Entscheidungsstichwort (Thema)

Brautversorgung. besondere Härte

 

Orientierungssatz

1. Eine besondere Härte kann nicht stets schon deshalb bejaht werden, weil es wegen des kriegsbedingten Todes nicht mehr zur Eheschließung gekommen ist und die hinterbliebene Braut dadurch den ihr ohne den Tod des Verlobten sicheren Status der Witwe mit dem sich hieraus in der Regel ergebenden Rechtsanspruch auf Versorgung verloren hat (vgl BSG 1969-07-25 8 RV 191/67 = VdKMitt 1968, 403).

2. Nicht jede Berufsaufgabe im Hinblick auf eine beabsichtigte Heirat führt stets zu einem wirtschaftlichen Schaden, der unter dem Gesichtspunkt einer besonderen Härte auszugleichen ist.

3. Wenn der Beruf zwar zunächst im Hinblick auf eine beabsichtigte Heirat aufgegeben wird, die Wiederaufnahme einer wirtschaftlich gleichwertigen Berufstätigkeit nach dem Tod des Verlobten aber aus Gründen, die mit diesem Tod nicht in ursächlichem Zusammenhang stehen, unterbleibt, so fehlt es an einer wesentlichen Bedingung zwischen unterbliebener Heirat und wirtschaftlichem Schaden.

 

Normenkette

BVG § 89

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 04.03.1971)

SG Duisburg (Entscheidung vom 08.07.1930)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 4. März 1971 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin war mit dem am 29. Juni 1944 an den Folgen einer Verwundung verstorbenen Josef S (S.) verlobt. Zur beabsichtigten Verheiratung der Verlobten ist es im letzten Urlaub des S. (Mai 1944) trotz vorhandener Eheunbedenklichkeitsbescheinigung vom März 1944 wegen Unvollständigkeit der Heiratsunterlagen nicht gekommen. Die Klägerin arbeitete vor dem Kriege als Landhelferin und Hausgehilfin und war von 1939 bis 1944 mit krankheitsbedingten Unterbrechungen als Arbeiterin in verschiedenen Firmen beschäftigt. Ihrem Antrag auf Zustimmung zur Lösung des Arbeitsverhältnisses wurde im Mai 1944 zunächst nicht, dann aber am 24. Juli 1944, als sie den Antrag mit ihrem Gesundheitszustand und einem weiten Anmarschweg zur Arbeitsstelle begründete, stattgegeben. Im Sommer 1944 trat bei der Klägerin zu dem bereits vorhandenen Herzleiden noch eine Hornhautentzündung beiderseits hinzu, der sich später außerdem ein Lungenleiden anschloß, so daß die Klägerin bis 1958 arbeitsunfähig war.

Das Versorgungsamt lehnte den Antrag der Klägerin vom Juli 1969 auf Gewährung von Hinterbliebenenrente ("Brautversorgung") im Wege des Härteausgleichs mit Bescheid vom 30. Januar 1970 ab, weil der Klägerin durch den Tod des S. kein wirtschaftlicher Schaden entstanden sei. Widerspruch, Klage und Berufung blieben ohne Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) führte aus, die Klägerin habe durch den Tod des S. keinen wirtschaftlichen Schaden erlitten, der ihre wirtschaftliche Lage so beeinträchtigt habe, daß sie wie eine versorgungsberechtigte Witwe auf die Hinterbliebenenversorgung angewiesen wäre. Nicht jede Aufgabe einer Erwerbstätigkeit im Hinblick auf eine bevorstehende Verheiratung erfülle den Begriff der besonderen Härte im Sinne des § 89 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Die Aufgabe des Berufs oder einer anderen Erwerbsquelle müsse eine längere Zeit dauern und einen wirtschaftlichen Nachteil oder den Verlust einer gesicherten Stellung mit sich gebracht haben. Selbst wenn die Klägerin ihre Arbeitsstelle im Frühjahr 1944 in Wirklichkeit nicht aus den damals angegebenen gesundheitlichen und anderen Gründen, sondern wegen der beabsichtigten Eheschließung gekündigt hätte, wäre sie nicht gehindert gewesen, nach dem Tode ihres Verlobten jederzeit die gleiche oder eine andere Arbeitsstelle anzunehmen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Wenn sie nach dem Tod des Verlobten nicht wieder eine Arbeit aufgenommen habe, so sei nach ihres eigenen Angaben hierfür nicht der Tod ihres Verlobten, sondern ihre damalige Krankheit maßgebend gewesen. Damit lasse sich nicht feststellen, daß der Beklagte den Begriff einer besonderen Härte verkannt und ermessensfehlerhaft entschieden habe. Die Revision wurde wegen einer vom LSG angenommenen Abweichung von dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 1. Februar 1968 - 10 RV 333/66 - zugelassen.

Die Klägerin rügt mit der Revision, das LSG habe § 89 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) verletzt. Die besondere Härte bestehe darin, daß es durch den kriegsbedingten Tod des S. nicht mehr zur Eheschließung gekommen sei; dadurch sei die Klägerin in eine wirtschaftliche Notlage geraten. Sie habe ihre berufliche Tätigkeit im Hinblick auf die beabsichtigte Eheschließung und die damit verbundene eheliche Versorgung aufgegeben.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des angefochtenen Urteils, des Urteils des Sozialgerichts Duisburg vom 8. Juli 1970 und der Bescheide vom 30. Januar und 30. März 1970 zu verurteilen, ihr unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats einen neuen Bescheid über die beantragte Brautversorgung gemäß § 89 Abs. 1 BVG zu erteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung im Ergebnis für zutreffend.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

II

Die Revision der Klägerin ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sie ist aber nicht begründet.

Streitig ist, ob der Klägerin von der Antragstellung (Juli 1969) an Hinterbliebenenversorgung im Wege des Härteausgleichs zusteht. Die Vorinstanzen haben zu Recht die dafür erforderliche materiell-rechtliche Voraussetzung einer besonderen Härte verneint.

Nach der hier anzuwendenden Fassung des § 89 BVG (3. Neuordnungsgesetz - NOG - vom 28. Dezember 1966, BGBl I, 750) kann, sofern sich in einzelnen Fällen aus den Vorschriften dieses Gesetzes "besondere Härten" ergeben, mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (BMA) ein Ausgleich gewährt werden. Diese Zustimmung wurde für Fälle der Brautversorgung nach § 89 Abs. 2 BVG mit dem Rundschreiben des BMA vom 11. Juli 1966 (BVBl 1966, 82) unter bestimmten Voraussetzungen, die durch das Rundschreiben vom 21. Oktober 1968 (BVBl 1968, 150) erleichtert worden sind, allgemein erteilt; gleichzeitig wurde empfohlen, der einschlägigen Rechtsprechung des BSG zu folgen. Für den vorliegenden Fall sind insbesondere die auch vom BMA in dem Rundschreiben vom 21. Oktober 1968 erwähnten Urteile des 10. Senats vom 1. Februar 1968 (BSG 27, 286) und des 8. Senats vom 25. Juli 1968 - 8 RV 191/67 - bedeutsam; über Anträge auf Brautversorgung im Wege des Härteausgleichs hat ferner der erkennende Senat in seinen Urteilen vom 17. März 1970 (BSG 31, 83) und vom 25. Januar 1972 - 9 RV 184/71 - entschieden. Übereinstimmend ist in diesen Urteilen die Auffassung vertreten worden, es handele sich bei dem Begriff der "besonderen Härte" um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der zwar der Verwaltungsbehörde für die Beurteilung der Tatsachen dahin, ob sie sich unter den Begriff der "besonderen Härte" einreihen lassen, einen gewissen Beurteilungsspielraum einräumt, aber richterlicher Nachprüfung dahin unterliegt, ob er von der Verwaltungsbehörde richtig ausgelegt worden ist. Als rechtserhebliche Auslegungsmerkmale werden für die Gewährung von Brautversorgung der Nachweis eines Verlöbnisses, die Absicht der Verlobten, alsbald zu heiraten, die Vereitelung der Heirat durch ein Kriegsereignis, weiterhin jedoch auch der Umstand angesehen, daß die Antragstellerin wegen ihrer Verlobung mit dem später Gefallenen in eine Lage geraten ist, die der einer versorgungsberechtigten Witwe nahekommt. Da durch die der Witwe gewährte Hinterbliebenenversorgung die wirtschaftlichen Nachteile ausgeglichen werden sollen, die durch den Tod des Ehemannes eingetreten sind, kann eine besondere Härte im Sinne des § 89 BVG für eine hinterbliebene Braut nur dann bejaht werden, wenn durch das Kriegsereignis - wehrdienstbedingte Schädigungen oder auch der später durch Schädigungsfolgen eingetretene Tod des Verlobten, vgl. hierzu BSG 31, 83 und das Urteil des Senats vom 25. Januar 1972 für die hinterbliebene Braut ein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist. Bereits in dem Urteil vom 25. Juli 1968 - 8 RV 191/67 - ist jedoch darauf hingewiesen worden, daß eine besondere Härte nicht stets schon deshalb bejaht werden kann, weil es wegen des kriegsbedingten Todes nicht mehr zur Eheschließung gekommen ist und die hinterbliebene Braut dadurch den ihr ohne den Tod des Verlobten sicheren Status der Witwe mit dem sich hieraus in der Regel ergebenden Rechtsanspruch auf Versorgung verloren habe; sonst würde nämlich der Kreis der nach dem BVG versorgungsberechtigten Hinterbliebenen, zu dem zwar grundsätzlich (§ 38 BVG) die Witwe, nicht jedoch die Verlobte gehört, im Widerspruch zum Gesetz auf alle hinterbliebenen Bräute, bei denen eine ernsthafte Absicht der Eheschließung nachgewiesen ist, ausgedehnt werden. Ein wirtschaftlicher Schaden, der eine Brautversorgung im Wege des Härteausgleichs rechtfertigt, ist nach dem Urteil des BSG vom 1. Februar 1968 (BSG 27, 286) in der Regel zwar nicht nur dann zu bejahen, wenn eine hinterbliebene Braut ein Kind des später gefallenen (oder verschollenen) Verlobten zu versorgen hat. In diesem Urteil ist darauf hingewiesen worden, es seien auch andere Tatsachen denkbar und möglich, durch die eine Braut infolge des kriegsbedingten Todes des Verlobten in eine ähnliche Lage wie eine Witwe gekommen ist und wirtschaftliche Nachteile zu tragen hat; als Beispiel ist u. a. erwähnt, "daß eine Verlobte im Hinblick auf die beabsichtigte Eheschließung und die eheliche Versorgung ihren Beruf oder eine andere Erwerbsquelle aufgegeben hat, wodurch ihr Lebensunterhalt auch weiterhin gesichert wäre". Das bedeutet aber nicht, daß jede Berufsaufgabe im Hinblick auf eine beabsichtigte Heirat stets zu einem wirtschaftlichen Schaden führt, der unter dem Gesichtspunkt einer besonderen Härte auszugleichen wäre. Ebenso wie das Kriegsereignis die wesentliche Bedingung oder jedenfalls eine wesentliche Bedingung für das Nichtzustandekommen der Heirat gewesen sein muß (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom 25. Januar 1972), muß auch die beabsichtigte Heirat die Ursache (im Sinne einer wesentlichen Bedingung) für die Aufgabe eines bisherigen Berufs und einen sich hieraus ergebenden wirtschaftlichen Schaden gewesen sein. An diesem Zusammenhang fehlt es dann, wenn der Beruf zwar zunächst im Hinblick auf eine beabsichtigte Heirat aufgegeben worden ist, die Wiederaufnahme einer wirtschaftlich gleichwertigen Berufstätigkeit nach dem Tod des Verlobten aber aus Gründen, die mit diesem Tod nicht in ursächlichem Zusammenhang stehen, unterblieben ist.

Im vorliegenden Fall hat das LSG bindend (§ 163 SGG) festgestellt, daß die Klägerin und ihr Verlobter bis zu dessen Tod die ernsthafte Absicht gehabt haben, alsbald zu heiraten. Es hat dahingestellt gelassen, ob die Klägerin, die ihren zunächst vom Arbeitsamt abgelehnten Antrag auf Zustimmung zur Lösung des Arbeitsverhältnisses nach der ebenfalls nicht angegriffenen Feststellung des LSG später mit ihrem Gesundheitszustand und dem weiten Anmarschweg zur Arbeitsstelle begründet und die Zustimmung auch nur aus diesen Gründen mit Bescheid des Arbeitsamts vom 24. Juli 1944 erhalten hat, nach ihrem jetzigen Vorbringen in Wirklichkeit ihre Arbeitsstelle wegen der beabsichtigten Heirat aufgegeben habe. Es hat festgestellt, daß die Klägerin, selbst wenn sie ihre Arbeitsstelle "im Frühjahr 1944" im Hinblick auf die beabsichtigte Eheschließung aufgegeben hätte, nicht gehindert gewesen wäre, nach dem Tod des Verlobten die gleiche oder eine andere Arbeit wieder aufzunehmen und damit ihren Lebensunterhalt in gleichem Umfang zu sichern wie auf Grund ihrer bisherigen Berufstätigkeit, und daß die Wiederaufnahme einer Arbeit nach ihren eigenen Angaben insbesondere wegen ihrer damaligen Krankheit unterblieben ist. Zulässige und begründete Revisionsrügen gegen diese Feststellungen hat die Klägerin nicht geltend gemacht. Es kommt hinzu, daß die Zustimmung des Arbeitsamtes zur Lösung des Arbeitsverhältnisses erst mit dem Bescheid vom 24. Juli 1944 und sonach erst nach dem Tod des Verlobten (29. Juni 1944) erteilt und das Arbeitsverhältnis deshalb erst zu einem Zeitpunkt rechtswirksam gelöst worden ist, in dem einer Fortsetzung der Arbeit durch die Klägerin die früher beabsichtigte Heirat nicht mehr hat entgegenstehen können.

Das LSG ist damit zu Recht zu der Auffassung gelangt, daß der wirtschaftliche Schaden, der der Klägerin durch die Nichtausübung eines Berufs nach dem Tod des Verlobten entstanden ist, nicht mit diesem Tod zusammenhängt. Damit hat es zutreffend die Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 30. Januar 1970 und des Widerspruchsbescheids verneint, weil die Versorgungsbehörden den Begriff der besonderen Härte im Sinne von § 89 BVG nicht verkannt haben. Die Revision der Klägerin war deshalb nach § 170 Abs. 1 Satz 1 SGG als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1648719

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