der am selben Tage ausgestellten und am 10. Oktober 1968 aufgerechneten Versicherungskarte Nr. 12 jeweils 12 freiwillige Beiträge der Klasse N. mit dem Aufdruck 67 zu je 140,-- DM für die Jahre 1965 und 1966 entrichtet.
Am 26. Dezember 1967 überwies er an die Beklagte 840,-- DM, die am 30. Dezember 1967 auf ihrem Postscheckkonto eingingen.
Mit Schreiben vom 27. Dezember 1967, eingegangen bei der Beklagten am 28. Dezember 1967, bat er diese, die zuvor erwähnten 24 Beitragsmarken aufgrund der Nachzahlung in 12 Beiträge der Klasse R zu je 168,- DM für 1965 sowie in 12 Beiträge der Klasse T zu je 182,-- DM für 1966 zu berichtigen. Die Beklagte lehnte ein solches Vorgehen unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 22. August 1967 - 11 RA 338/64 - (DAngVers 1968, 67) durch Bescheid vom 14. Mai 1968 ab und überwies anschließend die eingezahlten 840,-- DM zurück. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos. Die Beklagte berief sich darauf, nach § 129 Abs. 2 Satz 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) könne bei der Weiterversicherung für jeden Kalendermonat nur ein Beitrag entrichtet werden. Die Wahl der Beitragsklasse stehe dem Berechtigten frei (Satz 2 aaO). Mit dem Einkleben der Beitragsmarken in die Versicherungskarten sei das Wahlrecht verbraucht. Das Gesetz sehe keine Möglichkeit vor, einmal entrichtete Beiträge später aufzustocken.
Hiergegen erhob der Kläger Klage mit der Begründung, er hätte nach § 140 Abs. 1 AVG bis zum Ende des Jahres 1967 das Recht gehabt, für 1965 und 1966 Beiträge zu entrichten; deshalb hätte die Beklagte die überwiesenen Beiträge annehmen und entsprechend anrechnen müssen.
Diese Klage hat das Sozialgericht (SG) Düsseldorf durch Urteil vom 18. März 1970 abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Er hat nunmehr die vom Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen in seinem Urteil vom 2. November 1971 zugelassene Revision eingelegt mit dem Antrage,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Urteils des SG vom 18. März 1970 sowie des Bescheides vom 14. Mai 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 1968 die Beklagte zu verurteilen, ihm die Aufstockung der Beiträge für 1965 und 1966 in Beiträge der Klassen R für 1965 und T für 1966 durch Nachentrichtung der Differenzbeträge zu gestatten.
Gerügt wird unrichtige Anwendung der §§ 129 Abs. 2, 140 AVG.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II.
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Der erkennende Senat hat schon in seinem Urteil vom 28. September 1966 - 1 RA 263/63 - (SozR Nr. 10 zu Art. 2 § 52 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - ArVNG-; Breith. 1967,493; DRV 1967, 100 mit Besprechung von Tannen) im Anschluß an sein Urteil vom 3. November 1961 (BSG 15, 203, 205) für die in Art. 2 § 50 Abs. 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - AnVNG- (= Art. 2 § 52 Abs. 1 ArVNG) für Vertriebene und Flüchtlinge unter bestimmten Voraussetzungen vorgesehene Möglichkeit, abweichend von der Regelung in den §§ 140, 141 AVG Beiträge für Zeiten bis zum 1. Januar 1924 zurück nachzuentrichten, ausgesprochen, daß für Zeiten- hier die Zeit vom 1. Januar 1937 bis 13. April 1940 -, die bereits früher - hier im August 1940 - mit nach damaligem Recht rechtsgültig verwendeten freiwilligen Beiträgen belegt worden sind, keine freiwilligen Beiträge nach der zuvor genannten Vorschrift mehr nachentrichtet werden können. Für diesen Sonderfall einer Beitragsnachentrichtung müßten dieselben Einschränkungen gelten, die jetzt für die freiwillige Beitragsentrichtung auch sonst bestünden. Nach § 129 Abs. 2 Satz 1 AVG könne aber für jeden Kalendermonat nur ein Beitrag entrichtet werden. Hierbei handele es sich nicht nur um eine unwichtige Ordnungsvorschrift, vielmehr bestehe ein enger Zusammenhang mit der durch die Rentenreform des Jahres 1957 eingeführten Rentenformel. Sie erlaube es nicht, für denselben Zeitraum doppelt Beiträge anzurechnen, weil dies die für den Versicherten maßgebende Rentenbemessungsgrundlage verfälschen würde.
Dieser Auffassung hat sich der 11. Senat in seinem bereits erwähnten Urteil vom 22. August 1967 für nach der genannten Vorschrift im April 1958 für die Jahre 1941 bis 1944 entrichtete Beiträge, die der Versicherte später durch weitere Zahlungen für denselben Zeitraum "erhöhen" wollte, angeschlossen. Der 11. Senat ist ebenfalls der Auffassung, daß das allgemeine Beitragsrecht maßgebend ist, soweit es nicht durch Sonderregelungen ausdrücklich ausgeschlossen ist. Auch für die Beitragsnachentrichtung nach Art. 2 § 50 Abs. 1 Satz 2 AnVNG stehen den Berechtigten nur die in § 115 Abs. 1 AVG genannten Beitragsklassen zur Verfügung. Die Berechtigten sind zwar in der Wahl der Beitragsklasse für die einzelnen Monate der Nachentrichtung frei, sie können aber die einmal entrichteten Monatsbeiträge nicht später erhöhen (aufstocken), den einzelnen Beitrag also gewissermaßen in Raten entrichten; sie können auch nicht etwa für den gleichen Monat, für den sie bereits einen Beitrag entrichtet haben, später noch einen weiteren freiwilligen Beitrag entrichten, und zwar selbst dann nicht, wenn beide Beiträge zusammen einer der in § 115 AVG genannten Beitragsklassen entsprechen würden. Einer solchen nachträglichen Veränderung steht die 1957 eingeführte neue Rentenformel entgegen. Danach kommt es wie der 11. Senat aaO ebenfalls zutreffend ausführt, für die Feststellung des Jahresbetrages der Rente neben der Anzahl der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre und weiterer Berechnungsfaktoren vor allem auf die für den Versicherten maßgebende Rentenbemessungsgrundlage an. Die sogenannte persönliche Bemessungsgrundlage ist der Vomhundertsatz der allgemeinen Bemessungsgrundlage, der dem Verhältnis entspricht, in dem während der zurückgelegten Beitragszeiten der Bruttoarbeitsentgelt des Versicherten zu dem Bruttoarbeitsentgelt aller rentenversicherten Angestellten und Arbeiter gestanden hat (§ 32 AVG). Bei der Ermittlung dieses Verhältnisses kommt es auch auf die Zahl der zu berücksichtigenden Beitragsmonate an, die Veränderung der Zahl der Beitragsmonate durch eine Doppelbelegung würde also die persönliche Rentenbemessungsgrundlage verfälschen. Das ist mit dem Gesetz nicht zu vereinbaren. Hieran ändert auch der besondere Charakter der Vorschrift des Art. 2 § 50 Abs. 1 AnVNG nichts.
Unter Berufung auf diese Rechtsprechung ist das LSG mit Recht zu dem Ergebnis gekommen, daß für das vom Kläger beanspruchte Recht, innerhalb der 2-Jahresfrist des § 140 Abs. 1 AVG bereits entrichtete Beiträge noch zu erhöhen oder aufzustocken, nichts anderes gelten kann. Zutreffend führt das LSG ergänzend aus, vor dem 1. Januar 1957 konnte der Versicherte freiwillige Beiträge nur in der seinem jeweiligen Einkommen entsprechenden Gehaltsklasse, mindestens aber in der Gehaltsklasse B wirksam entrichten (§ 185 AVG aF); er hatte somit bezüglich der Höhe seiner Beiträge kein Wahlrecht. Nach den Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetzen ist das grundlegend anders, denn dem zur freiwilligen Weiterversicherung Berechtigten steht nunmehr die Wahl der Beitragsklassen frei; er ist auch wegen des Wegfalls der Vorschriften über die Notwendigkeit der Erhaltung der Anwartschaft durch eine weitere Beitragsentrichtung nicht mehr gezwungen, durch laufende Beitragszahlungen für jedes Jahr eine bestimmte Anzahl von Beiträgen zu erbringen. Mit dem ab 1. Januar 1957 geltenden Recht ist somit durch die Regelung über die freiwillige Weiterversicherung eine echte freiwillige Vorsorge geschaffen worden, die im wesentlichen allein vom Versicherten bestimmt wird. Bei ihm liegt die Entscheidung, in welcher Höhe und Anzahl er freiwillige Beiträge entrichten will. Ihm ist ein Wahl- und Gestaltungsrecht eingeräumt, das es früher nicht gab. Hat aber der nach neuem Recht zur Weiterversicherung Berechtigte durch die wirksame Entrichtung einer Beitragsmarke sich für eine bestimmte Beitragshöhe entschlossen, so ist die Beitragsentrichtung insoweit endgültig abgeschlossen. Der Versicherte hat sein Wahlrecht verbraucht, und er kann keine Änderungen mehr dadurch vornehmen, daß er z.B. Aufstockungsbeiträge bezahlt oder daß er etwa vom Versicherungsträger eine Rückzahlung einzelner Beiträge mit der Begründung fordert, eine Probeberechnung seiner Rente habe ergeben, daß die Zahlung eines geringeren Beitrages als des entrichteten von größerem wirtschaftlichen Wert gewesen wäre. Hätte der Gesetzgeber solche Änderungsmöglichkeiten, und sei es auch nur für die Dauer der Nachentrichtungsfrist des § 140 Abs. 1 AVG, einräumen wollen, hätte er dies ausdrücklich bestimmen müssen.
Diese Rechtslage ist jetzt durch das Rentenreformgesetz (RRG) vom 16. Oktober 1972 (BGBl I 1965) bestätigt worden. Es sieht in mehrfacher Hinsicht in erweitertem Umfange die Möglichkeit der Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen vor, längstens bis zum 1. Januar 1924 zurück. Stets ist aber die Einschränkung gemacht, daß dies nur zulässig ist, soweit diese Zeiten nicht bereits mit Beiträgen belegt sind (vgl. ua Art. 2 §§ 44 a, 49 a, 50 b AnVNG). Damit gibt das Gesetz auch hier keine Möglichkeit, eine frühere Beitragsentrichtung, die damals sogar z.B. im Hinblick auf die früher vorgesehene Mindestrente sinnvoll und zweckmäßig gewesen sein kann, dies aber wegen der neuen Rentenformel nicht mehr ist, in irgendeiner Form zu berichtigen, obwohl dies für die Betroffenen von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung sein kann. Für die normale Beitragsnachentrichtung innerhalb der Fristen des § 140 AVG etwas anderes gelten zu lassen, besteht kein Grund, zumal die finanziellen Auswirkungen hier erheblich geringer sind und durch eine erhöhte Beitragsleistung für nachfolgende Zeiten weitgehend ausgeglichen werden können.
Daß der Gesetzgeber entsprechende Möglichkeiten weder für die Nachentrichtungen nach den vorgenannten Sondervorschriften noch für solche innerhalb der Frist des § 140 Abs. 1 AVG vorgesehen hat, erscheint auch sachlich gerechtfertigt. Jede Beitragsentrichtung für eine zurückliegende Zeit bedeutet für die Versicherungsträger und damit für die Versichertengemeinschaft, welche die laufenden Rentenzahlungen durch ihre Beiträge aufzubringen hat, eine zusätzliche Belastung vor allem deswegen, weil die den Rentenversicherungsträgern für zurückliegende Zeiten zufließenden Beiträge im Leistungsfall höher bewertet werden als gleiche Beiträge, die für das laufende Kalenderjahr bestimmt sind (vgl. hierzu im einzelnen H. Waldmann, Die Nachentrichtung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung - eine finanzielle Belastung der Rentenversicherung?, Deutsche Rentenversicherung 1971, 83 ff); deshalb ist es hier nur sachgerecht, diese zusätzliche Belastung der Rentenversicherung zu begrenzen. Der freiwillig Versicherte ist gegenüber dem Versicherungspflichtigen, von dem der Beitrag in gesetzlicher Höhe ohne die Möglichkeit einer nachträglichen Aufstockung im Lohnabzugsverfahren laufend eingezogen wird, schon dadurch bevorzugt, daß er grundsätzlich zwei Jahre Zeit für die Beitragsentrichtung hat und die Höhe der Beiträge selbst bestimmen kann. Es besteht daher keine Veranlassung, ihn noch darüber hinaus in der von der Revision erstrebten Form zu begünstigen.
Unerheblich ist - worauf sich die Revision weiter beruft -, daß das Urteil des 11. Senats vom 22. August 1967 Ende 1967 noch nicht veröffentlicht war, daß die Beklagte bis zu einer entgegenstehenden internen Verwaltungsanweisung von Anfang Dezember 1967 die Aufstockung freiwilliger Beiträge entgegenkommenderweise selbst zugelassen hatte, und daß schließlich die Beklagte den überwiesenen Betrag erst etwa ein halbes Jahr später zurückgezahlt hat. Ihr Beanstandungsrecht hatte sie noch nicht verloren. Auch ist bedeutungslos, daß Ende 1967 die Frage nach der Zulässigkeit einer Aufstockung von Beiträgen noch nicht hinreichend geklärt war.
Nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung darf die Beklagte als Träger der gesetzlichen Rentenversicherung bei der Anwendung der Gesetze nur eine als richtig erkannte Rechtsauffassung berücksichtigen, unabhängig davon, ob sie auch in der Öffentlichkeit bekannt ist. Erweist sich eine Gesetzesanwendung nachträglich als unzutreffend, dann ist jede Verwaltung verpflichtet, ihre Verwaltungspraxis unverzüglich zu überprüfen und zu berichtigen. Auf die Kenntnis der Betroffenen kommt es dabei nicht an. Hier hat die Beklagte ihre Verwaltungsübung, die schon von den übrigen Versicherungsträgern nicht geteilt worden war (vgl. Wünnemann in seiner Anmerkung zu dem Urteil vom 22. August 1967 in DAngVers 1968, 69), unter pflichtgemäßer Berücksichtigung eines Urteils des BSG geändert. Sie durfte deshalb auch beim Kläger nicht mehr aus Billigkeitsgründen die als unrichtig festgestellte ursprüngliche Rechtsauffassung weiterhin anwenden. Aus der langjährigen gegenteiligen Verwaltungspraxis Beklagten kann dieser daher keine Rechte herleiten. Eine Selbstbindung der Verwaltung durch den Erlaß bestimmter Dienstanweisungen oder durch eine feste Verwaltungspraxis kommt nur bei Ermessensentscheidungen in Betracht. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Aufstockung oder einer Erhöhung von Beiträgen ist jedoch kein Raum für Ermessensentscheidungen, weil die Beklagte hier allein die eine nachträgliche Aufstockung oder Erhöhung ausschließenden gesetzlichen Bestimmungen anzuwenden hat.
Die Revision des Klägers kann somit keinen Erfolg haben.
Für die beantragte Anrufung des Großen Senats besteht kein rechtlicher Grund, weil widersprechende Entscheidungen des BSG zu der hier entschiedenen Rechtsfrage nicht vorliegen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen