Leitsatz (amtlich)
Eine wirksame Beitragserstattung gemäß RVO § 1309a idF der VO vom 1942-06-22 (RGBl 1 1942, 411) setzt den Nachweis der Auszahlung des Erstattungsbetrages an die Berechtigte voraus (Anschluß an BSG 1973-01-24 4 RJ 103/72).
Normenkette
RVO § 1309a Abs. 4 Fassung: 1942-06-22, Abs. 3 Fassung: 1942-06-22
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 26. Juli 1974 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin ein Altersruhegeld aus der Angestelltenversicherung zusteht. Dabei geht es vor allem darum, ob nach der Heirat der Klägerin am 2. März 1940 eine - die Wartezeiterfüllung ausschließende - Beitragserstattung gemäß § 1309 a der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Fassung der Verordnung vom 22. Juni 1942 - RGBl I 411 - (RVO aF) in Verbindung mit § 47 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) in der damals gültigen Fassung (AVG aF) erfolgt ist.
Die im November 1907 geborene Klägerin hatte von Mai 1924 bis November 1944 als Telefonistin und Fernschreiberin Beiträge zur Angestelltenversicherung entrichtet. Ihren im Mai 1972 gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, die Beiträge seien nach § 47 AVG aF erstattet worden, so daß die Wartezeit nicht erfüllt sei (Bescheid vom 10. August 1972).
Im Klageverfahren machte die Klägerin geltend, sie habe weder einen Antrag auf Erstattung von Versicherungsbeiträgen gestellt noch zu irgendeinem Zeitpunkt Beiträge zurückerhalten. Die Beklagte legte Fotokopien der die Klägerin betreffenden Erstattungsschriftwechselkarte, einer Anlage zum Sammelscheck über Heiratserstattungen und der Nachweisungen über die Zusammenstellung der Heiratserstattungslisten Nr. 1 bis 22 vom 3. März 1945 (Zahlungsliste Nr. 61) vor. Nach der Erstattungsschriftwechselkarte soll die Klägerin am 2. Februar 1945 einen Antrag auf Beitragserstattung gemäß § 47 AVG aF wegen ihrer Heirat am 2. März 1940 gestellt haben. Daraufhin soll die Hälfte der in der Zeit vom 1. Mai 1924 bis 23. November 1944 entrichteten 188 Beiträge zur Angestelltenversicherung in Höhe von 785,80 RM aufgrund des Bescheides vom 22. Februar 1945 an sie erstattet worden sein. Die Erstattungsschriftwechselkarte enthält zum Nachweis für die Richtigkeit der Eintragungen zwei Unterschriften sowie den Hinweis, daß die Erstattung über die Zahlungsliste Nr. 61 erfolgt und die Auszahlung am 3. März 1945 bewilligt worden sei. In einer Anlage zum Sammelscheck über Heiratserstattungen ist die Klägerin unter der auch in der Erstattungsschriftwechselkarte eingetragenen Kontonummer (Aktenzeichen) D 129 799 mit einem Betrag von 785,80 RM aufgeführt. In den Nachweisungen über die Zusammenstellung der Listen Nr. 1 bis 22 (Zahlungsliste Nr. 61) ist unter Nr. 4 ein Betrag von 2.030,10 RM eingetragen, welcher der Summe der in der Anlage zum Sammelscheck aufgeführten fünf Erstattungsbeträge (darunter für die Klägerin mit 785,50 RM) entspricht. Die Nachweisungen enthalten ferner den von zwei Kassenbeamten unterzeichneten Vermerk, daß für 110 Empfänger insgesamt 45.728,20 RM zurückzuzahlen seien, sowie eine Kassenanweisung über diesen Betrag vom 3. März 1945. Schließlich befinden sich auf den Nachweisungen ein Stempelaufdruck, nach welchem der angewiesene Betrag durch Postsammelscheckheft 706 Nr. 43 am 5. März 1945 bezahlt worden sei, und ein Stempel des Scheckamtes Berlin NW vom 6. März 1945.
Klage und Berufung der Klägerin blieben ohne Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) bestätigte das klagabweisende Urteil des Sozialgerichts (SG) im wesentlichen mit folgender Begründung: Die Voraussetzungen für die Gewährung des Altersruhegeldes seien nicht gegeben, weil die Wartezeit von mindestens 180 Beitragsmonaten infolge der wirksamen Beitragserstattung nicht erfüllt sei (§ 25 Abs. 7 AVG). Die Beitragserstattung sei mit der Herausgabe der Zahlungsanweisung durch die Beklagte vollzogen gewesen. Der Begriff der Erstattung im Sinne des § 1309 a Abs. 4 RVO aF müsse unter Berücksichtigung der damaligen Gegebenheiten dahin ausgelegt werden, daß er erfüllt sei, wenn der Versicherungsträger alles getan habe, um der Erstattungspflicht nachzukommen. Auf die Auszahlung des Geldes an den Berechtigten durch die Post komme es nicht an. Mit der durch Postsammelscheck Heft 706 Nr. 43 am 5. März 1945 erfolgten Überweisung des Gesamterstattungsbetrages von 45.728,20 RM, in welchem die Erstattungssumme für die Klägerin mit 785,80 RM nach den vorgelegten Erstattungsunterlagen enthalten gewesen sei, habe die Beklagte das Erforderliche getan, um die Klägerin in den Besitz der zurückzuzahlenden Beiträge zu setzen. Schon hierdurch sei die kontenzerstörende Wirkung der Beitragserstattung (§ 1309 a Abs. 4 RVO aF) eingetreten. Das Reichsversicherungsamt (RVA) habe bereits in seiner Entscheidung Nr. 861 (AN 1900, 839, 840) zum Ausdruck gebracht, daß trotz des Wortlautes "Erstattung" in § 42 Abs. 2 des Invalidenversicherungsgesetzes bei der Beurteilung des Vollzugs der sog. Heiratserstattung nicht auf die Zustellung des Erstattungsbetrages oder das Abheben desselben bei der Post abgestellt werden könne, sondern auf den - mit seinem Zugang "bindend werdenden" Feststellungsbescheid. Die vom RVA hierfür aufgeführten Gründe hätten ihre Bedeutung nicht dadurch verloren, daß mit Wirkung vom 1. Mai 1942 gemäß § 5 des Zweiten Gesetzes über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung vom 19. Juni 1942 - RGBl I 407 - Beiträge ohne Feststellungsbescheid erstattet worden seien (§ 1309 a Abs. 3 RVO aF). Damit habe erreicht werden sollen, daß sich die damals staatlich geförderte Heiratserstattung während des Krieges möglichst schnell und zwanglos vollziehen konnte. An die Stelle der an die Zustellung des Erstattungsbescheides geknüpften Rechtsfolgen (§ 1309 Abs. 4 RVO aF) habe dagegen nicht die Regelung treten sollen, daß erst die vollzogene Auszahlung der Erstattungssumme durch die Post als Erstattung anzusehen sei. Der im Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24. Januar 1973 - 4 RJ 103/72 - vertretenen gegenteiligen Auffassung, wonach dem Nachweis der Zustellung des Erstattungsbetrages eine entscheidende Bedeutung beizumessen sei, könne nicht gefolgt werden.
Die Voraussetzungen für eine Beitragserstattung nach § 1309 a RVO aF seien im Februar/März 1945 auch gegeben gewesen. Die Klägerin habe im Februar 1945 einen wirksamen Antrag auf Beitragserstattung gestellt (§ 1309 a Abs. 1 RVO aF). Dies sei wegen der von der Beklagten vorgelegten Unterlagen nach der Lebenserfahrung zu vermuten. Bezeichne der Versicherungsträger den Berechtigten als Antragsteller in seinen Unterlagen, so sei dieser nach den Erfahrungen des täglichen Lebens auch der Antragsteller. Es sei zu vermuten und nicht zu widerlegen, daß die Beklagte im Besitz der heute nicht mehr vorhandenen Urschrift des Erstattungsantrages der Klägerin gewesen sei. Diese habe zwar zu Recht darauf hingewiesen, daß die Identität des Antragstellers mit dem Berechtigten nicht durch eine Unterschriftsbeglaubigung festgestellt worden sei. Die Behauptung, ein Dritter habe den Erstattungsantrag gestellt, sei aber selbst unter Berücksichtigung der von der Klägerin geschilderten Verhältnisse während des Krieges in Duisburg nicht als ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs anzusehen (Urteil vom 26. Juli 1974).
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die unrichtige Anwendung des § 1309 a RVO aF sowie eine Verletzung der Aufklärungspflicht durch das LSG.
Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils und des Urteils des SG Duisburg vom 5. Dezember 1973 sowie unter Aufhebung des Bescheides vom 10. August 1972 die Beklagte zu verurteilen, ihr ein Altersruhegeld zu zahlen; hilfsweise beantragt sie, den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die durch Zulassung statthafte Revision der Klägerin ist mit ihrem Hilfsantrag auf Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Vorinstanz begründet.
Das LSG hat zunächst ohne Rechtsfehler festgestellt, daß die Klägerin im Februar 1945 einen Antrag auf Beitragserstattung gestellt hat. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision betreffen ausschließlich die dem Berufungsgericht als Tatsacheninstanz vorbehaltene Beweiswürdigung. Vom Revisionsgericht könnte dabei nur überprüft werden, ob das LSG die Grenzen seines Rechts auf freie Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) überschritten, insbesondere die Beweise willkürlich gewürdigt oder gegen Denk- und Erfahrungssätze verstoßen hätte. Derartiges ist der Revisionsbegründung nicht zu entnehmen. Es fehlt insoweit bereits an einer formgerechten Verfahrensrüge (§ 164 Abs. 2 SGG). Da somit im Vorbringen der Revision keine zulässigen und begründeten Revisionsgründe in bezug auf die Feststellung des LSG über die von der Klägerin beantragte Beitragserstattung gesehen werden können, ist diese Feststellung für das Revisionsgericht bindend (§ 163 SGG).
Der Rechtsauffassung des LSG, die Beitragserstattung im Sinne des § 1309 a RVO in der ab 1. Mai 1942 gültigen Fassung habe bereits mit der Anweisung des Erstattungsbetrages durch den Versicherungsträger als vollzogen zu gelten, so daß es auf die Auszahlung an die Berechtigte nicht mehr ankomme, kann indes nicht gefolgt werden. Wie das BSG mit Urteil vom 24. Januar 1973 - 4 RJ 103/72 - bereits entschieden hat, ist für eine aus Anlaß der Heirat nach dem 1. Mai 1942 erfolgte Beitragserstattung die Auszahlung des Erstattungsbetrages an die Berechtigte rechtserheblich (ebenso Hano/Lehmann/Bogs, Reichsversicherungsordnung, Kommentar, 5. Aufl., Anm. 29 zu § 1303 RVO). Für den erkennenden Senat besteht auch unter Berücksichtigung der vom LSG aufgeführten Gründe kein Anlaß, von dieser Entscheidung abzuweichen. Nach dem genannten Stichtag wurden die Beiträge nach § 1309 a Abs. 3 RVO aF ohne förmlichen Feststellungsbescheid erstattet. Aus dieser durch das Zweite Leistungsverbesserungsgesetz vom 22. Juni 1942 (RGBl I 411) mit Wirkung vom 1. Mai 1942 eingeführten Fassung der Vorschrift folgt zwingend, daß das Erstattungsverfahren auf den tatsächlichen Vorgang der Erstattung, d.h. die Auszahlung des Geldbetrages durch die Post (vgl. § 1297 Abs. 1 RVO idF des Gesetzes vom 21. Dezember 1937, RGBl I 1393), beschränkt werden sollte.
Entgegen der Ansicht des LSG rechtfertigt auch die Entscheidung des RVA Nr. 861 (AN 1900, 839, 840) kein anderes Ergebnis. Das RVA hatte dort eine Erstattung nach § 42 Abs.2 des Invalidenversicherungsgesetzes als vollzogen angesehen, sobald dem Berechtigten der Erstattungsbescheid zugestellt war, und deshalb den sonst möglichen Widerruf des Erstattungsantrages nicht mehr für zulässig gehalten. Es hatte also lediglich im Hinblick auf die damals erforderliche Zustellung eines förmlichen Bescheides die tatsächliche Auszahlung des Betrages für die wirksame Erstattung als nicht maßgeblich angesehen. Da die Beiträge nach § 1309 a Abs. 3 RVO aF ab 1. Mai 1942 aber ohne Feststellungsbescheid erstattet wurden, durfte das LSG die Entscheidung des RVA nicht mehr zur Begründung seiner Rechtsauffassung heranziehen. Im übrigen kann dem Beschluß des RVA aaO für den vorliegenden Fall lediglich entnommen werden, daß der Versicherungsträger seiner Erstattungspflicht nicht bereits durch die verwaltungsinterne Bewilligung und Anweisung des Erstattungsbetrages nachgekommen ist, vielmehr diese interne Verwaltungsentscheidung dem Berechtigten auch zur Kenntnis gebracht werden muß. An diesem - selbstverständlichen - Erfordernis hat sich durch den Wegfall eines förmlichen Feststellungsbescheids nichts geändert. Dabei kann für den vorliegenden Rechtsstreit offenbleiben, ob auch unter Geltung des § 1309 a RVO in der ab 1. Mai 1942 geltenden Fassung eine kontenzerstörende Leistung im Sinne des Absatzes 4 der Vorschrift den "berufungsfähigen" Bescheid entsprechend den früheren Verfahrensregelungen erfordert hätte, weil sich die Berechtigten anderenfalls auf die sachliche Unrichtigkeit der Erstattung ohne zeitliche Begrenzung hätten berufen können (so Koch/Hartmann/v. Altrock/Fürst, Das Angestelltenversicherungsgesetz, Kommentar, Band I, Anm. 11 zu § 47 AVG aF i.V.m. Anm. 9 zu § 46 AVG aF.). Jedenfalls hatte der gesetzlich angeordnete Fortfall des Feststellungsbescheides zur Folge, daß die Wirksamkeit der Erstattung nunmehr vom Zugang des Betrags bei der Berechtigten abhängig war, weil diese hierdurch allein noch von dem Ergebnis ihres Erstattungsantrages Kenntnis erhielt.
Da die Auszahlung des angewiesenen Betrags bei geordneten postalischen Verhältnissen der Regelfall ist, kann entgegen der Meinung des LSG auch nicht gesagt werden, daß der durch § 1309 a Abs. 3 RVO aF verfolgte Zweck einer Verfahrensvereinfachung vereitelt worden wäre, wenn erst die Auszahlung an die Berechtigte die Erstattung bewirkt hätte. Das BSG hat insoweit vielmehr wiederholt entschieden, daß aus dem Inhalt von Sammelkarten, Beitragserstattungslisten sowie aus sonst noch vorhandenen und auf den Namen der Berechtigten lautenden Verwaltungsunterlagen die - auf Lebenserfahrung beruhende, jedoch widerlegbare - Vermutung der wirksamen Beitragserstattung gestützt werden kann (vgl. BSG in SozR Nr. 69 zu § 128 SGG und BSG Beschluß vom 3.5.1968 - 4 RJ 45/68). Allerdings hat das BSG im Urteil vom 24. Januar 1973 aaO zutreffend darauf hingewiesen, daß dies nur für einen Zeitraum gelten kann, in welchem der Postverkehr in Deutschland während des Krieges noch intakt war, was nach der genannten Entscheidung für den Raum F in der ersten Hälfte des Jahres 1944 ohne konkrete Prüfung nicht unterstellt werden darf. Gleiches gilt um so mehr für den hier in Betracht kommenden Postverkehr in Duisburg kurz vor Beendigung des Krieges im März 1945, als das Rheinland bereits Kampfgebiet war.
Das LSG hätte nach alledem die Auszahlung der Erstattungssumme an die Klägerin nicht dahingestellt sein lassen dürfen. Es hätte vielmehr prüfen müssen, ob bei Berücksichtigung der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsunterlagen und der ab März 1945 in Duisburg vorgelegenen postalischen Verhältnisse die Annahme gerechtfertigt ist, daß der Erstattungsbetrag die Klägerin auch erreicht hat. Diese Prüfung wird das LSG unter Beachtung der bereits eingeholten - in der angefochtenen Entscheidung aber nicht verwerteten - Auskunft des Postamtes 1 Duisburg vom 9. Juli 1974 nachzuholen haben. Erst dann kann abschließend entschieden werden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung des von der Klägerin begehrten Altersruhegeldes erfüllt sind. Unter diesen Umständen muß das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Der Ausspruch über eine außergerichtliche Kostenerstattung bleibt der endgültigen Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen