Leitsatz (amtlich)

1. Es wird an der Rechtsprechung festgehalten, daß es eine unzulässige Rechtsausübung darstellt, wenn die Versorgungsbehörde Rückforderungsansprüche nach KOV-VfG § 47 Abs 2 für einen Zeitraum geltend macht, der mehr als vier Jahre seit Beginn des Jahres zurückliegt, in dem der Rückforderungsbescheid ergangen ist (Festhaltung an BSG 1964-04-17 10 RV 1299/61 = BSGE 21, 27).

2. Betrifft die Rückforderung auch Zeiträume, die noch nicht so weit zurückliegen, so setzt die Annahme einer unzulässigen Rechtsausübung (Verwirkung) auch für diese Zeiträume voraus, daß sich das Verhalten der Verwaltung im Vergleich zum Verhalten des Leistungsempfängers nach den besonderen Umständen des Einzelfalles als Verstoß gegen Treu und Glauben darstellt.

 

Normenkette

KOVVfG § 47 Abs. 2; BGB § 242 Fassung: 1896-08-18

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. Mai 1974 abgeändert. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 21. August 1972 wird zurückgewiesen, soweit sie die Rückforderung für die Zeit vor dem 1. Januar 1964 betrifft. Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten aller Rechtszüge zu erstatten.

 

Tatbestand

Die 1908 geborene Klägerin erhielt als Witwe des 1942 in Rußland gefallenen Berufsoffiziers Hubert S zunächst Bezüge nach dem Wehrmachtsfürsorge- und Versorgungsgesetz. Nach dem Kriege gewährte ihr die dafür zuständige Finanzverwaltung eine Vorauszahlung auf Unterhaltsbeträge als Witwe eines ehemaligen Berufssoldaten. Ferner gewährte das Versorgungsamt M der inzwischen im Schuldienst tätigen Klägerin mit Umanerkennungsbescheid vom 12. November 1951 die Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Über die Bewilligung bzw. Berechnung der beamtenrechtlichen Versorgung sowie über den Unterschied zwischen Normalversorgung und Unfallversorgung erteilte die Finanzverwaltung dem Versorgungsamt Durchschriften der an die Klägerin gerichteten Mitteilungen bzw. Zahlungsaufstellungen. Mit Neufeststellungsbescheid vom 30. Oktober 1957 errechnete das Versorgungsamt unter Berücksichtigung des Ruhens der Versorgung nach dem BVG in Höhe des Unterschieds zwischen der Versorgung nach allgemeinen beamtenrechtlichen Bestimmungen und der Versorgung aus der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge für die Zeit vom 1. April 1951 bis zum 31. Dezember 1957 eine Nachzahlung von 1.803,30 DM und stellte ab 1. Januar 1958 eine Witwengrundrente von monatlich 70,- DM fest. Zugleich wies es die Klägerin darauf hin, daß sie jede Änderung der beamtenrechtlichen Bezüge unverzüglich dem Versorgungsamt mitzuteilen habe.

In den folgenden Jahren gingen beim Versorgungsamt nur die Mitteilungen der Finanzverwaltung über die der Klägerin nunmehr nach dem Gesetz zu Artikel 131 des Grundgesetzes (G 131) gewährten Versorgungsbezüge ein. Unter dem 13. November 1962 teilte die Oberfinanzdirektion D mit, die Klägerin erhalte nach der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge ab 1. Oktober 1961 294,70 DM und ab 1. Juli 1962 232,26 DM Witwengeld; die Auszahlung dieser Beträge sei vorerst ausgesetzt, so daß etwaige Ersatzansprüche geltend gemacht werden könnten. Das Versorgungsamt veranlaßte jedoch nichts; es zahlte vielmehr aufgrund des 2. und 3. Neuordnungsgesetzes zum BVG ab Oktober 1965 120 DM und ab Januar 1968 150,- DM monatlich an die Klägerin. Im Oktober 1968 teilte das inzwischen errichtete Landesamt für Besoldung und Versorgung in Nordrhein-Westfalen dem Versorgungsamt in einer Anfrage wegen einkommensabhängiger Leistungen nach dem BVG mit, die Klägerin beziehe Unfallversorgung ab 1. Januar 1967, und gab sodann Auskunft über die genaue Höhe dieser Bezüge ab 1. Juli 1962. Daraufhin stellte das Versorgungsamt mit Bescheid vom 24. Oktober 1968 fest, die Grundrente der Klägerin habe ab 1. Oktober 1961 geruht, so daß für die Zeit vom 1. Oktober 1961 bis zum 31. Oktober 1968 eine Überzahlung von insgesamt 10.350,- DM entstanden sei, die es bei Einstellung der Rentenzahlung ab November 1968 zurückforderte.

Den Widerspruch der Klägerin, unter Beachtung des Grundsatzes von Treu und Glauben sei es ihr nicht zuzumuten, die Folgen eines Versäumnisses der Versorgungsverwaltung in Gestalt einer Rückforderung von mehr als 10.000,- DM zu tragen, wies das Landesversorgungsamt N durch Bescheid vom 14. Juli 1970 zurück. Nach § 47 Abs. 1 und 2 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG) hielt es die bei einem Monatseinkommen der Klägerin von 2.000,- DM ohnehin vertretbare Rückforderung namentlich deshalb für gerechtfertigt, weil die Klägerin entgegen dem im Bescheid vom 30. Oktober 1957 enthaltenen Hinweis dem Versorgungsamt die Änderungen ihrer beamtenrechtlichen Bezüge nicht mitgeteilt habe.

Das Sozialgericht (SG) Münster hat mit Urteil vom 21. August 1972 den angefochtenen Bescheid aufgehoben, weil es einen Verstoß gegen Treu und Glauben bedeute, wenn die Versorgungsverwaltung trotz Kenntnis von den Bezügen der Klägerin aus der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge erst nach Ablauf von sieben Jahren das Ruhen der Witwenrente feststelle und den überzahlten Betrag wegen Nichterfüllung der Anzeigepflicht zurückfordere.

Auf die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 29. Mai 1974 das Urteil des SG aufgehoben, die Klage abgewiesen und die Revision wegen des Rückforderungsanspruchs zugelassen. Es hat die Rückforderung des überzahlten Betrages für rechtmäßig erachtet. Die Klägerin habe nämlich im Sinne von § 47 Abs. 2 Buchst. a VerwVG wissen müssen, daß ihr ab 1. Oktober 1961 die monatlichen laufenden Leistungen nicht mehr zustanden, weil ihr aus der im Bescheid vom 30. Oktober 1957 enthaltenen Aufstellung und dem Hinweis auf die Verpflichtung zur Anzeige jeder Änderung ihrer Bezüge nach beamtenrechtlichen Bestimmungen die Beeinträchtigung ihrer Grundrente durch Leistungen der beamtenrechtlichen Unfallversorgung erkennbar geworden sei. Sie habe sich nicht darauf verlassen dürfen, ihre beamtenrechtlichen Bezüge würden dem Versorgungsamt von der Finanzverwaltung mitgeteilt. Die Rückforderung in monatlichen Raten von 100,- DM sei bei einem Monatseinkommen von netto 2.042,- DM aber auch nach § 47 Abs. 2 Buchst. b VerwVG gerechtfertigt. Eine Verwirkung des Rückforderungsanspruchs sei hier nicht eingetreten. Das Bundessozialgericht (BSG) habe zwar zunächst in Anlehnung an seine Entscheidung über die Verjährung von Versorgungsansprüchen den Rückforderungsanspruch für einen Zeitraum als verwirkt angesehen, der mehr als vier Jahre vor dem Beginn des Jahres liege, in dem der Rückforderungsbescheid ergangen sei. Später habe das BSG jedoch die Verwirkung als nicht nur vom Zeitablauf, sondern darüber hinaus von weiteren Umständen abhängig erachtet, die das verspätete Geltendmachendes Rechts als unvereinbar mit Treu und Glauben erscheinen ließen. Der Schuldner müsse darauf vertraut und tatsächlich auch angenommen haben, der Gläubiger werde sein Recht nicht mehr gegen ihn geltend machen; er müsse sich auf dieses Verhalten durch entsprechende Maßnahmen eingerichtet haben und einen zusätzlichen Nachteil erleiden, wenn doch noch von dem Recht Gebrauch gemacht werde. Die Klägerin habe aber ihre Anzeigepflicht nachlässigerweise nicht erfüllt und somit keineswegs darauf vertrauen dürfen, das Versorgungsamt werde von einer Rückforderung ihr zu Unrecht gezahlter Bezüge absehen, zumal weder vorgetragen noch sonst ersichtlich sei, inwiefern sich die Klägerin auf den Weiterbezug der Witwengrundrente eingerichtet habe und welcher zusätzliche Nachteil ihr aus der Rückforderung entstehe.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 28. Juni 1974 zugestellte Urteil die Revision am 9. Juli 1974 eingelegt und am 27. August 1974 begründet. Sie rügt die Verletzung des § 47 Abs. 2 VerwVG. Unzutreffend sei schon die Feststellung des LSG, sie habe bei Empfang der nunmehr zurückgeforderten Leistungen im Sinne von § 47 Abs. 2 Buchst. a VerwVG wissen müssen, daß ihr diese Leistungen nicht zustanden. Aus dem Bescheid vom 30. Oktober 1957 habe sie nämlich entnehmen können, daß das Versorgungsamt ihre Grundrente nach den Informationen der Finanzverwaltung festgestellt habe und auch künftig feststellen werde, zumal dieser Bescheid von Amts wegen erteilt und sie an späteren Rentenerhöhungen von Amts wegen beteiligt worden sei. Zu Unrecht habe das LSG auch die in der Rückforderung liegende unzulässige Rechtsausübung des Beklagten verneint. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sei nach der Rechtsprechung des BSG für den Tatbestand der unzulässigen Rechtsausübung bei Rückforderungen, die mehr als vier Jahre zurückliegende Zeiträume betreffen, der Zeitablauf ausreichend. Die vom LSG erwähnten zusätzlichen Anforderungen würden nur dann gestellt, wenn die Verwirkung eines Rückforderungsanspruchs vor Ablauf von vier Jahren geprüft werde. Auch in dem vom LSG zitierten Urteil des BSG vom 25. Januar 1972 - 9 RV 238/71 (BVBl 1972 S. 73) - sei ausgeführt, wenn erst die Hälfte der Zeit abgelaufen sei, die nach ständiger Rechtsprechung des BSG die Verwirkung des Rückforderungsrechts nach sich ziehe, so könne das Recht auf Rückerstattung nicht ohne weitere schwerwiegende Umstände als verwirkt angesehen werden. Mithin enthalte der angefochtene Rückforderungsbescheid insofern eine unzulässige Rechtsausübung, als er sich auf eine Zeit erstrecke, die mehr als vier Jahre vor dem Beginn des Jahres liege, in dem er ergangen sei. Das LSG hätte daher jedenfalls die Rückforderung für die Zeit vom 1. Oktober 1961 bis zum 31. Dezember 1963 für unzulässig erklären müssen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

unter Abänderung des Urteils des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. Mai 1974 die Berufung des Beklagten zurückzuweisen, soweit sie den Rückforderungsanspruch betrifft.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Da § 47 Abs. 2 Buchst. b VerwVG unstreitig erfüllt sei, komme es nur noch darauf an, ob das Rückforderungsrecht verwirkt sei. Der bloße Zeitablauf genüge hierfür indes nach den Urteilen des BSG vom 19. Dezember 1967 - 10 RV 651/65 - und vom 25. Januar 1972 nicht.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG in der bis zum 31. Dezember 1974 geltenden Fassung - SGG aF -). Daß das LSG die Revisionszulassung nicht im Urteilstenor, sondern nur in den Urteilsgründen ausgesprochen hat, steht ihrer Rechtswirksamkeit nicht entgegen. Da § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG nicht bestimmt, an welcher Stelle des Urteils die Revisionszulassung auszusprechen ist, muß insoweit gemäß § 165 SGG auf § 150 Nr. 1 SGG zurückgegriffen werden. Danach genügt es, wenn die Zulassung des Rechtsmittels "im Urteil" erfolgt. Auch die Zulassung der Revision in den Urteilsgründen ist somit rechtswirksam (vgl. BSG 2, 245, 246; wegen rechtsunwirksamer Zulassung in der Rechtsmittelbelehrung vgl. BSG in SozR Nr. 36 zu § 162 SGG). Aus den Ausführungen des LSG zur Zulassung der Revision ergibt sich, daß die Revision nur wegen des Rückforderungsanspruchs zugelassen werden sollte. Denn die vom LSG für grundsätzlich erachtete Frage, ob in einer Rückforderung schon wegen Zeitablaufs oder erst bei Hinzutreten weiterer Voraussetzungen eine unzulässige Rechtsausübung liegen kann, erweist sich nur für den hier vom Beklagten geltend gemachten Rückforderungsanspruch als relevant, nicht aber auch für die Feststellung des Ruhens der Rente, für die Feststellung des überzahlten Betrages und für die Einstellung der laufenden Rentenzahlung im angefochtenen Bescheid. Die form- und fristgerecht eingelegte und in der Begründung zutreffend auf den Rückforderungsanspruch beschränkte Revision ist daher zulässig (§§ 164, 166 SGG aF).

Die Revision ist begründet, soweit sie die Zeit vom 1. Oktober 1961 bis zum 31. Dezember 1963 betrifft, im übrigen aber unbegründet.

Da das LSG die Revision nur wegen des Rückforderungsanspruchs zugelassen hat, ist der angefochtene Bescheid zur Beurteilung der Überzahlung nach Grund, Höhe und rechtlicher Einordnung infolge Rechtskraft des Berufungsurteils bindend geworden und insoweit einer Nachprüfung durch das Revisionsgericht nicht mehr zugänglich (vgl. BSG Urteil vom 24. August 1965 - 10/11 RV 752/63 - in SozR Nr. 17 zu § 47 VerwVG). Unstreitig ist unter den Beteiligten, daß jedenfalls die Voraussetzungen des § 47 Abs. 2 Buchst. b VerwVG für eine Rückforderung erfüllt sind. Zu entscheiden bleibt mithin nur noch die Frage, inwieweit der Beklagte unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung daran gehindert ist, den an sich gegebenen Rückforderungsanspruch noch geltend zu machen. Dies ist nach der ständigen Rechtsprechung aller Versorgungssenate des BSG der Fall, soweit der Beklagte den für die Zeit vom 1. Oktober 1961 bis zum 31. Dezember 1963 überzahlten Betrag zurückfordert, nicht aber, soweit für die Zeit nach dem 1. Januar 1964 überzahlte Beträge zurückgefordert werden.

Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, stellt es nach dem Urteil des erkennenden Senats vom 17. April 1964 - 10 RV 1299/61 - (BSG 21, 27) eine unzulässige Rechtsausübung dar, wenn die Versorgungsbehörde Rückforderungsansprüche nach § 47 Abs. 2 VerwVG für einen Zeitraum geltend macht, der mehr als vier Jahre seit Beginn des Jahres zurückliegt, in dem der Rückforderungsbescheid ergangen ist. Diese Rechtsauffassung beruht darauf, daß sowohl die Versorgungsansprüche des Berechtigten als auch der Rückforderungsanspruch der Versorgungsverwaltung im Falle zu Unrecht gezahlter Versorgungsbezüge auf demselben Rechtsverhältnis beruhen. Deshalb muß für die Geltendmachung beider Ansprüche in zeitlicher Hinsicht im Hinblick auf den Grundsatz von Treu und Glauben, der auch das öffentliche Recht beherrscht, eine entsprechend gleiche Regelung Platz greifen. Da der aus dem Versorgungsanspruch erwachsende einzelne monatliche Rentenanspruch nach dem BVG in entsprechender Anwendung des § 197 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) in vier Jahren verjährt (vgl. BSG Urteil vom 9. April 1963 - 10 RV 1059/60 - in BSG 19, 88), während für den Rückforderungsanspruch der Versorgungsverwaltung keine derart kurze Verjährungsfrist vorgeschrieben ist (vgl. BSG 21, 34), würde es eine erhebliche Benachteiligung der der Fürsorge der Versorgungsverwaltung anvertrauten Versorgungsberechtigten bedeuten, wenn die Versorgungsverwaltung ihnen gegenüber Rückforderungsansprüche erheben dürfte, die sich auf Zeiträume beziehen, für die die Versorgungsverwaltung sich hinsichtlich etwaiger Versorgungsansprüche auf Verjährung berufen könnte. Es muß sich vielmehr unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben insoweit für jeden Beteiligten eine gleiche Rechtslage aus der Untätigkeit des anderen Beteiligten ergeben. Deshalb entspricht es der Billigkeit, einen Rückforderungsanspruch der Versorgungsverwaltung, welcher sich auf einen mehr als vier Jahre zurückliegenden Zeitraum bezieht, unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung zu verneinen.

Dieser Auffassung ist das Urteil des BSG vom 21. März 1967 - 9 RV 392/64 - (vgl. KOV 1967 S. 124) mit der Begründung gefolgt, ein Zuwarten der Versorgungsverwaltung mit der Rückforderung von mehr als vier Jahren stelle eine unangemessen lange Bearbeitungszeit dar (vgl. hierzu BSG Urteil vom 17. November 1967 - 10 RV 342/65 - (KOV 1968 S. 93). Der in BSG 21, 27 dargelegten Rechtsauffassung ist ferner das BSG-Urteil vom 26. November 1968 - 8 RV 503/66 - (KOV 1969 S. 60, 62) gefolgt. Hier ist unter Ausdehnung dieser Rechtsprechung auf die Tatbestände des § 47 Abs. 3 VerwVG betont worden, der schuldhafte (= dolose) Versorgungsempfänger habe ebenso wie der gutgläubige Leistungsempfänger Anspruch darauf, daß die Versorgungsbehörde innerhalb angemessener Frist ihren Rückforderungsanspruch geltend mache. Ergänzend ist hierzu auf die Bestimmung des § 852 BGB hingewiesen worden, wonach selbst der Anspruch auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens grundsätzlich in drei Jahren verjährt.

Der Senat hat keinen Anlaß, von der vorstehend dargestellten Rechtsprechung abzuweichen. Wollte man der Auffassung des LSG folgen, so würde die Rückforderung selbst für mehr als 4 Jahre zurückliegende Zeiträume zur Regel werden, weil die vom LSG auch in diesen Fällen geforderten besonderen Umstände nur ausnahmsweise dargetan werden könnten. Dadurch würde in das Versorgungsrechtsverhältnis aber gerade der Widerspruch hineingetragen, den die bisherige Rechtsprechung des BSG zu vermeiden bestrebt war. Denn es wäre der Versorgungsverwaltung dann gestattet, sich bei der Verjährung von Versorgungsansprüchen stets auf Zeitablauf zu berufen, während das dem Beschädigten bei der Rückforderung zu Unrecht gezahlter Versorgungsbezüge nur ausnahmsweise zugestanden würde. Dabei würde schließlich auch außer acht gelassen werden, daß der Versorgungsverwaltung dann, wenn der Versorgungsberechtigte für die Entscheidung wesentliche Tatsachen wissentlich falsch angegeben hat (vgl. § 42 Abs. 1 Nr. 3 VerwVG), eine darauf gestützte erneute Entscheidung gemäß § 43 Abs. 2 VerwVG nach Ablauf von fünf Jahren vom Tage der Entscheidung an nicht mehr erlaubt ist, so daß damit schon die Berichtigung des Leistungsbescheides als Voraussetzung einer Rückforderung entfällt. Auch unter diesem Gesichtspunkt erscheint es daher geboten, an der in BSG 21, 27 vertretenen Rechtsauffassung festzuhalten.

Entgegen der Auffassung des LSG weicht der Senat damit nicht von den Anforderungen ab, die für die Verwirkung im öffentlichen Recht aus dem auch hier geltenden Grundsatz von Treu und Glauben hergeleitet worden sind (vgl. BSG 2, 284, 288; 7, 199, 200). Allerdings wird danach ein Recht grundsätzlich erst als verwirkt angesehen, wenn der Berechtigte während einer längeren Zeitspanne dem Verpflichteten gegenüber untätig gewesen ist und besondere Umstände hinzugetreten sind, welche die verspätete Ausübung des Rechts als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Innerhalb des Versorgungsrechtsverhältnisses ergeben sich aber die besonderen Umstände, die eine Rückforderung für einen über vier Jahre zurückliegenden Zeitraum als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen, regelmäßig aus den hier herrschenden Besonderheiten.

Das Versorgungsrecht dient der Entschädigung der für die Allgemeinheit gebrachten Opfer während des Krieges. Das Versorgungsrechtsverhältnis ist deshalb von einer Fürsorgepflicht der Versorgungsverwaltung gegenüber dem Beschädigten bzw. seinen Hinterbliebenen gekennzeichnet. Dazu gehört insbesondere auch, daß die verwaltungsmäßige Abwicklung der Versorgungsansprüche sich innerhalb angemessener Fristen vollzieht, daß den Versorgungsempfängern das Gefühl vermittelt wird, von der Versorgungsverwaltung umfassend und gleichmäßig entschädigt zu werden und daß ihnen insbesondere durch die regelmäßige und sichere Wiederkehr der Versorgungsleistungen in bescheidenem Ausmaß eine finanzielle Absicherung und Sicherheit geboten wird. Die Untätigkeit der Versorgungsverwaltung bei der Bearbeitung eines Rückforderungsvorgangs über das zur Bearbeitung erforderliche zeitliche Maß hinaus muß daher bereits zu den Umständen gerechnet werden, die geeignet sind, innerhalb des Versorgungsrechtsverhältnisses ein besonderes Maß an Vertrauen zu erzeugen und ein späteres gegenteiliges Verhalten - etwa die Rückforderung schon seit Jahren erkennbar zu Unrecht erbrachter Leistungen - als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen zu lassen. Dabei wird das Gewicht der Untätigkeit im Sinne dieser Wertung um so größer, je länger die Untätigkeit der Versorgungsverwaltung andauert. So wenig es der Versorgungsverwaltung zugemutet wird, nach Ablauf von vier Jahren noch auf einzelne monatliche Rentenansprüche einzugehen, ist es nach Ablauf von vier Jahren seit Empfang der einzelnen monatlichen Leistungen auch dem Versorgungsempfänger nicht mehr zuzumuten, noch mit der Rückforderung dieser Leistungen zu rechnen. Ob eine Ausnahme hiervon gilt, wenn die Versorgungsverwaltung den Leistungsempfänger ausdrücklich darauf hinweist, daß aus nicht in ihrem Verantwortungsbereich liegenden zwingenden Gründen eine Rückforderung der Leistungen ausnahmsweise auch noch nach langer Zeit in Betracht kommen könne, kann für den vorliegenden Fall dahingestellt bleiben. Denn der allgemeine formularmäßige Hinweis, daß zu Unrecht erbrachte Leistungen zurückgefordert werden können, genügt hierfür jedenfalls nicht.

Somit darf sich der Versorgungsberechtigte in bezug auf die Leistungen, die er schon vor mehr als vier Jahren erhalten hat, darauf einrichten, daß er sie nicht mehr zurückerstatten muß. Fordert die Versorgungsverwaltung gleichwohl Leistungen zurück, die einen Zeitraum betreffen, der mehr als vier Jahre vor Beginn des Jahres liegt, in dem der Rückforderungsbescheid ergeht, so liegen bei Berücksichtigung der versorgungsrechtlichen Fürsorgepflicht die von der Rechtsprechung geforderten besonderen Umstände vor, welche die Rückforderung für eine so weit zurückliegende Zeit als Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben erscheinen lassen.

Die das Versorgungsrechtsverhältnis beherrschende Fürsorgepflicht der Verwaltung reicht allerdings unter dem in BSG 21, 34 hervorgehobenen Gesichtspunkt nicht aus, um die Rückforderung für einen Zeitraum, der weniger als vier Jahre vor dem Beginn des Jahres liegt, in dem der Rückforderungsbescheid erlassen worden ist, zur unzulässigen Rechtsausübung zu machen. Hierzu sind nach der auch insoweit einhelligen Rechtsprechung der KOV-Senate des BSG vielmehr weitere besondere Umstände des Einzelfalls erforderlich, die schon nach Ablauf einer kürzeren Zeit den verläßlichen Schluß zulassen, die Versorgungsverwaltung werde erkennbar zu Unrecht erbrachte, bislang aber nicht zurückgeforderte Leistungen auch künftig nicht zurückfordern. Hierzu wird insbesondere verlangt, daß sich der Leistungsempfänger bereits durch entsprechende Vorkehrungen oder Maßnahmen auf den wirtschaftlichen Vorteil eingerichtet hatte, der ihm aus dem regelmäßigen Leistungsbezug entstanden war, und daß ihm deshalb die Rückforderung dieser Leistungen - abgesehen von ihrem bloßen wirtschaftlichen Verlust - einen zusätzlichen besonderen Nachteil bringen würde (vgl. hierzu die im Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1972 - 10 RV 441/71 - BSG 35, 91, 94, 95 zitierte Rechtsprechung).

Nach diesen Kriterien muß im vorliegenden Fall die Rückforderung der für die Zeit vor dem 1. Januar 1964 gewährten Versorgungsbezüge als unzulässige Rechtsausübung angesehen werden. Soweit die Revision jedoch darüber hinaus auch die Rückforderung der für die spätere Zeit erbrachten Leistungen als unzulässige Rechtsausübung aufgehoben wissen will, fehlt es, wie das LSG zutreffend angenommen hat, an den hierzu notwendigen besonderen Umständen, insbesondere aber an einem Verhalten der Klägerin, das verstärkten Vertrauensschutz rechtfertigen könnte.

Der Beklagte hat zwar für die Feststellung des Ruhens und der sich daraus ergebenden Überzahlung sowie für deren Rückforderung durch Bescheid vom 24. Oktober 1968 auch insofern unangemessen lange Zeit benötigt, als es sich um die Rückforderung der in den Jahren 1964, 1965, 1966 und 1967 erbrachten Leistungen handelt (vgl. hierzu BSG-Urteil vom 6. Dezember 1966 - 9 RV 568/64 - BVBl 1967 S. 116). Indessen kann dieses Verhalten nicht als so gravierend angesehen werden, daß es namentlich im Vergleich zum Verhalten der Klägerin als gegen Treu und Glauben verstoßende unzulässige Rechtsausübung bewertet werden müßte. Die Klägerin ist nämlich der Aufforderung des Beklagten im Bescheid vom 30. Oktober 1957, jede Änderung der Bezüge nach beamtenrechtlichen Bestimmungen unverzüglich dem Versorgungsamt mitzuteilen, weder nachgekommen, noch hat sie sich jemals vergewissert, ob ihre später geäußerte Annahme zutraf, solche Änderungen würden dem Versorgungsamt von der dafür zuständigen Stelle automatisch mitgeteilt werden. Sie durfte sich mithin weder darauf verlassen noch wirtschaftlich darauf einrichten, daß das Versorgungsamt gleichwohl Überzahlungen vermeiden oder ihr etwa entstehende Überzahlungen belassen werde.

Insoweit fehlt es mithin an besonderen Umständen, die es erlauben könnten, der Klägerin einen nach Lage des Einzelfalls bemessenen Vertrauensschutz zuzubilligen und deshalb auch die Rückforderung der nach dem 1. Januar 1964 erbrachten Versorgungsleistungen wegen eines in besonderem Maße gegen Treu und Glauben verstoßenden Verhaltens der Versorgungsverwaltung als unzulässige Rechtsausübung aufzuheben.

Nach alledem mußte auf die Revision der Klägerin das Urteil des LSG dahin abgeändert werden, daß die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Münster vom 21. August 1972 zurückgewiesen wird, soweit sie die Rückforderung für die Zeit vor dem 1. Januar 1964 betrifft. Im übrigen mußte die Revision der Klägerin zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1648567

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge