Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersetzen des Verwaltungsaktes. Baugrundstück als Vermögen. Nachholen des Ermessens. Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts
Orientierungssatz
1. Im Sinne von § 96 SGG wird der bisherige Verwaltungsakt ersetzt, wenn der neue Verwaltungsakt ganz an die Stelle des alten tritt und die Beschwer des Klägers vermehrt, in bisherigem Umfange bestätigt oder nur in geringerem Umfange beibehält.
2. Die Verwertung eines Baugrundstücks ist unzumutbar, wenn es nachweislich zur alsbaldigen Bebauung mit Wohnraum zur Eigennutzung durch den Eigentümer bestimmt ist. Voraussetzung ist, daß der Arbeitslose in dem Zeitpunkt, zu dem erstmals die Bedürftigkeit zu prüfen ist, Anstalten getroffen hat, aus denen sich die Absicht zum Bauen wegen eigener Wohnbedürfnisse ergibt (Anschluß an BSG vom 4.9.1979 7 RAr 115/78 = BSGE 49, 30).
3. Ist die gebotene Ausübung von Ermessen unterblieben, darf das Ermessen daher ebenfalls mit heilender Wirkung nur bis zum Abschluß des Vorverfahrens oder, falls ein solches nicht stattfindet, nur bis zur Erhebung der Klage nachgeholt werden (vgl BSG vom 24.8.1988 7 RAr 53/86). Hier muß der Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie einem höherrangigen Rechtsgut, nämlich dem Rechtsstaatsprinzip, weichen, durch welches das Vertrauen des Bürgers in die Rechtsstaatlichkeit der Verwaltung gestärkt werden soll.
4. Ist ein schriftlicher Verwaltungsakt ohne die gebotene Begründung ergangen, ist er rechtswidrig. Nichts anderes gilt, wenn es die Verwaltung unterläßt, von dem gebotenen Ermessen Gebrauch zu machen, oder wenn die Verwaltung von der Ausübung des Ermessens gänzlich abgesehen hat.
Normenkette
SGG § 96 Abs 1, § 153 Abs 1; AFG § 134 Abs 1 S 1 Nr 3, § 137 Abs 1, § 137 Abs 2; AlhiV § 6 Abs 3 S 2 Nr 7; SGB 10 § 35 Abs 1 S 3, § 41 Abs 1 Nr 2, § 41 Abs 2, § 45 Abs 2 S 3 Nr 2
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 30.01.1987; Aktenzeichen L 6 Ar 39/86) |
SG Koblenz (Entscheidung vom 05.02.1986; Aktenzeichen S 9 Ar 67/85) |
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme einer Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) und gegen die Erstattung von 8.219,20 DM.
Die Beklagte bewilligte dem 1956 geborenen, ledigen Kläger ab 4. März 1983 Alhi (Bescheid vom 22. Februar 1983), die der Kläger jedenfalls bis zum 24. September 1983 bezog. Ab 8. Februar 1984 bewilligte die Beklagte die Leistung wieder (Bescheid vom 15. Mai 1984); der Kläger bezog die Leistung bis Juni 1984.
Während der Kläger in seinem Antrag vom 21. Februar 1983 und in einem Fragebogen im Dezember 1983 die Frage, ob er Vermögen von mehr als 8.000,-- DM habe, verneint hatte, hatte er in seinem Antrag vom 8. Februar 1984 und in nachfolgenden Fragebögen als Vermögen ein Baugrundstück und dessen Wert im April 1984 mit ca 25.000,-- DM angegeben.
Mit Bescheid vom 5. Dezember 1984 hob die Beklagte unter Berufung auf § 48 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB 10) die genannten Bewilligungen für die Zeit vom 4. März bis 24. September 1983 und vom 8. Februar bis 12. April 1984 auf, da der Kläger nicht bedürftig gewesen sei. Sie begründet dies damit, daß er als Eigentümer eines Grundstücks mit einem Verkehrswert von 70.000,-- DM über verwertbares Vermögen verfügt habe, dessen Verwertung zumutbar gewesen sei. Bei Berücksichtigung von 80 % des Verkehrswertes und eines Freibetrages von 8.000,-- DM verbleibe ein Vermögen von 48.000,-- DM. Bei Teilung dieses Betrages durch das Arbeitsentgelt von 825,-- DM wöchentlich, nach dem sich die Höhe der Alhi richte, sei die Bedürftigkeit bis zum 12. April 1984 zu verneinen. Gleichzeitig forderte die Beklagte unter Berufung auf § 50 SGB 10 vom Kläger die Erstattung von 10.823,20 DM.
Nach dem Widerspruch des Klägers änderte die Beklagte den Aufhebungsbescheid, indem sie die Aufhebung nunmehr auf § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB 10 stützte (Bescheid vom 15. Januar 1985); den Widerspruch wies sie zurück (Widerspruchsbescheid vom 22. Januar 1985).
Das Sozialgericht (SG) hat den Bescheid vom 15. Januar 1985 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Januar 1985 aufgehoben, weil die Beklagte kein Ermessen ausgeübt habe (Urteil vom 5. Februar 1986). Die Beklagte hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt und zunächst den Bescheid vom 5. Dezember 1984 in Gestalt des Bescheids vom 15. Januar 1985 und des Widerspruchsbescheids vom 22. Januar 1985 aufgehoben und ihn durch den Bescheid vom 1. April 1986 ersetzt. Anschließend hat die Beklagte auch den Bescheid vom 1. April 1986 aufgehoben und ihn durch den Bescheid vom 13. Mai 1986 ersetzt, demzufolge lediglich der Bescheid vom 22. Februar 1983 über die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 4. März bis 24. September 1983 gemäß § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 und Abs 4 SGB 10, §§ 134, 137 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) zurückgenommen worden ist und der Kläger gemäß § 50 SGB 10 8.219,20 DM zu erstatten hat. In diesem Bescheid ist ua ausgeführt worden, daß vorliegend auch die nach § 45 Abs 2 SGB 10 erforderliche Ermessensentscheidung zu keinem anderen Ergebnis führe: Die Erstattungspflicht stelle mit Rücksicht auf das Vermögen keine besondere Härte dar. Dem Kläger entgingen durch die getroffene Entscheidung auch keine Sozialhilfeansprüche für die Vergangenheit, weil ihm wegen seines Vermögens auch keine Sozialhilfe zugestanden habe.
Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben, was der Klarstellung wegen geschehen ist, und die Klage gegen den Bescheid vom 13. Mai 1986 abgewiesen; es hat außerdem entschieden, daß die Beklagte dem Kläger 3/10 der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten hat (Urteil vom 30. Januar 1987).
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG zunächst ausgeführt, gemäß § 153 Abs 1, § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei der Bescheid vom 13. Mai 1986 Gegenstand des Verfahrens geworden, über den nicht auf die Berufung, sondern auf Klage hin zu entscheiden sei. Der Anwendung des § 96 SGG stehe nicht entgegen, daß die Begründung eines Verwaltungsaktes nicht mehr im Gerichtsverfahren nachgeholt werden könne (§§ 35, 41 SGB 10). Die Änderung des verfügenden Teils eines Verwaltungsaktes stelle kein Nachschieben von Gründen dar; vielmehr handele es sich um die nachträgliche Ersetzung eines Aktes durch einen anderen. Daß in solchen Fällen das Vorverfahren und ggfs die erste Gerichtsinstanz verloren gehe, sei aus prozeßwirtschaftlichen Gründen gerechtfertigt.
Das LSG hat ferner ausgeführt, daß die Beklagte zutreffend die Alhi-Bewilligung für die Zeit vom 4. März bis 24. September 1983 zurückgenommen und den sich daraus ergebenden Erstattungsanspruch geltend gemacht habe. Nach § 45 SGB 10 werde ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruhe, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe. Der Kläger habe in seinem Antrag vom 21. Februar 1983 eine unrichtige Angabe gemacht, indem er seinen Grundbesitz, dessen Wert er selbst auf etwa 25.000,-- DM geschätzt habe, nicht aufgeführt, sondern jegliches Vermögen von mehr als 8.000,-- DM verneint habe. Dies sei zumindest grob fahrlässig geschehen. Die unrichtige Angabe habe die Rechtswidrigkeit der Bewilligung zur Folge gehabt. Dem Kläger habe für die Zeit vom 4. März bis 24. September 1983 gemäß § 134 Abs 1 Nr 3, § 137 Abs 2 AFG, §§ 6, 8, 9 Arbeitslosenhilfe-Verordnung (AlhiV) mangels Bedürftigkeit keine Alhi zugestanden. Die Verwertung des Grundbesitzes sei dem Kläger zumutbar gewesen. Die Verwertung sei nicht offensichtlich unwirtschaftlich und habe unter Beachtung einer angemessenen Lebenshaltung von dem Kläger erwartet werden können. Das Grundstück sei nicht nachweislich zum alsbaldigen Bau eines Wohnhauses zwecks Erfüllung eigener Wohnbedürfnisse bestimmt gewesen. Alsbald iS des § 6 Abs 3 Satz 2 Nr 7 AlhiV bedeute, daß der Arbeitslose im Zeitpunkt des Alhi-Antrags Anstalten getroffen habe oder treffe, aus denen sich die Absicht zum Bauen wegen eigener Wohnbedürfnisse ergebe. Das sei hier nicht nachgewiesen. Damit könne das Eigentum an dem Baugrundstück nicht einem Vermögen iS des § 6 Abs 3 Satz 2 Nr 7 AlhiV gleichgestellt werden, das nachweislich zum alsbaldigen Erwerb eines vom Eigentümer zu bewohnenden Hausgrundstücks von angemessener Größe bestimmt sei. Aufgrund des vom SG eingeholten Wertgutachtens lasse sich ein Verkehrswert des Grundstücks im Zeitpunkt der Antragstellung von 78.400,-- DM feststellen. Gemäß § 9 AlhiV ergebe sich hiernach jedenfalls für die hier strittige Zeit, daß der Kläger nicht bedürftig gewesen sei, so daß eine Überzahlung von 8.219,20 DM festzustellen sei. Mit der Rücknahme der Alhi-Bewilligung unter Erhebung des Anspruchs auf Erstattung habe die Beklagte auch das ihr zustehende und im Rahmen des § 54 Abs 2 Satz 2 SGG nachprüfbare Ermessen nicht fehlerhaft angewandt. Indem die Beklagte sich auf die Vermögenslage und auf einen nicht gegebenen Sozialhilfeanspruch berufen habe, habe sie weder die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten noch von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht. Schließlich sei die einjährige Ausschlußfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB 10 für die Rücknahme mit dem Erlaß des Bescheides vom 5. Dezember 1984 gewahrt worden. Das Arbeitsamt habe von dem Vermögen erst im Februar 1984 Kenntnis erlangt. Daß der Bescheid vom 5. Dezember 1984 inzwischen durch den Bescheid vom 13. Mai 1986 ersetzt worden sei, sei unerheblich, weil jedenfalls der Bescheid vom 5. Dezember 1984 vor Ablauf der Einjahresfrist einen Vertrauensschutz nicht habe entstehen lassen.
Der Kläger rügt mit der Revision eine Verletzung des § 96 SGG und trägt hierzu vor: Zutreffend habe das SG entschieden, daß die Beklagte mit dem zunächst erlassenen Bescheid die ihr obliegende Ermessensausübung unterlassen habe. Eine Nachholung sei der Beklagten gemäß § 41 Abs 2 SGB 10 untersagt gewesen. Sie habe daher, was auch geschehen sei, einen neuen Verwaltungsakt erlassen müssen. Sie habe diesen in der Berufungsinstanz in das Verfahren eingeführt, was das LSG für zulässig erachtet habe. Gründe der Prozeßökonomie könnten indes nicht dazu führen, dem Bürger die Möglichkeit der Überprüfung der Ermessensentscheidung sowohl im Vorverfahren als auch in erster Instanz vorzuenthalten. Andernfalls wäre es der Beklagten jederzeit möglich, Verwaltungsakte zunächst ohne Ermessensentscheidung zu erlassen und diese dann in einem nachfolgenden Gerichtsverfahren durch einen neuen Verwaltungsakt mit Ermessensentscheidung zu ersetzen. Die Zulassung nachgereichter Bescheide im Berufungsverfahren widerspreche auch dem Grundsatz der §§ 35, 41 SGB 10. Gegebenenfalls sei das Bundesverfassungsgericht anzurufen; denn § 96 SGG verstoße gegen den wesentlichen Grundsatz des Verfassungsrechts, daß dem Rechtsuchenden die gesetzlich vorgesehenen Instanzen nicht abgeschnitten würden.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des LSG die Bescheide des Arbeitsamtes Mayen vom 1. April 1986 und 13. Mai 1986 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist auf das angefochtene Urteil. Ergänzend macht sie geltend: Das LSG sei zutreffend davon ausgegangen, daß der am 13. Mai 1986 erteilte Bescheid nachträglich die vorausgegangenen streitbefangenen Bescheide ersetzt habe. Sobald nämlich der ursprüngliche Verwaltungsakt in seinem Wesen, insbesondere hinsichtlich seines Verfügungssatzes geändert werde, wie das hier geschehen sei, stelle eine solche Änderung kein Nachschieben von Gründen dar. Die Handlungsweise der Beklagten, die keinen Versuch der Heilung eines Verfahrens- oder Formfehlers darstelle, stehe im übrigen im Einklang mit dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24. November 1983 - 10 RAr 11/82 - BSGE 56, 55 = SozR 7910 § 59 Nr 15. Nach dieser Entscheidung könne ein Aufhebungsbescheid, der wegen fehlender Ermessensausübung rechtswidrig sei, noch während des Berufungsverfahrens von Amts wegen mit der Folge ersetzt werden, daß der neue Bescheid Gegenstand des Berufungsverfahrens werde.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unzulässig, soweit die Aufhebung des Bescheids vom 1. April 1986 begehrt wird. Ob es insoweit schon an der Beschwer fehlt, weil das LSG über dieses Anfechtungsbegehren nicht entschieden hat, kann offen bleiben; denn jedenfalls genügt diesbezüglich die Revisionsbegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen. Die Revisionsbegründung muß nicht nur einen bestimmten Antrag enthalten, sondern die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG), und zwar bezüglich jedes der geltend gemachten prozessualen Ansprüche (BSG SozR § 164 Nr 22 mwN). Dem ist der Revisionskläger nicht nachgekommen. Aus seiner Revisionsbegründung ergibt sich zwar, aus welchen Rechtsgründen er den Bescheid für rechtswidrig hält. Eine Verletzung der entsprechenden Rechtsnormen durch das LSG wäre damit aber nur dann bezeichnet, wenn das LSG eine Klage gegen den Bescheid als unbegründet abgewiesen hätte. Die Revision hat jedoch übersehen, daß das LSG über eine Aufhebung des Bescheids vom 1. April 1986 nicht entschieden hat, was offenbar darauf zurückzuführen ist, daß die Beklagte im Bescheid vom 13. Mai 1986 den Bescheid vom 1. April 1986 schon selbst aufgehoben hatte. Eine Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts oder einer sonstigen revisiblen Vorschrift hätte die Revision bezüglich des Bescheids vom 1. April 1986 daher nur bezeichnet, wenn sie aufgezeigt hätte, aus welchen Gründen das LSG über diesen Bescheid entscheiden mußte. Das ist jedoch nicht geschehen.
Soweit das LSG die Klage gegen den Bescheid des Arbeitsamtes Mayen vom 13. Mai 1986 abgewiesen hat, ist die Revision zulässig und begründet. Der Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Fehl geht die Revision allerdings in der Ansicht, der Bescheid vom 13. Mai 1986 sei entgegen der von der Beklagten geteilten Auffassung des LSG nicht Gegenstand des Verfahrens geworden. Nach § 96 Abs 1 SGG, der für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gemäß § 153 Abs 1 SGG entsprechend gilt (vgl für viele BSGE 4, 24, 25 f; 5, 13, 16; 18, 231, 234), wird auch der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens, durch den der (bisherige) Verwaltungsakt nach Klageerhebung abgeändert oder ersetzt wird. Ersetzt wird der bisherige Verwaltungsakt, wenn der neue Verwaltungsakt ganz an die Stelle des alten tritt und die Beschwer des Klägers vermehrt, in bisherigem Umfange bestätigt oder nur in geringerem Umfange beibehält. Letzteres ist hier der Fall: Das Arbeitsamt hat die im Bescheid vom 15. Januar 1985 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Januar 1985 getroffene Regelung, gegen die sich die vom Kläger beim SG erhobene Klage gerichtet hat, ausdrücklich aufgehoben und durch die im Bescheid vom 1. April 1986 getroffene Regelung ersetzt. Wenige Wochen später hat das Arbeitsamt auch die in dem Bescheid vom 1. April 1986 getroffene Regelung aufgehoben und durch die Regelung im Bescheid vom 13. Mai 1986 ersetzt. Diese Regelung betrifft den gleichen Regelungsgegenstand, soweit die - insgesamt verringerte - Beschwer des Klägers beibehalten wurde; es blieb bei der Rücknahme der Alhi-Bewilligung für die Zeit vom 4. März bis 24. September 1983 und der Erstattung von 8.219,20 DM, während das Arbeitsamt mit dem Bescheid vom 15. Januar 1985 (in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Januar 1985) und dem Bescheid vom 1. April 1986 auch Alhi-Bewilligungen für 1984 zurückgenommen und dementsprechend einen höheren Erstattungsbetrag festgesetzt hatte. Der neue Verwaltungsakt wird nach § 96 Abs 1 SGG mit seinem Erlaß Gegenstand des anhängigen Verfahrens, ohne daß es bezüglich des neuen Verwaltungsaktes der Durchführung eines Vorverfahrens bedarf, das sonst Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Klage ist (vgl für viele BSGE 18, 93, 94; 38, 21, 28).
Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen dagegen nicht. Es gibt keinen Verfassungsrechtssatz, der nach Erlaß eines Verwaltungsaktes ein weiteres behördliches Verfahren geböte, das zwingend durchzuführen ist, bevor ein Gericht über die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes sachlich entscheiden kann. Entsprechend ist in den Prozeßgesetzen der Verwaltungsgerichtsbarkeiten auch sonst die Durchführung eines behördlichen Vorverfahrens vor Erhebung der Klage nicht ausnahmslos vorgesehen (vgl § 78 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 SGG; § 68 Abs 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung; § 45 Finanzgerichtsordnung). Verfassungsrecht verletzt auch nicht, daß unter Fortfall einer zweiten Tatsacheninstanz das Berufungsgericht über die Rechtmäßigkeit des neuen Verwaltungsakts entscheidet, wenn dieser während des Berufungsverfahrens erlassen wird. Die Rechtsweggarantie des Art 19 Abs 4 Grundgesetz (GG) verlangt nicht, daß für die Überprüfung eines Verwaltungsakts, der an die Stelle eines Verwaltungsaktes tritt, der bislang Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens gewesen ist, eine zweite Tatsacheninstanz zur Verfügung steht; denn die Rechtsweggarantie gewährleistet grundsätzlich nur eine Instanz (BVerfGE 4, 74, 94 f; 4, 387, 411; 6, 7, 12; BGH NJW 1988, 3267 f). Wenn infolge der Vorschriften der §§ 153 Abs 1, 96 Abs 1 SGG eine zweite Verwaltungsinstanz und eine zweite gerichtliche Tatsacheninstanz entfällt, verletzt dies schließlich nicht Art 3 Abs 1 GG. Abgesehen von der Prozeßökonomie, die den § 96 SGG allein rechtfertigt, besteht ein erheblicher Unterschied, ob ein Verwaltungsakt vor Erhebung der Klage oder während eines gerichtlichen Verfahrens erlassen ist; denn im letztgenannten Falle wird der neue Verwaltungsakt nicht selten erlassen, weil sich erst durch die Aufbereitung des Prozeßstoffes während des gerichtlichen Verfahrens zeigt, daß er erforderlich ist. Eine gänzlich andere Frage ist, ob der Verwaltungsakt, der gemäß § 96 Abs 1 SGG Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens geworden ist, deshalb rechtswidrig und aufzuheben ist, weil Verwaltungsverfahrensrecht der erlassenden Behörde verbietet, während eines gerichtlichen Verfahrens Bescheide dieser Art zu erlassen (vgl BSGE 49, 229 = SozR 1200 § 34 Nr 10).
In der Sache hat das LSG zu Unrecht die Klage gegen den Bescheid vom 13. Mai 1986 abgewiesen, der allein noch Gegenstand des Verfahrens ist.
Allerdings sind die Voraussetzungen für die Rücknahme der Bewilligung der Alhi für die Zeit vom 4. März bis 24. September 1983 erfüllt. Einschlägige Vorschrift ist § 45 Abs 1 iVm Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB 10. Danach darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Abs 2 - 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 45 Abs 1 SGB 10). Der Bescheid vom 22. Februar 1983, durch den dem Kläger ab 4. März 1983 Alhi bewilligt worden ist, war rechtswidrig, weil der Kläger die Anspruchsvoraussetzung der Bedürftigkeit (§ 134 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFG) nicht erfüllte. Bedürftig ist der Arbeitslose, soweit er seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Alhi bestreitet oder bestreiten kann (vgl § 137 Abs 1 AFG). Der Arbeitslose ist nicht bedürftig, solange mit Rücksicht auf sein Vermögen die Gewährung von Alhi offenbar nicht gerechtfertigt ist (§ 137 Abs 2 AFG). Das Vermögen des Arbeitslosen wird dabei, soweit es verwertbar ist und die Verwertung zumutbar ist, nach den §§ 6 ff der - insoweit auf der Ermächtigung des § 137 Abs 3 AFG beruhenden - AlhiV vom 7. August 1974 (BGBl I 1929), hier anwendbar in der zuletzt durch das Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497) geänderten Fassung, bis auf ein Schonvermögen von 8.000,-- DM berücksichtigt. Hiernach ist Vermögen grundsätzlich zu verbrauchen, bevor Alhi in Anspruch genommen werden kann. Bedürftigkeit besteht nicht für die Zahl voller Wochen, die sich aus der Teilung des zu berücksichtigenden Vermögens durch das Arbeitsentgelt ergibt, nach dem sich der Hauptbetrag der Alhi richtet (§ 9 AlhiV). Mit Recht hat das LSG angesichts des Verkehrswertes des Baugrundstücks des Klägers hiernach die Bedürftigkeit des Klägers für die fragliche Zeit verneint.
Der Verwertbarkeit des Grundstücks stand nichts entgegen. Selbst wenn das Grundstück nicht beleihbar gewesen sein sollte, konnte es übertragen, dh verkauft werden. Die Verwertung war auch zumutbar. Nicht zumutbar ist zwar die Verwertung eines Hausgrundstücks von angemessener Größe, das der Eigentümer bewohnt, oder einer entsprechenden Eigentumswohnung (§ 6 Abs 3 Satz 2 Nr 7 AlhiV). Zu den hiernach privilegierten Vermögensgegenständen gehören jedoch nur bebaute Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte über bebaute Grundstücke, mithin kein Baugrundstück. Da nach § 6 Abs 3 Satz 2 Nr 7 AlhiV unzumutbar auch die Verwertung eines Vermögens ist, das nachweislich zum alsbaldigen Erwerb eines solchen Hausgrundstücks oder einer solchen Eigentumswohnung bestimmt ist, dürfte auch die Verwertung eines Baugrundstücks unzumutbar sein, das nachweislich zur alsbaldigen Bebauung mit Wohnraum zur Eigennutzung durch den Eigentümer bestimmt ist. Letzteres setzt indessen voraus, wie das LSG im Anschluß an BSGE 49, 30 = SozR 4220 § 6 Nr 3 zutreffend erkannt hat, daß der Arbeitslose in dem Zeitpunkt, zu dem erstmals die Bedürftigkeit zu prüfen ist (hier: 4. März 1983), Anstalten getroffen hat, aus denen sich die Absicht zum Bauen wegen eigener Wohnbedürfnisse ergibt. Solche Anstalten hatte der Kläger aber nach den Feststellungen des LSG, von denen mangels entsprechender Revisionsrügen der Senat auszugehen hat (§ 163 SGG), nicht getroffen. Das LSG hat auch keine anderen Umstände festgestellt, nach denen die Verwertung des Grundstücks für den Kläger unzumutbar gewesen wäre.
Muß hiernach das in dem Grundstück bestehende Vermögen berücksichtigt werden, ist die Bedürftigkeit des Klägers für die Zeit vom 4. März bis 24. September 1983 zu verneinen. Bei einem wöchentlichen Arbeitsentgelt von 825,-- DM, nach dem sich die Alhi des Klägers 1983 richtete, führt nach § 9 AlhiV schon ein anrechenbares (Rein-)Vermögen von 24.750,-- DM zur Verneinung der Bedürftigkeit für 30 Wochen, die hier in etwa streitig sind. Über ein solches Vermögen verfügte der Kläger selbst dann, wenn man anders als die Beklagte von dem Grundstückswert, den das LSG mit 78.400,-- DM festgestellt hat, nicht nur den Freibetrag von 8.000,-- DM (§ 6 AlhiV), sondern vorab auch das beim Kauf des Baugrundstücks aufgenommene Bauspardarlehen von restlich ca 9.000,-- DM absetzt.
Der Rücknahme der rechtswidrigen Bewilligung steht der Vertrauensschutz, der gemäß § 45 Abs 2 SGB 10 eingeräumt ist, nicht entgegen. Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf zwar nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 45 Abs 2 Satz 1 SGB 10). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte jedoch nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB 10). Letzteres ist hier der Fall. Der Kläger hat in dem Antrag vom 21. Februar 1983 unrichtig angegeben, Vermögen von mehr als 8.000,-- DM nicht zu haben, obwohl er schon damals Eigentümer des Baugrundstücks war, das er selbst mit 25.000,-- DM bewertet hat, wie sich aus seinen späteren Angaben ergibt. Die unrichtige Angabe, Vermögen von mehr als 8.000,-- DM nicht zu besitzen, machte der Kläger nach der Beurteilung des LSG zumindest grob fahrlässig. Diese Beurteilung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß das LSG damit den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt hat. Die 1983 ausgesprochene Bewilligung der Alhi beruht auf der unrichtigen Angabe des Klägers; denn ausgehend von diesen Angaben hatte das Arbeitsamt die Bedürftigkeit des Klägers nicht in Frage gestellt.
Weil ein Fall des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB 10 gegeben ist, kam auch die Rücknahme der Bewilligung für die Vergangenheit in Betracht (§ 45 Abs 4 Satz 1 SGB 10).
Gleichwohl ist der Bescheid vom 13. Mai 1986 rechtswidrig. Mit Recht geht das LSG davon aus, daß es sich bei der Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes gemäß § 45 SGB 10 um eine Entscheidung handelt, die grundsätzlich im Ermessen des Leistungsträgers liegt. Das folgt aus dem Wortlaut des § 45 Abs 1 SGB 10, wonach der rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakt zurückgenommen werden "darf" (st Rspr, vgl zuletzt BSG SozR 1300 § 45 Nr 34 mwN). Es mag zutreffen, daß die Beklagte mit dem Bescheid vom 13. Mai 1986 die gesetzlichen Grenzen des Ermessens weder überschritten noch von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Rechtmäßig wäre der Bescheid vom 13. Mai 1986 indessen nur dann, wenn die Beklagte trotz des anhängigen gerichtlichen Verfahrens das Ermessen ausüben konnte. Dazu war sie jedoch nicht berechtigt, wie die Revision im Kern zutreffend rügt; denn die Beklagte hat damit gegen den aus §§ 35 und 41 SGB 10 zu entnehmenden Rechtssatz verstoßen, daß eine unterlassene Ermessensentscheidung nicht während des gerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden kann.
Nach § 35 Abs 1 Satz 3 SGB 10 muß ein schriftlicher Verwaltungsakt, der eine Ermessensentscheidung enthält, auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Ist die Begründung unterblieben, darf sie zwar nachgeholt werden; heilende Wirkung hat die Nachholung jedoch nur dann, wenn sie bis zum Abschluß des Vorverfahrens oder, wenn ein solches nicht stattfindet, bis zur Erhebung der Klage geschehen ist (§ 41 Abs 1 Nr 2 und Abs 2 SGB 10). Ist ein schriftlicher Verwaltungsakt ohne die gebotene Begründung ergangen, ist er rechtswidrig. Nichts anderes gilt, wenn es die Verwaltung unterläßt, von dem gebotenen Ermessen Gebrauch zu machen; die Verwaltung verletzt den Betroffenen dann in seinem Recht auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung. Kann aber die Verwaltung nach den §§ 35, 41 SGB 10 schon die Begründung einer getroffenen Ermessensentscheidung nur beschränkt mit heilender Wirkung nachholen, müssen diese Einschränkungen erst recht gelten, wenn die Verwaltung von der Ausübung des Ermessens gänzlich abgesehen hat. Auch in Fällen dieser Art wird den Betroffenen die Möglichkeit genommen, anhand der ihnen gegebenen Begründung der Ermessensentscheidung vor Erhebung der Klage zu prüfen, ob sie ein gerichtliches Verfahren überhaupt einleiten sollen. Ist die gebotene Ausübung von Ermessen unterblieben, darf das Ermessen daher ebenfalls mit heilender Wirkung nur bis zum Abschluß des Vorverfahrens oder, falls ein solches nicht stattfindet, nur bis zur Erhebung der Klage nachgeholt werden (vgl das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil des Senats vom 24. August 1988 - 7 RAr 53/86 -).
Gegen diesen Rechtssatz hat die Beklagte mit dem Bescheid vom 13. Mai 1986 verstoßen. Obwohl die Beklagte während des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 5. Dezember 1984 erkannt hatte, daß die Aufhebung der Alhi-Bewilligung nicht auf § 48 SGB 10, sondern allein auf § 45 SGB 10 gestützt werden konnte, hat sie weder in dem nachgeschobenen Bescheid vom 15. Januar 1985 noch in dem Widerspruchsbescheid vom 22. Januar 1985 von dem ihr eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht. Erst der Bescheid vom 1. April 1986 läßt die Ausübung von Ermessen erkennen; die dort angeführten Ermessenserwägungen sind in dem Bescheid vom 13. Mai 1986 wiederholt worden. Hierdurch ist den gesetzlichen Anforderungen jedoch nicht entsprochen worden; denn in diesen Zeitpunkten befand sich das Verfahren schon beim LSG. Dagegen läßt sich nicht einwenden, der Bescheid vom 13. Mai 1986 habe eine andere Regelung zum Inhalt. Die Beklagte hat in ihrem Bescheid vom 13. Mai 1986 hinsichtlich der Rücknahme der Alhi-Bewilligung für die Zeit vom 4. März bis 24. September 1983, sieht man von den Ermessenserwägungen ab, inhaltlich nur das wiederholt, was sie ua auch in ihrem Bescheid vom 15. Januar 1985 (in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Januar 1985) und dem Bescheid vom 1. April 1986 entschieden hatte. Die Verfügungssätze aller Bescheide lauten, was die Bewilligung der Alhi für die Zeit vom 4. März bis 24. September 1983 angeht, daß diese Bewilligung aufgehoben wird, weil die Voraussetzungen für die Leistung von vornherein nicht vorgelegen haben. Begründet wird dies jeweils damit, daß der Kläger wegen des Eigentums an dem Baugrundstück nicht bedürftig gewesen sei. Der Regelungsgegenstand der Bescheide ist daher derselbe, soweit er hier streitig ist. Wegen dieses identischen Regelungsinhalts hat die Beklagte sich so verhalten, als ob ihr ungeachtet des § 35 Abs 1 Satz 3, § 41 Abs 1 Nr 2 und Abs 2 SGB 10 die Befugnis zustände, die erforderlichen Ermessenserwägungen im anhängigen gerichtlichen Verfahren nachzuholen.
Der Umstand, daß im vorliegenden Falle die Beklagte die anfänglichen Bescheide aufgehoben und letztlich durch den Bescheid vom 13. Mai 1986 ersetzt hat, ändert hieran nichts. Wie oben ausgeführt, wird der während des Berufungsverfahrens erlassene Bescheid kraft Gesetzes gemäß §§ 153 Abs 1, 96 Abs 1 SGG unmittelbar Gegenstand des Berufungsverfahrens, so daß der Sozialleistungsträger keine Gelegenheit mehr hat, diesen Bescheid in einem Vorverfahren in eigener Zuständigkeit zu überprüfen und dabei mit der Ermessensausübung durch die Widerspruchsstelle ggf zu einem für den Betroffenen günstigeren Ergebnis zu gelangen. Das mit § 35 Abs 1 SGB 10 vom Gesetzgeber verfolgte Ziel, allgemein das Vertrauensverhältnis zwischen dem Bürger und der Sozialverwaltung zu stärken und die Stellung des Bürgers insbesondere durch den Schutz vor Überraschungsentscheidungen zu verbessern, kann deshalb auf diesem Wege nicht erreicht werden.
Hiernach kann die Beklagte eine unterlassene Ermessensentscheidung in Fällen wie dem vorliegenden nur noch dadurch nachholen, daß sie die fehlerhaften Bescheide aufhebt und im Verwaltungsverfahren einen neuen Bescheid erteilt. Dieses Ergebnis mag mit den Grundsätzen der Verfahrensökonomie nicht im Einklang stehen. Das ist jedoch unbeachtlich; denn hier muß der Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie einem höherrangigen Rechtsgut, nämlich dem Rechtsstaatsprinzip, weichen, durch welches das Vertrauen des Bürgers in die Rechtsstaatlichkeit der Verwaltung gestärkt werden soll. Das verbietet eine Tolerierung des hier von der Beklagten eingeschlagenen Verfahrens. Schließlich kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß Vorschriften ohne Sanktion die Neigung fördern, sie aus vermeintlichen Gründen der Verwaltungseffizienz wie der Praktikabilität, der Flexibilität, der Beschleunigung und Vereinfachung nicht anzuwenden. Der Senat weicht mit seiner Rechtsauffassung, die inzwischen auch von der Beklagten geteilt wird (vgl Dienstblatt - Runderlaß 148/88 vom 30. November 1988), auch nicht von dem Urteil BSGE 56, 55, 61 = SozR 7910 § 59 Nr 15 ab. Soweit dort die Möglichkeit bejaht worden ist, während eines gerichtlichen Verfahrens behördliches Ermessen in einem neuen Bescheid auszuüben, der dann Gegenstand des Berufungsverfahrens wird, handelt es sich lediglich um einen beiläufig gegebenen Hinweis, der nicht zu den tragenden Gründen der damaligen Entscheidung gehört. Eine Abweichung iS von § 42 SGG, die eine Anrufung des Großen Senats gebietet, liegt daher nicht vor.
Ein anderes Ergebnis rechtfertigt sich schließlich nicht aus der Überlegung, daß angesichts der besonderen Umstände des Falles nur die getroffene Rücknahme in Betracht komme, dh der Ermessensspielraum der Beklagten auf "Null" reduziert sein könnte. Die vom LSG festgestellten und für den Senat bindenden Tatsachen lassen durchaus mehrere rechtmäßige Ermessensentscheidungen möglich erscheinen.
Ist hiernach die angefochtene Rücknahme der Bewilligung rechtsfehlerhaft, kann auch die Festsetzung der Erstattungsforderung keinen Bestand haben; denn letztere setzt eine rechtmäßige Rücknahme der Bewilligung voraus. Ist der Bescheid vom 13. Mai 1986 hiernach in vollem Umfange rechtswidrig, muß er auf die Klage hin aufgehoben werden. Gründe der Prozeßökonomie und der Rechtskraftwirkung, die den erkennenden Senat in anderen Fällen davon abgehalten haben, Rücknahmebescheide allein wegen Fehlens einer Ermessensentscheidung aufzuheben, sind vorliegend nicht gegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dabei hat der Senat von einer Minderung der Erstattungspflicht der Beklagten wegen der teilweisen Unzulässigkeit der Revision abgesehen, weil sich die "Mehrforderung" kostenmäßig nicht auswirkt.
Fundstellen